Erste Nagelkreuze (1940 – 1962)

Richard Howard, seit 1933 Dompropst an der Kathedrale von Coventry, hat in seiner Dienstzeit etwa 100 Nagelkreuze – aus heutige Sicht ziemlich wahllos – vergeben. Die ersten gingen als Erinnerung an die Zerstörung Coventrys am 24. September 1941 an kanadische Journalisten. Am 26. September1941 erhielten Winston Churchill und seine Frau ein Kreuz, andere gingen noch während des Krieges an Mitglieder der königlichen Familie. 1947 kam das erste Nagelkreuz nach Deutschland, nach Kiel, in eine Stadt des ehemaligen Feindes.

1958 wurde Bill Williams Nachfolger von Richard Howard als Dompropst. Auch ihm ging es darum, die „Wunden der Geschichte zu heilen“. In den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts baute er die 1947 begonnene Verbindung nach Deutschland aus: Kirchengemeinden, die um des gleichen Schicksals willen den Wunsch nach einer sichtbaren Verbindung mit Coventry hatten, erhielten das Nagelkreuz als ein Zeichen für Versöhnung und Neubeginn nach Zerstörung und Tod. Auch in Nordamerika, das Bill Williams immer wieder besuchte, überreichte der Dompropst vielen anglikanischen Kathedralen und weiteren Gemeinden ein Nagelkreuz. Man nannte all diese Orte bald „Nagelkreuzzentren“. Spirituelles Bindeglied dieser Nagelkreuzzentren weltweit wurde die Versöhnungslitanei, die in Verbundenheit mit Coventry vieler Orts ebenfalls Freitag um 12 Uhr gebetet wurde.

Ein Versöhnungszentrum (1962 – 1974)

Ein zentraler Arbeitsschwerpunkt der neuen Kathedrale (1962 eingeweiht) blieb die Versöhnungsarbeit. In einem von Williams gegründeten und an die Kathedrale angegliederten Studienzentrum fanden viele Menschen ein geistliches Zuhause und hielten die Verbindung zur Kathedrale über Jahrzehnte hin aufrecht. Unter Williams initiierte die Kathedrale zudem zahlreiche Projekte, zum Beispiel Traktoren für die griechische Insel Leukas (1963), der Bau eines Gemeinschaftszentrums in Kapstadt, die Errichtung eines „Hauses der Versöhnung“ der Gemeinschaft von Corrymeela als Begegnungs- und Gebetsort für Katholiken und Protestanten (1965), oder das „Haus der Hoffnung“ in Shefar-Am in Israel als Begegnungsstätte für Menschen unterschiedlicher Traditionen und politischer Überzeugungen.

Als Zeichen für das Engagement der Nagelkreuzzentren, dort nach Hilfe zu suchen, wo die Wunden der Geschichte besonders akut sind und wo Teilung, Hass und Verbitterung die Hoffnung und das Leben der Menschen zerstören, entwickelten sich in Nicaragua und Kuba Projekte der nordamerikanischen Nagelkreuzzentren. Auf Initiative aus Deutschland wurde die Farmschule in Baumgartsbrunn/Namibia ein Nagelkreuzzentrum.

Williams bemühte sich auch um die Gründung von Zentren, in denen einerseits der Dienst an der Heilung von historischen, sozialen und rassischen Wunden durch die gestärkt wird, die Vergleichbares anderswo in der Welt tun, und in denen man sich andererseits bemüht, eine neue Bedeutung des christlichen Glaubens zu entdecken, nach neuen Wegen zur Erneuerung der Kirche zu suchen und durch den Austausch von Gedanken und Erfahrungen von der Verbindung miteinander zu profitieren.

Internationaler Dienst (1974 – 1986)

1974 schrieb Domkapitular Kenyon Wright, damaliger Leiter des Internationalen Dienstes der Kathedrale von Coventry: „Versöhnung kann heute nicht mehr getrennt werden von der Frage nach der Entwicklung der Welt, nach der Befreiung von internationaler Ungerechtigkeit und Ausbeutung und von der Frage nach der Lebensqualität. Erneuerung muss heute ein neues Bemühen um christliche Einfachheit im Lebensstil einschließen, welcher zum Ausdruck bringt, dass der Mensch im Mittelpunkt steht, und ebenso das Bemühen um eine christliche Gemeinschaft als ein Zeichen von Hoffnung in einer immer undurchsichtiger werdenden Welt“.

Deshalb sollte es in der weiteren Entwicklung des Internationalen Dienstes der Kathedrale ab 1974 hauptsächlich um zweierlei gehen:

1. Die Etablierung einer weltweiten Nagelkreuzgemeinschaft: Zu dieser Gemeinschaft könnten sowohl Nagelkreuzzentren als auch Einzelpersonen gehören. Diese engagierten Gruppen und Einzelne sollten sich verbunden wissen
a. durch die „Coventry Disciplin“ als gemeinsame Lebensordnung
b. durch das Gebet füreinander nach einer Fürbittordnung
c. durch gemeinsame und weltweite Lern- und Aktionsprogramm zu Themen von „Versöhnung – Entwicklungsstrategie für Lebensqualität“ und „Erneuerung – ein christlicher Lebensstil“.
Zur Diskussion dieser Fragen fanden erste regionale Treffen in Amerika, Europa und Asien statt.

2. Die Weiterentwicklung einer internationalen Versöhnungsarbeit in Coventry: Im Kennedy House z.B. könnten Jugendliche im Sommer sieben Wochen lang in einem „Open House Program“ zum Thema „Füreinander leben“ arbeiten.

Im ebenfalls neu entstandenen Studienzentrum wurden unter anderem Kurse für ausländische Studenten organisiert.

Im Jahr 1974 wurden erstmals fünf „Companions of the Order of the Cross of Nails“(„Begleiter des Nagelkreuzordens“) eingeführt. Mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung sollten sie der weltweiten Nagelkreuzgemeinschaft als ganzer dienen. Als Kenyon Wright 1982 nach Dunblane in das „Scottish House of Churches“ wechselte, gab es bis 1986 an der Kathedrale keinen Direktor des Internationalen Versöhnungsdienstes. In diesen Jahren versuchte das Magazin „Crossroads” (herausgegeben von Companion Professor Van Kussrow, USA,) die Verbindung unter den weltweiten Zentren aufrecht zu erhalten.

Internationaler Versöhnungsdienst (1986 – 1998)

1986 schließlich wurde Paul Oestreicher zum Leiter des Internationalen Dienstes ernannt. Der in Deutschland geborene und Neuseeland aufgewachsene Anglikaner war bis dato Leiter des Außenamtes des britischen Kirchenrates und von 1975 bis 1979 ehrenamtlicher Vorsitzender der britischen Sektion von Amnesty International. Unter Paul Oestreicher gewann der Einsatz gegen soziale Ungerechtigkeit und die Kriseninterventionsarbeit des „International Ministry of Reconciliation“ („Internationalen Versöhnungsdienstes“) an Bedeutung. „Ich glaube, das Zusammenleben der Menschen in Frieden ist ein zentrales Anliegen des Evangeliums. Aber ganz selten kommt das in Strukturen der Kirche zum Ausdruck. Hier in Coventry ist aus meiner Erfahrung fast einmalig, dass durch die prophetische Vorausschau von Dick (Richard) Howard in dieser Kathedralgemeinde Strukturen geschaffen wurden, durch die die Brücken bauende, priesterliche Arbeit der Versöhnung möglich wird. Liturgisch, in unserem Gebet, aber auch in unserer nach außen gerichteten Arbeit. Und ich habe die dankbare Aufgabe, das als Pfarrer und als Politologe persönlich zu verkörpern. In bin zum Beispiel nach Südafrika in eine Krisensituation gereist, wo so viele Menschen gegeneinander stehen. Dort wollte ich mitarbeiten an den Versuchen der Kirchen, aber auch der politischen Gemeinschaft, die Menschen vom Krieg in den Frieden zu führen. Das ist nicht mein Hobby, sondern mein Auftrag von der Kirche her. Ich könnte auch von Corrymeela erzählen oder von unserer Arbeit in Israel und Palästina. Die Arbeit nennen wir Nagelkreuzarbeit.“ beschrieb Paul Oestreicher seine Tätigkeit (zitiert nach Helmut Gröpler, Die Engel hielten den Atem an, Wichern 1994). In seiner Arbeit wurde er von Heather Wallace unterstützt.

1988 wurde John Petty Dompropst der Kathedrale. In dieser Zeit begann ein Teil der Nagelkreuzzentren sich auch national zu organisieren, besonders in den USA und in Deutschland. So lud Heather Wallace,  zusammen mit John Petty, Paul Oestreicher und Companion Schwester Edith Haufe Zentren und Einzelmitglieder in Deutschland nach Dresden ein. Dort wurde im Februar 1991 die Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland gegründet. In Absprache mit der Kathedrale von Coventry hat sie u.a. der Aufgabe verschrieben, sich besonders um die Nagelkreuzarbeit in Osteuropa zu bemühen.

Internationales Zentrum für Versöhnung (1998 – 2008)

1998 ging Paul Oestreicher in den Ruhestand. Sein Nachfolger wurde Andrew White, in dessen Amtszeit sich der Stab des „International Center for Reconciliation (ICR)“ enorm ausweitet, um die nun im Vordergrund stehende Kriseninterventionsarbeit im Nahen Osten, in Südafrika und in Nigeria zu leisten. Durch die sich im Ausland vollziehende Kriseninterventionsarbeit verlor die Nagelkreuzarbeit jedoch  etwas ihre Verortung in der Kathedralgemeinde. Im Jahr 2002 wurde Justin Welby, der heutige Erzbischof von Canterbury, zum Co-Direktor des ICR ernannt. Von 2004 bis 2006 verantwortete er die internationale Arbeit der Kathedrale als alleiniger Direktor des ICR.

In dieser Zeit arbeiteten bayerische Gastpfarrer als „Koordinatoren der Internationalen Nagelkreuzgemeinschaft“ “ an der Kathedrale, darunter Joachim von Koelichen, Dr. Oliver Schuegraf und Henriette von Rupprecht. Weltweit überbringen sie auch als Vertreter der Kathedrale Nagelkreuze.

Es entstand die Internetseite www.crossofnails.org. In den Jahren 2000 und 2004 fanden internationale Konferenzen der weltweiten Nagelkreuzgemeinschaft in Coventry statt. Daneben übernahm die Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland im Auftrag Coventrys die Planung und Durchführung von internationalen Jugendkonferenzen (2002 in Deutschland, 2006 in Kapstadt/Südafrika, 2009 in Kreisau/Polen). Seit 2007 gibt mit Unterstützung der deutschen Nagelkreuzgemeinschaft alle zwei Jahre „Mittel- & Osteuropa-Konferenzen“ für Zentren und an der Nagelkreuzarbeit interessierten Gemeinden.

Die finanziell sehr aufwendige Kriseninterventionsarbeit des ICR im Ausland ließ sich auf Dauer schwer finanzieren und wird schließlich 2005 in der ursprünglichen Form eingestellt.

Dienst der Versöhnung (ab 2008)

2008 wurde David Porter zum Domkapitular für Versöhnung berufen. Während seiner Amtszeit suchte er den Zusammenhalt der weltweiten Nagelkreuzgemeinschaft zu stärken. Zudem intensivierte er den unter Justin Welby eingeschlagenen Weg, wieder die gesamte Arbeit der Kathedrale mit all ihren unterschiedlichen Arbeitsfeldern als „Dienst der Versöhnung“ zu verstehen und zu leben Im Rahmen des 50. Weihejubiläums der neuen Kathedrale wurde 2012 alle Nagelkreuzzentren zu Begegnungstagen nach Coventry einberufen. In diesem Jahr fand auch erneut eine Jugendkonferenz, diesmal in Coventry, statt. Ziel von David Porter war es des Weiteren, Menschen aus den unterschiedlichsten Verantwortungsbereichen nach Coventry einzuladen, um ihnen dort den Raum zu geben, gemeinsam mit anderen darüber nachzudenken, was es in ihren jeweiligen Verantwortungsbereichen heißt, Versöhnung zu leben. Zu diesem Zweck wurde das Haus des Propstes in ein Begegnungszentrum, das St. Michael‘s House, umgebaut

2013 wurde David Porter zum Direktor der Versöhnungsarbeit des neuen Erzbischofs von Canterbury, Justin Welby. Am 11. May 2014 wurde Dr. Sarah Hills zu seiner Nachfolgerin ernannt und im September in ihr Amt eingeführt.

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Fürbittenliste, Versöhnungsgebet und Lebensregeln stehe auch als PDF-Datei zum Ausdrucken auf der Seite Download  zur Verfügung.

Zu den Zentren

Eine komplette Übersicht der Nagelkreuzzentren in Deutschland mit Adressen und Informationen finden Sie hier.

International

Informationen zur weltweiten Nagelkreuzgemeinschaft, der Kathedrale von Coventry und zu weiteren Zentren finden Sie hier.