Pfingsten in Recklinghausen: Eine Hoffnung, die keine Bedingungen stellt

Die <Gastkirche> in Recklinghausen ist ein offener Ort. Menschen mit ganz unterschiedlichen Lebenswegen kommen hier zusammen: Wohnungslose, Engagierte, Gläubige, Zweifelnde. Wer will, findet hier Gemeinschaft – im Alltag, im Gespräch, im Gottesdienst. Am Samstag vor Pfingsten, dem 7. Juni 2025, wurde die Gastkirche in die Nagelkreuzgemeinschaft aufgenommen.

Kleine Ausstellung und Gesprächsatmospäre in der Gastkirche. Foto: Nagelkreuzgemeinschaft

Tagsüber war der kleine, mittelalterliche Kirchenraum geöffnet. Eine Ausstellung informierte über die Geschichte der Nagelkreuzgemeinschaft. Auch örtliche Friedensinitiativen stellten sich vor. Das geplante Friedensfest auf dem Oscar-Romero-Platz fiel zunächst weitgehend dem Regen zum Opfer. Am Abend füllte sich die gegenüberliegende, größere Gymnasialkirche bis auf den letzten Platz. Der Gottesdienst wurde von Pfarrer Ludger Ernsting und dem Gospelchor „Spirit of Joy“ feierlich gestaltet. Alice Farnhill überreichte das Nagelkreuz im Namen der Kathedrale von Coventry. Auch zwei Gäste aus dem niederländischen Breda waren anwesend – die Verbindung war bei der gemeinsamen Pilgrimage nach Coventry entstanden. Im Anschluss wurde das Kreuz in einer kleinen Prozession in die Gastkirche getragen. Später klang der Tag auf dem Oscar-Romero-Platz aus – mit Musik, Essen und Tanz. Menschen aus verschiedenen Zusammenhängen kamen ins Gespräch: Besucherinnen und Besucher der Kirche, Passanten, Gemeindemitglieder, Wohnungslose, Gäste aus der Stadtgesellschaft. Im Folgenden dokumentieren wir das Grußwort des Vorstands der deutschen Nagelkreuzgemeinschaft.

Liebe Recklinghäuserinnen und Recklinghäuser,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Gastkirchen-Gemeinde,

zu einem Friedensfest habt ihr eingeladen. Ein Fest des Friedens. Ich weiß nicht, ob es da im Moment etwas zu feiern gibt.

Ich denke an die Toten – in Gaza, in der Ukraine, im Mittelmeer.
An Trump, Nawrocki, Wilders. An den Brexit.
An Hass und Lügen in den sozialen Medien und in den Parlamenten,
an Hetze und Härte, die Grenzen ziehen –
zwischen Ost und West, arm und reich, deutsch und nicht deutsch, drinnen und draußen.

Ich denke an Kinder, die ausgeliefert waren. An ihre Wunden, die Gerechtigkeit schreien. An bohrende Fragen, die unbeantwortet bleiben.

Ich denke an den Mann, nach dem dieser Platz benannt ist, und die vielen anderen, die ermordet wurden, weil sie Gerechtigkeit und Frieden wollten.

An einen guten Freund. Verloren in Verschwörung und Wut.
An die, die nicht mehr fragen, was wahr ist, sondern nur noch: Was nützt mir das?

An die, die hungern.
An die, die sammeln.

An den Sommer. Und an die brennende Erde.

Ein Friedensfest also?
Doch. Bitte bleiben Sie!

Es gibt ja Kaffee. Und Kuchen. Stärkung.
Nicht nur leiblich: Auch mit Gottes Wort, Musik und Gebet.
Und Ermutigung. Und Hoffnung.

Grußwort von Niels Faßbender im Namen des Vorstands. Foto: Nagelkreuzgemeinschaft

Und ein Nagelkreuz.
Ein Kreuz aus Trümmern.
Coventry, 1940. Eine Kathedrale in Flammen. 515 Tote.
Kein Zeichen von Macht.
Kein Denkmal der Sieger.

Ein Kreuz, aufgerichtet gegen den Hass:

„Father, forgive.“
Nicht: ihnen. Uns allen.
Dem, der warf. Und der, die weinte.
Dem, der zerstörte. Und der, die aufräumte.

Weihnachten, die Trümmer der Stadt noch warm von der Vernichtung,
der Probst der zerstörten Kathedrale im Radio:
Wir werden nicht hassen. Wir werden nicht heimzahlen. Wir werden bauen.
An einer Welt, die freundlicher ist. Christusähnlicher.
Weniger stolz. Weniger hart.

Aus dem Wort wurde Tat. Aus Schmerz wurde Sendung.
Menschen aus Coventry nahmen Nägel aus der Asche ihrer Kathedrale.
Banden daraus Kreuze. Brachten sie nach Kiel. Nach Dresden. Nach Münster.
Nicht nur die Nagelkreuze brachten sie. Sie brachten sich selbst.
Nicht um zu strafen, sondern um aufzubauen.
Nicht um zu fragen, wer Schuld hat,
sondern um zu sagen: Wir fangen neu an. Zusammen.

Dann kamen Deutsche nach England.
Nicht mit Entschuldigungen,
aber im Bewusstsein der Schuld.
Auch sie bauten mit. Hörten zu. Blieben.
Es wuchs Vertrauen. Und Freundschaft.

Eine neue Kathedrale entstand.
Und ein weltweites Netz. Ein Netz der Versöhnung.

Heute steht ein Nagelkreuz in über 260 Städten.
Nicht nur für Frieden zwischen England und Deutschland.
Sondern für Versöhnung überall, wo Menschen sich anfeinden, hassen, verletzen, töten.

In New York – zwischen Terror und Trauer.
In Südafrika – zwischen Schwarz und Weiß.
In Polen – zwischen verbrannter Erde und knospendem Mandelzweig.
In Israel und Palästina – zwischen Schwertern und Pflugscharen.
In Belfast – zwischen Schweigen und Sprechen.
In Berlin – zwischen Christen, Juden und Muslimen.

Und heute übergibt die Kathedrale von Coventry ein Nagelkreuz nach Recklinghausen.
An diesem Platz. An Gastkirche und Gasthaus.

Diese Altstadt hat der Krieg verschont. Brüche, Not, Verluste gibt es trotzdem.
Auch hier tragen Menschen Trümmer, Kummer, Schmerz, Verzweiflung, Sehnsucht.

Aber nicht allein.
Hier, in Gastkirche und Gasthaus, geschieht Tag für Tag, wofür das Nagelkreuz von Coventry steht.

Ich denke an die Menschen, die mit leeren Händen kommen – und mit einem warmen Frühstück empfangen werden.
Ich denke an die, die auf der Straße leben – und hier duschen, Wäsche waschen, Briefe empfangen.
Ich denke an die, die einsam sind – und hier Gemeinschaft finden.
An die, die trauern – und hier getröstet werden.

Volle Kirche zur feierlichen Übergabe. Foto: Nagelkreuzgemeinschaft

Hier wird kein Evangelium verkündet, das nicht auch getan wird.
Kein Frieden gefeiert, der nicht auch gestiftet wird.

Die Gastkirche macht nicht „für“. Sie macht „mit“.
Mit Amnesty. Mit Pax Christi.
Und mit denen, von denen andere sich abwenden.

Ihr schweigt, wo man sonst schreit.
Gedenkt, wo man lieber vergisst.
Haltet Wache bei den Toten und den Lebenden.

Ihr glaubt: Gott ist für niemanden zu groß.
Gott ist nah.
Im Kleinen. Im Geringen. Im Jetzt.
Ihr glaubt an Gottes Frieden.
Ihr nehmt einander an. In diesem Glauben.
So wie Gott uns angenommen hat.

Wer diesen Ort betritt, spürt: Hier ist es nicht egal.
Nicht egal, was du erlebt hast.
Nicht egal, woran du leidest.
Nicht egal, ob du kommst.
Hier wird der Mensch nicht bemessen. Hier wird er gesehen.

Und das, liebe Freundinnen und Freunde, das ist Versöhnung:
Nicht das vielversprechende Wort. Sondern das kleine Brot.
Nicht die große Lösung. Sondern das geteilte Leben.
Nicht der billige Trost. Sondern die wertschätzende Zuwendung.

Versöhnung ist kein Widerspruch zur Wirklichkeit.
Denn sie entsteht aus Wahrheit.
Versöhnung schweigt nicht zur Schuld. Sie deckt nichts zu.
Versöhnung kennt das Zerbrochene und geht hindurch.
Die Wunde heilt, doch die Narbe bleibt.
In Coventry wuchs eine neue Kathedrale.
Nicht auf den Trümmern,
sondern an ihrer Seite.
Zerstörung und Hoffnung – untrennbar.

Wo ein Nagelkreuz steht,
arbeiten Menschen am Noch-Nicht,
vertrauen auf Gottes Verheißung,
glauben, dass Geschichte sich nicht wiederholen muss.
Dass Vielfalt kein Risiko, sondern ein Geschenk ist.
Dass wir nicht nur kriegstüchtig, sondern auch friedenstüchtig werden können.

Pfarrer Ludger Ernsting (links) und Alice Farnhill (rechts) mit dem Nagelkreuz vor seinem künftigen Standort. Foto: Nagelkreuzgemeinschaft

Versöhnung ist kein Zustand. Sondern bleibt ein Weg.
Ihr seid auf diesem Weg.
Hier ist kein Gedenkort für den Frieden – hier wird Frieden getan. Täglich.
Hier wird sichtbar: Gottes Reich ist keine Illusion.
So wächst Hoffnung. Wächst Versöhnung.

Ich wünsche euch, dass dieses Kreuz
euch tröstet, wenn ihr verzagt. Ihr seid nicht allein.
Dass es euch stärkt, wenn ihr müde seid. Wir beten für euch.
Dass es euch ruft, wenn ihr euch einrichtet. Ihr seid das Licht der Welt!
Und bei den Veränderungen, die auf eure Gemeinschaft zukommen:
Dass es euch Kurs, Kraft und Zuversicht gibt.
Dass es uns immer erinnert: Hass und Gewalt haben nicht das letzte Wort.
Fürchtet euch nicht.

Ihr erhaltet heute ein Nagelkreuz, weil ihr glaubt, lebt und bezeugt,
dass man die Wunden der Geschichte heilen kann.
Dass man mit Verschiedenheit leben und Vielfalt feiern kann.
Dass man eine Kultur der Gerechtigkeit und des Friedens aufbauen kann.

Liebe Gastkirche, liebes Gasthaus,
herzlich willkommen in der Nagelkreuzgemeinschaft.
Im Namen des Vorstands und des Leitungskreises der Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland e. V.:
Herzlichen Glückwunsch!

Lasst uns feiern, dass ihr bei uns seid. Lasst uns feiern, dass es euch gibt.
Lasst uns ein Fest des Friedens feiern!

Glück auf!

Autor: Niels Faßbender

 

Nagelkreuzgottesdienst auf dem Kirchentag

„Stehe ich denn an Gottes statt“ – Predigt von Klaus Majoress im Nagelkreuzgottesdienst beim Kirchentag 2025

„Kirche überfüllt“ stand auf dem Schild, das Pfadfinder:innen am 1. Mai vor St. Clemens in Hannover hochhielten. Kein Promi, kein Politiker – und doch kein Platz mehr frei. Die Menschen kamen, weil sie etwas suchten: Trost, Hoffnung, Versöhnung. In einer Zeit voller Krisen war dieser Gottesdienst ein starkes Zeichen: Der Wunsch nach Frieden ist lebendig. Die Liturgie führte durch Klage, Gebet und Musik zu einem mutigen Trotzdem-Glauben. Psalm 139, das Glaubensbekenntnis von Seoul und das Versöhnungsgebet von Coventry rahmten die Predigt von Klaus Majoress: Anhand der Geschichte von Josef und seinen Brüdern (1. Mose 50) zeigte er, dass Versöhnung möglich ist – wenn wir nicht an Gottes Stelle urteilen, sondern vergeben. „Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen – aber Gott gedachte es gut zu machen.“ Diese biblische Wende wurde zur Botschaft des Tages: Es gibt Hoffnung. Es gibt Versöhnung. Lesen Sie hier die Predigt zu 1. Mose 50, 15-21.

Liebe Gemeinde, „Und siehe, es war alles, alles gut!“ So endet Josef von Eichendorffs Novelle Aus dem Leben eines Taugenichts. In diesem Satz mündet der phantastische Bericht einer aufregenden Reise voller Leiden und Verwirrung, voller Schuld und Versagen. „Und es war alles, alles gut!“ Solche Schlusssätze wünscht sich wohl jeder von uns für die Geschichte seiner eigenen Wanderungen – für die Wanderungen, zu denen wir oft mit klaren Zielen aufbrechen und in deren Verlauf wir doch auf Abwege und Irrwege geraten. Wir erfahren Schuld und werden schuldig. Wir leben uns auseinander: Brüche, Versagen, Versäumnisse … Ich könnte die Reihe grenzenlos fortsetzen – umso mehr, wenn ich auf das bedrückende Geschehen in der Weltgeschichte schaue, nicht nur in unseren Tagen. Wenn wir am Ende wenigstens sagen könnten: „Und es war alles, alles gut!“ Dann könnten wir die Unwägbarkeiten und Schwierigkeiten auf uns nehmen, dann könnten wir mit Schuld und Versagen leben, dann könnten wir unseren Weg festen Schrittes und zügigen Ganges gehen. Aber wer kann das schon?

Beten und Feiern unter dem Nagelkreuz Foto: Stefan Schick

Beten und Feiern unter dem Nagelkreuz Foto: Stefan Schick

Aber anscheinend gibt es das, auch wenn es uns fremd klingt. Anscheinend gibt es das: am Ende einer Lebensgeschichte, die von viel Schuld und Bösem gekennzeichnet ist, in der Neid und Feindschaft zu schlimmen Verstrickungen führten. Es ist die Geschichte von Joseph und seinen Brüdern. Was war geschehen? Rufen wir uns noch einmal ein paar Momente dieser eindrücklichen Erzählung in Erinnerung. Es begann damit, dass Jakob Joseph als seinen Lieblingssohn behandelte, ihn offenkundig bevorzugte. Das erzeugte Selbstüberschätzung bei Joseph, aber auch Neid bei seinen Brüdern. Er träumte von der Herrschaft über die Brüder und den Vater. Die Brüder aber duldeten die Überordnung Josephs nicht. Sie planten, ihn bei der erstbesten Gelegenheit umzubringen. Nur weil Juda und Ruben, die älteren Brüder, die anderen vom Mord abhielten, wird Joseph in eine Zisterne geworfen und als Sklave nach Ägypten verkauft. Die Brüder decken ihre Untat des Menschenhandels gegenüber ihrem Vater mit der Lüge von einem tödlichen Unfall zu. Keiner spürt Erbarmen mit dem Opfer, keiner übt Solidarität. Alle finden es richtig.

Ohne es zu wissen, treffen die Brüder nach vielen Jahren wieder auf ihr Opfer. Diesmal sind sie die Bittsteller – Wirtschaftsflüchtlinge, würde man heute wohl sagen. Sie bitten um Korn, da eine Hungersnot in Israel herrschte und die Getreidespeicher in Ägypten dank der klugen Vorratswirtschaft voll sind. Joseph ist inzwischen durch seine Traumdeutungen zu hohem Ansehen am pharaonischen Königshof gelangt. Er gibt sich nicht zu erkennen und versöhnt sich auch nicht mit den Brüdern, vielmehr lässt er sie die ganze Härte seiner Machtposition spüren. Er wirft ihnen Spionage vor, zwingt sie, von der Familie zu sprechen, zwingt sie, den jüngsten Bruder Benjamin zu holen. Er lässt sie spüren, wie es ist, wenn man unbarmherziger Willkür ausgesetzt ist, stellt ihre Familiensolidarität auf die Probe.

Und es geschieht das Dramatische: Die Brüder kommen zur Einsicht ihrer Schuld. Wahrlich, wir sind schuldig gegenüber unserem Bruder, dessen Herzensangst wir sahen, als er uns anflehte, aber wir haben nicht darauf gehört. Darum kommt diese Not jetzt über uns. Und genau an diesem Punkt geschieht das Entscheidende, liebe Gemeinde, das Eigentliche der Geschichte. Genau an diesem Punkt führt uns diese Geschichte in das Zentrum biblischen Glaubens. Aber Joseph weinte! Und er sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht, stehe ich denn an Gottes statt? (Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich ein großes Volk am Leben zu erhalten. So fürchtet euch nicht, ich will euch und eure Kinder versorgen.) Und er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen.

Wie entscheidend, liebe Gemeinde, ist diese Kehrtwende, wie entscheidend dieser Augenblick. Joseph reagiert nicht mit Vorwürfen, nicht mit Bestrafung, nicht mit weiteren Verstrickungen. Nein: Er weinte! Genau da geschieht Versöhnung: Joseph weiß um Gottes Heilsplan, der ein großes Volk am Leben erhalten will. Und er weiß, dass er selbst nicht unbeteiligt ist an der Schuldgeschichte seiner Familie und dass es letztlich nur Gottes Urteil sein kann, das über unserem Leben gesprochen wird. Das lässt ihn frei werden für Vergebung und Versöhnung, das macht ihn frei für einen neuen Anfang.

Und beides, liebe Gemeinde, führt in die Freiheit der Gotteskindschaft, beides eröffnet Zukunft, lässt uns nach vorne blicken, lässt unseren Weg weitergehen, lässt Vergangenes Vergangenheit sein. Es verharmlost Schuld nicht, aber es lässt Versöhnung zu. Fürchtet euch nicht, stehe ich denn an Gottes statt? Oder, um es mit der Kirchentagslosung zu sagen: mutig, stark, beherzt – „Wachet, steht im Glauben, seid mutig und stark. Alle eure Dinge lasst in Liebe geschehen.“ So diese Worte im 1. Korintherbrief, Kapitel 16, aus denen das Kirchentagsmotto stammt.

Vokalensemble „Les voix parlantes“ Foto: Nagelkreuzgemeinschaft

Vokalensemble „Les voix parlantes“ Foto: Nagelkreuzgemeinschaft

Da, liebe Gemeinde, setzt Versöhnung an. Stehe ich denn an Gottes statt? Habe ich denn das Recht, ein endgültiges Urteil über einen Menschen zu sprechen? Vielleicht liegt Thomas Mann nicht so ganz schief, wenn er am Ende seines Romans Joseph und seine Brüder Joseph sagen lässt: Aber wenn es um Verzeihung geht unter den Menschen, so bin ich’s, der euch darum bitten muss – denn ihr musstet die Bösen spielen, damit alles so käme.

Trotz all unserer gegenteiligen Erfahrung bleibt Versöhnung der Anspruch Gottes an uns. In einer Zeit, in der sich die Gottvergessenheit immer tiefer festsetzt, dürfen wir den Menschen die Botschaft von Gottes Nähe nicht verweigern, können wir das Wort von der Versöhnung nicht bei uns behalten. In einer Zeit, in der sich viele nicht nur gegen die Versöhnung Gottes sperren, sondern auch unversöhnlich miteinander umgehen, bekommt die Rolle als Botschafter an Christi statt klare Konturen. Das Wort von der Versöhnung wartet darauf, dass wir ihm mit unserem Leben entsprechen – mutig, stark und beherzt.

„Es war alles, alles gut“ – ob es das gibt? Die Antwort entscheidet sich daran, ob wir fragen: Stehe ich denn an Gottes statt? Amen. Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus, unserem Herrn.

Autor: Klaus Majoress, Superintendent a. D., Nagelkreuzzentrum Kirchenkreis Lüdenscheid-Plettenberg

 

Mehr als 1.000 Besucher:innen an unserem neuen Stand auf dem Kirchentag

Er war nicht zu übersehen: Unser neu konzipierter Informationsstand feierte beim Evangelischen Kirchentag 2025 in Hannover Premiere – und wurde zum Publikumsmagnet. Drei Tage lang war unser großer Stand auf dem Markt der Möglichkeiten in Halle 5 durchgehend gut besucht: Über 1.000 Menschen kamen mit uns ins Gespräch, bastelten Nagelkreuze, lösten unser Versöhnungsgebets-Quiz oder nahmen ein Statement für TikTok auf.

Rund 20 Freiwillige aus Zentren in ganz Deutschland haben den Stand engagiert betreut – mit Begeisterung, Kompetenz und einem offenen Ohr für die vielen Fragen und Eindrücke der Besucher:innen. Unsere Giveaways waren heiß begehrt, besonders die Postkarten mit dem Versöhnungsgebet. Zahlreiche Gespräche drehten sich um die persönliche Bedeutung von Versöhnung und darum, wie sich aus Schuld und Fremdheit neue Verbindungen schaffen lassen.

„Versöhnung ist…“ auf TikTok

Die beiden beleuchteten Pixlip-Displays zogen die Blicke bereits von Weitem auf sich. Das mehrsprachige Rätsel zum Versöhnungsgebet wurde gerne als Einstieg in weiterführende Gespräche genutzt. Die interaktive Landkarte am Touchscreen ermöglichte es, sich durch das Netzwerk der Nagelkreuzzentren zu klicken – so entstanden neue Kontakte und Ideen für gegenseitige Besuche oder Kooperationen. Ein Highlight war das Social-Media-Angebot: Viele Jugendliche – aber nicht nur – nahmen die Gelegenheit wahr, ein eigenes Statement zu filmen: „Versöhnung ist …“. Sie sind nach wie vor auf unserem TikTok-Kanal anzusehen.

Unsere Gemeinschaft ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gewachsen. In Deutschland stehen inzwischen mehr als 80 Nagelkreuze. Dieser Entwicklung und der damit verbundenen wachsenden Bedeutung wollten wir auch auf dem Kirchentag Ausdruck verleihen. Der Vorstand hat sich deshalb entschieden, unseren Auftritt deutlich zu vergrößern und mit einem neuen, inhaltlich wie visuell überzeugenden Standkonzept aufzutreten.

Stand ab sofort auch zur Ausleihe verfügbar

Die starke Nachfrage hat gezeigt: Diese Entscheidung war richtig. Der großzügige Aufbau hat nicht nur Raum für mehr Begegnung und Gespräche geschaffen, sondern auch neue kreative Formate ermöglicht. Und: Die Investition lohnt über den Kirchentag hinaus. Der neue Stand steht ab sofort allen interessierten Zentren zur Ausleihe zur Verfügung. Wer also eine eigene Ausstellung, einen Gottesdienst oder ein Bildungsformat plant, kann den Stand nutzen, um die Idee des Nagelkreuzes sichtbar zu machen. Weitere Informationen zur Ausleihe finden Sie hier in unserem Service-Angebot.

Autor: Niels Faßbender

Stabwechsel in Vorstand und Leitungskreis: Hoenen, Meinhardt und Menzel für Schmelz und Wolkenhauer

V. l. n. r.: Lothar Schmelz, Patrick Meinhardt, Karsten Wolkenhauer, Dr. Janning Hoenen (Zeichnung: OpenAI/ChatGPT)

Im Leitungskreis und im Vorstand der Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland e. V. hat es in den letzten Wochen einige personelle Veränderungen gegeben: Unser langjähriger Schatzmeister Lothar Schmelz hat seine Ämter niedergelegt, auch Karsten Wolkenhauer ist aus dem Leitungskreis ausgetreten. Neuer Schatzmeister ist Dr. Henning Menzel. In den Leitungskreis nachgerückt sind Dr. Janning Hoenen und Patrick Meinhardt. Gerne würdigen wir Lothars und Karstens Engagement für unseren Verein und stellen Ihnen „die Neuen“ vor.

Unser herzlicher Dank gilt zunächst unserem langjährigen Vorstandskollegen Lothar Schmelz, der zum 28. Februar 2025 sein Amt niedergelegt hat und aus dem Leitungskreis ausgeschieden ist. Seit 2011 gehörte Lothar dem Leitungskreis an, seit 2015 war er Mitglied des Vorstandes und unser Schatzmeister. Mit großem zeitlichen Engagement und enormer Expertise hat er die Verwaltung unserer Finanzen erheblich professionalisiert. Besonders geschätzt war seine offene und stets ansprechbare Art, mit der er weit über die eigentliche Mitgliederverwaltung hinaus eine persönliche Beziehung zu vielen Mitgliedern und Zentren unserer Gemeinschaft aufgebaut hat. Anerkennende Wort von Vorsitzendem Dr. Oliver Schuegraf: „Im Namen der ganzen Nagelkreuzgemeinschaft danke ich Lothar von ganzem Herzen. Persönlich bin ich dankbar für die intensive und vertrauensvolle Zusammenarbeit der letzten Jahre. Es war immer gut, Lothar an der Seite zu wissen.“ Lothar selbst verabschiedete sich mit herzlichen Worten: „Es waren sehr schöne Jahre, in denen ich viele freundliche und interessante Menschen kennenlernen durfte – diese Zeit möchte ich nicht missen. Allen Mitgliedern wünsche ich weiterhin weise Entscheidungen im Sinne von Frieden und Versöhnung, im Geist von Coventry.“

Auch Karsten Wolkenhauer verlässt den Leitungskreis, nachdem er zum Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Anhalt gewählt wurde. Er gehörte dem Leitungskreis seit mehreren Jahren an und engagierte sich besonders in den Bereichen Versöhnung, Erinnerungskultur und Öffentliche Theologie. Wir danken Karsten für seinen Einsatz und wünschen ihm Gottes Segen für das neue Amt.

Zum neuen Schatzmeister und Vorstandsmitglied wurde vom Leitungskreis Dr. Henning Menzel gewählt. Wir freuen uns sehr auf die Zusammenarbeit mit ihm. Auch ihm wünschen wir für seine verantwortungsvolle Aufgabe gutes Gelingen und Gottes Segen.

Neu in den Leitungskreis nachgerückt sind Dr. Janning Hoenen und Patrick Meinhardt. Janning ist Studierendenpfarrer an der Augustana-Hochschule in Neuendettelsau, der theologischen Hochschule der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Er war zuvor Gemeindepfarrer in Hof/Saale und Fürth sowie Studienleiter am Collegium Oecumenicum München. Internationaler Austausch und die Auseinandersetzung mit Vielfalt prägen sein Engagement, das er besonders jungen Menschen vermittelt. Janning ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder.

Patrick Meinhardt ist Vorsitzender des Gemeindekirchenrates und Lektor der Evangelischen Gemeinde am Gesundbrunnen in Berlin, einer der größten Gemeinden der Stadt. Beruflich war er Bundestagsabgeordneter der FDP und Politikchef eines großen Mittelstandsverbandes. Heute leitet er den Taxi- und Mietwagenverband Deutschland und betreibt eine Politik- und Strategieberatungsagentur. Außerdem engagiert er sich ehrenamtlich in verschiedenen nationalen und internationalen Verbänden. Sein Lebensmotto stammt von Frère Roger aus Taizé: „Liebe und zeige es durch dein Leben!“ Er wird künftig gemeinsam mit Felicitas Weileder Ansprechpartner für die Region Berlin sein.

Auch Janning und Patrick wünsche wir viel Freude, Tatkraft und Gottes Segen für ihr Engagement in unserer Nagelkreuzgemeinschaft.

Autor: Niels Faßbender

Mutig, stark, beherzt: Die Nagelkreuzgemeinschaft auf dem Kirchentag in Hannover

St. Clemens (Foto: Nagelkreuzgemeinschaft)

Wenn tausende Menschen in Hannover zusammenkommen, um unter dem Motto „mutig – stark – beherzt“ ihren Glauben zu leben, Fragen zu stellen und neue Wege zu suchen, ist auch die Nagelkreuzgemeinschaft mit dabei. Wir laden herzlich ein, unsere Arbeit kennenzulernen, mit uns ins Gespräch zu kommen und gemeinsam Zeichen der Versöhnung zu setzen – in einem Gottesdienst, an unserem Stand auf dem Markt der Möglichkeiten und bei einer Friedensaktion für Kinder und Familien.

Gottesdienst „Beten und Feiern unter dem Nagelkreuz

Donnerstag, 1. Mai 2025, 14:00 Uhr, Kirche St. Clemens

Im Mittelpunkt des Kirchentagsgottesdienstes der Nagelkreuzgemeinschaft steht die Geschichte von Josef und seinen Brüdern – eine biblische Erzählung über Schuld, Versöhnung und die befreiende Kraft, nicht im Hass stehenzubleiben. „Stehe ich denn an Gottes statt?“ – fragt Josef, als seine Brüder um Vergebung bitten. Wie können wir diese Frage heute für uns beantworten – „Mutig“ den Herausforderungen der Versöhnung ins Auge sehen, „stark“ sein im Vertrauen auf Gottes Zusage, dass Frieden möglich ist, „beherzt“ eine neue Zukunft wagen? Die Liturgie umfasst Lesung, Predigt, Musik und Stille. Das Glaubensbekenntnis von Seoul und das Versöhnungsgebet von Coventry geben dem Gottesdienst eine internationale Dimension. Anschließend besteht bei Gebäck und Getränken Gelegenheit zum Kennenlernen, Wiedersehen und Gespräch.

Foto: Kirchentag

Stand auf dem Markt der Möglichkeiten

Halle 5, Stand 5-J29 – täglich von 10:30 bis 18:30 Uhr

Die Nagelkreuzgemeinschaft präsentiert sich auf dem Kirchentag mit einem völlig neu gestalteten Stand – doppelt so groß wie in den vergangenen Jahren und offen für vielfältige Formen der Begegnung. Besucherinnen und Besucher erwartet ein Ort der Information, der Inspiration und des Mitmachens. Das Nagelkreuz und das Versöhnungsgebet von Coventry bilden den geistlichen Mittelpunkt. Auf Infotafeln werden die Geschichte und weltweite Wirkung unserer Gemeinschaft anschaulich gemacht. An zwei Touchscreens können Interessierte durch aktuelle Projekte und eine interaktive Landkarte aller Nagelkreuzzentren navigieren. Wer möchte, kann an einer kleinen Station ein eigenes Nagelkreuz basteln oder beim Gebetsquiz sprachliche Vielfalt spielerisch entdecken. Außerdem werden Besucherinnen und Besucher eingeladen, ein kurzes Videostatement zum Thema „Versöhnung ist…“ aufzunehmen – für unseren Social-Media-Kanal, als zeitgemäße Stimme des Friedens mitten im Trubel des Kirchentags. Das Standteam freut sich auf Gespräche, Fragen und neue Impulse – und auf alle, die neugierig sind darauf, was Versöhnung heute bedeuten kann.

Friedensaktion „Kraniche für Hiroshima“

Donnerstag, 1. Mai 2025, 11:00–12:00 Uhr, Zentrum Kinder und Familien, Maschstraße 22–24, EG Raum 2

Grafik: Michaeliskloster Hildesheim

Sadako, ein junges Mädchen aus Hiroshima, glaubte fest daran: Wenn sie 1000 Papierkraniche faltet, kann ihr Wunsch nach Heilung und Frieden in Erfüllung gehen. Ihre Geschichte wurde zu einem weltweiten Symbol – gegen Krieg und Gewalt, für Hoffnung und Versöhnung. Auch in Hannover, der Partnerstadt Hiroshimas, wollen wir ein Zeichen setzen: Gemeinsam mit dem Michaeliskloster Hildesheim, dem CVJM Hannover, dem Amt der EKD und der Nagelkreuzgemeinschaft laden wir Kinder, Familien und alle Interessierten ein, Kraniche zu falten.

11:00 Uhr: Kraniche falten mit Kindern und Erzählen von Sadakos Geschichte.

11:30 Uhr: Gemeinsamer Aufbruch zur Aegidienkirche.

11:45 Uhr: Gedenken an der Hiroshima-Glocke mit einem Nagelkreuzgebet in einfacher Sprache und einem Segen.

Ein niedrigschwelliges, liebevoll gestaltetes Angebot, das Kindern den Gedanken der Versöhnung kreativ und berührend nahebringt.

Haben wir ein Angebot übersehen? Haben Sie Fragen? Dann schreiben Sie uns gerne: redaktion@nagelkreuz.de. Wir freuen uns auf ein Kennenlernen oder ein Wiedersehen in Hannover.

 

Chemnitz 2025: Kulturhauptstadt und neues Nagelkreuzzentrum

Stadtkirche St. Jakobi in Chemnitz (Foto: Stephan Tischendorf)

Am 5. März 2025 wurde der evangelischen Stadtkirche St. Jakobi in Chemnitz das Nagelkreuz von Coventry übergeben. Der Gottesdienst fand am 80. Jahrestag des ersten großen Luftangriffs auf Chemnitz im Zweiten Weltkrieg statt. Die Übergabe des Nagelkreuzes wurde von John Witcombe (Dekan der Kathedrale von Coventry), Dr. Oliver Schuegraf (Vorsitzender der Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland e. V.) und Sachsens Landesbischof Tobias Bilz begleitet. Der Gottesdienst war Teil des städtischen Gedenkens, aber auch ein deutliches Signal der Vernetzung: Chemnitz ist nun offiziell Teil der internationalen Nagelkreuzgemeinschaft. Gleichzeitig ist Chemnitz 2025 Chemnitz eine der Europäischen Kulturhauptstädte – die Übergabe des Nagelkreuzes ein Blick zurück, nach vorn und in die Gegenwart. Drei Tage später, am 8. März, jährte sich der zweite Angriff – damals flogen über 700 britische Bomber einen weiteren schweren Angriff auf die Stadt. An diesem Gedenktag versammelten sich Mitglieder der Nagelkreuzgemeinschaft zum Regionaltreffen in Chemnitz.

Die evangelische Stadtkirche St. Jakobi – mitten im Chemnitzer Stadtzentrum wurde bei der Bombardierung von Chemnitz am 5. März 1945 schwer zerstört. Später wiederaufgebaut, ist sie heute ein lebendiger Gedenk- und Versöhnungsort. Jeden Freitag um 12 Uhr versammelt sich dort eine ökumenische Gemeinschaft zum Mittagsgebet und spricht das Versöhnungsgebet der Kathedrale von Coventry, darunter Gemeindeglieder ebenso wie Gäste und Touristen.

Jedes Jahr am 5. März begeht Chemnitz den Friedenstag, an dem an die Opfer der Kriegszerstörung von 1945 erinnert wird. Auch die St. Jakobikirche gestaltet diesen Gedenktag mit: Alljährlich findet an diesem Datum ein Friedensgottesdienst statt, der im Zeichen von Frieden und Versöhnung steht. Häufig wirken Kinder und Jugendliche daran mit – so musizieren etwa Chemnitzer Kindergruppen an diesem Tag in der Kirche und lesen Texte zum Thema Versöhnung und Frieden. Die Kirche öffnet sich der Stadtgesellschaft, um die Botschaft der Versöhnung lebendig zu halten.

Ökumenische Initiativgruppe – Versöhnungsarbeit in Chemnitz

Gedenkkreuz für den 05.03.1945 (Foto: Stephan Tischendorf)

Hinter der Aufnahme von Chemnitz in die Nagelkreuzgemeinschaft steht eine engagierte ökumenische Initiativgruppe. Seit knapp vier Jahren – erste Ansätze gab es sogar schon vor rund einem Jahrzehnt – arbeitet diese Gruppe in Chemnitz auf das Ziel hin, ein Nagelkreuzzentrum zu etablieren. Ihr gehören Christ:innen aus der evangelischen, katholischen und neuapostolischen Kirche an. Geleitet und begleitet wird die Initiative von den Gemeinderpfarrer:innen Dorothee Lücke und Stephan Tischendorf.

Die Chemnitzer Initiativgruppe verankert die Versöhnungsarbeit mitten in der Stadtgesellschaft. In den letzten Jahren organisierte sie zahlreiche Veranstaltungen an wechselnden Orten in Chemnitz. Dazu zählten unter anderem eine Podiumsdiskussion zum Thema „Hass im Internet“, eine Lesung mit einer Aktivistin gegen Prostitution, ein Grillabend, bei dem die Gedanken Desmond Tutus zum „vierfachen Versöhnungsweg“ vorgestellt wurden, sowie ein Erzählabend unter dem Motto „Erzähl mir von Versöhnung“. Auch den Nagelkreuzsonntag gestaltete die Gruppe in den letzten Jahren jeweils in unterschiedlichen Kirchen, um die Versöhnungsidee in verschiedene Stadtteile zu tragen.

Darüber hinaus lud die Initiativgruppe zu Gemeindeabenden ein, um gemeinsam über die einzelnen Bitten des Versöhnungsgebets ins Gespräch zu kommen. Nach einer Pilgerfahrt einer Chemnitzer Delegation nach Coventry im Mai 2024 berichteten die Teilnehmenden in einem Gemeindeabend mit über 40 Gästen aus verschiedenen Gemeinden begeistert von ihren Eindrücken. Auch aktuelle Themen greift die Gruppe auf: So organisierte sie im September 2024 einen Begegnungsabend mit syrischen Geflüchteten in Chemnitz und plante für November 2024 eine Gedenkveranstaltung am früheren Kaßberg-Gefängnis, um die lokale Erinnerungskultur mit der Versöhnungsarbeit zu verknüpfen.

Ein Nagelkreuz auf Wanderschaft: die Stele des Chemnitzer Nagelkreuzes

Das Chemnitzer Nagelkreuz soll künftig als Wanderkreuz immer wieder an anderen Stationen in der Stadt gezeigt werden. In St. Jakobi bleibt es sichtbar, auch wenn es gerade an einem anderen Ort ist: Dafür hat die Initiativgruppe eine Stele entwerfen lassen, die das Nagelkreuz als negatives Abbild zeigt: Zwei aufrechtstehende Holzbalken mit charakteristischen Aussparungen erzeugen den Umriss des Kreuzes als Form, die präsent bleibt, auch wenn das Kreuz selbst unterwegs ist.

Nagelkreuz und Stele in St. Jacobi (Foto: Michael Monzer)

Das Holz für die Stele stammt von einem Dresdner Betrieb, der gefällte Bäume aus der Stadtpflege weiterverarbeitet, statt sie zu verheizen. Aus verschiedenen Hölzern mit bekannter Herkunft entstand so die Stele für das Chemnitzer Wandernagelkreuz. Die beiden senkrechten Balken bestehen aus einem Apfelbaum aus der Region Tübingen, als Aufruf zur Versöhnung zwischen Ost und West. Das Holz ist nur grob bearbeitet, zeigt Stockflecken und bleibt in seiner Unvollkommenheit sichtbar.

Am Fuß der Apfelholz-Balken ist der Schriftzug „FATHER FORGIVE“ eingeschnitzt, von einem Mitglied der Chemnitzer Nagelkreuzinitiative, das ursprünglich aus Bayern stammt. Das Nagelkreuz selbst ruht auf einer kleinen abnehmbaren Konsole innerhalb der Stele. Deren Bodenplatte besteht aus einem weiteren Stück Holz einer Platane aus Dresden-Übigau, die dort gefällt werden musste. Die Holzplatte ist fest mit dem Kreuz verbunden und wird mit ihm zusammen durch Chemnitz „wandern“. Dresden ist einer der Orte, an denen die ersten Nagelkreuze in Deutschland übergeben wurden. Dem Gefühl mancher Chemnitzer, „abgehängter“ Landesteil zu sein, will die Stele bewusst etwas entgegensetzen: Ein „Stück Dresden“ bildet nun das Fundament des Chemnitzer Nagelkreuzes. So symbolisiert das Kreuz auch das Zusammenwachsen innerhalb Sachsens.

Nagelkreuz-Regionaltreffen 2025: Austausch in Chemnitz

Drei Tage nach der Nagelkreuzverleihung traf sich in Chemnitz die Region Mitte. 35 Teilnehmende aus fast allen Zentren sowie einige Einzelmitglieder waren zum Kennenlernen und zum Austausch angereist.

Der Tag begann in St. Jakobi mit einer Andacht von Pfarrer Stephan Tischendorf. Anschließend erläuterte Rico Weiß für die Initiativgruppe die Gestaltung des Nagelkreuzstandorts. Daran schloss Pfarrerin Dorothee Lücke eine kurze Kirchenführung an. Bei strahlendem Sonnenschein folgte eine Stadtführung über den Markt bis zum bekannten „Nischel“, dem großen Karl-Marx-Kopf – dem früheren Namensgeber der Stadt. Von dort ging es weiter zur Gedenkstätte Kaßberg-Gefängnis und schließlich zur Kreuzkirche, dem Tagungsort des Regionaltreffens. Dort warteten zur Mittagszeit anstelle einer Suppe arabische Spezialitäten . Das Team eines lokalen Restaurants war vom Versöhnungsanliegen so angetan, dass es diese Köstlichkeiten als kulinarischen Gruß spendiert hatte.

Regionaltreffen Mitte 2025 in Chemnitz (Foto: Tabea Kormeier)

Ein Höhepunkt des Treffens war der Redebeitrag von Landesbischöfin i.R. Ilse Junkermann, Vorsitzender von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste. In ihrem Vortrag „80 Jahre Friedensarbeit – Erfahrungen und Herausforderungen in der heutigen Zeit“ ließ sie die Geschichte der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V. Revue passieren und teilte ihre reichen Erfahrungen aus acht Jahrzehnten Versöhnungsarbeit. (Den Vortrag könnnen Sie demnächst auf www.nagelkreuz.de nachlesen.) In der anschließenden Diskussion wurden die Anregungen noch vertieft.

Am Nachmittag berichteten die Teilnehmenden bei Kaffee und Kuchen aus ihren Heimatorten. So ging es etwa um Initiativen, die den Gedanken der Versöhnung an Schulen in Plauen tragen, oder um Projekte in der Diakonissenanstalt Dresden, die Mitarbeitende für Friedensthemen sensibilisieren. Zur Sprache kamen auch Begegnungen mit Besuchergruppen – beispielsweise aus Wuppertal-Barmen, aus Irland und aus Edinburgh – sowie besondere Auszeichnungen: So wurde etwa das Augustinerkloster Erfurt als „Ort der Demokratie“ gewürdigt. Ebenso diskutierten die Teilnehmenden den Umgang mit der eigenen Geschichte, etwa die Auseinandersetzung mit Martin Luthers Antisemitismus im Kontext der KZ-Gedenkstätte Buchenwald bei Erfurt. Zudem dankte die Regionalversammlung dem kürzlich aus dem Vorstand und Leitungskreis ausgeschiedenen Lothar Schmelz herzlich für sein langjähriges Engagement.

Autor: Niels Faßbender mit Beiträgen von Rico Weiß, Stefan Tischendorf und Tabea Kormeier.

Regionaltreffen Südwest: Pilgerwege und Gemeinschaft in Saarbrücken

Die Teilnehmenden des Regionaltreffen Südwest am Nagelkreuz der Ludwigskirche mit kriegsbeschädigter Apostelfigur Jakobus d. Ä. (Foto: Matthias Engesser)

Eine historische Kirche, ein besonderer Anlass und viele inspirierende Begegnungen – das Regionaltreffen Südwest der Nagelkreuzgemeinschaft führte die Teilnehmer 2025 nach ->Saarbrücken, den westlichsten Punkt der Region. Pfarrer Thomas Bergholz hatte zum 250. Jubiläum der Ludwigskirche eingeladen, und zwölf Mitglieder unserer Gemeinschaft trafen sich am 22. März zu Austausch und Pilgerwanderung. Hier ihr spannender Bericht.

Um zehn Uhr begann der Tag im Café Catherine, das sich in der ehemaligen Fürstengruft der Kirche befindet. Dort gab uns Pfarrer Bergholz einen kurzen Einblick in die Geschichte der Kirche und in die Versöhnungsarbeit der Gemeinde. Diese liegt besonders im interkonfessionellen und zunehmend auch im interreligiösen Dialog. Danach machten wir uns gemeinsam mit zwei Gästen aus Saarbrücken auf den Pilger-Weg durch Alt-Saarbrücken. Die Idee zu diesem Weg war ursprünglich für eine „Nacht der Kirchen“ entstanden.

Austausch im Café Catherine in der Krypta der Ludwigskirche (Foto: Christian Roß)

Unser Weg führte über den Ludwigsplatz, auf dem an diesem Samstag der große Wochenmarkt stattfand. Mit einem großen ökumenischen Osterfeuer beginnt auf diesem Platz traditionell die Osternacht. Nach dem gemeinsamen Beginn ziehen von dort alle Konfessionen zur Osternachtfeier in Prozessionen in ihre Kirchen. Auf der anderen Seite des Platzes steht die Friedenskirche. Sie wurde, genau wie die Ludwigskirche, im Barockstil erbaut. Thomas Bergholz erzählte uns von ihrer bewegten Geschichte. Anfangs war sie eine reformierte Kirche. Später wurde das Gebäude als Schulhaus genutzt. Seit 1890 dient es der Alt-Katholischen Gemeinde als Kirche und Versammlungsraum. Ausgehend von Johannes 14,27: „Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht“ endete der Besuch des Alt-katholischen Gotteshauses mit einer Meditation über Frieden und die Gesichter des Friedens.

Unser Weg führte vorbei am Denkmal für Organspenderinnen und Organspender. Dort hielten wir mit Johannes 15,13 inne: „Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lasse für seine Freunde.“ In Saarbrücken hat dieser Vers eine durchaus belastete Vergangenheit. Zwischen 1918 und 1945 war er als Inschrift am Altar der Ludwigskirche angebracht und diente einem fragwürdigen „Heldengedenken“. Auch die nächste Station gab uns Anlass, über den Umgang mit der Vergangenheit zu diskutieren: Die Aufschrift auf dem Denkmal für die Opfer des Ersten Weltkriegs lässt eher an ein Kriegerdenkmal denken. Uns wurde deutlich, wie schwierig es ist, ein angemessenes Gedenken zu gestalten, und wie herausfordernd der Umgang mit historischen Gedenkorten ist, die Fragen aufwerfen und heutiger Gedenkkultur eher fremd sind.

Direkt gegenüber, auf der anderen Straßenseite, stießen wir auf die katholische Pfarrkirche St. Jakob. Bereits ihr Name weist auf ihre besondere Bedeutung für Pilger hin. Direkt am Jakobsweg gelegen, ist sie „Pilgerkirche am Weg“. Dies wird auch durch die Jakobsmuschel sichtbar, die in der Fassade eingelassen ist. Trotz dieser Funktion – in Saarbrücken scheint manches anders zu sein als andernorts – ist die Kirche meist geschlossen, während die evangelische Ludwigskirche täglich lange geöffnet ist. Ein Zutritt zur Kirche blieb unserer Pilgergruppe daher verwehrt.

Stuckdetail in der Mitte der Ludwigskirche, zugleich Mitte der ehemaligen Barockstadt ( Foto: Christian Roß)

Extra für uns geöffnet wurde hingegen die Immanuel-Kirche der Selbständig Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK), nur wenige hundert Meter entfernt. Dort begrüßte uns Pfarrer Johannes Achenbach gemeinsam mit einigen Konfirmanden. Die kleine Kirche entstand 1902 im neuromanischen Stil. Im Zweiten Weltkrieg wurde sie stark beschädigt, danach in ihrer heutigen Form wiederaufgebaut. Besonders beeindruckten uns die beiden Fenster des Künstlers György Lehoczky aus den Jahren 1953/54. Sie schmücken die Chorapsis und zeigen Mose bei der Übergabe der Gebotstafeln und Jesus bei der Bergpredigt. Pfarrer Achenbach gab uns außerdem Einblicke in die Struktur und Arbeit der SELK.

Nächste Station war das ehemalige Gemeindehaus der Ludwigskirche, vor deren Eingang ein Teil einer der im Krieg beschädigten großen Figuren vom Dach der Ludwigskirche steht. Eine dieser Figuren ist wieder in die Ludwigskirche gebracht worden, wo sie in einer Nische mit dem Nagelkreuz symbolisch für die Zerstörung der Kirche steht. Letzte Station war der alte lutherische Friedhof, der bereits seit 200 Jahren aufgelassen ist und heute als Parkplatz dient. Direkt an einem aufsteigenden Felsen gelegen, findet sich als Erinnerung nur noch eine Plakette, die auch an die letzte Ruhestätte des Architekten der Ludwigskirche erinnert.

Anschließend nahm unsere Gruppe am ökumenischen Mittagsgebet teil. Diese Andacht findet jeden Samstag um 12 Uhr in der Ludwigskirche statt. Gestaltet wird sie von wechselnden Personen. Ein fester Bestandteil ist dabei stets das Versöhnungsgebet von Coventry. Nach dem Gebet folgt wöchentlich eine etwa 15-minütige „Musik zur Marktzeit“. Diese spielte an diesem Samstag der deutsch-dänische Organist Tobias Naumann aus Brönderslev (Dänemark). Im Anschluss daran führte Pfarrer Thomas Bergholz durch die frisch renovierte und eindrucksvoll rekonstruierte Ludwigskirche. Unsere Gruppe nahm gern an dieser kurzen öffentlichen Führung teil.

Altar, Kanzel und Orgel in der frisch sanierten Ludwigskirche (Foto: Christian Roß)

Nach einem gemeinsamen Mittagessen begann der Austausch mit einer kurzen Vorstellungsrunde. Vertreten waren etablierte Zentren wie Pforzheim-Huchenfeld, Stadtkirche Pforzheim, Stadtkirche Darmstadt, der Kirchenkreis Esslingen sowie das gastgebende Zentrum Saarbrücken. Außerdem nahmen neue und interessierte Zentren teil. Pfarrer Jörg Seiter ist bereits Einzelmitglied der Gemeinschaft. Er leitet den Kooperationsraum Blankenloch-Stutensee-Weingarten, der am 26.10. das Nagelkreuz erhalten wird. Alexander Classen vertrat den Kirchenvorstand der Frankfurter Paulsgemeinde. Diese Gemeinde wird am 24.10. offiziell in die Nagelkreuzgemeinschaft aufgenommen. Ihr Nagelkreuz erhält seinen Platz in der Alten Nikolaikirche am Römer. Pfarrer Tim van de Griend, ebenfalls langjähriges Einzelmitglied, stellte seine Gemeinde vor. Er möchte die Evangelisch-Reformierte Französische Gemeinde Frankfurt in die Nagelkreuzgemeinschaft führen. Er berichtete von ihrer spannenden Geschichte sowie der aktuellen diakonischen und international verbindenden Arbeit. Zum Schluss berichtete Christian Roß über die Arbeit in Leitungskreis und Vorstand.

Gegen 17 Uhr endete das inspirierende und gelungene Regionaltreffen. Einige Teilnehmer:innen blieben noch etwas in Saarbrücken und nutzten die Gelegenheit, die Stadt näher zu erkunden. Das nächste Regionaltreffen Südwest soll 2026 in Darmstadt stattfinden. Dann feiert die Stadtkirche ihr 50-jähriges Nagelkreuzjubiläum und lädt aus diesem besonderen Anlass herzlich ein.

Autor: Christian Roß

Versöhnung braucht Erinnerung: Regionaltreffen Nord in Demmin

Garten der Erinnerung in Demmin (Foto: Robert Fingerloos)

Am 22. März 2025 traf sich die Region Nord in Demmin. Eingeladen hatte die Evangelische Kirchengemeinde. Im Mittelpunkt der Begegnung stand das Thema „Frieden und Versöhnung“ – in einer Stadt, die selbst auf erschütternde Weise mit den Folgen von Krieg und Gewalt verbunden ist. Gemeinsam mit Gästen aus den Nagelkreuzzentren der Insel Hiddensee, Rostock, Stralsund, Kiel und Hamburg wurde an Demmins schwierige Geschichte erinnert – und über aktuelle Versöhnungsarbeit gesprochen.

Zum Auftakt wurde im Sexagon des Elsa-Brändström-Hauses der Film „Eine Stadt bricht ihr Schweigen“ (1995) der Fernsehjournalistin Ingelis Gnutzmann gezeigt. Der Film dokumentiert die langjährige Sprachlosigkeit in Demmin über die Geschehnisse der letzten Kriegstage und lässt erstmals Zeitzeugen zu Wort kommen, die über den Massensuizid von mehreren Hundert Menschen im Mai 1945 berichten. Auslöser waren damals unter anderem die Angst vor Racheakten der heranrückenden sowjetischen Truppen sowie das verbreitete Gefühl von Ausweglosigkeit nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes.

Regionaltreffen in Demmin (Foto: Robert Fingerloos)

Im anschließenden Gespräch tauschten die Teilnehmer ihre Eindrücke zum Film und ihre Gedanken zu den Ereignissen im April und Mai 1945 aus. In dieser Zeit kam es in Demmin zum größten Massensuizid in der Endphase des Zweiten Weltkriegs. Vor dem Einmarsch der Roten Armee zerstörten deutsche Truppen die Brücken über die Peene. In der Folge brach Panik unter der Zivilbevölkerung aus, die von Gerüchten und Erinnerungen an frühere Gräueltaten geprägt war. Hunderte Menschen – darunter ganze Familien – nahmen sich das Leben, meist durch Ertrinken oder Gift.

Stadtführung mit Kathrin Werner (Foto: Robert Fingerloos)

Nach einer gemeinsamen Mahlzeit mit selbstgekochten Suppen führte Frau Dr. Kathrin Werner, Historikerin und Geschichtslehrerin am Gymnasium in Demmin, die Gäste sowie interessierte Demminer:innen durch die Stadt. Auch hier stand die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Kriegsendes im Mittelpunkt. Eine Station war der „Garten der Erinnerung“ nahe des Hanseviertels. Die schlichte Gedenkstätte wurde auf Initiative von Bürgerinnen und Bürgern geschaffen und erinnert an die Toten vom Frühjahr 1945. Sie ist ein Ort des stillen Gedenkens und der Mahnung.

Beim anschließenden Kaffeetrinken im Gemeindehaus berichtete Arne Bölt aus Rostock, Ansprechpartner der Region Nord, über aktuelle Versöhnungsprojekte. Er wird am 6. Mai im Rahmen der Veranstaltungsreihe *Demmin ist mehr* erneut in Demmin zu Gast sein. Den Abschluss des Tages bildete ein Friedensgebet, das von Pastorin Frau Voll in der Taufkapelle der St. Bartholomaeikirche geleitet wurde.

Autor: Robert Fingerloos

Drei Tage in Dresden – Auf den Spuren der Versöhnung

Die Wuppertaler Delegation (v. l. n. r.): Bruno Hensel, Susanne Kapp, Carin Hell, Sigrid Runkel, Pfarrer Frank Schulte. Foto: Frank Schulte

Im Februar 2025 reisten fünf Mitglieder unseres Nagelkreuzzentrums Gemarker Kirche in Wuppertal nach Dresden, um am Gedenken zum 80. Jahrestag des Luftangriffs auf das Elbflorenz teilzunehmen. Die Verbindung zwischen der Gemarker Kirche und den Dresdener Christen ist tief verwurzelt: Hugo Hahn, der 1934 Pfarrer an der Frauenkirche war, hielt die Eröffnungspredigt bei der Barmer Synode in Barmen. Hier der Bericht der Wuppertaler Delegation:

Drei Tage Dresden und fünf Nagelkreuzzentren – eine sportliche Herausforderung, die wir uns vorgenommen haben. Zum 80. Jahrestag des Bombardements von Dresden am 13. Februar 1945 sind wir auf den Spuren von Versöhnung, Verständigung und Wiederanfang nach den Kriegserfahrungen, die nur scheinbar lange zurückliegen. Direkt nach unserer Ankunft sind wir zu Gast in der Ev.-Luth. Diakonissenanstalt Dresden. Diese Diakonissenanstalt in der Äußeren Neustadt, zwischen Bautzner Straße und Holzhofgasse, gehört zu den ältesten ihrer Art in Deutschland und wurde 1965 als in die Nagelkreuzgemeinschaft aufgenommen. Hier erfahren wir von der englischen Wiederaufbauhilfe, von spürbarer, praktischer Versöhnungsarbeit, und von der Unterstützung in Rumänien. An allen Stationen des Krankenhauses sind Nagelkreuze zu sehen, die die Versöhnungsarbeit aus diakonischer Perspektive verdeutlichen. Wir genießen die Gastfreundschaft der Mitarbeiter und haben anregende Gespräche über die Zukunft der Nagelkreuzarbeit.

Am nächsten Morgen, dem Erinnerungstag, sind wir in die Frauenkirche eingeladen. Prince Edwad, Duke of Kent und Mitglied des britischen Königshauses, ist ebenfalls zu Gast. Von Pfarrerin Behnke erfahren wir mehr über die Versöhnungsarbeit an der Frauenkirche, einem besonderen Ort mit einem besonderen Auftrag. Rechtzeitig zur Gedenkveranstaltung kehren wir zurück, um im dichten Schneetreiben daran erinnert zu werden, dass „Zukunft durch Erinnern“ nur möglich ist, wenn wir die Vergangenheit anerkennen. Nachdenklich und auch ein wenig begeistert reihen wir uns in die Menschenkette zum Schutz von Frieden und Demokratie ein. Hand in Hand mit vielen anderen Menschen stehen wir hier – Versöhnung ist praktisch, menschlich und ein gemeinsames Handeln. Dies ist eindrucksvoll spürbar im Schnee, vor der schönen Kulisse der Frauenkirche und der dunklen Vergangenheit.

Kurz vor 22:00 Uhr läuten alle Glocken der Frauenkirche. Der Schnee fällt weiter, und in der Kirche nehmen wir an der „Nacht der Stimmen“ teil. Bürger der Stadt, Gäste, Chor und Orgel erinnern an die schreckliche Nacht vor 80 Jahren und die Dunkelheit, die das alles erst möglich gemacht hat. Die Zerstörung Dresdens – eine Radierung von Churchill nach einer Vorlage Hitlers. Der Satz trifft und wird zu einem kraftvollen Ausdruck für vieles, das das Unsagbare in Worte fasst. Victor Klemperer, Durs Grünbein, John Witcombe, der Dean von Coventry, Orgel und Chor – Stimmen aus Vergangenheit und Gegenwart. Erinnerungen vermischen sich, die Lebenden erinnern sich an die Toten und die Toten erinnern uns an das Leben. Lichter brennen, es schneit. Versöhnung hat eine eigene, schwere Schönheit.

Am Morgen danach besuchen wir die Kreuzkirche, den Ausgangspunkt der Proteste in Dresden in den 1980er Jahren. Lichtermärsche zur Ruine der Frauenkirche damals und die Nagelkreuzandacht heute gehören zusammen. Versöhnung ist politisch, sie verändert und kreist um die schweren Themen des Lebens – Krieg in der Ukraine, Israel und Palästina.

Leider können wir den Denkraum der Sophienkirche wegen des Wetters nur von außen betrachten. Diese Gedenkstätte soll nicht nur an die 1945 zerstörte Sophienkirche erinnern, sondern auch an die Opfer der Bombardierung Dresdens am 13. Februar 1945 und an den Widerstand der evangelischen Bevölkerung Dresdens „in der Zeit zweier Diktaturen von 1933 bis 1989“. Ein sehr schöner Ort, an dem Nagelkreuz-Versöhnungsarbeit sichtbar wird. Besonders die Kunstwerke, darunter Triptychen von Otto Dix und Hans Grundig über Krieg und Nazizeit, bleiben eindrücklich. Vielleicht hilft die Ästhetik, sich dem Grauen zu stellen.

Zum Abschluss unseres Besuchs erreichen wir Nr. 5 – Maria am Wasser. Eine evangelisch-lutherische Kirche im Dresdner Stadtteil Hosterwitz, die durch die persönliche Beziehung einer Pfarrerin zu Coventry das Nagelkreuz und die Versöhnungsarbeit nach Dresden holte. Hier entsteht und entwickelt sich eine Partnerschaftsarbeit mit Polen und England sowie das Engagement für taubblinde Menschen.

Fünf Nagelkreuze haben wir besucht, fünf Zentren – und doch noch viel mehr Menschen, die auf der Spur von Versöhnung und Verständigung sind. Warum fünf in Dresden? Vielleicht, weil die ausgestreckte Hand der Versöhnung fünf Finger hat.

Autor: Frank Schulte

PeaceNight – Friedensmomente in Öhringen

Der YouC-Chor gestaltete zusammen mit der Band den Abend musikalisch. (Foto: Milena Sargsyan/Dorothea Färber)

Der Altar lud zum Gebet für Frieden ein. (Foto: Milena Sargsyan/Dorothea Färber)

Am 15. Februar 2025 lud das Evangelische Jugendwerk Öhringen zur PeaceNight ins Evangelische Rosenberggemeindehaus ein – ein Abend voller Musik, bewegender Geschichten und hoffnungsvoller Gebete unter dem Motto „Peace starts here“.

Der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt, als die Band June aus Waldenburg loslegte. Ihre energiegeladenen Klänge rissen das Publikum mit, darunter auch viele Pfarrer:innen und ihre Konfirmand:innen, die sich von den Songs tragen ließen.

Herkunftsorte der Teilnehmenden auf einer Weltkarte (Foto: Milena Sargsyan/Dorothea Färber)

Ein besonders ergreifender Moment war die Erzählung von Nemat, der aus Afghanistan geflohen ist. Seine Geschichte fesselte die Zuhörenden – voller Schmerz, aber auch voller Dankbarkeit für die Menschen, die ihm geholfen haben. Dabei wurde eines ganz deutlich: Frieden ist keine Selbstverständlichkeit, sondern ein Geschenk, das wir aktiv schützen und bewahren müssen.

Nach dieser tief berührenden Erzählung folgte ein Moment der Stille:

An verschiedenen Gebetsstationen hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, für Afghanistan, für die Welt und für persönliche Anliegen zu beten – ein Augenblick der Besinnung und Hoffnung.

Angeregte Gespräche bei der Peacenight (Foto: Milena Sargsyan/Dorothea Färber)

Dann wurde es wieder musikalisch: Der Projektchor YOU/C unter der Leitung von Johanna Machado sorgte mit seinen einstudierten Songs für echte Gänsehautmomente. Danach wartete eine kulinarische Überraschung – leckeres afghanisches Essen, das in gemeinsamer Runde genossen wurde.

Den Abschluss bildeten weitere musikalische Beiträge, bevor es ein herzliches Dankeschön an alle Beteiligten gab, die diese PeaceNight zu einem unvergesslichen Abend voller Friedensmomente gemacht haben.

Autorin: Dorothea Färber