Alle übergeordneten Beiträge zur Nagelkreuzgemeinschaft unabhängig der Länder und Regionen

„Darf ich das mitnehmen?“ – Wenn ein Kreuz einen Ort verändert und Menschen bewegt

Schulleiter Dr. Günter Beck-Mathieu darf „sein“ Nagelkreuz mitnehmen. Foto: Christian Herpich

Am Evangelischen Dag-Hammarskjöld-Gymnasium in Würzburg ging jetzt eine Ära zu ]Ende: Schulleiter Dr. Günter Beck-Mathieu wurde in den Ruhestand verabschiedet. Ein Jahr lang war an seiner Schule das [Würzburger Wandernagelkreuz<-Link] zusammen mit der Versöhnungsstatue zu Gast. In der Würdigung von Antje Biller zeigt sich, was dieses Zeichen der Versöhnung bewirkt: Es verändert einen Ort, prägt die Gemeinschaft und hinterlässt Spuren bei den Menschen – weit über das Jahr hinaus.

Mitten im damaligen Schuljahr, am 16. März 2023, nahm Oberstudiendirektor Dr. Günter Beck-Mathieu das Nagelkreuz und die Versöhnungsstatue für das Evangelische Dag-Hammarskjöld-Gymnasium in Empfang, das für ein Jahr Gastort der Würzburger Versöhnungszeichen sein würde.

Ein Kreuzweg in der sechsten Jahrgangsstufe, die Kathedrale von Coventry als Beispiel für moderne Kirchenarchitektur in der siebten Jahrgangsstufe, ein von den fünften Klassen vorbereitetes Freitagsgebet, aktuelle Adaptionen im Kunstunterricht der Oberstufe, ein spiritueller Tag für das Kollegium unter dem Motto „Versöhnung mit mir selbst“, das am Gedenktag der Bombardierung Coventrys von der ganzen Schule gebetete Versöhnungsgebet – und viele andere von „unserem Nagelkreuz“ inspirierte Aktionen fanden statt.

Als Schulleiter hatte Dr. Beck-Mathieu von der Würzburger Initiative an jenem Tag auch ein kleines Hufnagelkreuz überreicht bekommen, das seither seinen Platz auf dem imposanten Schreibtisch im Rektorat hatte. Zum Ende dieses Schuljahres nun wurde Dr. Beck-Mathieu in den Ruhestand verabschiedet. Das kleine Nagelkreuz wollte er gerne mitnehmen. Dieses Kreuz und die damit verbundenen Gedanken waren über das Jahr als Gastort hinaus zu wichtigen Begleitern geworden. Sie bringen prägnant auf den Punkt, wofür das Evangelische Gymnasium und sein scheidender Schulleiter stehen.

Im März 2023 wanderte das Würzburger Nagelkreuz ans Ev. Dag-Hammarskjöld-Gymnasium. Foto: Bärbel Thiele

Mit professioneller Schulsozialarbeit und Schulseelsorge wird seit jeher daran gearbeitet, Wunden der Geschichte zu heilen, die etliche schon der jüngsten Schüler:innen mitbringen. Auch Unterschiede gelten zu lassen und Vielfalt zu feiern gehört gewissermaßen zur Grundhaltung der Schule. Wie im Rest der Gesellschaft lebt am Dag-Hammarskjöld-Gymnasium eine Vielfalt der Traditionen, der Sprachen, der Religionen, der Stile. Zu feiern ist die Vielfalt an Ideen im Kollegium und in den Klassen, die Vielfalt an Meinungen in einer offenen Diskussionskultur, die Vielfalt an Talenten, die mit einem möglichst breiten Angebot gefördert wird.

In einer Kultur des Friedens und der Gerechtigkeit gelingt so etwas. Und diese beginnt mit der Art und Weise, wie ein Rektor seinen Schüler:innen begegnet, wie ein Vorgesetzter mit seinen Lehrkräften kommuniziert. Das prägt den Umgangston an einer Schule. Klar in der Sache, bedacht im Ausdruck, moderat im Ton, zurückhaltend in der Lautstärke – so ließen sich die Bausteine einer friedlichen, nach Gerechtigkeit suchenden Kultur beschreiben.

Das Nagelkreuz passt bestens zu Dr. Beck-Mathieu, und so bekam er das erbetene Schreibtischkreuz in der von Schüler:innen und Lehrkräften mit Musik, Geschenken und vielen Gute-Wünsche-Zetteln gestalteten Überraschungs-Abschiedsfeier in der Aula überreicht: „Ja, das dürfen Sie mitnehmen!“

Nach den Sommerferien wird ein neues Kreuz auf dem Schreibtisch im Rektorat stehen und auf eine neue Schulleitung warten, die sich hoffentlich genauso inspirieren lassen wird. Herrn Dr. Beck-Mathieu alles erdenklich Gute für den nächsten Abschnitt und für einen ereignisreichen, erfüllenden Ruhestand!

Autorin: Antje Biller

 

Nagelkreuzsonntag 2025: „Schöpfer vergib“ – Liturgie aus Kanada

Am 29. September 2025 feiern Gemeinden weltweit den Internationalen Nagelkreuzsonntag. Die diesjährige Liturgie kommt aus Kanada und wurde von der Anglikanischen Kirche von Kanada vorbereitet. Alle Materialien – inklusive vollständiger Liturgie, Liedvorschläge und Hintergrundinformationen – stehen ab sofort zum Download bereit.

[Link zum Download]

Lizenz CC0 (gemeinfei, https://pxhere.com/en/photo/1359147)

Der Gottesdienst setzt gleich zu Beginn ein klares Zeichen: Er startet mit dem Versöhnungsgebet von Coventry – in einer kanadischen Fassung, in der statt „Vater, vergib“ die Worte „Schöpfer, vergib“ stehen. Diese Formulierung ist kein Zufall: Sie knüpft an die spirituelle Sprache indigener Christ\:innen an und macht deutlich, dass Versöhnung nicht nur zwischen Menschen, sondern auch mit der Schöpfung selbst geschieht.

Ein wichtiges Element ist die sog. „Landanerkennung“, die bewusst macht, auf welchem Boden die Bewohner Kanadas stehen und welche Geschichte er trägt. Die Liturgie gibt den Stimmen der „First Nations“, Inuit und Métis, Raum – in Lesungen, Gebeten und Liedern. Sie erinnert an das schwere Unrecht der „Residential Schools“, in denen Kinder von ihren Familien getrennt und ihrer Sprache und Kultur beraubt wurden. Gleichzeitig lädt sie dazu ein, Schritte der Heilung, Gerechtigkeit und Hoffnung zu gehen. Biblische Texte werden mit Symbolhandlungen, Gebeten und Liedern verbunden, die vom Weg aus Schuld und Schmerz hin zu einem neuen Miteinander erzählen. Liedvorschläge wie „Draw the Circle Wide“ oder „Let Us Build a House“ greifen das Thema Gemeinschaft, Offenheit und Versöhnung auf.

Der Gottesdienst endet mit dem Segen – doch „Schöpfer, vergib“ bleibt. Es ist die Stimme einer verletzten Welt: in Coventry unter den Bomben, in kanadischen Dörfern, deren Geschichte von Gewalt und Verlust gezeichnet ist, und überall dort, wo Menschen einander das Leben schwer machen. Dieses Gebet trägt die Erinnerung an das Leid – und die Sehnsucht, dass Gerechtigkeit und Frieden einander begegnen.

Autor: Nagelkreuzgemeinschaft. Das komplette Vorbereitungsmaterial mit Liturgie, Liedvorschlägen und Hintergrundinformationen steht hier zum Download bereit.

 

Regionaltreffen West: Ein Tag für Versöhnung und Erinnerung

Schattiger Sitzplatz auf den Spuren der Geschichte. Foto: Sigrun Stahr

Wie bringt man Menschen zusammen, die aus verschiedenen Regionen und konfessionellen Prägungen stammen – und doch dasselbe Ziel teilen? Das Regionaltreffen West am 14. Juni 2025 in Lemgo zeigte, wie das gelingen kann: mit offenen Gesprächen, historischem Bewusstsein und geistlicher Tiefe. Gastgeberin war die evangelische Kirchengemeinde St. Nicolai in Lemgo, selbst seit 1989 Nagelkreuzzentrum. Von Andacht bis Austausch war dieser Tag geprägt von Begegnung – mit Menschen, mit Geschichte und mit dem Geist der Versöhnung.

Eingeladen hatte die evangelische Kirchengemeinde St. Nicolai. In Lemgo begrüßte Sigrun Stahr, Mitglied des Kirchenvorstands von St. Nicolai, die Gäste aus mehreren Nagelkreuzzentren der Region West. Vertreter*innen aus Löhne-Mahnen, Wuppertal-Barmen und Lüdenscheid-Plettenberg waren angereist, um gemeinsam ins Gespräch zu kommen. Bereits bei der ersten Tasse Kaffee entspannten sich lebhafte Gespräche.

Bemerkenswert: An diesem Tisch kamen Christinnen und Christen aus drei verschiedenen evangelischen Landeskirchen zusammen – der rheinischen, der westfälischen und (als Gastgeber) der lippischen Landeskirche. Insbesondere in Lippe spielt die konfessionelle Prägung eine Rolle: Hier gibt es sowohl lutherische als auch reformierte Gemeinden; ein einheitliches „einfach evangelisch“ kennt man dort nicht.

Dennoch wurde schnell deutlich, wie viel die Nagelkreuz-Zentren trotz unterschiedlicher Traditionen verbindet. Alle eint der Einsatz für Frieden und Versöhnung über konfessionelle Grenzen hinweg. So geschieht in Lemgo vieles ökumenisch mit der katholischen Nachbargemeinde – beispielsweise ein Sozialer Mittagstisch für Bedürftige sowie eine gemeinsam von Kirche und Stadt getragene Flüchtlingshilfe. Dieses Miteinander ist Ausdruck gelebter Nächstenliebe und praktischer Versöhnungsarbeit vor Ort.

St. Nikolai in Lemgo. Foto: Sigrun Stahr

Geschichte, Gedenken und Gespräch

Pfarrer i. R. Heinz Wöltjen führte die Gruppe durch die imposante St.-Nicolai-Kirche, deren Mauern auf eine über 800-jährige Geschichte zurückblicken. Die gotische Hallenkirche am Marktplatz, um 1190 gegründet und bis 1375 erweitert, birgt zahlreiche Schätze aus Vergangenheit und Gegenwart. In einer Gebetsecke entdeckten die Gäste ein kostbares Marien-Relief aus dem Jahr 1260. An der Taufanlage sind steinerne Schrifttafeln angebracht, die die Bedeutung der Taufe erläutern und an die Reformationszeit erinnern. Pfarrer Wöltjen spannte den Bogen der Erzählungen von den mittelalterlichen Anfängen der Kirche über die Reformation bis hin zur Nagelkreuz-Gegenwart. Seit 1989 hängt an einer Säule vor der Orgel ein originales Nagelkreuz aus Coventry, das der damalige Pfarrer Helmut Begemann mitgebracht hatte. Darunter ist das Versöhnungsgebet von Coventry abgedruckt.

Zur Mittagsandacht um 12 Uhr kamen zusätzliche Besucher aus der Stadt in die Nicolaikirche. Dank der zentralen Lage unmittelbar neben dem Wochenmarkt werden hier jeden Samstag die Marktkunden durch Glockengeläut und ein Glockenspiel zu einem Moment der Besinnung eingeladen.

Nach einem Mittagsimbiss im Gemeindehaus brach die Gruppe zu einem besonderen Stadtrundgang auf. Superintendent Dr. Andreas Lange, selbst in Lemgo zuhause, ist seit langem der Geschichte der jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger der Stadt während der NS-Zeit auf der Spur. Er nahm die Teilnehmenden mit auf die historischen Spuren der Lemgoer Familie Gumpel, die einst ein großes Wäschegeschäft in Lemgo betrieben hatte. Anhand konkreter Orte schilderte Dr. Lange eindrücklich das Schicksal dieser Familie. Die drei Söhne der Gumpels konnten Lemgo noch rechtzeitig verlassen und entkamen so der Verfolgung durch die Nationalsozialisten.

Mitglieder der Region West. Foto: Andreas Lange

Der Vater der Familie starb wenige Jahre darauf eines natürlichen Todes; Mutter Rosalie Gumpel hingegen wurde deportiert – sie musste 1942 den Transport ins Ghetto Riga antreten und überlebte nicht. Die Gruppe machte Halt an der Stelle, wo einst die Lemgoer Synagoge stand. Das Gotteshaus war in der Pogromnacht im November 1938 in Brand gesteckt und zerstört worden. In der sommerlichen Hitze fanden die Besucher hier auf der niedrigen Außenmauer des Synagogengrundstücks einen schattigen Sitzplatz – ausgerechnet auf den letzten Überresten eines Ortes, der von Hass und Gewalt zeugt.

Austausch über Nagelkreuze und Gebetszeiten

Zurück im Gemeindehaus wurden die Teilnehmenden mit selbstgebackenem Kuchen empfangen – und nutzten die Gelegenheit für lebendigen Austausch. Besonderes Interesse galt den sogenannten „Wander-Nagelkreuzen“: Einige Zentren haben ein Nagelkreuz, das nicht an einem festen Standort steht, sondern auf Reisen geschickt wird. Dieses Wander-Nagelkreuz kann zeitweise zum Beispiel in Schulen, anderen Kirchen oder öffentlichen Einrichtungen aufgestellt werden, um den Versöhnungsgedanken bewusst in die Gesellschaft hineinzutragen. Ein solches Kreuz gibt es u. a. in Würzburg, Lüdenscheid-Plettenberg und Chemnitz.

Ein weiteres Thema war das regelmäßige Friedensgebet der Nagelkreuzgemeinschaft. Traditionell wird die Versöhnungslitanei von Coventry weltweit jeden Freitag um 12 Uhr britischer Zeit gebetet – zeitgleich mit dem Gebet in den Ruinen der alten Kathedrale von Coventry. Doch wie lassen sich möglichst viele Menschen für dieses Friedensritual erreichen? Die Runde diskutierte, ob man an kleineren Orten auch flexibel andere Zeiten wählen könne, um mehr Teilnehmende zu gewinnen. In Lemgo zum Beispiel ist das Gebet

Jüdische Geschichte in Lemgo. Foto: Sigrun Stahr

ein fester Bestandteil der Taizé-Andachten. Andere Nagelkreuzzentren integrieren das Versöhnungsgebet in bestehende Gottesdienstformen oder Andachten, je nach lokalen Gegebenheiten.

„Wir haben keine festen Regeln, nur eine gemeinsame Hoffnung, ein gemeinsames Ziel: die Versöhnung“, brachte Britta Däumer vom Nagelkreuzzentrum Lüdenscheid-Plettenberg und Mitglied des Leitungskreises es auf den Punkt. Jeder Ort geht seinen eigenen Weg – doch alle eint das Ziel: im Geist Jesu Christi an einer versöhnten Welt mitzubauen.

Zum nächsten Regionaltreffen West hat das Nagelkreuzzentrum Lüdenscheid-Plettenberg für 2026 eingeladen. Einzelheiten werden rechtzeitig bekannt gegeben.

Autorinnen: Sigrun Stahl, Nagelkreuzgemeinschaft

 

Unterwegs in Richtung Versöhnung – Pilgerfahrt nach Coventry

Die Teilnehmer:innen der Pilgerfahrt noch Coventry. Foto: Nagelkreuzgemeinschaft

Vom 27. bis 30. Mai 2025 fand die diesjährige Frühjahrs-Pilgerfahrt zur Kathedrale von Coventry statt – mit Teilnehmer:innen aus der Kirchengemeinde Stade, den Stadtkirchengemeinden Kassel und Hanau, der [Link->Stadtkirche Darmstadt] und der [Link->Stadtkirche Pforzheim] sowie aus Gemeinden in Brisbane (Australien), Los Angeles, Bristol und von der Organisation „Embrace the Middle East“. Leitungskreismitglied Christian Roß berichtet von einer intensiven Reise mit geistlichen Impulsen, Gesprächen über Versöhnung und vielen Begegnungen an einem Ort, der für unsere Gemeinschaft eine besondere Bedeutung hat.

Unsere Reisegruppe aus der Region Südwest ist bereits am Montagnachmittag in Coventry angekommen, und wir haben beim Abendessen erste Kontakte mit einer Pfarrerin aus Australien geknüpft. Den etwas verregneten Dienstag nutzten wir zu einem Besuch in Coventrys Transportmuseum, das die Geschichte Coventrys als Mobilitätszentrum erzählt und Einblicke in die Produktion von Fahrrädern und Autos gibt. Natürlich sind auch die Zerstörung und der Wiederaufbau der Stadt ein wichtiges Thema innerhalb des Museums – das hat uns auf die Tage in der Kathedrale eingestimmt.

Am Dienstagabend startete die Pilgrimage mit der Begrüßung, einem gemeinsamen Abendessen und einer Komplet. Im Laufe der kommenden Tage gab es ein dichtes und inspirierendes Programm. Es begann jeweils früh morgens um 8.30 Uhr mit dem Morgengebet und der Abendmahlsfeier.

Am Mittwoch erhielten wir eine Führung durch die Ruine der alten Kathedrale und durch die neue Kathedrale – in einer deutschsprachigen und einer englischsprachigen Gruppe. Wir lernten die besondere Architektur des Ensembles auf dem Kathedralhügel kennen und erfuhren viel über die Geschichte des Ortes, seine Kunstwerke und die ihnen innewohnende Geschichte von Tod und Auferstehung, von Zerstörung, Versöhnung und Wiederaufbau.

Dean John ging in seinem Vortrag zunächst auf die Versöhnungsarbeit an der Kathedrale ein, erläuterte ihre Grundsätze, Werte und Haltungen und stellte einige konkrete Versöhnungsprojekte und Initiativen der Kathedrale vor.

Es war beeindruckend zu sehen, wie die Kathedrale ausgehend von ihrer Geschichte von Zerstörung und Wiederaufbau ihre tägliche Arbeit lebt. Es wurde deutlich, welch transformative Kraft und kreative Energie aus der Ausrichtung auf diese Geschichte erwächst. Inspirierend war auch, mit welcher inneren Haltung alle Mitarbeiter:innen an der Kathedrale sich der Arbeit widmen. Deutlich spürbar war für uns alle der erste Grundsatz „Hospitality – Gastfreundschaft“, der alle Aktivitäten der Kathedrale als wichtigster Wert prägt – dicht gefolgt von Spiritualität und Gebet.

Auf die Vorstellung der Arbeit der Kathedrale folgte ein Gespräch über die biblischen Grundlagen der Versöhnungsarbeit und darüber, was Versöhnung eigentlich bedeutet. Es entspann sich auch eine Diskussion darüber, ob wir in der Nagelkreuzgemeinschaft eigentlich Pazifisten sein sollten oder uns als Friedensstifter betrachten. Dean John erklärte seine Haltung dazu: Friedensstifter zu sein, aber kein Pazifist – wie er es schon in seiner bemerkenswerten Predigt nach der Reise nach Odessa ausgeführt hatte. Auch diese Haltung begründete er aus der Geschichte und der Erfahrung der Kathedrale heraus.

Inhaltliche Arbeit an Versöhnungsthemen. Foto: Nagelkreuzgemeinschaft

Schließlich war nachmittags Platz für die Vorstellung der anwesenden Gemeinden und Werke, bevor der Tag mit einer gemeinsam gesungenen Komplet in deutscher Sprache nach lutherischer Tradition in der Kapelle „Christ the Servant“ endete.

Ein besonderer Dank sei schon hier den beiden Interns Constanze und Alwine ausgesprochen, die alles kompetent ins Deutsche bzw. Englische übersetzt haben, sodass auch Menschen, die im Englischen nicht so fit sind, gut folgen konnten.

Der Donnerstagmorgen war dem Schulnetzwerk ICONS gewidmet, und Alwine gab uns Einblicke in die Arbeit und die Programme, die Schulen im Versöhnungsnetzwerk zur Verfügung gestellt werden. Außerdem erfuhren wir Näheres zur Struktur, Organisation und Arbeit der weltweiten Nagelkreuzgemeinschaft von der Koordinatorin Alice Farnhill.

Mittags besuchten wir gemeinsam den Festgottesdienst zum Himmelfahrtstag in der Kathedrale.

Der Nachmittag war einem Pilgerweg über den Hilltop gewidmet, auf dem wir über Fragen von Krieg und Frieden und unsere Arbeit der Versöhnung anhand verschiedener Stationen meditiert haben. Wir besuchten gemeinsam mit dem Canon für Worship und Welcome, Nitano Muller, die Überreste der mittelalterlichen Abtei, die Trinitatiskirche, die Ruine der alten Kathedrale und endeten wiederum in der neuen Kathedrale.

Am Abend hatten wir dann noch die Gelegenheit, bei einer Probe der Glöckner im Turm der alten Kathedrale zuzuschauen. Das war etwas ganz Besonderes, denn die neun Glocken werden von Hand geläutet – und das auf eine sehr spezielle Art, die nur in England gepflegt wird. Eine Gruppe aus sieben Personen – vom Jugendalter bis ins Rentenalter – probte verschiedene Melodien und Läuteschemata. Ein besonderes Erlebnis!

Der Abschluss am Freitag war konkreten Fallstudien in der Versöhnungsarbeit gewidmet und wurde von David Porter geleitet, der lange Zeit Canon of Reconciliation in Coventry war. Auf beeindruckende Weise haben wir hier Versöhnungsarbeit im Kleinen wie im Großen besprochen: „Act local, think global“ – das war eine wichtige Erkenntnis dieses Vormittags. Mit einem gemeinsamen Mittagessen und der Verabschiedung endete eine intensive und inspirierende Zeit an der Kathedrale.

Neben dem umfangreichen Programm der Pilgrimage war natürlich auch der Austausch unter den Teilnehmer:innen in den Pausen, beim gemeinsamen Essen oder abends im Pub ein wertvoller Teil der Woche in Coventry!

Unsere Südwest-Reisegruppe ist erst am Samstag zurückgeflogen, sodass wir am Freitag noch Zeit für den Besuch der Herbert Art Gallery hatten und am Samstagvormittag noch das große Event mit vielen historischen Oldtimern in der Stadt erleben konnten. Hier wurden bei bestem Wetter auf allen Plätzen der Innenstadt und sogar innerhalb der Ruinen der Kathedrale private Oldtimer ausgestellt. Auch das versteht die Kathedrale unter Gastfreundschaft!

Ein Interview mit Teilnehmer Ingo Mörl lesen sie hier. Die nächste Pilgrimage findet vom 12. bis 15. November 2025 statt. Für Bewerber um ein Nagelkreuz ist die Teilnahme obligatorisch.

Autor: Christian Roß

 

Feierliche Einführung von Kate Massey als Canon for Arts and Reconciliation in Coventry

Am 15.06. wurde Kate Massey von Bischöfin Sophie als neue Canon for Arts and Reconciliation in Coventry eingeführt. Foto: Frank Herzog

Ein besonderer Tag für Coventry – und ein bewegender Moment für die internationale Nagelkreuzgemeinschaft: Am Sonntag, dem 15. Juni 2025, wurde Kate Massey im Rahmen eines festlichen Choral Evensong in ihr neues Amt als Canon for Arts and Reconciliation an der Kathedrale von Coventry eingeführt. Die lichtdurchflutete Kirche, selbst ein Symbol für Hoffnung, Wandel und Neuanfang, bot den würdigen Rahmen für diese Einführung. Menschen aus Kathedrale, Stadt und Nagelkreuzgemeinschaft waren gekommen, um mitzufeiern. In der feierlichen Atmosphäre war die Geschichte des Ortes spürbar – ebenso wie das Vertrauen, das Kate für ihre neue Aufgabe entgegengebracht wird.

Von der Ärztin zur Versöhnerin – Kate Masseys Weg

Kate Massey bringt einen Lebensweg mit, der Brüche kennt – und gerade dadurch eine besondere Tiefe entfaltet. Ursprünglich arbeitete sie als Ärztin in der Psychiatrie, bevor sie ihre geistliche Berufung in der Kirche fand. 2011 wurde sie in der Kathedrale von Coventry zur Priesterin geweiht. Zuvor war sie im National Health Service (NHS) tätig. Seit 2015 war sie Pfarrerin (Vicar) in Stockingford im Norden der Diözese Coventry. Die Verbindung zur Kathedrale blieb dabei stets lebendig: 2022 wurde sie zur Ehrendomkapitularin (Honorary Canon) ernannt – eine Auszeichnung für ihre Nähe zur Kathedrale und ihr Engagement für deren Versöhnungsarbeit.

Ein zentrales Anliegen ihres Wirkens ist die Stärkung von Frauen in der Kirche. Über siebeneinhalb Jahre gestaltete sie als Dean of Women’s Ministry die Förderung von Frauen im kirchlichen Dienst in der Diözese Coventry mit. Seit 2019 ist sie außerdem Vorsitzende der National Association of Diocesan Advisers in Women’s Ministry (NADAWM) – dem landesweiten Netzwerk kirchlicher Frauenbeauftragter. Ihr Anliegen war nie Repräsentation allein, sondern die Transformation von Strukturen: hin zu Gleichwürdigkeit, Teilhabe und geistlicher Tiefe – auch im Miteinander der Geschlechter.

Für Kate Massey gehören Gerechtigkeit und Versöhnung untrennbar zusammen. Versöhnung meint für sie nicht nur das Brückenbauen zwischen Völkern und Religionen, sondern auch innerhalb der Kirche – zwischen Generationen, Lebenswirklichkeiten, Perspektiven. Ihre Erfahrungen als Ärztin, Pfarrerin und Frauenbeauftragte haben sie dafür sensibilisiert, wie tief Konflikte und Ausschlüsse wirken – und wie heilsam es ist, wenn Gemeinschaft gelingt.

Derzeit arbeitet sie an einer Promotion (Ph.D.) über Versöhnung – inspiriert von der Geschichte und Gegenwart der Kathedrale von Coventry. Ihr Weg verbindet analytischen Verstand mit Empathie, geistlicher Klarheit und einem kreativen Blick für das Kommende – beste Voraussetzungen, um der Versöhnungsarbeit von Coventry neue Impulse zu geben.

Als Canon for Arts and Reconciliation übernimmt Kate Massey nun eine zentrale Rolle an der Kathedrale. Das Amt – einzigartig in seiner Verbindung von Kunst, Theologie und Friedensarbeit – umfasst die Leitung und Weiterentwicklung der kulturellen und versöhnenden Arbeit der Kathedrale. Sie wird die verschiedenen Teams koordinieren, neue Projekte anstoßen und mit Partner*innen weltweit zusammenarbeiten – insbesondere innerhalb der internationalen Nagelkreuzgemeinschaft.

Sie tritt die Nachfolge von Mary Gregory an, die das Amt seit 2022 innehatte und Ende 2024 zur Regionalbischöfin von Reading ernannt wurde.

Feierliche Amtseinführung im Kreise von Kolleg*innen, Freund*innen und Familie. Foto: Frank Herzog

Feierlicher Auftakt: Choral Evensong in der Kathedrale

In einem feierlichen Choral Evensong wurde Kate Massey in ihr Amt eingeführt. Für die musikalische Gestaltung sorgte der Kathedralchor unter der Leitung von Rachel Mahon – festlich, würdig und mit jener Prise anglikanisch-britischer „Pomp and Circumstances“, die aus jedem Gottesdienst ein Fest macht.

Bischöfin Sophie Jelley, die neue Diözesanbischöfin von Coventry, hielt die Predigt. Mit großer Wertschätzung zeichnete sie Kate Masseys Lebensweg nach – von der Medizin in die Theologie, von der Seelsorge zur strukturellen Veränderungsarbeit. Sie würdigte ihren Einsatz für Gerechtigkeit und Teilhabe und stellte die Bedeutung der Versöhnungsarbeit der Kathedrale klar in den Mittelpunkt.

Auch Kate Masseys Familie war Teil der Feier: Ihr Ehemann Liam und die drei Töchter Niamh, Erin und Anna waren anwesend. Ein besonders persönlicher Moment war, als Tochter Erin eine der Schriftlesungen übernahm. Neben zahlreichen Vertreter*innen der Kathedrale und der internationalen Nagelkreuzgemeinschaft waren auch enge Freundinnen und Freunde gekommen – ein Ausdruck gelebter Verbundenheit.

Zum Abschluss erklang der Hymnus „Praise to the Lord, the Almighty“ – ein Lied, das Kate sich ausdrücklich gewünscht hatte. Die ursprünglich deutsche Komposition und Dichtung („Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“) gehört auch in England zu den bekanntesten und beliebtesten Kirchenliedern. Dass sie an diesem Nachmittag in Coventry erklang, war ein eindrucksvolles Zeichen dafür, wie geistliche Traditionen über Ländergrenzen hinweg verbinden.

Glück- und Segenswünsche von Niels Faßbender im Namen der deutschen Nagelkreuzgemeinschaft Foto: Frank Herzog

Glückwünsche und Geschenke zum Amtsantritt

Nach dem Gottesdienst setzten sich die Feierlichkeiten bei einem Empfang fort, der von herzlicher Begegnung und internationaler Gemeinschaft geprägt war. Mitglieder der Kathedrale und der Nagelkreuzgemeinschaft nutzten die Gelegenheit, Kate Massey persönlich zu gratulieren.

„Als deutsche Nagelkreuzgemeinschaft sind wir dankbar, diesen Weg der Versöhnung gemeinsam gehen zu dürfen. Liebe Kate, Du trittst ein Amt an, das reich an Geschichte und voller Hoffnung ist. Wir freuen uns auf Deine Stimme, Deine Sichtweise, Deine Schritte, und wir werden Dich begleiten. Gott segne Dich und Deinen Dienst“ lautete die Grußbotschaft von Niels Faßbender, der für den Vorstand der Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland e. V. zusammen mit seinem Ehemann Frank Herzog nach Coventry gereist war. Mit einem Augenzwinkern überreichten die beiden drei symbolische Geschenke:

Erstens ein T-Shirt mit dem Aufdruck des Nagelkreuzes – ein Hinweis darauf, dass Versöhnung nicht nur in liturgischem Gewand von der Kanzel aus wirkt, sondern dort, wo Menschen einander im Alltag begegnen – auf der Straße, im Gespräch, im Zusammenleben.

Zweitens eine Flasche „Würzburger Domherr“ – ein Wein aus der Stadt, in deren Gefängnis die Nagelkreuze für Coventry gefertigt und von dort aus in die Welt gebracht werden. Der Wein steht für geteilte Mahlzeiten, Zuhören und Lebensfreude. Sein Name – „Domherr“, also „Canon“ – erinnert an Zeiten, in denen kirchliche Entscheidungen ausschließlich von Männern getroffen wurden. Heute verweist er auf Kates bisherige Arbeit für Frauen und ihr neues Amt als „Domfrau“ – und damit zugleich darauf, dass Wandel möglich ist.

Drittens ein kleines Schild mit der Aufschrift „Versöhnung ist…“ – eine Einladung, nachzudenken, zuzuhören und miteinander ins Gespräch zu kommen – auch über Sprachgrenzen hinweg. Das englischsprachige Original hatte Mary Gregory im vergangenen Jahr nach Deutschland gegeben. Nun kam eine deutsche Version zurück – als Zeichen gegenseitiger Verbundenheit und des Willens, die Bedeutung von Versöhnung gemeinsam weiterzudenken, offen und auf Augenhöhe.

In ihren Dankesworten zeigte sich Kate Massey sichtlich bewegt von der Wertschätzung und den Erwartungen, mit denen sie willkommen geheißen wurde. Die Nagelkreuzgemeinschaft – in Deutschland und weltweit – freut sich auf die Zusammenarbeit. Möge Gottes Segen Kate auf jedem Schritt begleiten, während sie ihre Stimme für Versöhnung und Frieden erhebt. Alles Gute, Kate, und herzlich willkommen in unserer Gemeinschaft!

Autor: Niels Faßbender

 

Zwischen Friedensstiftern und Oldtimern – Interview mit Ingo Mörl über seine Pilgerfahrt nach Coventry

Ingo Mörl. Foto: Ev. Dekanat Darmstadt

Im Mai 2025 nahm Ingo Mörl aus Mühltal bei Darmstadt an der Frühjahrs-Pilgerfahrt zur Kathedrale von Coventry teil – gemeinsam mit einer Gruppe aus der Region Südwest und weiteren Teilnehmenden aus drei Kontinenten (darüber berichten wir [Link->hier]). Die Tage in Coventry haben ihn tief bewegt. Nach der Rückkehr entschloss er sich, Einzelmitglied unserer Gemeinschaft zu werden. Im Interview berichtet er, was ihn an der Pilgrimage besonders berührt hat, wie sein persönlicher Weg der Versöhnung aussieht, und warum Coventry für ihn mehr ist als ein geschichtsträchtiger Ort.

Hallo Ingo, möchtest Du Dich kurz vorstellen?

Mein Name ist Ingo Mörl, und ich bin 66 Jahre alt. Ich wohne in Mühltal in der Nähe von Darmstadt. Bis zum November 2024 war ich seit 1984 beim Evangelischen Dekanat Darmstadt (Land) beschäftigt – zunächst in der Kinder- und Jugendarbeit, später in der Erwachsenen- und Familienbildung (Dipl. Rel. Päd.; Magister Artium). Ich bin verheiratet, habe zwei Töchter und drei Enkel. Meine Frau ist noch berufstätig und arbeitet als Gemeindepädagogin in Eberstadt.

Wie bzw. wann hast Du erstmals bewusst vom Nagelkreuz gehört?

Die Nagelkreuzarbeit kenne ich schon viele Jahre, weil ich immer regelmäßig zum Brandnachtgottesdienst am 11. September in die Stadtkirche Darmstadt gehe – ein jährlicher Gottesdienst zur Erinnerung an den verheerenden Bombenangriff im Jahr 1944. In den 80er Jahren war ich in der Friedensbewegung aktiv; damals ging es um die sogenannte NATO-Nachrüstung und die russische Bedrohung durch die SS-20-Raketen.

Warum hast Du an der Pilgrimage teilgenommen?

Ich habe viele Jahre lang deutsch-französische und deutsch-polnische Jugendbegegnungen organisiert. Von 1986 bis zum Fall der Mauer gehörten auch Begegnungen zwischen ost- und westdeutschen Jugendlichen dazu. Später, in der Erwachsenenbildung, standen Studienfahrten zu protestantischen Minderheiten in Europa auf dem Programm. Aufgewachsen in direkter Nachbarschaft von Wiesbaden-Erbenheim, dem heutigen Headquarter der USA für Europa und Afrika, ist mir auch der Kontakt zu Amerikanern nicht fremd.

Hattest Du bestimmte Erwartungen? Und wenn ja, wurden sie erfüllt?

Neuen Erfahrungen begegne ich immer mit niedrigen Erwartungen – aber ich bin neugierig und höre meinem Gegenüber gespannt zu. Ich bin tief beeindruckt von der Arbeit in Coventry. Sie ist keineswegs nur rückwärtsgewandte Erinnerungsarbeit, sondern sucht auch nach neuen Ansätzen der Versöhnungsarbeit in Konflikten unter Jugendlichen und Erwachsenen. Ich bin gespannt auf die Mitgliederversammlung in Münster.

Was hat Dir besonders gut gefallen bzw. Dich beeindruckt? Oder im Gegenteil?

Da könnte ich vieles nennen: das Oldtimer-Treffen in der Kathedrale oder das Transportmuseum – so etwas hatte ich gar nicht erwartet, und deswegen war ich ja auch nicht hingefahren. Besonders beeindruckt war ich von dem Vortrag von Dean John und seiner Feststellung: Wir sind keine Pazifisten, sondern Friedensstifter. Darüber würde ich gerne weiter nachdenken.

Hast Du etwas zur Gruppe bzw. den anderen Teilnehmenden aus insgesamt drei Erdteilen zu bemerken?

Beeindruckt war ich auch von der Versöhnungsarbeit in Australien mit den Aborigines und der Arbeit in Irland. Von mehrfachen Besuchen kenne ich die Arbeit von Iona in Schottland und Corrymeela in Irland. Dass Menschen eine so weite Reise auf sich nehmen, zeigt einmal mehr die auratische Ausstrahlung der Ruinen der Kathedrale in Coventry. Ich fühlte mich oftmals an den Disibodenberg (Hildegard von Bingen) erinnert.

Geht es weiter mit Dir und dem Nagelkreuz?

Ich habe meinen Antrag auf Mitgliedschaft abgesendet. Ich danke Christian Roß sehr für die Organisation der Fahrt nach Coventry und dafür, dass er nach dem Weggang von Pfarrer Knodt an der Stadtkirche in Darmstadt den Fortgang dieser wichtigen Arbeit gesichert hat. Ich fühle mich gut angekommen. Versöhnungsarbeit spielte in meiner Herkunftsfamilie eine große Rolle. Hier trafen Wehrmacht und Widerstand, Protestanten und Katholiken, Sozialdemokraten und Konservative, Hessen, Sudetendeutsche und Westpreußen aufeinander. Deswegen halte ich auch Kreisau in Polen und die Ideen des Kreisauer Kreises für einen sehr wichtigen Ort des Nachdenkens.

Die Fragen stellten die Mitreisenden Doris Hartwich und Gernot Härdt, Nagelkreuzzentrum Pforzheim/Stadtkirche, und Christian Roß, Nagelkreuzzentrum Stadtkirche Darmstadt.

 

Pfingsten in Recklinghausen: Eine Hoffnung, die keine Bedingungen stellt

Die <Gastkirche> in Recklinghausen ist ein offener Ort. Menschen mit ganz unterschiedlichen Lebenswegen kommen hier zusammen: Wohnungslose, Engagierte, Gläubige, Zweifelnde. Wer will, findet hier Gemeinschaft – im Alltag, im Gespräch, im Gottesdienst. Am Samstag vor Pfingsten, dem 7. Juni 2025, wurde die Gastkirche in die Nagelkreuzgemeinschaft aufgenommen.

Kleine Ausstellung und Gesprächsatmospäre in der Gastkirche. Foto: Nagelkreuzgemeinschaft

Tagsüber war der kleine, mittelalterliche Kirchenraum geöffnet. Eine Ausstellung informierte über die Geschichte der Nagelkreuzgemeinschaft. Auch örtliche Friedensinitiativen stellten sich vor. Das geplante Friedensfest auf dem Oscar-Romero-Platz fiel zunächst weitgehend dem Regen zum Opfer. Am Abend füllte sich die gegenüberliegende, größere Gymnasialkirche bis auf den letzten Platz. Der Gottesdienst wurde von Pfarrer Ludger Ernsting und dem Gospelchor „Spirit of Joy“ feierlich gestaltet. Alice Farnhill überreichte das Nagelkreuz im Namen der Kathedrale von Coventry. Auch zwei Gäste aus dem niederländischen Breda waren anwesend – die Verbindung war bei der gemeinsamen Pilgrimage nach Coventry entstanden. Im Anschluss wurde das Kreuz in einer kleinen Prozession in die Gastkirche getragen. Später klang der Tag auf dem Oscar-Romero-Platz aus – mit Musik, Essen und Tanz. Menschen aus verschiedenen Zusammenhängen kamen ins Gespräch: Besucherinnen und Besucher der Kirche, Passanten, Gemeindemitglieder, Wohnungslose, Gäste aus der Stadtgesellschaft. Im Folgenden dokumentieren wir das Grußwort des Vorstands der deutschen Nagelkreuzgemeinschaft.

Liebe Recklinghäuserinnen und Recklinghäuser,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Gastkirchen-Gemeinde,

zu einem Friedensfest habt ihr eingeladen. Ein Fest des Friedens. Ich weiß nicht, ob es da im Moment etwas zu feiern gibt.

Ich denke an die Toten – in Gaza, in der Ukraine, im Mittelmeer.
An Trump, Nawrocki, Wilders. An den Brexit.
An Hass und Lügen in den sozialen Medien und in den Parlamenten,
an Hetze und Härte, die Grenzen ziehen –
zwischen Ost und West, arm und reich, deutsch und nicht deutsch, drinnen und draußen.

Ich denke an Kinder, die ausgeliefert waren. An ihre Wunden, die Gerechtigkeit schreien. An bohrende Fragen, die unbeantwortet bleiben.

Ich denke an den Mann, nach dem dieser Platz benannt ist, und die vielen anderen, die ermordet wurden, weil sie Gerechtigkeit und Frieden wollten.

An einen guten Freund. Verloren in Verschwörung und Wut.
An die, die nicht mehr fragen, was wahr ist, sondern nur noch: Was nützt mir das?

An die, die hungern.
An die, die sammeln.

An den Sommer. Und an die brennende Erde.

Ein Friedensfest also?
Doch. Bitte bleiben Sie!

Es gibt ja Kaffee. Und Kuchen. Stärkung.
Nicht nur leiblich: Auch mit Gottes Wort, Musik und Gebet.
Und Ermutigung. Und Hoffnung.

Grußwort von Niels Faßbender im Namen des Vorstands. Foto: Nagelkreuzgemeinschaft

Und ein Nagelkreuz.
Ein Kreuz aus Trümmern.
Coventry, 1940. Eine Kathedrale in Flammen. 515 Tote.
Kein Zeichen von Macht.
Kein Denkmal der Sieger.

Ein Kreuz, aufgerichtet gegen den Hass:

„Father, forgive.“
Nicht: ihnen. Uns allen.
Dem, der warf. Und der, die weinte.
Dem, der zerstörte. Und der, die aufräumte.

Weihnachten, die Trümmer der Stadt noch warm von der Vernichtung,
der Probst der zerstörten Kathedrale im Radio:
Wir werden nicht hassen. Wir werden nicht heimzahlen. Wir werden bauen.
An einer Welt, die freundlicher ist. Christusähnlicher.
Weniger stolz. Weniger hart.

Aus dem Wort wurde Tat. Aus Schmerz wurde Sendung.
Menschen aus Coventry nahmen Nägel aus der Asche ihrer Kathedrale.
Banden daraus Kreuze. Brachten sie nach Kiel. Nach Dresden. Nach Münster.
Nicht nur die Nagelkreuze brachten sie. Sie brachten sich selbst.
Nicht um zu strafen, sondern um aufzubauen.
Nicht um zu fragen, wer Schuld hat,
sondern um zu sagen: Wir fangen neu an. Zusammen.

Dann kamen Deutsche nach England.
Nicht mit Entschuldigungen,
aber im Bewusstsein der Schuld.
Auch sie bauten mit. Hörten zu. Blieben.
Es wuchs Vertrauen. Und Freundschaft.

Eine neue Kathedrale entstand.
Und ein weltweites Netz. Ein Netz der Versöhnung.

Heute steht ein Nagelkreuz in über 260 Städten.
Nicht nur für Frieden zwischen England und Deutschland.
Sondern für Versöhnung überall, wo Menschen sich anfeinden, hassen, verletzen, töten.

In New York – zwischen Terror und Trauer.
In Südafrika – zwischen Schwarz und Weiß.
In Polen – zwischen verbrannter Erde und knospendem Mandelzweig.
In Israel und Palästina – zwischen Schwertern und Pflugscharen.
In Belfast – zwischen Schweigen und Sprechen.
In Berlin – zwischen Christen, Juden und Muslimen.

Und heute übergibt die Kathedrale von Coventry ein Nagelkreuz nach Recklinghausen.
An diesem Platz. An Gastkirche und Gasthaus.

Diese Altstadt hat der Krieg verschont. Brüche, Not, Verluste gibt es trotzdem.
Auch hier tragen Menschen Trümmer, Kummer, Schmerz, Verzweiflung, Sehnsucht.

Aber nicht allein.
Hier, in Gastkirche und Gasthaus, geschieht Tag für Tag, wofür das Nagelkreuz von Coventry steht.

Ich denke an die Menschen, die mit leeren Händen kommen – und mit einem warmen Frühstück empfangen werden.
Ich denke an die, die auf der Straße leben – und hier duschen, Wäsche waschen, Briefe empfangen.
Ich denke an die, die einsam sind – und hier Gemeinschaft finden.
An die, die trauern – und hier getröstet werden.

Volle Kirche zur feierlichen Übergabe. Foto: Nagelkreuzgemeinschaft

Hier wird kein Evangelium verkündet, das nicht auch getan wird.
Kein Frieden gefeiert, der nicht auch gestiftet wird.

Die Gastkirche macht nicht „für“. Sie macht „mit“.
Mit Amnesty. Mit Pax Christi.
Und mit denen, von denen andere sich abwenden.

Ihr schweigt, wo man sonst schreit.
Gedenkt, wo man lieber vergisst.
Haltet Wache bei den Toten und den Lebenden.

Ihr glaubt: Gott ist für niemanden zu groß.
Gott ist nah.
Im Kleinen. Im Geringen. Im Jetzt.
Ihr glaubt an Gottes Frieden.
Ihr nehmt einander an. In diesem Glauben.
So wie Gott uns angenommen hat.

Wer diesen Ort betritt, spürt: Hier ist es nicht egal.
Nicht egal, was du erlebt hast.
Nicht egal, woran du leidest.
Nicht egal, ob du kommst.
Hier wird der Mensch nicht bemessen. Hier wird er gesehen.

Und das, liebe Freundinnen und Freunde, das ist Versöhnung:
Nicht das vielversprechende Wort. Sondern das kleine Brot.
Nicht die große Lösung. Sondern das geteilte Leben.
Nicht der billige Trost. Sondern die wertschätzende Zuwendung.

Versöhnung ist kein Widerspruch zur Wirklichkeit.
Denn sie entsteht aus Wahrheit.
Versöhnung schweigt nicht zur Schuld. Sie deckt nichts zu.
Versöhnung kennt das Zerbrochene und geht hindurch.
Die Wunde heilt, doch die Narbe bleibt.
In Coventry wuchs eine neue Kathedrale.
Nicht auf den Trümmern,
sondern an ihrer Seite.
Zerstörung und Hoffnung – untrennbar.

Wo ein Nagelkreuz steht,
arbeiten Menschen am Noch-Nicht,
vertrauen auf Gottes Verheißung,
glauben, dass Geschichte sich nicht wiederholen muss.
Dass Vielfalt kein Risiko, sondern ein Geschenk ist.
Dass wir nicht nur kriegstüchtig, sondern auch friedenstüchtig werden können.

Pfarrer Ludger Ernsting (links) und Alice Farnhill (rechts) mit dem Nagelkreuz vor seinem künftigen Standort. Foto: Nagelkreuzgemeinschaft

Versöhnung ist kein Zustand. Sondern bleibt ein Weg.
Ihr seid auf diesem Weg.
Hier ist kein Gedenkort für den Frieden – hier wird Frieden getan. Täglich.
Hier wird sichtbar: Gottes Reich ist keine Illusion.
So wächst Hoffnung. Wächst Versöhnung.

Ich wünsche euch, dass dieses Kreuz
euch tröstet, wenn ihr verzagt. Ihr seid nicht allein.
Dass es euch stärkt, wenn ihr müde seid. Wir beten für euch.
Dass es euch ruft, wenn ihr euch einrichtet. Ihr seid das Licht der Welt!
Und bei den Veränderungen, die auf eure Gemeinschaft zukommen:
Dass es euch Kurs, Kraft und Zuversicht gibt.
Dass es uns immer erinnert: Hass und Gewalt haben nicht das letzte Wort.
Fürchtet euch nicht.

Ihr erhaltet heute ein Nagelkreuz, weil ihr glaubt, lebt und bezeugt,
dass man die Wunden der Geschichte heilen kann.
Dass man mit Verschiedenheit leben und Vielfalt feiern kann.
Dass man eine Kultur der Gerechtigkeit und des Friedens aufbauen kann.

Liebe Gastkirche, liebes Gasthaus,
herzlich willkommen in der Nagelkreuzgemeinschaft.
Im Namen des Vorstands und des Leitungskreises der Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland e. V.:
Herzlichen Glückwunsch!

Lasst uns feiern, dass ihr bei uns seid. Lasst uns feiern, dass es euch gibt.
Lasst uns ein Fest des Friedens feiern!

Glück auf!

Autor: Niels Faßbender

 

Stabwechsel in Vorstand und Leitungskreis: Hoenen, Meinhardt und Menzel für Schmelz und Wolkenhauer

V. l. n. r.: Lothar Schmelz, Patrick Meinhardt, Karsten Wolkenhauer, Dr. Janning Hoenen (Zeichnung: OpenAI/ChatGPT)

Im Leitungskreis und im Vorstand der Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland e. V. hat es in den letzten Wochen einige personelle Veränderungen gegeben: Unser langjähriger Schatzmeister Lothar Schmelz hat seine Ämter niedergelegt, auch Karsten Wolkenhauer ist aus dem Leitungskreis ausgetreten. Neuer Schatzmeister ist Dr. Henning Menzel. In den Leitungskreis nachgerückt sind Dr. Janning Hoenen und Patrick Meinhardt. Gerne würdigen wir Lothars und Karstens Engagement für unseren Verein und stellen Ihnen „die Neuen“ vor.

Unser herzlicher Dank gilt zunächst unserem langjährigen Vorstandskollegen Lothar Schmelz, der zum 28. Februar 2025 sein Amt niedergelegt hat und aus dem Leitungskreis ausgeschieden ist. Seit 2011 gehörte Lothar dem Leitungskreis an, seit 2015 war er Mitglied des Vorstandes und unser Schatzmeister. Mit großem zeitlichen Engagement und enormer Expertise hat er die Verwaltung unserer Finanzen erheblich professionalisiert. Besonders geschätzt war seine offene und stets ansprechbare Art, mit der er weit über die eigentliche Mitgliederverwaltung hinaus eine persönliche Beziehung zu vielen Mitgliedern und Zentren unserer Gemeinschaft aufgebaut hat. Anerkennende Wort von Vorsitzendem Dr. Oliver Schuegraf: „Im Namen der ganzen Nagelkreuzgemeinschaft danke ich Lothar von ganzem Herzen. Persönlich bin ich dankbar für die intensive und vertrauensvolle Zusammenarbeit der letzten Jahre. Es war immer gut, Lothar an der Seite zu wissen.“ Lothar selbst verabschiedete sich mit herzlichen Worten: „Es waren sehr schöne Jahre, in denen ich viele freundliche und interessante Menschen kennenlernen durfte – diese Zeit möchte ich nicht missen. Allen Mitgliedern wünsche ich weiterhin weise Entscheidungen im Sinne von Frieden und Versöhnung, im Geist von Coventry.“

Auch Karsten Wolkenhauer verlässt den Leitungskreis, nachdem er zum Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Anhalt gewählt wurde. Er gehörte dem Leitungskreis seit mehreren Jahren an und engagierte sich besonders in den Bereichen Versöhnung, Erinnerungskultur und Öffentliche Theologie. Wir danken Karsten für seinen Einsatz und wünschen ihm Gottes Segen für das neue Amt.

Zum neuen Schatzmeister und Vorstandsmitglied wurde vom Leitungskreis Dr. Henning Menzel gewählt. Wir freuen uns sehr auf die Zusammenarbeit mit ihm. Auch ihm wünschen wir für seine verantwortungsvolle Aufgabe gutes Gelingen und Gottes Segen.

Neu in den Leitungskreis nachgerückt sind Dr. Janning Hoenen und Patrick Meinhardt. Janning ist Studierendenpfarrer an der Augustana-Hochschule in Neuendettelsau, der theologischen Hochschule der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Er war zuvor Gemeindepfarrer in Hof/Saale und Fürth sowie Studienleiter am Collegium Oecumenicum München. Internationaler Austausch und die Auseinandersetzung mit Vielfalt prägen sein Engagement, das er besonders jungen Menschen vermittelt. Janning ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder.

Patrick Meinhardt ist Vorsitzender des Gemeindekirchenrates und Lektor der Evangelischen Gemeinde am Gesundbrunnen in Berlin, einer der größten Gemeinden der Stadt. Beruflich war er Bundestagsabgeordneter der FDP und Politikchef eines großen Mittelstandsverbandes. Heute leitet er den Taxi- und Mietwagenverband Deutschland und betreibt eine Politik- und Strategieberatungsagentur. Außerdem engagiert er sich ehrenamtlich in verschiedenen nationalen und internationalen Verbänden. Sein Lebensmotto stammt von Frère Roger aus Taizé: „Liebe und zeige es durch dein Leben!“ Er wird künftig gemeinsam mit Felicitas Weileder Ansprechpartner für die Region Berlin sein.

Auch Janning und Patrick wünsche wir viel Freude, Tatkraft und Gottes Segen für ihr Engagement in unserer Nagelkreuzgemeinschaft.

Autor: Niels Faßbender

Mutig, stark, beherzt: Die Nagelkreuzgemeinschaft auf dem Kirchentag in Hannover

St. Clemens (Foto: Nagelkreuzgemeinschaft)

Wenn tausende Menschen in Hannover zusammenkommen, um unter dem Motto „mutig – stark – beherzt“ ihren Glauben zu leben, Fragen zu stellen und neue Wege zu suchen, ist auch die Nagelkreuzgemeinschaft mit dabei. Wir laden herzlich ein, unsere Arbeit kennenzulernen, mit uns ins Gespräch zu kommen und gemeinsam Zeichen der Versöhnung zu setzen – in einem Gottesdienst, an unserem Stand auf dem Markt der Möglichkeiten und bei einer Friedensaktion für Kinder und Familien.

Gottesdienst „Beten und Feiern unter dem Nagelkreuz

Donnerstag, 1. Mai 2025, 14:00 Uhr, Kirche St. Clemens

Im Mittelpunkt des Kirchentagsgottesdienstes der Nagelkreuzgemeinschaft steht die Geschichte von Josef und seinen Brüdern – eine biblische Erzählung über Schuld, Versöhnung und die befreiende Kraft, nicht im Hass stehenzubleiben. „Stehe ich denn an Gottes statt?“ – fragt Josef, als seine Brüder um Vergebung bitten. Wie können wir diese Frage heute für uns beantworten – „Mutig“ den Herausforderungen der Versöhnung ins Auge sehen, „stark“ sein im Vertrauen auf Gottes Zusage, dass Frieden möglich ist, „beherzt“ eine neue Zukunft wagen? Die Liturgie umfasst Lesung, Predigt, Musik und Stille. Das Glaubensbekenntnis von Seoul und das Versöhnungsgebet von Coventry geben dem Gottesdienst eine internationale Dimension. Anschließend besteht bei Gebäck und Getränken Gelegenheit zum Kennenlernen, Wiedersehen und Gespräch.

Foto: Kirchentag

Stand auf dem Markt der Möglichkeiten

Halle 5, Stand 5-J29 – täglich von 10:30 bis 18:30 Uhr

Die Nagelkreuzgemeinschaft präsentiert sich auf dem Kirchentag mit einem völlig neu gestalteten Stand – doppelt so groß wie in den vergangenen Jahren und offen für vielfältige Formen der Begegnung. Besucherinnen und Besucher erwartet ein Ort der Information, der Inspiration und des Mitmachens. Das Nagelkreuz und das Versöhnungsgebet von Coventry bilden den geistlichen Mittelpunkt. Auf Infotafeln werden die Geschichte und weltweite Wirkung unserer Gemeinschaft anschaulich gemacht. An zwei Touchscreens können Interessierte durch aktuelle Projekte und eine interaktive Landkarte aller Nagelkreuzzentren navigieren. Wer möchte, kann an einer kleinen Station ein eigenes Nagelkreuz basteln oder beim Gebetsquiz sprachliche Vielfalt spielerisch entdecken. Außerdem werden Besucherinnen und Besucher eingeladen, ein kurzes Videostatement zum Thema „Versöhnung ist…“ aufzunehmen – für unseren Social-Media-Kanal, als zeitgemäße Stimme des Friedens mitten im Trubel des Kirchentags. Das Standteam freut sich auf Gespräche, Fragen und neue Impulse – und auf alle, die neugierig sind darauf, was Versöhnung heute bedeuten kann.

Friedensaktion „Kraniche für Hiroshima“

Donnerstag, 1. Mai 2025, 11:00–12:00 Uhr, Zentrum Kinder und Familien, Maschstraße 22–24, EG Raum 2

Grafik: Michaeliskloster Hildesheim

Sadako, ein junges Mädchen aus Hiroshima, glaubte fest daran: Wenn sie 1000 Papierkraniche faltet, kann ihr Wunsch nach Heilung und Frieden in Erfüllung gehen. Ihre Geschichte wurde zu einem weltweiten Symbol – gegen Krieg und Gewalt, für Hoffnung und Versöhnung. Auch in Hannover, der Partnerstadt Hiroshimas, wollen wir ein Zeichen setzen: Gemeinsam mit dem Michaeliskloster Hildesheim, dem CVJM Hannover, dem Amt der EKD und der Nagelkreuzgemeinschaft laden wir Kinder, Familien und alle Interessierten ein, Kraniche zu falten.

11:00 Uhr: Kraniche falten mit Kindern und Erzählen von Sadakos Geschichte.

11:30 Uhr: Gemeinsamer Aufbruch zur Aegidienkirche.

11:45 Uhr: Gedenken an der Hiroshima-Glocke mit einem Nagelkreuzgebet in einfacher Sprache und einem Segen.

Ein niedrigschwelliges, liebevoll gestaltetes Angebot, das Kindern den Gedanken der Versöhnung kreativ und berührend nahebringt.

Haben wir ein Angebot übersehen? Haben Sie Fragen? Dann schreiben Sie uns gerne: redaktion@nagelkreuz.de. Wir freuen uns auf ein Kennenlernen oder ein Wiedersehen in Hannover.

 

Chemnitz 2025: Kulturhauptstadt und neues Nagelkreuzzentrum

Stadtkirche St. Jakobi in Chemnitz (Foto: Stephan Tischendorf)

Am 5. März 2025 wurde der evangelischen Stadtkirche St. Jakobi in Chemnitz das Nagelkreuz von Coventry übergeben. Der Gottesdienst fand am 80. Jahrestag des ersten großen Luftangriffs auf Chemnitz im Zweiten Weltkrieg statt. Die Übergabe des Nagelkreuzes wurde von John Witcombe (Dekan der Kathedrale von Coventry), Dr. Oliver Schuegraf (Vorsitzender der Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland e. V.) und Sachsens Landesbischof Tobias Bilz begleitet. Der Gottesdienst war Teil des städtischen Gedenkens, aber auch ein deutliches Signal der Vernetzung: Chemnitz ist nun offiziell Teil der internationalen Nagelkreuzgemeinschaft. Gleichzeitig ist Chemnitz 2025 Chemnitz eine der Europäischen Kulturhauptstädte – die Übergabe des Nagelkreuzes ein Blick zurück, nach vorn und in die Gegenwart. Drei Tage später, am 8. März, jährte sich der zweite Angriff – damals flogen über 700 britische Bomber einen weiteren schweren Angriff auf die Stadt. An diesem Gedenktag versammelten sich Mitglieder der Nagelkreuzgemeinschaft zum Regionaltreffen in Chemnitz.

Die evangelische Stadtkirche St. Jakobi – mitten im Chemnitzer Stadtzentrum wurde bei der Bombardierung von Chemnitz am 5. März 1945 schwer zerstört. Später wiederaufgebaut, ist sie heute ein lebendiger Gedenk- und Versöhnungsort. Jeden Freitag um 12 Uhr versammelt sich dort eine ökumenische Gemeinschaft zum Mittagsgebet und spricht das Versöhnungsgebet der Kathedrale von Coventry, darunter Gemeindeglieder ebenso wie Gäste und Touristen.

Jedes Jahr am 5. März begeht Chemnitz den Friedenstag, an dem an die Opfer der Kriegszerstörung von 1945 erinnert wird. Auch die St. Jakobikirche gestaltet diesen Gedenktag mit: Alljährlich findet an diesem Datum ein Friedensgottesdienst statt, der im Zeichen von Frieden und Versöhnung steht. Häufig wirken Kinder und Jugendliche daran mit – so musizieren etwa Chemnitzer Kindergruppen an diesem Tag in der Kirche und lesen Texte zum Thema Versöhnung und Frieden. Die Kirche öffnet sich der Stadtgesellschaft, um die Botschaft der Versöhnung lebendig zu halten.

Ökumenische Initiativgruppe – Versöhnungsarbeit in Chemnitz

Gedenkkreuz für den 05.03.1945 (Foto: Stephan Tischendorf)

Hinter der Aufnahme von Chemnitz in die Nagelkreuzgemeinschaft steht eine engagierte ökumenische Initiativgruppe. Seit knapp vier Jahren – erste Ansätze gab es sogar schon vor rund einem Jahrzehnt – arbeitet diese Gruppe in Chemnitz auf das Ziel hin, ein Nagelkreuzzentrum zu etablieren. Ihr gehören Christ:innen aus der evangelischen, katholischen und neuapostolischen Kirche an. Geleitet und begleitet wird die Initiative von den Gemeinderpfarrer:innen Dorothee Lücke und Stephan Tischendorf.

Die Chemnitzer Initiativgruppe verankert die Versöhnungsarbeit mitten in der Stadtgesellschaft. In den letzten Jahren organisierte sie zahlreiche Veranstaltungen an wechselnden Orten in Chemnitz. Dazu zählten unter anderem eine Podiumsdiskussion zum Thema „Hass im Internet“, eine Lesung mit einer Aktivistin gegen Prostitution, ein Grillabend, bei dem die Gedanken Desmond Tutus zum „vierfachen Versöhnungsweg“ vorgestellt wurden, sowie ein Erzählabend unter dem Motto „Erzähl mir von Versöhnung“. Auch den Nagelkreuzsonntag gestaltete die Gruppe in den letzten Jahren jeweils in unterschiedlichen Kirchen, um die Versöhnungsidee in verschiedene Stadtteile zu tragen.

Darüber hinaus lud die Initiativgruppe zu Gemeindeabenden ein, um gemeinsam über die einzelnen Bitten des Versöhnungsgebets ins Gespräch zu kommen. Nach einer Pilgerfahrt einer Chemnitzer Delegation nach Coventry im Mai 2024 berichteten die Teilnehmenden in einem Gemeindeabend mit über 40 Gästen aus verschiedenen Gemeinden begeistert von ihren Eindrücken. Auch aktuelle Themen greift die Gruppe auf: So organisierte sie im September 2024 einen Begegnungsabend mit syrischen Geflüchteten in Chemnitz und plante für November 2024 eine Gedenkveranstaltung am früheren Kaßberg-Gefängnis, um die lokale Erinnerungskultur mit der Versöhnungsarbeit zu verknüpfen.

Ein Nagelkreuz auf Wanderschaft: die Stele des Chemnitzer Nagelkreuzes

Das Chemnitzer Nagelkreuz soll künftig als Wanderkreuz immer wieder an anderen Stationen in der Stadt gezeigt werden. In St. Jakobi bleibt es sichtbar, auch wenn es gerade an einem anderen Ort ist: Dafür hat die Initiativgruppe eine Stele entwerfen lassen, die das Nagelkreuz als negatives Abbild zeigt: Zwei aufrechtstehende Holzbalken mit charakteristischen Aussparungen erzeugen den Umriss des Kreuzes als Form, die präsent bleibt, auch wenn das Kreuz selbst unterwegs ist.

Nagelkreuz und Stele in St. Jacobi (Foto: Michael Monzer)

Das Holz für die Stele stammt von einem Dresdner Betrieb, der gefällte Bäume aus der Stadtpflege weiterverarbeitet, statt sie zu verheizen. Aus verschiedenen Hölzern mit bekannter Herkunft entstand so die Stele für das Chemnitzer Wandernagelkreuz. Die beiden senkrechten Balken bestehen aus einem Apfelbaum aus der Region Tübingen, als Aufruf zur Versöhnung zwischen Ost und West. Das Holz ist nur grob bearbeitet, zeigt Stockflecken und bleibt in seiner Unvollkommenheit sichtbar.

Am Fuß der Apfelholz-Balken ist der Schriftzug „FATHER FORGIVE“ eingeschnitzt, von einem Mitglied der Chemnitzer Nagelkreuzinitiative, das ursprünglich aus Bayern stammt. Das Nagelkreuz selbst ruht auf einer kleinen abnehmbaren Konsole innerhalb der Stele. Deren Bodenplatte besteht aus einem weiteren Stück Holz einer Platane aus Dresden-Übigau, die dort gefällt werden musste. Die Holzplatte ist fest mit dem Kreuz verbunden und wird mit ihm zusammen durch Chemnitz „wandern“. Dresden ist einer der Orte, an denen die ersten Nagelkreuze in Deutschland übergeben wurden. Dem Gefühl mancher Chemnitzer, „abgehängter“ Landesteil zu sein, will die Stele bewusst etwas entgegensetzen: Ein „Stück Dresden“ bildet nun das Fundament des Chemnitzer Nagelkreuzes. So symbolisiert das Kreuz auch das Zusammenwachsen innerhalb Sachsens.

Nagelkreuz-Regionaltreffen 2025: Austausch in Chemnitz

Drei Tage nach der Nagelkreuzverleihung traf sich in Chemnitz die Region Mitte. 35 Teilnehmende aus fast allen Zentren sowie einige Einzelmitglieder waren zum Kennenlernen und zum Austausch angereist.

Der Tag begann in St. Jakobi mit einer Andacht von Pfarrer Stephan Tischendorf. Anschließend erläuterte Rico Weiß für die Initiativgruppe die Gestaltung des Nagelkreuzstandorts. Daran schloss Pfarrerin Dorothee Lücke eine kurze Kirchenführung an. Bei strahlendem Sonnenschein folgte eine Stadtführung über den Markt bis zum bekannten „Nischel“, dem großen Karl-Marx-Kopf – dem früheren Namensgeber der Stadt. Von dort ging es weiter zur Gedenkstätte Kaßberg-Gefängnis und schließlich zur Kreuzkirche, dem Tagungsort des Regionaltreffens. Dort warteten zur Mittagszeit anstelle einer Suppe arabische Spezialitäten . Das Team eines lokalen Restaurants war vom Versöhnungsanliegen so angetan, dass es diese Köstlichkeiten als kulinarischen Gruß spendiert hatte.

Regionaltreffen Mitte 2025 in Chemnitz (Foto: Tabea Kormeier)

Ein Höhepunkt des Treffens war der Redebeitrag von Landesbischöfin i.R. Ilse Junkermann, Vorsitzender von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste. In ihrem Vortrag „80 Jahre Friedensarbeit – Erfahrungen und Herausforderungen in der heutigen Zeit“ ließ sie die Geschichte der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V. Revue passieren und teilte ihre reichen Erfahrungen aus acht Jahrzehnten Versöhnungsarbeit. (Den Vortrag könnnen Sie demnächst auf www.nagelkreuz.de nachlesen.) In der anschließenden Diskussion wurden die Anregungen noch vertieft.

Am Nachmittag berichteten die Teilnehmenden bei Kaffee und Kuchen aus ihren Heimatorten. So ging es etwa um Initiativen, die den Gedanken der Versöhnung an Schulen in Plauen tragen, oder um Projekte in der Diakonissenanstalt Dresden, die Mitarbeitende für Friedensthemen sensibilisieren. Zur Sprache kamen auch Begegnungen mit Besuchergruppen – beispielsweise aus Wuppertal-Barmen, aus Irland und aus Edinburgh – sowie besondere Auszeichnungen: So wurde etwa das Augustinerkloster Erfurt als „Ort der Demokratie“ gewürdigt. Ebenso diskutierten die Teilnehmenden den Umgang mit der eigenen Geschichte, etwa die Auseinandersetzung mit Martin Luthers Antisemitismus im Kontext der KZ-Gedenkstätte Buchenwald bei Erfurt. Zudem dankte die Regionalversammlung dem kürzlich aus dem Vorstand und Leitungskreis ausgeschiedenen Lothar Schmelz herzlich für sein langjähriges Engagement.

Autor: Niels Faßbender mit Beiträgen von Rico Weiß, Stefan Tischendorf und Tabea Kormeier.