Stabwechsel in Vorstand und Leitungskreis: Hoenen, Meinhardt und Menzel für Schmelz und Wolkenhauer

V. l. n. r.: Lothar Schmelz, Patrick Meinhardt, Karsten Wolkenhauer, Dr. Janning Hoenen (Zeichnung: OpenAI/ChatGPT)

Im Leitungskreis und im Vorstand der Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland e. V. hat es in den letzten Wochen einige personelle Veränderungen gegeben: Unser langjähriger Schatzmeister Lothar Schmelz hat seine Ämter niedergelegt, auch Karsten Wolkenhauer ist aus dem Leitungskreis ausgetreten. Neuer Schatzmeister ist Dr. Henning Menzel. In den Leitungskreis nachgerückt sind Dr. Janning Hoenen und Patrick Meinhardt. Gerne würdigen wir Lothars und Karstens Engagement für unseren Verein und stellen Ihnen „die Neuen“ vor.

Unser herzlicher Dank gilt zunächst unserem langjährigen Vorstandskollegen Lothar Schmelz, der zum 28. Februar 2025 sein Amt niedergelegt hat und aus dem Leitungskreis ausgeschieden ist. Seit 2011 gehörte Lothar dem Leitungskreis an, seit 2015 war er Mitglied des Vorstandes und unser Schatzmeister. Mit großem zeitlichen Engagement und enormer Expertise hat er die Verwaltung unserer Finanzen erheblich professionalisiert. Besonders geschätzt war seine offene und stets ansprechbare Art, mit der er weit über die eigentliche Mitgliederverwaltung hinaus eine persönliche Beziehung zu vielen Mitgliedern und Zentren unserer Gemeinschaft aufgebaut hat. Anerkennende Wort von Vorsitzendem Dr. Oliver Schuegraf: „Im Namen der ganzen Nagelkreuzgemeinschaft danke ich Lothar von ganzem Herzen. Persönlich bin ich dankbar für die intensive und vertrauensvolle Zusammenarbeit der letzten Jahre. Es war immer gut, Lothar an der Seite zu wissen.“ Lothar selbst verabschiedete sich mit herzlichen Worten: „Es waren sehr schöne Jahre, in denen ich viele freundliche und interessante Menschen kennenlernen durfte – diese Zeit möchte ich nicht missen. Allen Mitgliedern wünsche ich weiterhin weise Entscheidungen im Sinne von Frieden und Versöhnung, im Geist von Coventry.“

Auch Karsten Wolkenhauer verlässt den Leitungskreis, nachdem er zum Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Anhalt gewählt wurde. Er gehörte dem Leitungskreis seit mehreren Jahren an und engagierte sich besonders in den Bereichen Versöhnung, Erinnerungskultur und Öffentliche Theologie. Wir danken Karsten für seinen Einsatz und wünschen ihm Gottes Segen für das neue Amt.

Zum neuen Schatzmeister und Vorstandsmitglied wurde vom Leitungskreis Dr. Henning Menzel gewählt. Wir freuen uns sehr auf die Zusammenarbeit mit ihm. Auch ihm wünschen wir für seine verantwortungsvolle Aufgabe gutes Gelingen und Gottes Segen.

Neu in den Leitungskreis nachgerückt sind Dr. Janning Hoenen und Patrick Meinhardt. Janning ist Studierendenpfarrer an der Augustana-Hochschule in Neuendettelsau, der theologischen Hochschule der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Er war zuvor Gemeindepfarrer in Hof/Saale und Fürth sowie Studienleiter am Collegium Oecumenicum München. Internationaler Austausch und die Auseinandersetzung mit Vielfalt prägen sein Engagement, das er besonders jungen Menschen vermittelt. Janning ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder.

Patrick Meinhardt ist Vorsitzender des Gemeindekirchenrates und Lektor der Evangelischen Gemeinde am Gesundbrunnen in Berlin, einer der größten Gemeinden der Stadt. Beruflich war er Bundestagsabgeordneter der FDP und Politikchef eines großen Mittelstandsverbandes. Heute leitet er den Taxi- und Mietwagenverband Deutschland und betreibt eine Politik- und Strategieberatungsagentur. Außerdem engagiert er sich ehrenamtlich in verschiedenen nationalen und internationalen Verbänden. Sein Lebensmotto stammt von Frère Roger aus Taizé: „Liebe und zeige es durch dein Leben!“ Er wird künftig gemeinsam mit Felicitas Weileder Ansprechpartner für die Region Berlin sein.

Auch Janning und Patrick wünsche wir viel Freude, Tatkraft und Gottes Segen für ihr Engagement in unserer Nagelkreuzgemeinschaft.

Autor: Niels Faßbender

Mutig, stark, beherzt: Die Nagelkreuzgemeinschaft auf dem Kirchentag in Hannover

St. Clemens (Foto: Nagelkreuzgemeinschaft)

Wenn tausende Menschen in Hannover zusammenkommen, um unter dem Motto „mutig – stark – beherzt“ ihren Glauben zu leben, Fragen zu stellen und neue Wege zu suchen, ist auch die Nagelkreuzgemeinschaft mit dabei. Wir laden herzlich ein, unsere Arbeit kennenzulernen, mit uns ins Gespräch zu kommen und gemeinsam Zeichen der Versöhnung zu setzen – in einem Gottesdienst, an unserem Stand auf dem Markt der Möglichkeiten und bei einer Friedensaktion für Kinder und Familien.

Gottesdienst „Beten und Feiern unter dem Nagelkreuz

Donnerstag, 1. Mai 2025, 14:00 Uhr, Kirche St. Clemens

Im Mittelpunkt des Kirchentagsgottesdienstes der Nagelkreuzgemeinschaft steht die Geschichte von Josef und seinen Brüdern – eine biblische Erzählung über Schuld, Versöhnung und die befreiende Kraft, nicht im Hass stehenzubleiben. „Stehe ich denn an Gottes statt?“ – fragt Josef, als seine Brüder um Vergebung bitten. Wie können wir diese Frage heute für uns beantworten – „Mutig“ den Herausforderungen der Versöhnung ins Auge sehen, „stark“ sein im Vertrauen auf Gottes Zusage, dass Frieden möglich ist, „beherzt“ eine neue Zukunft wagen? Die Liturgie umfasst Lesung, Predigt, Musik und Stille. Das Glaubensbekenntnis von Seoul und das Versöhnungsgebet von Coventry geben dem Gottesdienst eine internationale Dimension. Anschließend besteht bei Gebäck und Getränken Gelegenheit zum Kennenlernen, Wiedersehen und Gespräch.

Foto: Kirchentag

Stand auf dem Markt der Möglichkeiten

Halle 5, Stand 5-J29 – täglich von 10:30 bis 18:30 Uhr

Die Nagelkreuzgemeinschaft präsentiert sich auf dem Kirchentag mit einem völlig neu gestalteten Stand – doppelt so groß wie in den vergangenen Jahren und offen für vielfältige Formen der Begegnung. Besucherinnen und Besucher erwartet ein Ort der Information, der Inspiration und des Mitmachens. Das Nagelkreuz und das Versöhnungsgebet von Coventry bilden den geistlichen Mittelpunkt. Auf Infotafeln werden die Geschichte und weltweite Wirkung unserer Gemeinschaft anschaulich gemacht. An zwei Touchscreens können Interessierte durch aktuelle Projekte und eine interaktive Landkarte aller Nagelkreuzzentren navigieren. Wer möchte, kann an einer kleinen Station ein eigenes Nagelkreuz basteln oder beim Gebetsquiz sprachliche Vielfalt spielerisch entdecken. Außerdem werden Besucherinnen und Besucher eingeladen, ein kurzes Videostatement zum Thema „Versöhnung ist…“ aufzunehmen – für unseren Social-Media-Kanal, als zeitgemäße Stimme des Friedens mitten im Trubel des Kirchentags. Das Standteam freut sich auf Gespräche, Fragen und neue Impulse – und auf alle, die neugierig sind darauf, was Versöhnung heute bedeuten kann.

Friedensaktion „Kraniche für Hiroshima“

Donnerstag, 1. Mai 2025, 11:00–12:00 Uhr, Zentrum Kinder und Familien, Maschstraße 22–24, EG Raum 2

Grafik: Michaeliskloster Hildesheim

Sadako, ein junges Mädchen aus Hiroshima, glaubte fest daran: Wenn sie 1000 Papierkraniche faltet, kann ihr Wunsch nach Heilung und Frieden in Erfüllung gehen. Ihre Geschichte wurde zu einem weltweiten Symbol – gegen Krieg und Gewalt, für Hoffnung und Versöhnung. Auch in Hannover, der Partnerstadt Hiroshimas, wollen wir ein Zeichen setzen: Gemeinsam mit dem Michaeliskloster Hildesheim, dem CVJM Hannover, dem Amt der EKD und der Nagelkreuzgemeinschaft laden wir Kinder, Familien und alle Interessierten ein, Kraniche zu falten.

11:00 Uhr: Kraniche falten mit Kindern und Erzählen von Sadakos Geschichte.

11:30 Uhr: Gemeinsamer Aufbruch zur Aegidienkirche.

11:45 Uhr: Gedenken an der Hiroshima-Glocke mit einem Nagelkreuzgebet in einfacher Sprache und einem Segen.

Ein niedrigschwelliges, liebevoll gestaltetes Angebot, das Kindern den Gedanken der Versöhnung kreativ und berührend nahebringt.

Haben wir ein Angebot übersehen? Haben Sie Fragen? Dann schreiben Sie uns gerne: redaktion@nagelkreuz.de. Wir freuen uns auf ein Kennenlernen oder ein Wiedersehen in Hannover.

 

Chemnitz 2025: Kulturhauptstadt und neues Nagelkreuzzentrum

Stadtkirche St. Jakobi in Chemnitz (Foto: Stephan Tischendorf)

Am 5. März 2025 wurde der evangelischen Stadtkirche St. Jakobi in Chemnitz das Nagelkreuz von Coventry übergeben. Der Gottesdienst fand am 80. Jahrestag des ersten großen Luftangriffs auf Chemnitz im Zweiten Weltkrieg statt. Die Übergabe des Nagelkreuzes wurde von John Witcombe (Dekan der Kathedrale von Coventry), Dr. Oliver Schuegraf (Vorsitzender der Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland e. V.) und Sachsens Landesbischof Tobias Bilz begleitet. Der Gottesdienst war Teil des städtischen Gedenkens, aber auch ein deutliches Signal der Vernetzung: Chemnitz ist nun offiziell Teil der internationalen Nagelkreuzgemeinschaft. Gleichzeitig ist Chemnitz 2025 Chemnitz eine der Europäischen Kulturhauptstädte – die Übergabe des Nagelkreuzes ein Blick zurück, nach vorn und in die Gegenwart. Drei Tage später, am 8. März, jährte sich der zweite Angriff – damals flogen über 700 britische Bomber einen weiteren schweren Angriff auf die Stadt. An diesem Gedenktag versammelten sich Mitglieder der Nagelkreuzgemeinschaft zum Regionaltreffen in Chemnitz.

Die evangelische Stadtkirche St. Jakobi – mitten im Chemnitzer Stadtzentrum wurde bei der Bombardierung von Chemnitz am 5. März 1945 schwer zerstört. Später wiederaufgebaut, ist sie heute ein lebendiger Gedenk- und Versöhnungsort. Jeden Freitag um 12 Uhr versammelt sich dort eine ökumenische Gemeinschaft zum Mittagsgebet und spricht das Versöhnungsgebet der Kathedrale von Coventry, darunter Gemeindeglieder ebenso wie Gäste und Touristen.

Jedes Jahr am 5. März begeht Chemnitz den Friedenstag, an dem an die Opfer der Kriegszerstörung von 1945 erinnert wird. Auch die St. Jakobikirche gestaltet diesen Gedenktag mit: Alljährlich findet an diesem Datum ein Friedensgottesdienst statt, der im Zeichen von Frieden und Versöhnung steht. Häufig wirken Kinder und Jugendliche daran mit – so musizieren etwa Chemnitzer Kindergruppen an diesem Tag in der Kirche und lesen Texte zum Thema Versöhnung und Frieden. Die Kirche öffnet sich der Stadtgesellschaft, um die Botschaft der Versöhnung lebendig zu halten.

Ökumenische Initiativgruppe – Versöhnungsarbeit in Chemnitz

Gedenkkreuz für den 05.03.1945 (Foto: Stephan Tischendorf)

Hinter der Aufnahme von Chemnitz in die Nagelkreuzgemeinschaft steht eine engagierte ökumenische Initiativgruppe. Seit knapp vier Jahren – erste Ansätze gab es sogar schon vor rund einem Jahrzehnt – arbeitet diese Gruppe in Chemnitz auf das Ziel hin, ein Nagelkreuzzentrum zu etablieren. Ihr gehören Christ:innen aus der evangelischen, katholischen und neuapostolischen Kirche an. Geleitet und begleitet wird die Initiative von den Gemeinderpfarrer:innen Dorothee Lücke und Stephan Tischendorf.

Die Chemnitzer Initiativgruppe verankert die Versöhnungsarbeit mitten in der Stadtgesellschaft. In den letzten Jahren organisierte sie zahlreiche Veranstaltungen an wechselnden Orten in Chemnitz. Dazu zählten unter anderem eine Podiumsdiskussion zum Thema „Hass im Internet“, eine Lesung mit einer Aktivistin gegen Prostitution, ein Grillabend, bei dem die Gedanken Desmond Tutus zum „vierfachen Versöhnungsweg“ vorgestellt wurden, sowie ein Erzählabend unter dem Motto „Erzähl mir von Versöhnung“. Auch den Nagelkreuzsonntag gestaltete die Gruppe in den letzten Jahren jeweils in unterschiedlichen Kirchen, um die Versöhnungsidee in verschiedene Stadtteile zu tragen.

Darüber hinaus lud die Initiativgruppe zu Gemeindeabenden ein, um gemeinsam über die einzelnen Bitten des Versöhnungsgebets ins Gespräch zu kommen. Nach einer Pilgerfahrt einer Chemnitzer Delegation nach Coventry im Mai 2024 berichteten die Teilnehmenden in einem Gemeindeabend mit über 40 Gästen aus verschiedenen Gemeinden begeistert von ihren Eindrücken. Auch aktuelle Themen greift die Gruppe auf: So organisierte sie im September 2024 einen Begegnungsabend mit syrischen Geflüchteten in Chemnitz und plante für November 2024 eine Gedenkveranstaltung am früheren Kaßberg-Gefängnis, um die lokale Erinnerungskultur mit der Versöhnungsarbeit zu verknüpfen.

Ein Nagelkreuz auf Wanderschaft: die Stele des Chemnitzer Nagelkreuzes

Das Chemnitzer Nagelkreuz soll künftig als Wanderkreuz immer wieder an anderen Stationen in der Stadt gezeigt werden. In St. Jakobi bleibt es sichtbar, auch wenn es gerade an einem anderen Ort ist: Dafür hat die Initiativgruppe eine Stele entwerfen lassen, die das Nagelkreuz als negatives Abbild zeigt: Zwei aufrechtstehende Holzbalken mit charakteristischen Aussparungen erzeugen den Umriss des Kreuzes als Form, die präsent bleibt, auch wenn das Kreuz selbst unterwegs ist.

Nagelkreuz und Stele in St. Jacobi (Foto: Michael Monzer)

Das Holz für die Stele stammt von einem Dresdner Betrieb, der gefällte Bäume aus der Stadtpflege weiterverarbeitet, statt sie zu verheizen. Aus verschiedenen Hölzern mit bekannter Herkunft entstand so die Stele für das Chemnitzer Wandernagelkreuz. Die beiden senkrechten Balken bestehen aus einem Apfelbaum aus der Region Tübingen, als Aufruf zur Versöhnung zwischen Ost und West. Das Holz ist nur grob bearbeitet, zeigt Stockflecken und bleibt in seiner Unvollkommenheit sichtbar.

Am Fuß der Apfelholz-Balken ist der Schriftzug „FATHER FORGIVE“ eingeschnitzt, von einem Mitglied der Chemnitzer Nagelkreuzinitiative, das ursprünglich aus Bayern stammt. Das Nagelkreuz selbst ruht auf einer kleinen abnehmbaren Konsole innerhalb der Stele. Deren Bodenplatte besteht aus einem weiteren Stück Holz einer Platane aus Dresden-Übigau, die dort gefällt werden musste. Die Holzplatte ist fest mit dem Kreuz verbunden und wird mit ihm zusammen durch Chemnitz „wandern“. Dresden ist einer der Orte, an denen die ersten Nagelkreuze in Deutschland übergeben wurden. Dem Gefühl mancher Chemnitzer, „abgehängter“ Landesteil zu sein, will die Stele bewusst etwas entgegensetzen: Ein „Stück Dresden“ bildet nun das Fundament des Chemnitzer Nagelkreuzes. So symbolisiert das Kreuz auch das Zusammenwachsen innerhalb Sachsens.

Nagelkreuz-Regionaltreffen 2025: Austausch in Chemnitz

Drei Tage nach der Nagelkreuzverleihung traf sich in Chemnitz die Region Mitte. 35 Teilnehmende aus fast allen Zentren sowie einige Einzelmitglieder waren zum Kennenlernen und zum Austausch angereist.

Der Tag begann in St. Jakobi mit einer Andacht von Pfarrer Stephan Tischendorf. Anschließend erläuterte Rico Weiß für die Initiativgruppe die Gestaltung des Nagelkreuzstandorts. Daran schloss Pfarrerin Dorothee Lücke eine kurze Kirchenführung an. Bei strahlendem Sonnenschein folgte eine Stadtführung über den Markt bis zum bekannten „Nischel“, dem großen Karl-Marx-Kopf – dem früheren Namensgeber der Stadt. Von dort ging es weiter zur Gedenkstätte Kaßberg-Gefängnis und schließlich zur Kreuzkirche, dem Tagungsort des Regionaltreffens. Dort warteten zur Mittagszeit anstelle einer Suppe arabische Spezialitäten . Das Team eines lokalen Restaurants war vom Versöhnungsanliegen so angetan, dass es diese Köstlichkeiten als kulinarischen Gruß spendiert hatte.

Regionaltreffen Mitte 2025 in Chemnitz (Foto: Tabea Kormeier)

Ein Höhepunkt des Treffens war der Redebeitrag von Landesbischöfin i.R. Ilse Junkermann, Vorsitzender von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste. In ihrem Vortrag „80 Jahre Friedensarbeit – Erfahrungen und Herausforderungen in der heutigen Zeit“ ließ sie die Geschichte der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V. Revue passieren und teilte ihre reichen Erfahrungen aus acht Jahrzehnten Versöhnungsarbeit. (Den Vortrag könnnen Sie demnächst auf www.nagelkreuz.de nachlesen.) In der anschließenden Diskussion wurden die Anregungen noch vertieft.

Am Nachmittag berichteten die Teilnehmenden bei Kaffee und Kuchen aus ihren Heimatorten. So ging es etwa um Initiativen, die den Gedanken der Versöhnung an Schulen in Plauen tragen, oder um Projekte in der Diakonissenanstalt Dresden, die Mitarbeitende für Friedensthemen sensibilisieren. Zur Sprache kamen auch Begegnungen mit Besuchergruppen – beispielsweise aus Wuppertal-Barmen, aus Irland und aus Edinburgh – sowie besondere Auszeichnungen: So wurde etwa das Augustinerkloster Erfurt als „Ort der Demokratie“ gewürdigt. Ebenso diskutierten die Teilnehmenden den Umgang mit der eigenen Geschichte, etwa die Auseinandersetzung mit Martin Luthers Antisemitismus im Kontext der KZ-Gedenkstätte Buchenwald bei Erfurt. Zudem dankte die Regionalversammlung dem kürzlich aus dem Vorstand und Leitungskreis ausgeschiedenen Lothar Schmelz herzlich für sein langjähriges Engagement.

Autor: Niels Faßbender mit Beiträgen von Rico Weiß, Stefan Tischendorf und Tabea Kormeier.

Regionaltreffen Südwest: Pilgerwege und Gemeinschaft in Saarbrücken

Die Teilnehmenden des Regionaltreffen Südwest am Nagelkreuz der Ludwigskirche mit kriegsbeschädigter Apostelfigur Jakobus d. Ä. (Foto: Matthias Engesser)

Eine historische Kirche, ein besonderer Anlass und viele inspirierende Begegnungen – das Regionaltreffen Südwest der Nagelkreuzgemeinschaft führte die Teilnehmer 2025 nach ->Saarbrücken, den westlichsten Punkt der Region. Pfarrer Thomas Bergholz hatte zum 250. Jubiläum der Ludwigskirche eingeladen, und zwölf Mitglieder unserer Gemeinschaft trafen sich am 22. März zu Austausch und Pilgerwanderung. Hier ihr spannender Bericht.

Um zehn Uhr begann der Tag im Café Catherine, das sich in der ehemaligen Fürstengruft der Kirche befindet. Dort gab uns Pfarrer Bergholz einen kurzen Einblick in die Geschichte der Kirche und in die Versöhnungsarbeit der Gemeinde. Diese liegt besonders im interkonfessionellen und zunehmend auch im interreligiösen Dialog. Danach machten wir uns gemeinsam mit zwei Gästen aus Saarbrücken auf den Pilger-Weg durch Alt-Saarbrücken. Die Idee zu diesem Weg war ursprünglich für eine „Nacht der Kirchen“ entstanden.

Austausch im Café Catherine in der Krypta der Ludwigskirche (Foto: Christian Roß)

Unser Weg führte über den Ludwigsplatz, auf dem an diesem Samstag der große Wochenmarkt stattfand. Mit einem großen ökumenischen Osterfeuer beginnt auf diesem Platz traditionell die Osternacht. Nach dem gemeinsamen Beginn ziehen von dort alle Konfessionen zur Osternachtfeier in Prozessionen in ihre Kirchen. Auf der anderen Seite des Platzes steht die Friedenskirche. Sie wurde, genau wie die Ludwigskirche, im Barockstil erbaut. Thomas Bergholz erzählte uns von ihrer bewegten Geschichte. Anfangs war sie eine reformierte Kirche. Später wurde das Gebäude als Schulhaus genutzt. Seit 1890 dient es der Alt-Katholischen Gemeinde als Kirche und Versammlungsraum. Ausgehend von Johannes 14,27: „Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht“ endete der Besuch des Alt-katholischen Gotteshauses mit einer Meditation über Frieden und die Gesichter des Friedens.

Unser Weg führte vorbei am Denkmal für Organspenderinnen und Organspender. Dort hielten wir mit Johannes 15,13 inne: „Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lasse für seine Freunde.“ In Saarbrücken hat dieser Vers eine durchaus belastete Vergangenheit. Zwischen 1918 und 1945 war er als Inschrift am Altar der Ludwigskirche angebracht und diente einem fragwürdigen „Heldengedenken“. Auch die nächste Station gab uns Anlass, über den Umgang mit der Vergangenheit zu diskutieren: Die Aufschrift auf dem Denkmal für die Opfer des Ersten Weltkriegs lässt eher an ein Kriegerdenkmal denken. Uns wurde deutlich, wie schwierig es ist, ein angemessenes Gedenken zu gestalten, und wie herausfordernd der Umgang mit historischen Gedenkorten ist, die Fragen aufwerfen und heutiger Gedenkkultur eher fremd sind.

Direkt gegenüber, auf der anderen Straßenseite, stießen wir auf die katholische Pfarrkirche St. Jakob. Bereits ihr Name weist auf ihre besondere Bedeutung für Pilger hin. Direkt am Jakobsweg gelegen, ist sie „Pilgerkirche am Weg“. Dies wird auch durch die Jakobsmuschel sichtbar, die in der Fassade eingelassen ist. Trotz dieser Funktion – in Saarbrücken scheint manches anders zu sein als andernorts – ist die Kirche meist geschlossen, während die evangelische Ludwigskirche täglich lange geöffnet ist. Ein Zutritt zur Kirche blieb unserer Pilgergruppe daher verwehrt.

Stuckdetail in der Mitte der Ludwigskirche, zugleich Mitte der ehemaligen Barockstadt ( Foto: Christian Roß)

Extra für uns geöffnet wurde hingegen die Immanuel-Kirche der Selbständig Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK), nur wenige hundert Meter entfernt. Dort begrüßte uns Pfarrer Johannes Achenbach gemeinsam mit einigen Konfirmanden. Die kleine Kirche entstand 1902 im neuromanischen Stil. Im Zweiten Weltkrieg wurde sie stark beschädigt, danach in ihrer heutigen Form wiederaufgebaut. Besonders beeindruckten uns die beiden Fenster des Künstlers György Lehoczky aus den Jahren 1953/54. Sie schmücken die Chorapsis und zeigen Mose bei der Übergabe der Gebotstafeln und Jesus bei der Bergpredigt. Pfarrer Achenbach gab uns außerdem Einblicke in die Struktur und Arbeit der SELK.

Nächste Station war das ehemalige Gemeindehaus der Ludwigskirche, vor deren Eingang ein Teil einer der im Krieg beschädigten großen Figuren vom Dach der Ludwigskirche steht. Eine dieser Figuren ist wieder in die Ludwigskirche gebracht worden, wo sie in einer Nische mit dem Nagelkreuz symbolisch für die Zerstörung der Kirche steht. Letzte Station war der alte lutherische Friedhof, der bereits seit 200 Jahren aufgelassen ist und heute als Parkplatz dient. Direkt an einem aufsteigenden Felsen gelegen, findet sich als Erinnerung nur noch eine Plakette, die auch an die letzte Ruhestätte des Architekten der Ludwigskirche erinnert.

Anschließend nahm unsere Gruppe am ökumenischen Mittagsgebet teil. Diese Andacht findet jeden Samstag um 12 Uhr in der Ludwigskirche statt. Gestaltet wird sie von wechselnden Personen. Ein fester Bestandteil ist dabei stets das Versöhnungsgebet von Coventry. Nach dem Gebet folgt wöchentlich eine etwa 15-minütige „Musik zur Marktzeit“. Diese spielte an diesem Samstag der deutsch-dänische Organist Tobias Naumann aus Brönderslev (Dänemark). Im Anschluss daran führte Pfarrer Thomas Bergholz durch die frisch renovierte und eindrucksvoll rekonstruierte Ludwigskirche. Unsere Gruppe nahm gern an dieser kurzen öffentlichen Führung teil.

Altar, Kanzel und Orgel in der frisch sanierten Ludwigskirche (Foto: Christian Roß)

Nach einem gemeinsamen Mittagessen begann der Austausch mit einer kurzen Vorstellungsrunde. Vertreten waren etablierte Zentren wie Pforzheim-Huchenfeld, Stadtkirche Pforzheim, Stadtkirche Darmstadt, der Kirchenkreis Esslingen sowie das gastgebende Zentrum Saarbrücken. Außerdem nahmen neue und interessierte Zentren teil. Pfarrer Jörg Seiter ist bereits Einzelmitglied der Gemeinschaft. Er leitet den Kooperationsraum Blankenloch-Stutensee-Weingarten, der am 26.10. das Nagelkreuz erhalten wird. Alexander Classen vertrat den Kirchenvorstand der Frankfurter Paulsgemeinde. Diese Gemeinde wird am 24.10. offiziell in die Nagelkreuzgemeinschaft aufgenommen. Ihr Nagelkreuz erhält seinen Platz in der Alten Nikolaikirche am Römer. Pfarrer Tim van de Griend, ebenfalls langjähriges Einzelmitglied, stellte seine Gemeinde vor. Er möchte die Evangelisch-Reformierte Französische Gemeinde Frankfurt in die Nagelkreuzgemeinschaft führen. Er berichtete von ihrer spannenden Geschichte sowie der aktuellen diakonischen und international verbindenden Arbeit. Zum Schluss berichtete Christian Roß über die Arbeit in Leitungskreis und Vorstand.

Gegen 17 Uhr endete das inspirierende und gelungene Regionaltreffen. Einige Teilnehmer:innen blieben noch etwas in Saarbrücken und nutzten die Gelegenheit, die Stadt näher zu erkunden. Das nächste Regionaltreffen Südwest soll 2026 in Darmstadt stattfinden. Dann feiert die Stadtkirche ihr 50-jähriges Nagelkreuzjubiläum und lädt aus diesem besonderen Anlass herzlich ein.

Autor: Christian Roß

Versöhnung braucht Erinnerung: Regionaltreffen Nord in Demmin

Garten der Erinnerung in Demmin (Foto: Robert Fingerloos)

Am 22. März 2025 traf sich die Region Nord in Demmin. Eingeladen hatte die Evangelische Kirchengemeinde. Im Mittelpunkt der Begegnung stand das Thema „Frieden und Versöhnung“ – in einer Stadt, die selbst auf erschütternde Weise mit den Folgen von Krieg und Gewalt verbunden ist. Gemeinsam mit Gästen aus den Nagelkreuzzentren der Insel Hiddensee, Rostock, Stralsund, Kiel und Hamburg wurde an Demmins schwierige Geschichte erinnert – und über aktuelle Versöhnungsarbeit gesprochen.

Zum Auftakt wurde im Sexagon des Elsa-Brändström-Hauses der Film „Eine Stadt bricht ihr Schweigen“ (1995) der Fernsehjournalistin Ingelis Gnutzmann gezeigt. Der Film dokumentiert die langjährige Sprachlosigkeit in Demmin über die Geschehnisse der letzten Kriegstage und lässt erstmals Zeitzeugen zu Wort kommen, die über den Massensuizid von mehreren Hundert Menschen im Mai 1945 berichten. Auslöser waren damals unter anderem die Angst vor Racheakten der heranrückenden sowjetischen Truppen sowie das verbreitete Gefühl von Ausweglosigkeit nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes.

Regionaltreffen in Demmin (Foto: Robert Fingerloos)

Im anschließenden Gespräch tauschten die Teilnehmer ihre Eindrücke zum Film und ihre Gedanken zu den Ereignissen im April und Mai 1945 aus. In dieser Zeit kam es in Demmin zum größten Massensuizid in der Endphase des Zweiten Weltkriegs. Vor dem Einmarsch der Roten Armee zerstörten deutsche Truppen die Brücken über die Peene. In der Folge brach Panik unter der Zivilbevölkerung aus, die von Gerüchten und Erinnerungen an frühere Gräueltaten geprägt war. Hunderte Menschen – darunter ganze Familien – nahmen sich das Leben, meist durch Ertrinken oder Gift.

Stadtführung mit Kathrin Werner (Foto: Robert Fingerloos)

Nach einer gemeinsamen Mahlzeit mit selbstgekochten Suppen führte Frau Dr. Kathrin Werner, Historikerin und Geschichtslehrerin am Gymnasium in Demmin, die Gäste sowie interessierte Demminer:innen durch die Stadt. Auch hier stand die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Kriegsendes im Mittelpunkt. Eine Station war der „Garten der Erinnerung“ nahe des Hanseviertels. Die schlichte Gedenkstätte wurde auf Initiative von Bürgerinnen und Bürgern geschaffen und erinnert an die Toten vom Frühjahr 1945. Sie ist ein Ort des stillen Gedenkens und der Mahnung.

Beim anschließenden Kaffeetrinken im Gemeindehaus berichtete Arne Bölt aus Rostock, Ansprechpartner der Region Nord, über aktuelle Versöhnungsprojekte. Er wird am 6. Mai im Rahmen der Veranstaltungsreihe *Demmin ist mehr* erneut in Demmin zu Gast sein. Den Abschluss des Tages bildete ein Friedensgebet, das von Pastorin Frau Voll in der Taufkapelle der St. Bartholomaeikirche geleitet wurde.

Autor: Robert Fingerloos

Drei Tage in Dresden – Auf den Spuren der Versöhnung

Die Wuppertaler Delegation (v. l. n. r.): Bruno Hensel, Susanne Kapp, Carin Hell, Sigrid Runkel, Pfarrer Frank Schulte. Foto: Frank Schulte

Im Februar 2025 reisten fünf Mitglieder unseres Nagelkreuzzentrums Gemarker Kirche in Wuppertal nach Dresden, um am Gedenken zum 80. Jahrestag des Luftangriffs auf das Elbflorenz teilzunehmen. Die Verbindung zwischen der Gemarker Kirche und den Dresdener Christen ist tief verwurzelt: Hugo Hahn, der 1934 Pfarrer an der Frauenkirche war, hielt die Eröffnungspredigt bei der Barmer Synode in Barmen. Hier der Bericht der Wuppertaler Delegation:

Drei Tage Dresden und fünf Nagelkreuzzentren – eine sportliche Herausforderung, die wir uns vorgenommen haben. Zum 80. Jahrestag des Bombardements von Dresden am 13. Februar 1945 sind wir auf den Spuren von Versöhnung, Verständigung und Wiederanfang nach den Kriegserfahrungen, die nur scheinbar lange zurückliegen. Direkt nach unserer Ankunft sind wir zu Gast in der Ev.-Luth. Diakonissenanstalt Dresden. Diese Diakonissenanstalt in der Äußeren Neustadt, zwischen Bautzner Straße und Holzhofgasse, gehört zu den ältesten ihrer Art in Deutschland und wurde 1965 als in die Nagelkreuzgemeinschaft aufgenommen. Hier erfahren wir von der englischen Wiederaufbauhilfe, von spürbarer, praktischer Versöhnungsarbeit, und von der Unterstützung in Rumänien. An allen Stationen des Krankenhauses sind Nagelkreuze zu sehen, die die Versöhnungsarbeit aus diakonischer Perspektive verdeutlichen. Wir genießen die Gastfreundschaft der Mitarbeiter und haben anregende Gespräche über die Zukunft der Nagelkreuzarbeit.

Am nächsten Morgen, dem Erinnerungstag, sind wir in die Frauenkirche eingeladen. Prince Edwad, Duke of Kent und Mitglied des britischen Königshauses, ist ebenfalls zu Gast. Von Pfarrerin Behnke erfahren wir mehr über die Versöhnungsarbeit an der Frauenkirche, einem besonderen Ort mit einem besonderen Auftrag. Rechtzeitig zur Gedenkveranstaltung kehren wir zurück, um im dichten Schneetreiben daran erinnert zu werden, dass „Zukunft durch Erinnern“ nur möglich ist, wenn wir die Vergangenheit anerkennen. Nachdenklich und auch ein wenig begeistert reihen wir uns in die Menschenkette zum Schutz von Frieden und Demokratie ein. Hand in Hand mit vielen anderen Menschen stehen wir hier – Versöhnung ist praktisch, menschlich und ein gemeinsames Handeln. Dies ist eindrucksvoll spürbar im Schnee, vor der schönen Kulisse der Frauenkirche und der dunklen Vergangenheit.

Kurz vor 22:00 Uhr läuten alle Glocken der Frauenkirche. Der Schnee fällt weiter, und in der Kirche nehmen wir an der „Nacht der Stimmen“ teil. Bürger der Stadt, Gäste, Chor und Orgel erinnern an die schreckliche Nacht vor 80 Jahren und die Dunkelheit, die das alles erst möglich gemacht hat. Die Zerstörung Dresdens – eine Radierung von Churchill nach einer Vorlage Hitlers. Der Satz trifft und wird zu einem kraftvollen Ausdruck für vieles, das das Unsagbare in Worte fasst. Victor Klemperer, Durs Grünbein, John Witcombe, der Dean von Coventry, Orgel und Chor – Stimmen aus Vergangenheit und Gegenwart. Erinnerungen vermischen sich, die Lebenden erinnern sich an die Toten und die Toten erinnern uns an das Leben. Lichter brennen, es schneit. Versöhnung hat eine eigene, schwere Schönheit.

Am Morgen danach besuchen wir die Kreuzkirche, den Ausgangspunkt der Proteste in Dresden in den 1980er Jahren. Lichtermärsche zur Ruine der Frauenkirche damals und die Nagelkreuzandacht heute gehören zusammen. Versöhnung ist politisch, sie verändert und kreist um die schweren Themen des Lebens – Krieg in der Ukraine, Israel und Palästina.

Leider können wir den Denkraum der Sophienkirche wegen des Wetters nur von außen betrachten. Diese Gedenkstätte soll nicht nur an die 1945 zerstörte Sophienkirche erinnern, sondern auch an die Opfer der Bombardierung Dresdens am 13. Februar 1945 und an den Widerstand der evangelischen Bevölkerung Dresdens „in der Zeit zweier Diktaturen von 1933 bis 1989“. Ein sehr schöner Ort, an dem Nagelkreuz-Versöhnungsarbeit sichtbar wird. Besonders die Kunstwerke, darunter Triptychen von Otto Dix und Hans Grundig über Krieg und Nazizeit, bleiben eindrücklich. Vielleicht hilft die Ästhetik, sich dem Grauen zu stellen.

Zum Abschluss unseres Besuchs erreichen wir Nr. 5 – Maria am Wasser. Eine evangelisch-lutherische Kirche im Dresdner Stadtteil Hosterwitz, die durch die persönliche Beziehung einer Pfarrerin zu Coventry das Nagelkreuz und die Versöhnungsarbeit nach Dresden holte. Hier entsteht und entwickelt sich eine Partnerschaftsarbeit mit Polen und England sowie das Engagement für taubblinde Menschen.

Fünf Nagelkreuze haben wir besucht, fünf Zentren – und doch noch viel mehr Menschen, die auf der Spur von Versöhnung und Verständigung sind. Warum fünf in Dresden? Vielleicht, weil die ausgestreckte Hand der Versöhnung fünf Finger hat.

Autor: Frank Schulte

PeaceNight – Friedensmomente in Öhringen

Der YouC-Chor gestaltete zusammen mit der Band den Abend musikalisch. (Foto: Milena Sargsyan/Dorothea Färber)

Der Altar lud zum Gebet für Frieden ein. (Foto: Milena Sargsyan/Dorothea Färber)

Am 15. Februar 2025 lud das Evangelische Jugendwerk Öhringen zur PeaceNight ins Evangelische Rosenberggemeindehaus ein – ein Abend voller Musik, bewegender Geschichten und hoffnungsvoller Gebete unter dem Motto „Peace starts here“.

Der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt, als die Band June aus Waldenburg loslegte. Ihre energiegeladenen Klänge rissen das Publikum mit, darunter auch viele Pfarrer:innen und ihre Konfirmand:innen, die sich von den Songs tragen ließen.

Herkunftsorte der Teilnehmenden auf einer Weltkarte (Foto: Milena Sargsyan/Dorothea Färber)

Ein besonders ergreifender Moment war die Erzählung von Nemat, der aus Afghanistan geflohen ist. Seine Geschichte fesselte die Zuhörenden – voller Schmerz, aber auch voller Dankbarkeit für die Menschen, die ihm geholfen haben. Dabei wurde eines ganz deutlich: Frieden ist keine Selbstverständlichkeit, sondern ein Geschenk, das wir aktiv schützen und bewahren müssen.

Nach dieser tief berührenden Erzählung folgte ein Moment der Stille:

An verschiedenen Gebetsstationen hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, für Afghanistan, für die Welt und für persönliche Anliegen zu beten – ein Augenblick der Besinnung und Hoffnung.

Angeregte Gespräche bei der Peacenight (Foto: Milena Sargsyan/Dorothea Färber)

Dann wurde es wieder musikalisch: Der Projektchor YOU/C unter der Leitung von Johanna Machado sorgte mit seinen einstudierten Songs für echte Gänsehautmomente. Danach wartete eine kulinarische Überraschung – leckeres afghanisches Essen, das in gemeinsamer Runde genossen wurde.

Den Abschluss bildeten weitere musikalische Beiträge, bevor es ein herzliches Dankeschön an alle Beteiligten gab, die diese PeaceNight zu einem unvergesslichen Abend voller Friedensmomente gemacht haben.

Autorin: Dorothea Färber

 

Giesela Schulz: Einfalt kann nicht die Lösung sein

Predigt zum 10jährigen Nagelkreuzjubiläum in Sievershausen

Giesela Schulz war Lehrerin an der Schule in Sievershausen. Seit vielen Jahren ist sie im Arbeitskreis Ortsgeschichte in Sievershausen aktiv, den sie seit 1991 leitet. Sie war an Ausstellungen zur Schlacht bei Sievershausen beteiligt, die in Zusammenarbeit mit dem Braunschweigischen Landesmuseum in Braunschweig und Sievershausen gezeigt wurden. In den letzten Jahren hat sie mit einer Vortragsreihe und einem Buch unter dem Titel „Ein Dorf unter dem Hakenkreuz“ wesentliche Beiträge zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit von Sievershausen geleistet. Giesela Schulz ist seit 2014 Mitglied des Nagelkreuzteams in Sievershausen und gestaltet dort immer wieder Andachten. Dabei greift sie häufig historische Bezüge auf. Bei der Nagelkreuzandacht zum 10jährigen Nagelkreuzjubiläum am 14. September 2024 in Sievershausen (klick hier -> siehe gesonderter Bericht) hielt sie die nachstehend abgedruckte Predigt.

„Unterschiede leben und Vielfalt feiern“: Das ist das schwierige Thema unseres heutigen Nagelkreuzgottesdienstes. Das Wort „Migration“ ist zurzeit in aller Munde. Polarisierung und Aggression prägen die politische und gesellschaftliche Debatte. Auf der einen Seite die Ströme zum Teil unkontrollierter Einwanderung nach Deutschland und auf der anderen Seite die notwendige Hilfe für Menschen, die vor Krieg, Hunger und Elend aus ihrer Heimat fliehen.

Die Gegenwart fordert uns deshalb alle. Sie verlangt von uns neue Formen des Zusammenlebens, in denen Gleichheit, Verschiedenheit und gegenseitige Abhängigkeit unser Handeln sowohl als Individuen als auch als Gruppen bestimmt. Unterschiede zu leben und Vielfalt als Bereicherung zu verstehen und anzunehmen, ist nicht leicht. Das Thema Migration wird in den Medien mit vielen Facetten diskutiert, mit vielen Spekulationen, Meinungen oder Falschinformationen. Das verunsichert viele Menschen besonders nach dem schrecklichen Terroranschlag von Solingen. Ruf nach Abschiebung, Verschärfung des Waffengesetzes – kein Vertrauen in die Innere Sicherheit – all das polarisiert unsere Gesellschaft und ist Wasser auf die Mühlen der rechten Szene. Das machen auch die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen deutlich. Versachlichung wäre sehr, sehr wichtig. Doch Probleme mit Migration sind vorhanden und sollten auch angesprochen werden dürfen, ohne dass Menschen gleich in die rechte Ecke gedrängt werden.

Rassismus sollte jeden Tag bekämpft werden

Wir sollten uns aber weigern, grundsätzlich in Ausländern Feinde zu sehen, uns wehren gegen Sprüche wie „Deutschland den Deutschen“ oder „Ausländer raus!“ Diese rassistischen Gesänge zum Partyhit „L‘amour toujours“, in diesem Sommer von Jugendlichen als Video online gestellt, sind erschreckend. Alle Ausländer raus aus Deutschland, dann wären wir angeblich einen Großteil unserer Probleme los, „Remigration“ wird das in Teilen der AfD genannt, Ausländer wären sowieso krimineller als Deutsche! Soziale Medien potenzieren Ängste und schüren Hass. Parteien, die dort stark präsent sind wie die AfD, haben laut Studien bei jungen Menschen aktuell die besten Chancen, weil diese das Internet fast ausschließlich als Informationsquelle nutzen. Beiträge werden gezielt gewählt und interpretiert, die die eigenen Erwartungen bestätigen. Zeitung lesen, Nachrichten im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ansehen ist Schnee von gestern, das ist für die ältere Generation noch selbstverständlich.

Rassismus sollte jeden Tag bekämpft werden! Es gehört jedoch viel Mut und Entschlossenheit dazu, nicht schweigend zuzusehen, wenn uns Rassismus im Alltag begegnet. Die Würde des Menschen ist unantastbar, heißt es im ersten Artikel unseres Grundgesetzes. Im Februar verabschiedete die Deutsche Bischofskonferenz eine Erklärung, in der es heißt: „Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar“. In dem Punkt herrscht Einigkeit zwischen der katholischen und der evangelischen Kirche.

Die Kultur, in der wir aufgewachsen sind, ist durch Austausch mit anderen Kulturen entstanden

Rechte Gruppen in unserer Gesellschaft wollen nicht, dass in die deutsche Kultur Fremdes Einzug hält. Das Eigene bewahren und Neues integrieren zu können sollten wir positiv sehen. Ich will kulturelle Aneignung. Ich will Neues lernen und kennenlernen. Wir profitieren von all dem, was in Jahrhunderten entstanden ist. Wir können Neues aufnehmen, mit dem uns Bekannten mischen und das Beste daraus machen. Rein Deutsch – das gibt es nicht!

Ohne Zuwanderer aus anderen Ländern könnten in Deutschland viele Firmen, Hotels, Krankenhäuser, Altenheime usw. schließen. Wir sollten uns klar machen, dass das uns Bekannte, die Kultur, in der wir alle aufgewachsen sind, durch nichts anderes entstanden ist als durch den Austausch mit anderen Kulturen. Völker haben sich im Laufe der Geschichte ständig vermischt. Nehmen wir das Christentum: Entstanden in Israel, transformiert in die griechische Kultur in Auseinandersetzung mit der Philosophie der Antike, weitertransformiert in und durch die römische Kultur und dann in den Norden ausgedehnt in und durch die Aufnahme germanischer Weltsichten, wieder verändert durch Reformation und Aufklärung – und ich bin mir sicher, dass wir noch weitere Veränderungen vor uns haben werden.

Wenn wir uns dagegen sperren, wenn wir unsere Kultur einfrieren, dann wäre das ein großer Rückschritt und sehr langweilig. Wir hätten auf vieles verzichten müssen: Jazz, Gospel, Blues, Reggae, Jeans, Kartoffeln, Südfrüchte, Gewürze, Kaffee, viele Teesorten, Seide, Teppiche, tropische Hölzer, Öl, Benzin, viele Metalle, Sushi, Gyros, Pizza, Spaghetti… Ich höre hier auf mit der Aufzählung, denn es gibt kaum etwas, dass wir als eine rein deutsche kulturelle Errungenschaft benennen könnten, frei von fremden Einflüssen.

Probleme mit Weitsicht lösen

Als vor rund 65 Jahren die ersten italienischen Gastarbeiter in Deutschland eintrafen, wurden sie geringschätzig als „Spaghettifresser“ bezeichnet und hatten hier keinen leichten Anfang. Heute sind Pasta und Pizza das Lieblingsessen vieler Menschen und nicht mehr wegzudenken. Genauso wie Döner und Gyros, die mit den türkischen Gastarbeitern zu uns kamen. Etliche haben inzwischen hier eine neue Heimat gefunden.

Wir haben Glück, dass wir in Deutschland relativ sicher leben können. Das bedeutet nicht, keine Probleme mit Migration zu haben. Wir sollten aber versuchen, sie mit Sachverstand, Weitsicht und wenn möglich mit unseren EU-Nachbarn zu lösen.

Doch Zukunftsängste und die Angst vor Fremden scheinen in unserer Zeit immer größer zu werden. Auch in Bundesländern, die nur einen ganz geringen Ausländeranteil haben, sind Ausgrenzung und Ablehnung traurige Erfahrung, die Menschen aus anderen Ländern machen müssen, und sie erleben zum Teil auch Hass und Gewalt. Nicht-weiße Menschen können Diskriminierung in allen Bereichen des täglichen Lebens erfahren: In der Schule, auf dem Fußballplatz, bei der Job- und Wohnungssuche, bei der Polizeikontrolle oder wie letztlich bei einer Einlasskontrolle beim Maschseefest in Hannover.

Vielfalt kann bunt und fröhlich sein

War das bei der Olympiade in Paris nicht großartig, dass mehrere Sportler mit Migrationshintergrund Medaillen für Deutschland errungen haben und die Goldmedaillengewinnerin im Kugelstoßen sogar mit Inbrunst die deutsche Nationalhymne bei der Siegerehrung mitgesungen hat? Mich hat das sehr bewegt. Im Sport fand Yemisi Ogunleye (Mutter Deutsche, Vater Nigerianer) die Stärke, um sich gegen den in ihrer Kindheit erlebten Rassismus zu wehren. „Hier konnten mich die anderen Kinder nicht aufziehen, denn ich war ihnen überlegen“, berichtete sie.

Schauen wir uns im Fußball unsere Nationalelf an, eine Mischung von Spielern aus verschiedenen Ländern. Im Fernsehen haben wir uns z.B. bei den Nachrichtensprechern:innen, Moderatoren:innen usw. an viele ausländische Namen gewöhnt und schätzen deren Kompetenz.

Nicht nur die Probleme mit Migration sehen und überzeichnen, aber Migration auch nicht einseitig glorifizieren! Das ist ein Balanceakt. Vielfalt ist eine Herausforderung. Aber mit Optimismus, Kreativität, Weltoffenheit und Vertrauen statt Misstrauen können wir viel erreichen. Vielfalt ist anstrengend, Vielfalt nicht nur hinsichtlich der Herkunft oder der Religionszugehörigkeit, sondern auch hinsichtlich der sexuellen Orientierung oder des „Andersseins“ durch gesundheitliche oder körperliche Beeinträchtigungen.

Vielfalt kann aber auch bunt sein und fröhlich stimmen. Einfalt kann nicht die Lösung sein! Menschen sind unterschiedlich und nicht alle gleich, aber alle haben die gleichen Rechte!

Autorin: Giesela Schulz

 

Internationale Jugendbegegnung: „Können die Wunden der Geschichte geheilt werden?“

Bericht einer Teilnehmerin aus Berlin

Foto: Tim Wagner

Mit dieser Frage beschäftigten sich zwölf Jugendliche, die sich vom 11. bis 13. Oktober 2024 in Berlin zur internationalen Jugendbegegnung trafen. Zwar war die Einladung der Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland e. V. auf nur wenig Resonanz gestoßen. Die jungen Erwachsenen, die aus Deutschland, den USA, Indien, Großbritannien und Polen angereist waren, empfanden die Zusammenkunft gleichwohl als Bereicherung. Hier der Bericht einer Teilnehmerin.

Neben Besuchen an geschichtsträchtigen Orten boten intensive Gespräche die Gelegenheit, verschiedene Perspektiven zu teilen. Wir beschäftigten uns gemeinsam mit der Frage, wie wir aus der Vergangenheit lernen und Verantwortung für eine friedliche Zukunft übernehmen können. Auch die Rolle der Kirche in der Geschichte und die Bedeutung von Versöhnung waren Diskussionsthema.

Foto: Tim Wagner

Nach einem gemeinsamen Abendessen am Freitagabend begann der Samstag im Martin-Niemöller-Haus. Hier konnten wir uns eine Dauerausstellung, die sich mit der Geschichte der Bekennenden Gemeinde Berlin-Dahlem auseinandersetzt, ansehen. Geführt wurden wir von Martina Voigt, der Kuratorin der Ausstellung. Dabei diskutierten wir die Rolle der Kirche, insbesondere der Bekennenden Kirche, im Nationalsozialismus und reflektierten über die Verantwortung, die daraus für heutiges Handeln erwächst. Besonders die Frage, wie Versöhnung in einer komplexen und oft schmerzhaften historischen Realität gelingen kann, nahm uns in Anspruch.

Ein weiterer Ort war die Martin-Luther-Gedächtnis-Kirche. Dort wurde bei einer Führung von Klaus Wirbel, Petra Steinborn und weiteren Gemeindegliedern vor Augen geführt, wie schwierig es ist, mit der ideologischen Symbolik eines solchen Ortes umzugehen.

Foto: Tim Wagner

In den Gesprächen setzten wir uns damit auseinander, wie diese belastete Geschichte heute in Versöhnungsarbeit einfließen kann. Dabei wurde deutlich, dass die Herausforderungen groß, aber nicht unüberwindbar sind. Der Besuch der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche und das Gespräch mit Pfarrerin Kathrin Oxen zeigten eindrucksvoll, wie die Heilung der Geschichte gelingen kann. Die teilweise zerstörte und wiederaufgebaute Kirche steht sinnbildlich für den Umgang mit schmerzhaften Erinnerungen. Besonders der Vergleich mit der Stadt Coventry machte deutlich, wie wichtig und global bedeutsam der Prozess der Versöhnung ist.

Sehr bewegt waren wir vom darauf folgenden Besuch der Versöhnungskapelle. Hier trafen wir uns mit Esther Schabow, der Beauftragten für Kultur und Öffentlichkeit der Versöhnungskapelle, die uns während einer Führung die Geschichte des Gedenkortes näherbrachte. Die Versöhnungskapelle steht auf dem ehemaligen Todesstreifen zwischen Ost- und Westdeutschland. Sie symbolisiert, wie Heilung und Frieden aus einem Ort der Trennung und des Konflikts entstehen können. Dieser Wandel machte auf uns alle einen tiefen Eindruck und zeigte, dass auch in scheinbar ausweglosen Situationen ein Neuanfang möglich ist.

Foto: Tim Wagner

Am Sonntag setzten wir unsere Reise in Potsdam fort, wo wir die Garnisonkirche besuchten. Hier rekonstruierten wir die Geschichte des Ortes im Rahmen eines kleinen Workshops, geleitet von Hana Hlásková, der Verantwortlichen für die Bildungsarbeit der Garnisonkirche. Anschließend erkundeten wir den wieder aufgebauten Turm. Der Transformationsprozess dieses Ortes, der einst für Militarismus stand und sich nun in ein Zentrum der Versöhnung wandelt, war Thema lebhafter Diskussionen.

Dabei wurde deutlich, wie viel Engagement und Sensibilität erforderlich sind, um Wandel glaubwürdig zu gestalten. In der Garnisonkirche erfuhren wir in einem Zoomgespräch mit John Witcombe, Dean der Kathedrale von Coventry, mehr über die Geschichte von Coventry und die internationale Nagelkreuzgemeinschaft. Mit ihm diskutierten wir zudem die Gründe des zunehmenden Populismus und Extremismus überall auf der Welt und wie wir als Gemeinschaft und als Kirchen damit umgehen können.

Foto: Tim Wagner

Für mich persönlich war die Versöhnungskapelle der eindrucksvollste Ort dieser Begegnung. Sie symbolisiert nicht nur die Heilung eines geteilten Landes, sondern auch die Möglichkeit, dass selbst aus den dunkelsten Kapiteln der Geschichte etwas Positives entstehen kann. Die Vorstellung, dass ein Ort, der einst eine Grenze zwischen zwei Welten markierte, heute ein Zeichen des Friedens ist, hat mich besonders berührt. Es zeigt, wie wichtig es ist, dass wir aus der Vergangenheit lernen und gemeinsam nach vorne blicken.

Die Jugendbegegnung wäre ohne zahlreiche Beteiligte nicht möglich gewesen – herzlichen Dank an das Organisationsteam und alle Unterstützerinnen und Helfer der Berliner Zentren!

Autorin: Constanze Biller

 

Predigt von Canon Mary Gregory zur Nagelkreuzübergabe an vier Hamburger Hauptkirchen

„Weggefährten der Versöhnung“

In einem feierlichen Festgottestdienst am 10. November 2024 haben die Hamburger Hauptkirchen St.Jacobi, St. Michaelis, St. Nikolai und St. Petri ein Nagelkreuz erhalten. Hier können Sie die Predigt von Mary Gregory, Kanonikerin für Kunst und Versöhnung an der Kathedrale von Coventry, nachlesen. Predigttest ist Micha 4, Vers 1-5.

Foto: Nagelkreuzgemseinschaft, Canon Mary Gregory

Vor kurzem suchte ich Rat für ein wichtiges Ereignis, auf das ich mich vorbereitete. Ich war mir nicht sicher, wie ich vorgehen sollte, wie ich mich präsentieren sollte, was ich sagen sollte. Meine Gesprächspartnerin – eine weise Frau – riet mir, von dem Ergebnis auszugehen, das ich mir erhoffte, und dann von dort aus weiterzuarbeiten; die Schritte zu planen, die mich zu diesem gewünschten Ziel führen würden. Das war ein wirklich guter Rat!

Ich möchte vorschlagen, dass wir mit der heutigen Bibellesung aus Micha etwas Ähnliches tun: Dass wir am Ende der Lesung beginnen, mit der bewegenden Beschreibung des Lebens nach der gewaltsamen Auseinandersetzung, und uns dann rückwärts durch die Lesung arbeiten, um zu planen, wie wir dorthin gelangen können.

Michas Beschreibung des Friedens mag uns sehr vertraut sein. Deshalb ist sie nicht weniger bewegend. Hört mir noch einmal zu. Uns wird die Umwandlung von Massenvernichtungswaffen in Werkzeuge zur Massenproduktion versprochen (Vers 3), damit alle satt werden. Es wird uns gesagt, dass der Kampf aus dem Lehrplan gestrichen wird, weil diese Fähigkeiten überflüssig sind – „und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen“ (Vers 4). Es wird uns versichert, dass jeder Mensch einen Platz haben wird, der ihm gehört – einen Feigenbaum oder einen Weinstock, unter dem er sitzen kann – und dass er sich nicht fürchten muss, wenn er dort sitzt (Vers 4).

Ich weiß nicht, wie ihr diese Beschreibung des Lebens nach den Feindseligkeiten charakterisieren würdet. Für mich ist sie nicht arrogant oder gierig, sondern fasst einfach die Grundlagen zusammen, die Menschen brauchen, um gut zu leben, um zu gedeihen: Nahrung, Heimat, Sicherheit. Diese Einfachheit hat etwas Wunderschönes an sich. Sie führt uns zu dem zurück, was wirklich wichtig ist: Nahrung, Heimat, Sicherheit.

Diese Dinge mögen grundlegend sein, aber wie vielen Menschen auf der Welt fehlt es daran! Wie viele Menschen hungern, haben kein Dach über dem Kopf, sind weit weg von zu Hause und werden von der lähmenden Angst wachgehalten, wie sie ihre Kinder in Sicherheit bringen sollen. Wie kommen wir um dieser Menschen und ihrer Kinder willen, um unserer eigenen Kinder willen, zu Michas Vision, zu der Zukunft, die Gott verheißt? Arbeiten wir uns rückwärts durch unsere Lesung.

Zunächst müssen wir verstehen, dass dies das Werk Gottes ist. Gott „wird richten”, sagt Micha, „Gott wird schlichten“, „Gott wird sprechen“, und diese universelle Versöhnung wird sich ereignen (Verse 3 bis 4).

Dass die Versöhnung in erster Linie Gottes Werk ist, soll uns ermutigen und trösten und ein Gegenmittel gegen die Überwältigung sein, die wir empfinden, wenn wir die Verwundbarkeit der Welt betrachten. Die britisch-somalische Dichterin Warsin Shire drückt diese Überwältigung kraftvoll aus. Sie schreibt:

later that night

I held an atlas in my lap

ran my fingers over the whole world

and whispered

where does it hurt?

It answered

everywhere

everywhere

everywhere.

später in dieser Nacht

hielt ich einen Atlas in meinem Schoß

ließ meine Finger über die ganze Welt gleiten

und flüsterte

wo tut es weh?

Er antwortete

überall

überall

überall.

Wir sehen die Nachrichten, scrollen auf unseren Handys und spüren das „Überall“, das uns in Untätigkeit erstarren lässt. Wie können wir auf das „Überall“ reagieren? Es ist zu viel für uns.

Es ist zu viel für uns, aber nicht zu viel für Gott. Das „Überall“ ist Gottes Territorium. Gott ist derjenige, der „zwischen vielen mächtigen Völkern“ (Vers 3) für Ausgleich sorgen wird. Wir müssen unseren Glauben an das Versöhnungswerk Gottes wiedergewinnen – davon sprechen, darauf hinweisen, denn die Menschen haben die Hoffnung verloren. Selbst den Gläubigen fällt es schwer, angesichts von so viel Schmerz und Verzweiflung davon zu sprechen. Wir müssen wieder sicher und selbstbewusst mit der Hoffnung umgehen können, den Menschen sagen, dass Gott der große Versöhner ist, dass Gott dies tun wird.

Aber damit sind wir noch nicht aus dem Schneider. Wir dürfen nicht passiv oder gleichgültig gegenüber den Verwerfungen sein, die uns trennen. Nein, in unserer Lesung aus Micha gehen wir noch einmal zurück: Wir sollen Gott erlauben, „uns seine Wege zu lehren“, wir sollen „in seinen Pfaden wandeln” (Vers 2). Dieses Werk der Versöhnung ist Gottes Werk und es ist auch das unsere. Hört: Die Gründungsschrift der Kathedrale von Coventry sagt: „Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber“ – uns – „und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung“ (2. Korinther 5, Vers 18).

Wir sollen offen dafür sein, dass Gott uns seine Wege der Versöhnung lehrt, und dann sollen wir ihnen folgen, nicht für das „Überall“, das Gott gehört, sondern für das „an meinem Ort“, das uns gehört. In einem Gedicht, das eine Antwort auf die Qualen des „Überall“ von Warsin Shire gibt, schreibt Gideon Heugh dies:

Do not be afraid—

to complete the repair of the world

is not why you were made.

You were created to play

only your part;

whatever is within your hands;

whatever is the now of your heart.

Habt keine Angst –

die Reparatur der Welt zu vollenden

ist nicht der Grund, warum du geschaffen wurdest.

Du wurdest erschaffen, nur

um deine Rolle zu spielen;

was immer in deinen Händen liegt;

was immer das Jetzt Deines Herzens ist.

Wenn wir uns um die Versöhnung vor Ort kümmern, um das, was in unseren Händen liegt, um das „Jetzt“ unseres Herzens, was sollen wir dann von Gott lernen? Was kennzeichnet Gottes Versöhnungswerk – und was soll also unser eigenes prägen? Ich möchte behaupten, dass Gottes Versöhnungswerk beharrlich, zärtlich und kreativ ist.

Vermutlich habt ihr noch nicht viel Zeit damit verbracht, die Genealogie am Anfang des Matthäus-Evangeliums zu lesen. Die lange Liste der Namen von Jesu Vorfahren ist vielleicht nicht sehr fesselnd. Man kann die Genealogie aber auch als Aufzeichnung von Gottes beharrlichem Bemühen um Versöhnung mit der Menschheit lesen, denn sie listet Patriarchen, Könige und Propheten auf, durch die Gott versucht hat, uns zu sich zu ziehen. Durch viele Generationen hindurch, durch Hungersnöte, Exodus, Besiedlung, Exil und Rückkehr, sind hier Gottes beharrliche Versuche zu sehen, wieder mit uns eins zu werden.

Gott ist beharrlich in der Versöhnung. Gott wird nicht aufgeben. Und Gott ist zärtlich in der Versöhnung. Durch den Propheten Hosea vergleicht Gott sich selbst mit einer Mutter, die Israel pflegt, ihm das Laufen beibringt, es sanft hochhebt, um es auf die Wange zu küssen (Hosea 11, Vers 1 bis 4). Durch Rebellion und Ablehnung hindurch bleibt diese Zärtlichkeit bestehen. Gott kann von dieser Zärtlichkeit nicht ablassen.

Gottes versöhnende Wege, denen wir folgen sollen, sind beharrlich, zärtlich und kreativ. Wie das? Schaut euch einfach die Menschen an, die Gott benutzt, die Strategien, die Gott einsetzt. In der Genealogie des Matthäus sehen wir, dass Gott in Rahab, Rut und Batseba durch eine Prostituierte, eine Ausländerin und eine Ehebrecherin auf Versöhnung hinarbeitet, und in uns selbst sehen wir, wie Gott durch gutherzige, aber zutiefst fehlerhafte Menschen auf Versöhnung hinarbeitet. Und dann sehen wir in der Menschwerdung Jesu Christi die Vorstellungskraft, die Risikobereitschaft Gottes, der das Unendliche endlich macht, um uns irgendwie zu Gott nach Hause zu bringen.

Wenn Gott uns Gottes Wege zur Versöhnung lehrt, lernen wir, dass wir beharrlich, zärtlich und kreativ sein müssen, damit wir irgendwie Gemeinsamkeiten entdecken und aus Feindschaft Freundschaft schmieden können.

Wir müssen in unserer Lesung aus Micha ein letztes Mal einen Schritt zurückgehen, um herauszufinden, was für uns heute besonders wichtig ist, wenn sich die Hamburger Hauptkirchen dem Versöhnungsnetzwerk der Kathedrale von Coventry, der Gemeinschaft des Nagelkreuzes, anschließen. „Kommt, lasst uns gehen”, sagt eine Stimme in unserer Lesung (Micha 4, Vers 2) und erinnert uns so an die Bedeutung von Gemeinschaft in diesem Werk der Versöhnung. Wir brauchen Menschen, die uns bei unserer Arbeit anspornen und aufmuntern.

Heute schließt ihr euch einer Gemeinschaft von mehr als 260 Partner:innen weltweit an, die für euch beten werden und ihre Geschichten mit euch teilen werden; die euch sagen werden: „Der Berg der Versöhnung ist steil, aber klettert weiter“. Die auch auf euch schauen werden, um sich ermutigen zu lassen, die sich darauf verlassen, dass ihr für sie beten werdet und sagen werdet: „Kommt, lasst uns gehen…“

Indem ihr heute diese Nagelkreuze empfangt, verpflichtet ihr euch erneut zum Werk der Versöhnung. Dabei denkt daran: Das „Überall“ der Versöhnung gehört Gott. Ihr seid aufgerufen, von Gott zu lernen, wie ihr beharrlich, zärtlich und kreativ in der Versöhnung sein könnt, zu der ihr aufgerufen seid – hier bei euch –, was auch immer in euren Händen liegt, was auch immer das „Jetzt“ eurer Herzen ist. Und denkt daran: Ihr seid jetzt Teil einer Gemeinschaft. Erlaubt dieser Gemeinschaft, euch zu ermutigen. Betet auch für eure neuen Schwestern und Brüder, dass ihr, die ihr jetzt zu dieser Gemeinschaft gehört, Hoffnung und neues Leben für sie seid.

Amen.

Autorin: Canon Mary Gregory, Übersetzung: Niels Faßbender