Einladung zur Jugendbegegnung am 11. November in Dachau

Die Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland e. V. lädt alle jungen Mitglieder (16 bis 27 Jahre) zur ersten Jugendbegegnung am 11. November 2023 von 11 bis 17 Uhr in der KZ-Gedenkstätte Dachau ein.

„Wir wollen uns mit der Frage beschäftigen, was Versöhnung heute bedeutet“, so Felicitas Weileder, die das Treffen gemeinsam mit Maite Böhm organisiert. Alle Teilnehmer:innen erhalten kurz nach dem 85. Jahrestag der Novemberpogrome, bei dem auch mehr als 10.000 Juden in das KZ Dachau deportiert wurden, eine Führung durch die KZ-Gedenkstätte. Anschließend diskutieren sie mit Vertreter:innen des ökumenischen Nagelkreuzzentrum in der KZ-Gedenkstätte über ihre Arbeit. Zudem steht ein Gespräch mit Vertretern der Kathedrale von Coventry über die unterschiedlichen Aspekte der Versöhnungsarbeit auf dem Programm. Außerdem gibt es Raum für individuelles Reflektieren oder einen Besuch der Sonderausstellung „Dachauer Prozesse – Verbrechen, Verfahren und Verantwortung“.

Das Programm, weitere organisatorische Hinweise und einen Link zur Anmeldung gibt es hier.

Optional besteht die Möglichkeit, sich anschließend beim Abendessen auszutauschen und in München zu übernachten. Für die Teilnahme fallen keine Kosten an. Die Kosten für das Mittagessen und Kaffeepause werden übernommen, Kosten für Anreise und/oder Übernachtung können bezuschusst werden (siehe organisatorische Hinweise). Anmeldeschluss: 3. November 2023, Rückfragen an jugendkonferenz@nagelkreuz.org.

„Nation von Nation, Volk von Volk, Klasse von Klasse“: Mitgliederversammlung hat Neuübersetzung der ersten Bitte des Versöhnungsgebets beschlossen

Die Mitgliederversammlung der Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland e.V. hat am 14. Oktober 2023 auf ihrer Tagung in Würzburg beschlossen, als Verein eine neue deutsche Übersetzung der ersten Bitte des Versöhnungsgebetes zu verwenden. Sie lautet nun: „Den Hass, der Nation von Nation trennt, Volk von Volk, Klasse von Klasse, Vater, vergib.“

Das historische Gebet

Das Versöhnungsgebet von Coventry entstand 1958. Es ist zu dem Gebet geworden, das die weltweite Nagelkreuzgemeinschaft geistig miteinander verbindet. So prägend das Versöhnungsgebet für die Nagelkreuzgemeinschaft ist, umso schwerer fällt es vielen in Deutschland mittlerweile, die erste Zeile der Litanei mit dem Wort „Rasse“ mitzusprechen – und dies, obwohl es eine Gebetsbitte für unsere Mitschuld an den vielfältigen Formen von Rassismus ist.

Vor ca. fünfzehn Jahren hat unser Verein erstmals die Verwendung des Wortes „Rasse“ ausführlicher reflektiert. Der Austausch mit Coventry und der amerikanischen Nagelkreuzgemeinschaft ergab damals, das Wort nicht aufzugeben. Vor acht Jahren wurde die Diskussion erneut intensiv aufgegriffen. Es wurden Änderungsvorschläge für die erste Zeile überlegt. Entscheidend waren jedoch dann die Expertenmeinungen einiger Liturgikerinnen und Liturgiker. Sie rieten davon ab, Veränderungen an einem so vertrauten, einprägsamen und historischen Gebetstext vorzunehmen. Entsprechend hat sich die Mitgliederversammlung im Herbst 2015 dafür ausgesprochen, bei der eingeführten Übersetzung zu bleiben. Allerdings bestand ebenfalls Einigkeit darüber, dass Nagelkreuzzentren, die den Gebrauch des Wortes „Rasse“ nicht verantworten können, eine andere Formulierung nutzen können.

Die weitere Diskussion

Die Diskussionen sind seitdem weitergegangen. Seit Anfang 2020 beschäftigt sich die deutsche Nagelkreuzgemeinschaft erneut mit der ersten Versöhnungsbitte. Der Leitungskreis hat nochmals liturgiewissenschaftliche Beratung eingeholt. Zudem wurde das intensive Gespräch mit Coventry und den nationalen Nagelkreuzvorsitzenden fortgesetzt. Bestimmend für die Diskussion im Leitungskreis waren folgende Zielsetzungen:

  • Die deutsche Nagelkreuzgemeinschaft braucht eine feste Textversion des Versöhnungsgebets, die sie bei offiziellen Anlässen verwendet (auf der Webseite und im Flyer, bei Nagelkreuzverleihungen …).
  • Es soll eine Neuübersetzung (nicht Neugestaltung) der Gebetsbitte gefunden werden, die auf das Wort „Rasse“ verzichtet und nur so wenig wie nötig am bisherigen Sprechrhythmus ändert.
  • Die neue Übersetzung soll weiterhin ästhetisch als Gebetssprache erkennbar bleiben.

In den weiteren Überlegungen wurde deutlich, dass sich keine Formulierung finden lässt, die alle Betenden, Liturgikerinnen und Liturgiker, Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler, Biologinnen und Biologen etc. gleichermaßen überzeugt. Nach intensiven Diskussionen hat der Leitungskreis 2021 allen Nagelkreuzzentren zwei Versionen zur weiteren Erprobung vorgeschlagen:

A: Den Hass, der Menschen von Menschen trennt.

B: Den Hass, der Volk von Volk, Klasse von Klasse, und rassistisch Menschen von Menschen trennt.

Die aktuelle Entscheidung

In geheimer Abstimmung entschied sich die Mitgliederversammlung zunächst mit großer Mehrheit dafür, dass auf eine neue Übersetzung der ersten Bitte des Versöhnungsgebets zugegangen werden soll, die ohne das Wort „Rasse“ auskommt. Von Teilnehmenden der Versammlung wurde zudem eingebracht, dass eine weitere Formulierung als Version C erörtert werden soll:

C: Den Hass, der Nation von Nation trennt, Volk von Volk, Klasse von Klasse.

In einem Meinungsbildungsprozess schälte sich deutlich heraus, dass diese Version C auf die größte Zustimmung stieß, sodass am Ende der folgende Beschluss – erneut mit großer Mehrheit – gefasst wurde:

Die Mitgliederversammlung der Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland beschließt, zukünftig die Übersetzung „Den Hass, der Nation von Nation trennt, Volk von Volk, Klasse von Klasse“ als die offizielle Version der ersten Bitte des Versöhnungsgebets von Coventry zu verwenden.

Diese Übersetzung zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich eng an die charakteristische Struktur des englischen Originals und auch der bisherigen deutschen Übersetzung hält und dennoch ohne das Wort „Rasse“ auskommt. Die genannten drei Illustrationen bieten einen Resonanzraum, der innere Bilder und Gefühle zum Klingen bringen kann, die für ein Gebet wichtig sind. Sie ist zudem gut sprechbar. Das Wort „Nation“, das im englischen Text, nicht jedoch im bisherigen deutschen Text vorkommt, lenkt den Blick auf Staaten, die sich in Feindschaft und Hass gegenüberstehen können. In der deutschen Diskussion um den Rassebegriff wird häufig vorgeschlagen, statt „Rasse“ Wörter wie „Population“ oder „Ethnie“ zu verwenden. Aber diese Begriffe sind abstrakt und erweisen sich als eher sperrig in einer Gebetszeile. Daher soll das Wort „Volk“ zum Ausdruck bringen, dass sich auch Populationen oder Ethnien in Hass gegenüberstehen können.

Das Gebet vor Ort

Während der Mitgliederversammlung wurde deutlich, dass Nagelkreuzzentren in Deutschland und auch international sich immer stärker der Aufgabe stellen, das Versöhnungsgebet für ihren spezifischen Kontext vor Ort relevant zu machen und so lebendig zu halten. Diese Kontextualisierung betrifft alle Teile des Gebets.

So wird es in Zukunft noch stärker neben dem „Original“ und seinen offiziellen Übersetzungen in die unterschiedlichsten Sprachen auch lokal angepasste Versionen geben. Diese machen deutlich, dass ein Gebet ein lebendiger Text ist, der auf Dauer seinen Zweck nur dann erfüllt, wenn er den Anliegen und Bedürfnissen der Betenden in ihrer jeweiligen Zeit und Situation gerecht wird.

Diese Prozesse werden auch von der Kathedrale von Coventry unterstützt, die den Reichtum an Varianten als Ausdruck des zweiten Leitbildes der Nagelkreuzgemeinschaft versteht: „Mit Unterschieden leben und Vielfalt feiern“. In diesen Kontextualisierungen wird das weiterhin Verbindende die inhaltliche Struktur des Versöhnungsgebet bleiben, die sich an den klassischen sieben Wurzelsünden bzw. Hauptsünden (auch unter dem Begriff „Todsünden“ bekannt) orientiert.

Fazit und Dank

Vorstand und Leitungskreis schätzen außerordentlich, dass Nagelkreuzzentren und Einzelmitglieder sich in den letzten Jahren mit sehr unterschiedlichen Überzeugungen in dieser Debatte zu Wort gemeldet haben. Ihnen ist bewusst, dass die Diskussion starke Emotionen hervorruft. Manche können sich Änderungen am Versöhnungsgebet kaum vorstellen, andere haben sehr weitreichende Ideen vorgelegt. Der Leitungskreis hat intensiv um Formulierungen gerungen, der den unterschiedlichen Überzeugungen gleichermaßen möglichst gerecht wird.

Der Leitungskreis dankt allen, die sich in den letzten Jahren und im Vorfeld der Mitgliederversammlung an der Diskussion beteiligt haben. Ein herzliches Dankeschön ebenso an alle, die sich während der Mitgliederversammlung eingelassen haben auf die nicht ganz leichte Suche nach einem möglichst großen Konsens und auf die Suche nach dem dazu notwendigen Verfahren. Vorstand und Leitungskreis hoffen, dass all jene, die gerne eine andere Entscheidung gesehen hätten, ebenso wie all jene Nagelkreuzzentren und Einzelmitglieder, die in Würzburg nicht vertreten waren, die nun getroffene Entscheidung dennoch mittragen werden.

Autor: Oliver Schuegraf

Mitgliederversammlung Würzburg 2023: Predigt von Judith Einsiedel auf dem Abschlussgottesdienst

Am Sonntag, 15. Oktober 2023, endete die diesjährige Mitgliederversammlung der Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland e. V. in Würzburg (-> klick für Text) mit dem Abschlussgottesdienst. In ihrer Predigt kam Judith Einsiedel (Pastoralreferentin im Nagelkreuzzentrum KZ-Gedenkstätte Dachau und seit 2023 Mitglied des Leitungskreises), auf die alte Frage zurück, die sich angesichts der Weltlage wie ein roter Faden auch durch die Mitgliederversammlung gezogen hatte: Wie kann Gott das Leid auf dieser Welt zulassen? Den Wortlaut ihrer Predigt haben wir hier dokumentiert.

Liebe Mitglieder in der Deutschen Nagelkreuzgemeinschaft, liebe Schwestern, liebe Brüder!

Krieg beherrscht einmal mehr das Weltgeschehen und trübt den Blick auf die Schönheit unserer Schöpfung und auf die Dankbarkeit, die dieser Jahreszeit (Herbst, Erntedank…) sonst eigen ist. Krieg herrscht an vielen Orten – geht uns aber vielleicht in der Ukraine und in Israel/Palästina gerade besonders nahe.

Einmal mehr steigen altbekannte Fragen (in mir) auf: Wie können Menschen so handeln? Wie einander so etwas Furchtbares antun? Beinahe wollte ich sagen „so etwas ‚Unmenschliches‘ antun“ – doch scheint Gewalt und Tötung ja leider nur allzu ‚menschlich‘ zu sein… Also: Wie können Menschen…? Eine Frage, die sich mir auch in meiner Arbeit in der KZ-Gedenkstätte Dachau regelmäßig stellt – und die man sich im November 1940 in Coventry oder im März 1945 in Würzburg vielleicht ebenfalls gestellt hat. Bei dem einen oder der anderen kam/ kommt womöglich noch eine weitere Frage hinzu: Und wie kann Gott das alles zulassen? Wie kann er nur zusehen?

Im Theologiestudium habe ich darauf eine relativ simple und zugleich sehr unbefriedigende Antwort erhalten, die sich hinter dem harmlos klingenden Ausdruck free will defence verbirgt. Gott hat den Menschen mit einem freien Willen geschaffen und damit das Risiko in Kauf genommen, dass der Mensch diese Freiheit auch zum Bösen gebrauchen kann, missbrauchen kann. Damit soll Gott theologisch verteidigt werden, in seiner Güte und Allmacht (Er ist gütig und allmächtig, obwohl es Leid gibt) – dem Leiden der Opfer freilich wird man mit einer solchen Erklärung nicht gerecht; ein Trost ist dies für sie nicht.

Was mich in meinem Ringen mit den Warum-Fragen eher weiterbringt, ist das heutige Evangelium. Da werden Menschen zu einem rauschenden Fest eingeladen, einem Fest der Freude und Gemeinschaft, mit gutem Essen – aber sie wollen partout nicht kommen. Und warum? Weil sie mit sich selbst beschäftigt sind: mit ihrem Besitz, mit ihren eigenen Plänen, und man könnte sagen: auch mit ihrer eigenen Aggression. Es kommt nämlich zu gewaltsamen Übergriffen und sogar zu Mord, nur um der Einladung nicht folgen zu müssen. Martin Luther und andere haben dieses Phänomen den homo incurvatus in seipsum genannt: den in sich selbst verkrümmten Menschen. Der nicht den Blick hebt für die Bedürfnisse des anderen oder gar das Leid des anderen, ob nun aus Nachlässigkeit oder aus Absicht. Und der nicht den Blick hebt hin zu Gott – sonst müsste er sich ja vielleicht selbst von Gott anschauen lassen und das könnte schmerzhaft sein.

Ich weiß aus meiner Studienzeit in Israel, dass es Projekte gibt – eines davon heißt „Talking Peace“ –, die versuchen, Israelis und Palästinenser miteinander ins Gespräch zu bringen, auf dass sie die Traumata und Wunden und die Bedürfnisse des anderen kennen und verstehen lernen. Leider konnte dadurch nicht verhindert werden, was jetzt gerade geschieht. Menschen und Menschengruppen sind versucht, nur sich selbst zu sehen – und ihr eigenes ‚Ding‘.

In kleinerem Ausmaß dürfte jeder von uns das auch kennen: Mich hat jemand verletzt – ich schieße zurück, vielleicht sogar mit Kollateralschäden. Mein Bedürfnis wiegt mehr als das Bedürfnis des anderen. Meine Pläne sind wichtiger als die Ideen des anderen. Und so weiter und so weiter. Ein gewisses Maß an Selbstverkrümmung

scheint in uns Menschen angelegt zu sein. Jedenfalls würde ich so auch die Tradition von den sogenannten Wurzelsünden verstehen, zu denen Hochmut, Neid, Habsucht, aber zum Beispiel auch Trägheit, Gleichgültigkeit gehören. Dass sich diese Wurzelsünden in unserer Versöhnungslitanei wiederfinden, wenn auch nicht eins zu eins, davon haben wir an diesem Wochenende schon gehört. Für mich macht das die tiefe Weisheit und Menschenkenntnis der Litanei aus – und regelmäßig fühle ich mich, wenn ich die Litanei in Dachau spreche, bei der ein oder anderen Bitte selbst ertappt.

Und wie kann nun ein Ausweg aus dieser menschlichen Ich-Bezogenheit und Kurzsichtigkeit aussehen? Er ist jedenfalls nicht möglich, ohne dass wir immer und immer wieder den Blick heben: auf unsere Mitmenschen, aber auch auf Gott. Das kann Überwindung kosten: anderen Menschen zuhören, auch wenn ich sie gerade als anstrengend empfinde; Dinge teilen – ob materielle oder immaterielle – die ich lieber für mich behalten würde; mit den Fehlern der anderen barmherzig sein.

Richard Howard hat es uns vorgemacht: statt bei dem Eigenen stehenzubleiben, den Hass noch zu vermehren und nach Vergeltung zu rufen – wie der König im Evangelium in seinem Zorn es tut, wo es sicher auch zu unschuldigen Opfern gekommen ist – hat Richard Howard die Kraft aufgebracht, Versöhnung zu predigen und vorzuleben. Dies hat ihn, mitten im Krieg, mitten in den Ruinen seiner Kathedrale, sicher auch Überwindung gekostet. Geholfen haben dürfte ihm dabei sein Blick auf einen vergebungsbereiten Gott.

„Father forgive“ – dieser Ruf passt für damals und für heute; er passt für Dachau und für Auschwitz, für Israel und Palästina, für die Ukraine, Russland, für so viele Orte und Situationen auf der Welt. Und er passt für mich… und uns, besonders dann wenn wir an einer Weite unseres Blickes scheitern. Liebender Gott, vergib! Und mach uns zu Werkzeugen Deiner Vergebung!

Autorin: Judith Einsiedel

Mitgliederversammlung Würzburg 2023: Israel-Erklärung, Gebetsbitte und Wahlen

Fotograf/Quelle Tobias Klein

Vom 13. bis zum 15. Oktober 2023 hat in Würzburg die Mitgliederversammlung der Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland stattgefunden. Inhaltliche Schwerpunkte der Tagung waren der aktuelle terroristische Angriff der Hamas auf Israel, die Übersetzung der ersten Bitte des Versöhnungsgebets sowie Vorstands- und Leitungskreiswahlen. Nach einer coronabedingten Pause war es für viele Teilnehmer das erste Wiedersehen seit der Mitgliederversammlung in Loccum im Jahr 2019.

Die Mitgliederversammlung begann am Freitag, den 13. Oktober 2023 in der Kapelle des Tagungshauses, dem Exerzitienhaus Himmelspforten. Das Lied „Gib Frieden Herr, gib Frieden“ brachte mit seinem Text („die Welt nimmt schlimmen Lauf“) die Verzweiflung vieler Teilnehmer angesichts der Weltlage auf den Punkt, machte aber auch mit seiner Verankerung in der DDR-Friedensbewegung und seinem Bezug zur friedlichen Revolution 1989 Hoffnung auf bessere Zeiten. In ihrer humorvollen und einfühlsamen Ansprache verwies Antje Biller darauf, dass gerade am „schlimmsten aller Tage“ – Freitag, dem 13. – statistisch die wenigsten Unglücke geschehen. Zuversicht ist erlaubt, auch wenn wir ängstlich und skeptisch sind.

Entschieden verurteilte die Mitgliederversammlung den terroristischen Angriff der Hamas auf Israel, drückte ihre Trauer angesichts der aktuellen Gewalt im Nahen Osten aus und solidarisierte sich mit allen Menschen, die für Versöhnung eintreten. Noch am Freitagnachmittag bildete die die Mitgliederversammlung einen Ausschuss, der eine Erklärung zum aktuellen Israel-Palästina-Konflikt formulierte, und die am Samstag von der Mitgliedersammlung einstimmig verabschiedet wurde. Der Wortlaut ist hier dokumentiert.

Im Mittelpunkt des diesjährigen Geschäftsteils standen Wahlen zum Leitungskreis und zum Vorstand. Neu im Leitungskreis sind Arne Bölt (*1970, Diakon, Rostock, Evangelisch-Lutherische Innenstadtgemeinde Rostock), Judith Einsiedel (*1979, Pastoralreferentin, KZ-Gedenkstätte Dachau) und Dr. Henning Menzel (*1961, Hochschullehrer, Nagelkreuzzentrum Sievershausen). Wiedergewählt wurden Antje Biller, Maite Böhm, Britta Däumer, Niels Faßbender, Lothar Schmelz, Christian Roß, Dr. Oliver Schuegraf, Felicitas Weileder und Karsten Wolkenhauer. Cornelia Kulawik trat nicht mehr zur Wahl an. Bereits während der zurückliegenden Amtszeit waren Jost Hasselhorn und Walter Elsner ausgeschieden. Insgesamt hatten sich sechzehn Kandidatinnen und Kandidaten um die zwölf Leitungskreis-Mandate beworben. In den Vorstand wurden erneut Dr. Oliver Schuegraf (Vorsitzender), Lothar Schmelz (Schatzmeister), Antje Biller (Schriftführerin) und Felicitas Weileder (Beisitzerin) gewählt. Anstellte von Britta Däumer, die nach 24 Jahren Vorstandsarbeit auf eigenen Wunsch nicht mehr für dieses Amt antrat, wurde Niels Faßbender als weiterer Beisitzer in den Vorstand gewählt. Eine von der Mitgliederversammlung ebenfalls beschlossene Satzungsänderung trifft erstmals eine Nachfolgeregelung für Leitungskreismitglieder, die zwischen zwei Mitgliederversammlungen aus ihrem Amt ausscheiden.

Einer der inhaltlichen Schwerpunkte der Versammlung waren die Debatte und Entscheidung über die erste Bitte des Versöhnungsgebets. Die bisherige Übersetzung des im englischen Originaltext verwendeten Wortes „race“ mit dem deutschen Wort „Rasse“ erschien vielen Mitgliedern zunehmend als problematisch. Der Leitungskreis hatte der Mitgliederversammlung zwei Varianten vorgeschlagen. Diese konnte sich jedoch mit keinem der beiden Vorschläge anfreunden. Nach intensiver und zum Teil kontroverser Diskussion setzte sich eine Übersetzung durch, die im Nagelkreuzzentrum KZ-Gedenkstätte Dachau verwendet wird: „Den Hass, der Nation von Nation trennt, Volk von Volk, Klasse von Klasse, Vater, vergib.“ Mit der Entscheidung fand ein seit über fünf Jahren andauerndes Ringen um eine zeitgemäße Bedürfnisse ebenso wie historische Kontexte ausgewogen berücksichtigende Neuformulierung ihr vorläufiges Ende. Einzelheiten zum Diskussionsprozess und zur Auswahlentscheidung finden Sie an dieser Stelle.

Vorstand und Leitungskreis stellten noch einmal klar, dass die Entscheidung der Mitgliederversammlung lediglich für die von der Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland e. V. als Verein verwendete Version – zum Beispiel bei offiziellen Anlässen wie Nagelkreuzverleihungen oder auf ihrer Internet-Seite –, nicht jedoch für die Mitglieder verbindlich ist. Die Vielfalt der in den Zentren verwendeten Gebetsübersetzungen – nicht nur in Bezug auf das Wort „race“ oder die erste Bitte – wurde anhand einer Wandzeitung deutlich, für die viele Zentren im Vorfeld die bei ihnen gebräuchlichen Texte eingereicht hatten. Als Vertreterin des Deans der Kathedrale von Coventry nahm Alice Farnhill als Gast an der Versammlung teil. Wie sie betonte, hat auch die Kathedrale keine Bedenken gegen die nicht nur in Deutschland wachsende Zahl an Varianten der historischen Litanei. Ein Gebet sei ein lebendiger Text, der auf Dauer seinen Zweck nur dann erfülle, wenn er den Anliegen und Bedürfnissen der Betenden in ihrer jeweiligen Zeit und Situation gerecht werde. Während Coventry den historischen Text bewahre, sei der Reichtum an in den Zentren verwendeten Gebetsfassungen Ausdruck des zweiten Leitsatzes der Nagelkreuzgemeinschaft: „Unterschiede leben und Vielfalt feiern“.

Neben den inhaltlichen Schwerpunkten war die Mitgliederversammlung erneut ein Ort der Begegnung und des Austauschs. Nach den Corona-Jahren war es für viele Mitglieder das erste Mal seit vier Jahren, dass sie sich wiedersahen. Entsprechend großen Raum nahmen persönliche Gespräche zwischen den insgesamt 79 Teilnehmerinnen und Teilnehmern in den Pausen, während den Mahlzeiten und an den Abenden ein, in denen neue Kontakte angebahnt, alte Verbindungen erneuert, Ideen und Erfahrungen ausgetauscht, über neue Projekte nachgedacht und Erinnerungen aufgefrischt wurden. Auch der langjährige Vorsitzende der Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland e. V., Hartmut Ebmeier (Jg. 1944), hatte es sich nicht nehmen lassen, von Ameland nach Würzburg anzureisen. Anregend für Verstand und Gefühl gleichermaßen war schließlich der von Christian Roß, Cornelia Kulawik und Constanze Biller mit Musik, Gesang und Texten gestaltete Samstagabend. Nicht zuletzt der fränkische Wein und die warme und herzliche Atmosphäre des Tagungshauses trugen zum Gelingen des Würzburger Treffens bei.

Am Sonntag endete die Mitgliederversammlung mit dem Abschlussgottesdienst. In ihrer Predigt (den Wortlaut finden Sie hier) kam Judith Einsiedel, neugebackenes Mitglied des Leitungskreises, auf die alte Frage zurück, die sich angesichts der Weltlage wie ein roter Faden auch durch die Mitgliederversammlung gezogen hatte: Wie kann Gott das Leid auf dieser Welt zulassen? Einfühlsam brachte Judith Einsiedel die Vergewisserung und den Zuspruch auf den Punkt, den das Versöhnungsgebet von Coventry für uns alle bereithält: Wir alle sind Werkzeuge der Versöhnung! Beim Agape-Mahl reichten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gegen seitig Brot und Trauben. „Frieden gabst du schon, Frieden muss noch werden. Komm, Herr, segne uns.“

Autor: Niels Faßbender