Aktivitäten & Berichte der Nagelkreuzgemeinschaft und der Nagelkreuzzentren.

„Mir fällt kein Ort ein, an dem ich gerade lieber wäre“ – Eine Freiwillige berichtet aus Coventry

Foto: Sabrina Gröschel

Jährlich leisten junge Frauen oder Männer als Freiwillige des Nagelkreuzzentrums Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF) einen zwölfmonatigen Friedensdienst an der Kathedrale von Coventry. Die Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland e. V. unterstützt diese Arbeit u. a. mit einem jährlichen finanziellen Zuschuss von zurzeit 4.000 €. Seit September 2023 ist Lea Rischmüller aus Hildesheim in Coventry. Vor einiger Zeit hat sie an Aktion Sühnezeichen über ihren Aufenthalt berichtet. Wir freuen uns, ihre ersten Eindrücke auch hier abdrucken zu können.

Ich bin Lea Rischmüller, 19 Jahre alt und mein Weg zu ASF hat eigentlich in Weston-super-Mare angefangen, der englischen Partnerstadt meiner Heimatstadt Hildesheim. Wann immer ich hier jemandem davon erzähle, schaue ich in entsetzte Gesichter – die Stadt ist wohl nicht unbedingt für ihre Schönheit bekannt. Aber dorthin habe ich mit 14 einen Austausch gemacht und hatte seitdem so ein Gefühl, dass ich gerne mal eine längere Zeit in Großbritannien verbringen würde. Auch wenn ich als unabhängige kleine Schwester natürlich gerne behaupten würde, dass ich selbst das Konzept Freiwilligendienst für mich entdeckt hätte, war es wohl meine große Schwester, durch die ich darauf gestoßen bin. Ich interessiere mich außerdem sehr für Politik und Geschichte, also habe ich mich im Herbst letzten Jahres bei mehreren Freiwilligendienstorganisationen beworben, die Projekte in der politischen bzw. historischen Bildungsarbeit und in Großbritannien anbieten. Der Bewerbungsprozess hatte mich schon in ein, zwei mittelschwere persönliche Krisen gestürzt, als im Februar 2023 das Angebot von ASF kam, dass ich mit ihnen einen Freiwilligendienst in der Kathedrale von Coventry in England machen könnte. Das hat sich direkt ziemlich richtig angefühlt, ich habe den unterzeichneten Vertrag abgeschickt und mich gefreut. Mit dem großen Muffensausen musste ich dann hauptsächlich in der Woche vor meiner Ausreise fertig werden. Ich weiß noch genau, wie ich krank in meinem Bett lag und mich selbst ganz wehleidig gefragt habe, warum ich überhaupt jemals nach England wollte, obwohl das ja unendlich weit weg ist; was passiert, wenn ich dort krank werde und sich niemand um mich kümmert; und mir eingeredet habe, dass ich nicht mal ein paar Tage in Coventry überstehen werde. So drehte sich die Gedankenspirale in mir abwärts, aber egal, wie sehr ich mich in meinem vermeintlichen Leid gesuhlt habe, für einen Rückzieher war es eh zu spät. Am 4. September 2023 saß ich letztendlich doch mit meinen zwei Koffern und meinem Rucksack im Zug auf dem Weg zum Vorbereitungsseminar.

Hilltop – Ausgangspunkt der „Coventry Story”

Die Seminartage in Krakau und London waren aufregend und cool, aber vor allem auch zu viel. Zu viele neue Menschen, zu viele Eindrücke und zu viel Realisation, dass dieses Auslandsjahr, was ich mir so lange in meinem Kopf ausgemalt habe, jetzt wirklich passiert. Zehn Tage später sind meine Mitfreiwillige Blanka und ich dann entsprechend übermüdet und überfordert in Coventry angekommen. Dort wurden wir sehr nett von Alice, der Zuständigen für Freiwillige in der Kathedrale, empfangen und in ihrem kleinen roten Fiat einzeln (für drei Menschen und vier Koffer war leider nicht genug Platz) vom Bahnhof zu unserer Wohnung gebracht. Was genau wir in den ersten Tagen gemacht haben, verschwimmt ein bisschen in meinen Erinnerungen, aber wir wurden auf jeden Fall sehr vielen Mitarbeitenden an der Kathedrale vorgestellt und haben versucht, uns in den Gebäuden und Fluren zurechtzufinden. Ich habe mich ein bisschen gefühlt wie am Tag der offenen Tür an meiner weiterführenden Schule und war mir sehr sicher, dass ich mich regelmäßig verlaufen werde.

Foto: Nosipho Radebe

Rückblickend betrachtet ist es aber gar nicht so kompliziert: Ich verbringe den Großteil meiner Zeit auf „Hilltop“, einem Hügel mitten im Stadtzentrum, auf dem alle Gebäude der Kathedrale liegen. Dort befindet sich auch Dewis Lodge, ein verwinkelter Hausteil, der seit Jahren von immer wechselnden Freiwilligen, Praktikanten, Orgelschülerinnen und jetzt eben Blanka und mir bewohnt wird. Jeden Morgen laufe ich dann links eine schmale Kopfsteinpflastergasse hinauf, die sich vor allem bei Nässe als ernstzunehmende Gefahr für Leib und Leben entpuppt, und sehe als erstes die Ruinen der alten Kathedrale. Die wurde zerstört, als Coventry 1940 von der Luftwaffe zerbombt wurde. Anstatt sie wieder aufzubauen oder die noch stehenden Wände komplett abzureißen wurde direkt an die alten Mauern 1962 eine neue Kathedrale gebaut. Mein liebstes Gebäude ist aber St. Michael’s House direkt nebenan, dort sind die Büros vom Events- und vom CCN-Team, also den Teams, denen ich hauptsächlich zugeteilt bin. Mittwochs und donnerstags arbeite ich mit Alice für die „Community of the Cross of Nails“ (CCN), eine internationale Gemeinschaft christlicher Kirchen, die aus dem Versöhnungsgedanken nach der Zerstörung der alten Kathedrale entstanden ist. Der damalige Propst hat, anstatt Rache zu schwören, angefangen, Kontakt mit anderen zerstörten Städten und Kirchen vorrangig in Deutschland zu knüpfen. Diesen wurde dann irgendwann Kreuze aus Dachnägeln des eingefallenen Kirchendachs als Symbol der Verbundenheit überreicht und somit hat sich die „Coventry Story“, wie sie hier genannt wird, als Inspiration für Friedens- und Versöhnungsarbeit etabliert. Ein großer Teil der Arbeit der CCN ist es, Pilgerreisen nach Coventry anzubieten. In meiner Zeit hier habe ich deswegen schon eine Gruppe aus den Hamburger Hauptkirchen und eine aus verschiedenen Kirchen nahe Karlsruhe mitbetreut, die Seminare und Führungen zur Geschichte der Stadt und zur Versöhnungsarbeit bekommen haben. Ansonsten designe ich an meinen CCN-Tagen zum Beispiel den Newsletter oder bearbeite Anfragen aus Partnergemeinden.

Schottischer Volkstanz unterm Nagelkreuz

Montags, dienstags und freitags bin ich wiederum beim Arts-&-Events-Team, was abgesehen von mir aus Georgia, Molly und Tim besteht. Die drei sind Mitte zwanzig und nutzen die Räume der alten und neuen Kathedrale für alle möglichen Events. Manche sind monatlich angesetzt, wie zum Beispiel Filmscreenings, Yoga-Stunden oder das „Let’s chill: Baby-Hangout“.

Weihnachtliches Fotoshooting mit dem Eventsteam
Foto: Sarah Scouller

Bei letzterem können Eltern mit ihren Babys einen Vormittag lang auf einer großen Spielmatte vor dem Buntglasfenster in der neuen Kathedrale spielen (klang auch nach einem etwas komischen Konzept für mich, aber die Kinder scheinen unter dem Licht vom Fenster und so in der Ruhe der Kirche sehr gut entspannen zu können). Und dann stehen immer wechselnde Veranstaltungen an, die teilweise vom Team selbst und teilweise von externen Veranstaltern ausgerichtet werden. Seit ich hier bin, gab es schon ein Herbstfest in den Ruinen, mehrere klassische Konzerte und Kunstausstellungen, einen großen Flohmarkt, ein Wein-Tasting und vieles mehr. Das Spektrum des Möglichen ist auf jeden Fall breit, was mich anfangs auf jeden Fall positiv überrascht bis ein bisschen verwirrt hat. Dass eine Kirche für so viele Veranstaltungen genutzt wird, die wenig bis gar nichts mit Gott oder Glauben zu tun haben, kannte ich von zuhause nicht in dem Ausmaß. Wobei es auch hier natürlich Grenzen gibt: alles, was mit Halloween oder ähnlich ketzerischen Festen zu tun hat, ist zum Beispiel Tabu. Da jede Woche unterschiedliche Veranstaltungen anstehen, habe ich keinen festen Arbeitsablauf. An Tagen mit Events helfe ich vorher meistens beim Getränke einkaufen, Stühle stellen, dekorieren, Bar aufbauen oder sonstigen Vorbereitungen. Die Arbeit bei den Veranstaltungen an sich besteht dann manchmal aus Tickets kontrollieren, Getränke und Snacks verkaufen und selbst mitmachen, manchmal auch nur aus Toiletten zeigen und im Hintergrund bereitstehen, falls die Veranstalter:innen Probleme haben. Mein Highlight bis jetzt war auf jeden Fall das Step-into-Christmas-Weekend (die Elton-John-Referenz habe ich erst sehr spät verstanden) am ersten Adventswochenende. Freitagabends ging es mit einem Ceilidh los, das ist ein schottisch-irischer Volkstanz. Dafür haben wir die Kathedrale von allen Stühlen befreit, es kam eine traditionelle Band und eine Ansagerin und man hat in Paaren verschiedene Tänze beigebracht bekommen. Wir haben Glühwein und Mince Pies verkauft, immer abwechselnd selbst mitgetanzt und die Stimmung war super.

Verantwortung übernehmen

Am Samstag hatten wir dann einen vollen Tag mit zwei Vorführungen des Weihnachtsfilms „Nativity!“, der in Coventry spielt und teilweise in den Ruinen gedreht wurde, und einem kleinen Weihnachtsmarkt mit lokalen Hersteller:innen von Schmuck, Weihnachtskarten, Deko etc. in der Kathedrale. Darber habe ich mich am meisten gefreut, denn es war mein erstes kleines Projekt, die Stände dafür auszuwählen. Man konnte sich online bewerben, ich habe mir die Bewerbungen angeschaut, die besten ausgewählt und mit den Standbetreiber:innen über alle Details gemailt. Das klingt jetzt vielleicht nicht so weltbewegend, aber das war das erste Mal, dass ich die Hauptverantwortung für etwas hatte und die Stände an dem Tag dann in echt zu sehen, war ein sehr cooles Gefühl.

Step-into-Christmas-Weihnachtsmarkt
Foto: Lea Rischmüller

Was allerdings auch zu meinem Arbeitsalltag gehört, ist, dass ich an Tagen ohne Veranstaltungen noch oft ins Büro komme, ohne zu wissen, was ich heute zu tun habe. Ich gestalte dann Poster, bastele Deko, suche Fotos oder Videos für Social Media raus, recherchiere für anstehende Events und mache (elementar wichtiger Freiwilligen-Job!) Tee für alle. Hin und wieder sitze ich auch nur da, unterhalte mich mit den anderen und warte, bis es wieder etwas für mich zu tun gibt. An manchen Tagen stört mich das gar nicht, an anderen komme ich mir dadurch ein bisschen wie die nutzlose Praktikantin vor. Wahrscheinlich gehört das auch teilweise zur Position einer Freiwilligen dazu, aber ich hoffe trotzdem, dass ich in der Zukunft noch mehr feste Aufgaben bekomme, an denen ich arbeiten kann, ohne auf meine Kolleg:innen angewiesen zu sein.

Generell bin ich aber sehr glücklich mit meinem Projekt. Das Arbeitsumfeld ist total herzlich, ich fühle mich nicht unter Druck gesetzt, falls ich irgendeine Aufgabe noch nie gemacht habe und mich erstmal einfinden muss und ich freue mich über jede Zeit mit meinen Kolleg:innen. Ob wir nur im Büro sitzen, gemeinsam Mittagspause machen, bei den Events an der Bar stehen, vorher zusammen kochen und essen oder außerhalb der Arbeit etwas unternehmen – ich habe sie einfach sehr gerne um mich und sie sind eine große Stütze für mich.

Heiligabend bei Wildfremden im Wohnzimmer

Das mag bis jetzt nicht so rüberkommen, aber ich gebe mir tatsächlich Mühe, mir auch ein bisschen ein Leben außerhalb der Kathedrale aufzubauen. Jeden Donnerstagabend singe ich daher im Chor der Warwick Universität und fühle mich seit der ersten Probe sehr wohl dort. Die Gruppe besteht zum einen aus Rentner:innen, mit denen ich in den Pausen sehr gerne einen kleinen Plausch halte, und zum anderen natürlich aus Student:innen, von denen manche mehr und manche weniger offen für Menschen von außerhalb sind. Ich gebe auf jeden Fall mein Bestes, aufgeschlossen zu sein, auf die Leute um mich herum zuzugehen und zum Beispiel im Fall von Amélie hat das sehr gut geklappt.

Foto: Lea Rischmüller

Sie studiert im ersten Semester englische Literatur, singt genauso wie ich 2. Sopran, und seitdem wir das erste Mal in einer Probe nebeneinandersaßen, verbringen wir auch außerhalb des Chores sehr viel Zeit zusammen. Irgendwann hat sie mich sogar eingeladen, über Weihnachten zu ihr und ihrer Familie nach Worcester zu kommen und genau das ist jetzt der Plan. Ich hatte sowieso das Gefühl, dass ich nicht wie meine Mitfreiwilligen für die Feiertage nach Hause fliegen, sondern das so als Teil meines Auslandsjahres hier erleben will, und besser als bei der Familie einer Freundin könnte ich es mir nicht vorstellen. Ob ich das immer noch so cool finde, wenn ich Heiligabend bei wildfremden Eltern im Wohnzimmer sitze, weiß ich nicht, aber das werde ich jetzt wohl herausfinden.

„Get in the bin!“ und Pride-Ohrringe

Ein zusätzlicher Punkt, der für mein Auslandsjahr hier gesprochen hat, war, dass ich Lust hatte, den ganzen Tag eine andere Sprache, am liebsten Englisch, zu sprechen. Über zu wenig Englisch kann ich mich hier auf jeden Fall nicht beschweren, ich kann mich ja anders als andere ASF-Freiwillige nicht mal mit meiner Mitfreiwilligen, die aus Polen kommt, auf Deutsch unterhalten. Dementsprechend denke ich im Alltag gar nicht mehr so viel über den Sprachenunterschied nach und gebe einfach mein Bestes, mich verständlich auszudrücken. Nur wenn jemand beispielsweise ironische Kommentare macht oder meine Kolleg:innen in schnelle Schlagabtausche über irgendwelche englischen Serien oder Bücher geraten, muss ich mein wissendes Gesicht auflegen, ohne wirklich etwas zu verstehen. Dann sitze ich daneben, versuche nachzuvollziehen, was sie meinen und höre manchmal auch nur sehr interessiert zu, welche Sprüche und Redewendungen sie so benutzen. Einer meiner Favoriten stammt aus Georgias Wortschatz. Wenn sie geschockt von dem ist, was ihr jemand erzählt oder etwas gar nicht glauben kann, kommt immer ein sehr empörtes „get in the bin!“ von ihr. Ich würde an der Stelle vielleicht mit „als ob“ oder „das kann doch nicht wahr sein“ reagieren, aber „get in the bin“ trifft das Gefühl viel besser, finde ich. Einen weiteren Favoriten habe ich das erste Mal bei Mary gehört. Sie ist hier Kanonikerin, trägt Pride-Ohrringe, hat ein eigenes Andachtsformat eingeführt, in dem sie sich dem christlichen Glauben über Kunst und Musik nähert und ist einfach die coolste Geistliche, die ich je getroffen habe. Wenn ich eine Aufgabe für sie erledige oder ihr einen Gefallen tue, bedankt sie sich manchmal nicht nur, sondern sagt „You’re a star!“. Und was soll ich sagen, wenn Mary das zu mir sagt, fühle ich mich jedes Mal wie die wertvollste Person der Welt.

Erster Besuch von zuhause
Foto: Nosipho Radebe

Ich hoffe, es kommt rüber, dass ich hier eine sehr gute Zeit habe und mich grundsätzlich wirklich wohl fühle. Trotzdem gibt es auch regelmäßig Tage, an denen ich mich sehr allein fühle, vor allem wenn ich gerade lange mit jemandem zuhause telefoniert habe oder nachdem meine beste Freundin und ihre Mutter, mit denen ich eine sehr tolle Woche hier hatte, wieder abgereist waren. Ich fühle mich dann räumlich, aber auch emotional so weit weg von allen, die ich vermisse, dass ich richtig traurig werde. Wahrscheinlich wird mich dieses Gefühl auch in den nächsten Monaten weiter begleiten, faktisch bin ich ja auch ziemlich weit weg und ziemlich allein.

Immer wenn ich allerdings darüber nachdenke, ob es die richtige Entscheidung war, nach Coventry zu kommen, fällt mir kein Ort ein, an dem ich gerade lieber wäre. Es fühlt sich total richtig an, hier zu sein und ich bin sehr froh, dass sich die krank im Bett liegende und panikschiebende Lea Ende August nicht dazu entschieden hat, die Idee mit dem Freiwilligendienst in England doch noch spontan über Bord zu werfen!

Ich möchte mich abschließend beim Internationalen Jugendfreiwilligendienst (IJFD), bei der Evangelischen Landeskirche Hannovers, bei der Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland e.V. und bei der Kathedrale von Coventry für die Unterstützung meines Dienstes bedanken. Natürlich geht auch ein sehr großes Danke an meine ASF-Pat:innen – und Chapeau, wenn Sie nicht schon nach der Hälfte dieses Berichtes das Lesen aufgegeben haben!

Autorin: Lea Rischmüller

Region „Mitte“ hat sich in der Weimarer Herderkirche getroffen

Foto: Tabea Kormeier

Bei herrlichem Sonnenschein trafen sich am 9. März 2024 die Vertreter:innen der Nagelkreuzzentren und Einzelmitglieder der Region Mitte in Weimar. Es war bereits das 10. Treffen. Besonders erfreulich: Die Zahl der Teilnehmer:innen wächst! Dieses Jahr waren es Vertreter:innen aus 11 von 16 Zentren der Region. Die ausgebliebenen Zentren hatten im Vorfeld die Möglichkeit erhalten, schriftlich von ihrer Arbeit zu berichten und so ebenfalls „anwesend“ zu sein. Auch Informationen von der Vorstandsarbeit des Vereins fanden auf diese Weise ihren Weg zu den Teilnehmer:innen.

Die Zusammenkunft begann mit einer Andacht am Nagelkreuz in der Herderkirche, die von Pfarrer Sebastian Kircheis gestaltet wurde. Im Anschluss führte Superintendent Heinrich Herbst unter dem Leitgedanken „Narben und Wunden aus der Vergangenheit“ durch die Kirche. Manche Verletzungen, wie etwa abgeschlagene Köpfe, bleiben bestehen, erzählen aber trotzdem ihre Geschichte. Andere Narben konnten geheilt werden, zum Beispiel eine beschädigte Bibel.

Im nahe gelegenen Herderzentrum lernten sich die Anwesenden näher kennen, insbesondere indem sie von der Arbeit in ihren Zentren berichteten. So fanden sich auch Ansprechpartner:innen für die Vernetzung und Zusammenarbeit bei konkreten Themen. Deutlich wurde auch der Wunsch nach einem Wandernagelkreuz: Immer mehr Zentren arbeiten in ökumenischer Besetzung oder bringen das Nagelkreuz und seine Intentionen vermehrt in den öffentlichen Raum. Schwerpunkte der an allen Orten regelmäßig gehaltenen Gebete sind vor allem die aktuellen Kriege und die anstehenden Wahlen mit dem befürchteten Rechtsruck.

Foto: Teresa Tenbergen

Passend dazu war das Thema des Vortrages nach dem Mittagessen gewählt. Dr. Sebastian Kranich, Direktor der Ev. Akademie Thüringen, sprach zu „Miteinander reden? Erfahrungen und Reflexionen von Toleranz und ‚klarer Kante‘“. Nach einer anfänglichen biografischen Selbstverortung setzte Kranich vier Schwerpunkte: Die Frage, was überhaupt Versöhnung sei. Was es heißt, miteinander zu reden. Was mit „klarer Kante“ sei. Und schließlich ein Rückgriff auf Bonhoeffer und seine Rechenschaft nach zehn Jahren Nationalsozialismus in Deutschland.

Während der durch Paulus geprägte Gedanke des Bedarfs eines Gesandten zur Vermittlung zwischen unterschiedlichen Positionen in der anschließenden Diskussion weniger eine Rolle spielte, zeigten Gedanken zum Setting eines Dialogs rege Resonanz. Neben der grundlegenden Bereitschaft und Fähigkeit, einander zuzuhören und verstehen zu wollen, ist es erforderlich, genau hinzuhören. Denn Hass macht ungenau, führt zu Verallgemeinerungen und unberechtigter Ablehnung. Weiter blieb der Gedanke hängen, dass es für die Bereitschaft der Selbsthinterfragung und Öffnung der eigenen Position wichtig ist, in einem kleinen Rahmen zu sprechen. In großen Versammlungen neigen die Teilnehmenden stärker dazu, sich selbst zu behaupten und die eigene Position wirksam dazustellen.

Möglicherweise gilt hier das Wort Jesu von der Versammlung von zwei oder drei in einen ganz anderen Kontext: Jesus ist ebenfalls Vorbild und Maßstab für einerseits das Verstehen und andererseits das „klare-Kante-Zeigen“, wenn er beispielsweise die Händler aus dem Tempel wirft. Diesen Weg schlägt, so die Befürchtung mancher Teilnehmer, gerade die Kirche ein, wenn sie rechtsorientierten Parteien den Zugang zu Podien verwehrt, weil diese eben kirchen- und auch demokratiefeindlich sind. Schließlich nutzte der Referent Gedanken von Bonhoeffer, um den eigenen Standort und das eigene Nicht-/Handeln kritisch zu reflektieren. Die anschließende Diskussion vertiefte die Überlegungen und nutzte dabei den kleinen Rahmen zu einem offenen Austausch der Gedanken.

Nach einem Kaffee gab es schließlich noch eine Stadtführung, bei der allerdings schon manche Teilnehmer:innen „verloren“ gingen. Das Gruppenfoto ist deshalb nicht mehr ganz vollzählig ist. Aber, vielleicht klappt es ja im nächsten Jahr – sicher mit noch mehr Teilnehmer:innen! Die Region hat bereits eine Einladung der Nagelkreuzbewerber aus Chemnitz angenommen und sich für den 8. März 2025 dort verabredet. Gern dürfen Sie sich diesen Termin bereits notieren.

Autorin: Tabea Kormeier

 

25 Jahre Nagelkreuz für die Militärseelsorge: Feierlicher Konvent in Strausberg

Foto: Azayan

Das Evangelische Militärdekanat Mitte erneuerte während seines Gesamtkonvents im Februar 2024 in Strausberg bei Berlin seine Mitgliedschaft in der Nagelkreuzgemeinschaft. Anlass war die Verleihung des Nagelkreuzes an den damaligen „Beauftragten für die Seelsorge an Soldaten in den neuen Bundesländern“ vor 25 Jahren.

Damals, am 12. Februar 1999, hatte nicht nur die Dresdner Frauenkirche ihr bekanntes Turmkreuz aus Coventry erhalten. Am gleichen Tag überreichte der seinerzeitige Dekan der Kathedrale John Petty auch ein Nagelkreuz an Dr. Werner Krätschell. Dieser hatte auf Bitte des damaligen Bischofs der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, Wolfgang Huber, 1997 den Aufbau der Militärseelsorge in den „neuen Bundesländern“ übernommen.

Zwar ist das Amt des „Beauftragten“ längst abgeschafft und die evangelische Seelsorge für die Soldatinnen und Soldaten wird seit 2004 auch in den östlichen Bundesländern von der Evangelischen Kirche in Deutschland wahrgenommen. Das Nagelkreuz gibt es allerdings noch immer. Es hat seine Heimat inzwischen beim Evangelischen Militärdekanat Mitte in Berlin. Es wandert durch die Pfarrämter des Dekanatsbereichs, wo es die Gottesdienste und Andachten bereichert. Auch bei zwei Auslandseinsätzen in Afghanistan und im Kosovo war es mit dabei.

Foto: Azayan

Schon bevor Krätschell das Kreuz in Coventry erhielt, war es als Versöhnungsbotschafter auf Schiffen der britischen und deutschen Marine unterwegs. Verliehen war es damals an Militärpfarrer Herbert Tratz, Mitgründer und Mitglied des ersten Vorstandes der Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland e. V. Es blickt auf eine Geschichte sowohl im Bereich des ehemaligen Nord- als auch Ost-Konvents der Evangelischen Militärseelsorge in der Bundeswehr zurück. Inzwischen sind beide Konvente zum Dekanat Mitte vereint. Damit steht das Kreuz neben seiner Versöhnungsbotschaft auch als verbindendes Symbol für den zusammengewachsenen Konvent.

Der Jubiläumsgottesdienst wurde am 28. Februar 2024 im Saal des Strausberger „Zentrums für Informationsarbeit der Bundeswehr“ gehalten. Militärpfarrer Matthias Spikermann erinnerte in seiner Predigt an die Versöhnungsidee von Coventry. Seitens der Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland e. V. erneuerte anschließend Felicitas Weileder die Verleihung des Nagelkreuzes nun an den zusammengewachsenen Konvent Mitte. Anschließend sprachen Weileder und Dr. Krätschell die Versöhnungslitanei von Coventry. Das Gebet ist auch im Evangelischen Gesang- und Gebetbuch für Soldaten abgedruckt.

Als weitere Gäste waren Dr. Jan Kingreen von der Stiftung Garnisonkirche Potsdam und Friedensbeauftragter der EKBO, Pfarrerin Angelika Behnke von der Dresdner Frauenkirche und die Vertreter des Nagelkreuzzentrums der Berliner Martin-Luther-Gedächtniskirche Klaus Wirbel, Gerd Niehoff und Rainer Drews zugegen. Im Anschluss an den Abendmahlsgottesdienst sorgte ein Empfang für Gelegenheit zum ausgiebigen Gedankenaustausch.

Foto: Azayan

Für die Organisation der Jubiläumsveranstaltung und die Liturgie des Festgottesdienstes verantwortlich waren Militärpfarrerin Inga Troue, Militärpfarrer Michael Blaszcyk und Militärpfarrer Matthias Spikermann. Die musikalische Ausgestaltung übernahm Pfarrhelfer Kay Dobberstein, welcher inzwischen selbst seit 25 Jahren seinen Dienst in der Militärseelsorge verrichtet.

Autor: Matthias Spikermann

 

Region „Südwest“ hat sich im Haus der Ev. Kirche Pforzheim getroffen

Foto: Gernot Härdt

Im Haus der Ev. Kirche in Pforzheim trafen sich am 9. März 2024 Vertreter:innen der zwölf Nagelkreuzzentren und Einzelmitglieder der Region Südwest. Die rund 25 Teilnehmerinnen waren u. a. aus Württemberg, Darmstadt, Saarbrücken, Offenburg, Karlsruhe und natürlich aus Pforzheim angereist.

Christian Roß berichtete aus der Arbeit des Leitungskreises. Die Teilnehmer:innen regten an, über einen Neuzuschnitt der ausgedehnten Region nachzudenken. Ihren Berichten war zudem zu entnehmen, dass die Beteiligung an den Andachten unterschiedlich ist. Die Zentren mit eher schwacher Resonanz ließen sich ermutigen, trotzdem „dranzubleiben“, um den Versöhnungsgedanken weiterzutragen.

Foto: Hans Gölz-Eisinger

Gegenstand der Überlegungen war auch, den Begriff „Nagelkreuz“ in der Bezeichnung der Andachten durch Wörter wie Friedensgebet, ökumenisches Mittagsgebet o. ä. zu ersetzen, um Außenstehende nicht abzuschrecken. Beraten wurde auch die zukünftige Gestaltung der Nagelkreuz-Jugendarbeit (u. a. Fahrt nach Coventry) und die Einrichtung einer Online-Cloud zum Austausch von Materialien und Informationen.

Foto: Hans Gölz-Eisinger

Roland Ganninger führte die Teilnehmer durch die Stadtkirche Pforzheim und informierte über die Geschichte der Kirche und des dortigen Nagelkreuzes. Den Abschluss des Treffens bildete eine Andacht bei einem Puzzle mit den Namen der Partnergemeinden der Stadt Pforzheim. Das Puzzle soll bis zum Ende des Ukrainekrieges in der Kirche ausliegen und steht unter dem Leitgedanken „Damit aus Fremden Freunde werden“. Das nächste Regionaltreffen Südwest findet am 22. März 2025 in der Ludwigskirche Saarbrücken statt.

Autor: Gernot Härdt

 

25 Jahre Nagelkreuz auf Hiddensee: Symposium „Sehnsucht nach Frieden und Wege dahin“

Inselkirche Kloster/Hiddensee
Foto: Nagelkreuzgemeinschaft

Seit 25 Jahren gehört die Kirchengemeinde Kloster zur Nagelkreuzgemeinschaft. Im April 1999 erhielt sie das Nagelkreuz. Dieses Jubiläum bot Anlass zu einem Symposium, das am Wochenende nach Ostern in Kloster auf Hiddensee zum Thema: „Sehnsucht nach Frieden und Wege dahin“ stattfand. Etwa 60 Teilnehmende kamen aus verschiedenen Nagelkreuzzentren zusammen und gingen der Frage nach, wie die Kriege unserer Zeit uns im Denken und Handeln herausfordern. Welche Schritte auf dem Weg des Friedens können wir gehen? Welche Möglichkeiten und Aufgaben haben wir?

Eine erste Antwort gab Rüdiger von Fritsch, ehemaliger deutscher Botschafter in Moskau, in der voll besetzten Inselkirche. Er berichtete über Hintergründe des Krieges Russlands gegen die Ukraine und stellte fest: Wenn wir nicht die Zuversicht haben, die Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen, dann werden wir es auch nicht tun. Wir müssen uns unserer Stärken bewusst sein.

Zuversicht und Hoffnung! Wie gewinnen wir sie? Durch eine Kultur des Erinnerns, betonte Oliver Schuegraf, Vorsitzender der Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland e. V. Wir müssen uns von Geschichten gelingender Versöhnung tragen lassen und das Nagelkreuz ist eine solche Geschichte. 1940, als deutsche Bomber die englische Stadt Coventry und ihre Kathedrale zerstört hatten, verzichtete der damalige Propst Richard Howard auf Vergeltungsrhetorik. Stattdessen rief er auf, zu Versöhnung offen zu bleiben. „Vater vergib!“. Diese Worte schrieb er an den Altar und aus dem zerbombten Gebälk fügte er Nägel zu einem Kreuz zusammen. So schuf er ein Symbol, das die Friedensbotschaft Jesu in besonderer Weise als Zentrum des christlichen Glaubens vergegenwärtigt. Wege wurden vorbereitet, die nach Ende des Krieges begehbar waren und die Menschen aus verfeindeten Ländern wieder zusammenbrachten. Es wuchs ein Netzwerk für Frieden und Versöhnung mit heute über 250 Nagelkreuzzentren weltweit – 70 davon in Deutschland. Ihr Leitbild ist es, Wunden der Geschichte zu heilen, mit Unterschieden zu leben sowie eine Kultur des Friedens und der Gerechtigkeit zu schaffen.

Schuegraf stellte die Frage, ob es Zeiten und Situationen gibt, an denen die Suche nach Frieden und Versöhnung nicht durchdringen kann, bzw. noch schärfer: An denen vielleicht die Forderung nach Frieden und Versöhnung gar nicht angemessen ist? Sollte es solche Zeiten geben, was ist dann in der Zwischenzeit? In Gesprächsgruppen und in einem Podiumsgespräch wurde darüber nachgedacht. Disputanten waren der sächsische Kirchenzeitungsredakteur Stefan Seidel – gerade hat er sein Buch „Entfeindet Euch“ publiziert –, der ehemalige UN-Sonderbeauftragte Martin Kobler und der Agrarwissenschaftler Joachim von Braun, u. a. stellvertretender Präsident der Welthungerhilfe. Betont wurde, dass Krieg in Köpfen von Menschen entsteht und auch nur dort sein Ende findet. Wichtig sei es, in einer Zeit, in der die öffentliche Debatte zunehmend von Kriegsrhetorik geprägt ist, auch eine Sprache des Friedenswillens wach zu halten. Nie dürfe aufgegeben werden, das Gespräch selbst mit Kriegstreibern zu suchen. Es gehört zur Friedensverantwortung, dies immer und immer wieder zu tun. Irgendwann werden auch Feinde wieder zusammenleben müssen. Opfer müssen Tätern vergeben, Täter müssen zur Sühne bereit sein. Vergebung und Versöhnung – im Wissen darum, dass Schuldzusammenhänge umfassend sind, können sie gelingen. Zugleich gilt: Frieden, der nicht nach Gerechtigkeit fragt, kann es nicht geben. Ein Wertekanon, an dem Schuld benennbar und in ihrer Schwere unterscheidbar bleibt, ist unverzichtbar. Um ihn gilt es zu streiten. Internationales Recht muss gelten und Umsetzung finden.

Waffen liefern – ja oder nein? In die Ukraine? Nach Israel? Die Antworten fielen unterschiedlich aus. Einigkeit bestand im Wissen darum, dass jede mögliche Entscheidung mit Schuld verbunden ist. Und dass uns nichts von der Verantwortung entbindet, für Frieden und Versöhnung einzustehen. Wichtig ist es, sich in der Sehnsucht nach Frieden vereint zu wissen. Und im Gebet verbunden zu sein: „Vater vergib!“

Autor: Dr. Konrad Glöckner

 

Wahrzeichen mit Friedensbotschaft: Garnisonkirche Potsdam vor der Eröffnung

Die Garnisonkirche Potsdam ist eines von 77 Nagelkreuzzentren in Deutschland und eröffnet 2024 als einzigartiger Erinnerungs-, Bildungs- und Kulturort. Am Ostermontag, 1. April, wird die Kapelle im Turm in Dienst genommen. Dr. Jan Kingreen, Pfarrer und Stiftungsvorstand, erklärt die Geschichte und das Anliegen des Ortes.

Warum hat ausgerechnet die Garnisonkirche Potsdam, die immer wieder als „Symbol des Militarismus“ bezeichnet wird, ein Nagelkreuz? Diese Frage wird mir in regelmäßigen Abständen gestellt. Und ich frage gerne zurück: Wo, wenn nicht hier? Genau hier, an diesem Ort mit seiner ambivalenten Historie, will die Stiftung Garnisonkirche Geschichte kritisch aufarbeiten und für Frieden eintreten. Die friedenstiftende Idee der Versöhnung von Coventry spielt für die Stiftung als Eigentümerin und Betreiberin der Garnisonkirche und für unser Netzwerk Nagelkreuzgemeinde dabei eine wichtige Rolle.

Die Garnisonkirche Potsdam hat eine lange, fast 300-jährige Geschichte. 1730 bis 1735 wurde sie unter dem preußischen „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I. erbaut. 1945 brannte die Barockkirche, die als eines der Wahrzeichen Potsdams galt, beim Bombenangriff auf die Stadt aus. 1950 wurde im Turm die Heilig-Kreuz-Kapelle als friedensstiftender Ort eingerichtet. Doch 1968 ließ das kirchenfeindliche DDR-Regime die Reste des Kirchenschiffs und den Turm sprengen. Damit wurde auch der damalige Versammlungsort der evangelischen Heilig-Kreuz-Gemeinde zerstört.

Doch die Geschichte endete nicht. Seit 2017 baut die Stiftung Garnisonkirche Potsdam die Kirche wieder auf – im Geist von Coventry. Bereits 2004 wurde dem Ort das Nagelkreuz von Coventry verliehen. Noch in diesem Jahr, 2024, wird der 57 Meter hohe Turm eröffnet – äußerlich fast originalgetreu in seiner barocken Form, innen mit einem neuen Raum- und Nutzungskonzept als Erinnerungs-, Bildungs-, Kirchen- und Kulturort. Und übrigens auch mit einer Aussichtsplattform, die barrierefrei mit dem Aufzug erreichbar ist. Sie bietet einen fantastischen Blick auf die UNESCO-Welterbestadt Potsdam und bis nach Berlin.

Deutsche Geschichte reflektieren – an einem Ort mit ambivalenter Historie

Foto: Stiftung Garnisonkirche Potsdam

Als Ort der Erinnerung ist die Garnisonkirche fast schon prädestiniert, denn sie steht für die wechselvolle deutsche Geschichte in den vergangenen drei Jahrhunderten, besonders aber des 20. Jahrhunderts. Keine Frage: Die historische Kirche war auch ein Ort antidemokratischer und traditionalistischer Kräfte und galt als Symbol des Militarismus. Am 21. März 1933, dem „Tag von Potsdam“, inszenierten die Nationalsozialisten in der nationalprotestantischen Kirche die Machtübernahme von Adolf Hitler. Das Foto des Handschlags zwischen Reichspräsident Paul von Hindenburg und Reichskanzler Adolf Hitler vor der Garnisonkirche Potsdam hat sich tief im kollektiven Gedächtnis verankert. Doch wird diese Geschichte in der wiederaufgebauten Kirche nicht verschwiegen – im Gegenteil.

Ziel des Wiederaufbaus ist gerade, einen Erinnerungs-, Kultur- und Diskursort zu schaffen, in dem die deutsche Geschichte kritisch reflektiert wird – stets mit Blick auf Gegenwartsfragen. Dies findet zum einen in unserer Ausstellung „Glaube, Macht und Militär“ im Turm statt. Zum anderen in unserem breiten Bildungsprogramm und in Veranstaltungen, etwa Diskussionen und Lesungen.

Als Programmvorstand der Stiftung möchte ich die wiederaufgebaute Garnisonkirche als Diskursraum für gesellschaftspolitische Debatten etablieren, der eine hohe Strahlkraft in die Stadtgesellschaft und über die Grenzen Potsdams hinaus hat. Und als Ort, dessen Veranstaltungen stets mit dem Thema „Erinnern und Frieden stiften“ verbunden sind. Das gilt natürlich auch für unser religiöses Angebot, zu dem Gottesdienste, Andachten und Friedensgebete gehören.

2004 verlieh Paul Oestreicher dem Ort das Nagelkreuz von Coventry

Die Aktivitäten der Stiftung und des Netzwerks Nagelkreuzgemeinde in Potsdam sind übrigens nicht neu. Sie gab es schon, bevor 2017 der erste Stein für den Wiederaufbau des Kirchturms an der Breiten Straße in Potsdam gelegt wurde. Bereits 2004 wurde dem Ort das Nagelkreuz von Coventry verliehen. Der Canonicus der Versöhnungskathedrale von Coventry, Paul Oestreicher, übergab das Nagelkreuz dem damaligen Generalsuperintendenten Potsdams, Hans-Ulrich Schulz, und nahm die wiederaufzubauende Garnisonkirche in die internationale Nagelkreuzgemeinschaft auf.

Bewusst wurde dafür der 60. Jahrestag des Widerstands am 20. Juli 1944 gegen Hitler gewählt. Denn die Garnisonkirche war auch der religiöse Ort des Infanterieregiments 9, dem zahlreiche Widerstandskämpfer angehörten. 2011 wurde eine temporäre Kapelle am Baufeld errichtet und eine evangelische Pfarrstelle eingerichtet. 2014 wurde der Kapelle der Name „Nagelkreuzkapelle“ verliehen.

Die temporäre Kapelle beheimatete eine Ausstellung zur Geschichte und zum Wiederaufbau und diente für Gottesdienst, Friedensgebete und Veranstaltungen, die den Aufgaben der Nagelkreuzgemeinschaft Rechnung tragen: die Wunden der Geschichte heilen, die Vielfalt feiern, eine Kultur des Friedens bauen. Das Symbol des Nagelkreuzes auf dem Altar war Ausdruck der Verbundenheit mit den Ideen und der weltumspannenden Bewegung von Coventry – und wird es weiter sein.

Engagiertes Netzwerk für Einheimische wie für Touristen

Denn in der Nagelkreuzkapelle im wiederaufgebauten Turm, die – noch vor Beginn des allgemeinen Turmbetriebs – am 1. April feierlich in Dienst genommen wird, werden wir weiter für die Ideen und den Geist von Coventry eintreten.

Das Netzwerk Nagelkreuzgemeinde an der Garnisonkirche steht allen Menschen offen. Als Profilgemeinde wendet sich das Netzwerk besonders an Interessierte der Stadtgesellschaft, Passanten und Touristen und führt Menschen mit dem gemeinsamen Anliegen zusammen, geistliches Leben im Horizont des besonderen Profils zu gestalten. Als Pfarrer der Garnisonkirche und Friedensbeauftragter der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz habe ich viele Pläne, unseren Wirkungskreis zu erweitern und neue religiöse Formate zu etablieren, etwa einen „Segen to go“ am frühen Morgen, der für die Mitarbeitenden in den umliegenden Ministerien und Büros attraktiv ist.

Foto: Stiftung Garnisonkirche Potsdam

Darüber hinaus pflegt unser Netzwerk Nagelkreuzgemeinde Beziehungen zu evangelischen Kirchengemeinden und weiß sich der ökumenischen wie interreligiösen Arbeit verpflichtet. Es fördert zudem den Dialog im Sozialraum und setzt sich dafür ein, die drei inhaltlichen und räumlichen Ebenen (Ausstellung, Bildung und Vermittlung, Religion und Kultur) im Turm der Garnisonkirche inhaltlich zu verbinden.

Vorfreude auf die Eröffnung

Seit Anfang 2024 zeigt sich der wiederaufgebaute Turm der Garnisonkirche ohne Baugerüst, und die Neugier der Öffentlichkeit auf das alte, neue Bauwerk in der brandenburgischen Landeshauptstadt steigt. Auch beobachte ich eine zunehmend positive Wahrnehmung. Es gibt zwar weiterhin einige lautstarke Kritiker des Wiederaufbaus, aber ihre Menge ist deutlich kleiner als die der Befürworter. In der Politik, in der Stadtgesellschaft und in der Kirche gibt es eine breite Unterstützung. Diese hat den Wiederaufbau der Garnisonkirche als Ort der Friedensarbeit überhaupt erst ermöglicht.

Fast schon vergessen ist, dass sich der Wiederaufbau auf einen Beschluss der Stadtverordnetenversammlung von 1990 über die Wiederannäherung an das historisch gewachsene Stadtbild stützt. Die Garnisonkirche ist Teil der historischen Mitte Potsdams, in der auch das Stadtschloss (heute Brandenburgischer Landtag) und das Palais Barberini (heute Museum Barberini) wiedererrichtet wurden. Schirmherr des Bauprojekts Garnisonkirche ist der Bundespräsident. Viele kleine und große Spenden haben zum Erfolg beigetragen, dabei waren auch prominente Spender wie der Fernsehmoderator Günther Jauch.

Unterstützung gibt es zudem von zahlreichen Förderern wie der Fördergesellschaft für den Wiederaufbau der Garnisonkirche e.V. Auch die evangelische Kirche trägt das Projekt aktiv mit. Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung ist Dr. Christian Stäblein, Bischof der EKBO. Zudem gewährten die Landeskirche und die Evangelische Kirche der Stiftung Darlehen für den Wiederaufbau. Weitere Mittel stellte die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien zur Verfügung.

Menschen aus aller Welt sind willkommen

Wir freuen uns darauf, in der Garnisonkirche viele Menschen aus Deutschland und aus der ganzen Welt zu begrüßen, die für Frieden und Versöhnung eintreten wollen.

„Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens“: Dieser Bibelspruch aus dem Lukasevangelium ist im Sockel des wiederaufgebauten Turms eingemeißelt – auf Deutsch, Englisch, Französisch, Polnisch und Russisch. Es ist eine sichtbare Friedensbotschaft mitten in Potsdam und das Fundament unseres Engagements im Geist der Nagelkreuzbewegung.

Besuchen Sie gern unsere Webseite: www.garnisonkirche-potsdam.de

Autor: Dr. Jan Kingreen. Er ist Pfarrer der Garnisonkirche, Friedensbeauftragter der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) und Programmvorstand der Stiftung Garnisonkirche Potsdam. Die kirchliche Stiftung ist Eigentümerin und Betreiberin der Garnisonkirche.

 

Kirchenkreis Lüdenscheid-Plettenberg: Nagelkreuz wandert von der Kreuzkirche zum Diakonischen Werk

Iris Jänicke erhält das Kreuz von Andreas Moos. (Foto: Wolfgang Teipel)

Zum Jahresbeginn 2024 erlebten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Diakonischen Werkes des Ev. Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg einen besonderen Gottesdienst. Die Feier stand ganz im Zeichen des Nagelkreuzes.

Diakonie-Geschäftsführerin Iris Jänicke nahm im Plettenberger Paul-Gerhardt-Haus das Kreuz aus der Hand von Andreas Moos entgegen. Er vertrat in diesem Gottesdienst die Lüdenscheider Kreuzkirchengemeinde. Sie hatte das Kreuz seit September 2021 beherbergt. Britta Däumer und Stefan Schick, Vertreter des Nagelkreuzzentrums „Ev. Kirchenkreis Lüdenscheid-Plettenberg“ schilderten in kurzen Vorträgen die Geschichte und Bedeutung des Kreuzes.

Stefan Schick und Britta Däumer (Foto: Rendel Simon)

Bereits seit 1996 steht im Ev. Kirchenkreis Lüdenscheid-Plettenberg ein Nagelkreuz. Seinerzeit war es dem Kinder- und Jugendreferat, der Ev. Kirchengemeinde Herscheid und der damaligen Tagungsstätte „Haus Nordhelle“ für ihre internationale Versöhnungsarbeit überreicht worden. Im „Haus Nordhelle“ hatte das Kreuz auch seinen ursprünglichen Standort. Seit Schließung der Einrichtung steht es in der Johannis-Kirche in Plettenberg-Eiringhausen. Zum 25-jährigen Nagelkreuzjubiläum im Jahr 2021 kam ein Wandernagelkreuz hinzu, das seinen ersten Aufstellungsort in der Ev. Kreuzkirchengemeinde in Lüdenscheid fand. Nun wurde es an das Diakonische Werk des Kirchenkreises weitergereicht.

Stefan Schick erläuterte: „Jetzt soll das Diakonische Werk dieses Wandernagelkreuz für zwei Jahre bekommen. Die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden sind unermüdlich im Einsatz, um Menschen zu helfen, ihnen Gehör zu verschaffen, ihre Würde zu bewahren und im Alltag ganz praktisch zu unterstützen. Sie verstehen ihren Dienstauftrag als gelebte Nächstenliebe und werden zu Anwälten für Menschen, die am Rande unserer Gesellschaft stehen. Sie leisten so eine verlässliche Versöhnungsarbeit zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft und Prägung. Für diesen Einsatz wollen wir mit der Überreichung des Nagelkreuzes auch ein ganz dickes Dankeschön sagen.“ Dies, so Schick, gelte für alle Arbeitsbereiche der Diakonie – von den unterschiedlichen Beratungsstellen bis zur Möbelbörse, vom Fachdienst Migration über die Schwangerschaftsberatung bis hin zum Haus Alter Leuchtturm, einer Familienferienstätte auf Borkum. „Ich will nicht alle einzeln aufzählen, aber sie dürfen gewiss sein, dass wir ihre Arbeit enorm schätzen.“

Das Wandernagelkreuz (Foto: Stefan Schick)

Nach einem von Britta Däumer gesprochenen Gebet war es so weit. Andreas Moos übergab das Kreuz an Iris Jänicke, die in einer kurzen Ansprache ihre Freude und Verbundenheit zur Versöhnungsarbeit zum Ausdruck brachte. Musikalisch wurde der die Feier von Kirchenmusiker Dr. Charles Christian Adarkwah mitgestaltet, der die Gottesdienstteilnehmer auf mitreißende Art zum Singen einlud. Diakoniepfarrer Volker Bäumer predigte zur Jahreslosung „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe“ (1. Korinther 16,14). Dabei legte er das Jahreslosungsmotiv von Andreas Felger aus. Mit seinem Motiv der Rose habe der Künstler das Liebessymbol schlechthin aufgegriffen.

Autor: Stefan Schick

Jugendbegegnung in Dachau

Foto: Maite Böhm

Erstmals seit der Corona-Pandemie gab es im November 2023 wieder eine Jugendbegegnung der deutschen Nagelkreuzgemeinschaft. Das Treffen fand am 11. November 2023 in der KZ-Gedenkstätte Dachau bei München statt. Zwei Teilnehmerinnen berichten.

Der Tag begann um 11 Uhr am Besucherzentrum, wo wir von Felicitas Weileder und Maite Böhm, den Organisatorinnen des Treffens, und von Björn Mensing, dem Pfarrer der sich auf dem Gelände befindlichen Versöhnungskirche und Tourguide, begrüßt wurden. Bei der anschließenden Führung gingen wir den Weg nach, den auch ein Häftling in Dachau gegangen sein könnte.

Foto: Hannah Sturm

Unsere erste Station war vor dem Eingang zum KZ-Häftlingslager, an dem sich auch die Bahngleise befanden, an denen etwas weiter die Züge mit den Häftlingen hielten. Dort erzählte uns Herr Mensing von Martin Kieselstein, einem ungarisch-jüdischen Häftling in Dachau, dem er später persönlich begegnet war, und davon, was dieser auf der Zugfahrt von Auschwitz nach Dachau erlebt hatte. Herr Mensing erzählte uns auch von einer Frau aus einer indisch-muslimischen Familie, die in Dachau ermordet wurde. Ihr Name war Noor-un-Nisa Inayat Khan und sie war eine britische Agentin, die für Großbritannien Kontakte zum Widerstand in Frankreich knüpfen sollte. Wenn man sich mit dem Rücken zum Tor drehte, konnte man das Gebäude sehen, in dem sich während der NS-Zeit die KZ-Kommandantur befand. Aktuell wird das Gebäude von der Bereitschaftspolizei genutzt. Das soll sich aber ändern, wenn in zwei Jahren das Gebäude Teil der Gedenkstätte wird.

Foto: Hannah Sturm

Anschließend gingen wir durch das Tor des Häftlingslagers. Es bestand aus Eisenstreben und trug die Inschrift „ARBEIT MACHT FREI“. Herr Mensing erzählte uns, diese Inschrift sei auf den Eingangstoren aller Konzentrationslager zu finden, außer im KZ Buchenwald, wo die Inschrift stattdessen „JEDEM DAS SEINE“ laute. Wir gingen weiter ins so genannte Wirtschaftsgebäude und dort in den „Schubraum“, wo die Häftlinge registriert wurden. Herr Mensing erzählte uns von der entwürdigenden Prozedur, die die Häftlinge hier durchmachen mussten, dass sie ihre Kleidung ablegen und alle persönlichen Gegenstände, auch Eheringe und solche Gegenstände, die nur einen ideellen Wert hatten, wie zum Beispiel Fotos, abgeben mussten. Jeder Häftling bekam eine Nummer, die ab sofort von den SS-Wachleuten anstelle ihres Namens verwendet wurde. Als letztes wurden den Häftlingen noch die Haare abrasiert und ihnen dadurch die Individualität vollends geraubt.

Unsere nächste Station waren die Duschen. Echte Duschen, keine Gaskammer. Hier ging es darum, wie die Prozedur des Duschens für die Häftlinge ablief und auch darum, dass einige der Aufseher die Häftlinge quälten und dabei zum Beispiel im Winter die Fenster des Duschraums öffneten, die Heizung aus- und das Wasser auf kalt stellten. Herr Mensing führte aber auch aus, dass manche Häftlinge, besonders jene gerade erst von tagelangen Transporten angekommenen, das Duschen als wohltuend empfanden. Noch im Duschraum erzählte uns Herr Mensing von den Strafen, die Häftlinge, die von Aufsehern beschuldigt wurden, gegen die Lagerordnung verstoßen zu haben, ertragen mussten. Die Willkür bei der Verhängung dieser Strafen verdeutlichte uns Herr Mensing am Beispiel eines abgefallenen Knopfes. Fiel auf, dass ein Häftling tagsüber einen Knopf verloren hatte, wurde nicht darauf geachtet, ob er schon Gelegenheit gehabt hatte, diesen wieder anzunähen, man bestrafte ihn einfach direkt.

Foto: Hannah Sturm

Wie schlecht die Häftlinge behandelt wurden, war auch von der Häftlingsgruppe abhängig, der sie zugewiesen wurden. Die einzelnen Gruppen wurden durch an der Kleidung angebrachte farbige Winkel und Buchstaben gekennzeichnet. Zum Beispiel stand der gelbe Winkel für Juden, ein rosaner für Homosexuelle und ein schwarzer für „Asoziale“. Die Buchstaben sollten die Nationalität der Häftlinge kennzeichnen. Obwohl der größte Teil der sowjetischen Häftlinge in Dachau ukrainischer Herkunft war, wurden sie alle mit einem „R“ für „Russe“ gekennzeichnet.

Der nächste Teil der Führung führte uns in den Bunkerhof, der aufgrund der dort durchgeführten Hinrichtungen auch Exekutionshof genannt wurde, und von dort aus ins Lagergefängnis. Herr Mensing berichtete uns, dass die Häftlinge hier in Einzelhaft psychische Folter ertragen mussten. Im Lagergefängnis gingen wir auch an der Zellentür des evangelischen Pfarrers und Widerstandskämpfers Martin Niemöller vorbei. Wieder draußen erzählte Herr Mensing, wie es in Dachau inhaftierten Geistlichen erging. Er schilderte, dass nachdem der damalige Papst Pius XII. von Hitlers Vorgehen gegen Geistliche in Polen erfahren und darum gebeten hatte, dass diese doch wenigstens gemeinsam Gottesdienst feiern dürften, alle inhaftierten Geistlichen aus Deutschland und von Deutschland besetzten Gebieten nach Dachau gebracht wurden. Die Geistlichen waren in separaten Baracken untergebracht, wo sie Gottesdienste feiern durften. Um die prominenteren Geistlichen vor den im KZ grassierenden Krankheiten, wie zum Beispiel Typhus und Fleckfieber, zu schützen, wurden sie, wie Martin Niemöller, im Lagergefängnis untergebracht.

Foto: Hannah Sturm

Nach dem Lagergefängnis gingen wir zu den Krematorien. Wir sahen uns das erste Krematorium an, in dem es zwei Öfen gab und erfuhren, dass dieses mit steigender Zahl der Toten nicht genügend Kapazitäten hatte, weshalb ein zweites, größeres Krematorium gebaut wurde, an das man direkt eine Gaskammer dranbaute, die aber, entgegen der ursprünglichen Pläne, nur bei einem Probedurchlauf in Betrieb genommen wurde. Herr Mensing bat um Stille beim Durchqueren der Gaskammer und des Krematoriums. Am Ende der Führung gingen wir gemeinsam in die evangelische Versöhnungskirche, die sich auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte befindet. In der Kirche beteten wir gemeinsam das Versöhnungsgebet von Coventry mit der mehrfachen Bitte „Vater vergib!“.

Nach der Führung gingen wir mittagessen, es gab Lasagne, und fanden uns danach wieder in der Kirche ein. Dort wurden uns in einer Präsentation mit Videokonferenz mit Jugendlichen im englischen Coventry die Geschichte der Nagelkreuzgemeinschaft sowie ihr heutiges Wirken nahegebracht. In einer anschließenden Diskussionsrunde sprachen wir darüber, ob es denn angebracht sei, die Polizei in der ehemaligen SS-Kaserne unterzubringen, oder eine Kirche auf dem Gelände eines Konzentrationslagers zu bauen. Herr Mensing erklärte uns zum Bau der Kirche, dass dieser tatsächlich von einem überlebenden niederländischen Häftling initiiert und vorangetrieben sowie von anderen Überlebenden unterstützt worden sei.

Nach einer Stunde, die wir selbst individuell gestalten konnten, gingen wir noch mit Felicitas und Maite, sowie unserer französischen Gastgeberin Marine in ein Restaurant für ein gemeinsames Abendessen. Die Jugendbegegnung in Dachau hat bei uns einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Besonders eindrücklich und mitreißend fanden wir die Einzelschicksale, von denen Herr Mensing uns berichtete und auf die er bei seiner Führung einen besonderen Fokus legte. Dies hob die sonst nur durch Zahlen beschriebenen Geschehnisse auf eine persönlichere Ebene und verdeutlichte, dass nicht jeder Häftling nur einer von vielen, sondern ein ganzer Mensch mit einer eigenen Geschichte war.

Autorinnen: Hannah Rickmann und Hannah Sturm

Einladung zur Jugendbegegnung am 11. November in Dachau

Die Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland e. V. lädt alle jungen Mitglieder (16 bis 27 Jahre) zur ersten Jugendbegegnung am 11. November 2023 von 11 bis 17 Uhr in der KZ-Gedenkstätte Dachau ein.

„Wir wollen uns mit der Frage beschäftigen, was Versöhnung heute bedeutet“, so Felicitas Weileder, die das Treffen gemeinsam mit Maite Böhm organisiert. Alle Teilnehmer:innen erhalten kurz nach dem 85. Jahrestag der Novemberpogrome, bei dem auch mehr als 10.000 Juden in das KZ Dachau deportiert wurden, eine Führung durch die KZ-Gedenkstätte. Anschließend diskutieren sie mit Vertreter:innen des ökumenischen Nagelkreuzzentrum in der KZ-Gedenkstätte über ihre Arbeit. Zudem steht ein Gespräch mit Vertretern der Kathedrale von Coventry über die unterschiedlichen Aspekte der Versöhnungsarbeit auf dem Programm. Außerdem gibt es Raum für individuelles Reflektieren oder einen Besuch der Sonderausstellung „Dachauer Prozesse – Verbrechen, Verfahren und Verantwortung“.

Das Programm, weitere organisatorische Hinweise und einen Link zur Anmeldung gibt es hier.

Optional besteht die Möglichkeit, sich anschließend beim Abendessen auszutauschen und in München zu übernachten. Für die Teilnahme fallen keine Kosten an. Die Kosten für das Mittagessen und Kaffeepause werden übernommen, Kosten für Anreise und/oder Übernachtung können bezuschusst werden (siehe organisatorische Hinweise). Anmeldeschluss: 3. November 2023, Rückfragen an jugendkonferenz@nagelkreuz.org.

Nagelkreuzgemeinschaft mit Ökumene-Preis ausgezeichnet und Podiumsdiskussion auf BR alpha

Die internationale Nagelkreuzgemeinschaft hat den mit 10.000 Euro dotierten Ökumenischen Preis der Katholischen Akademie in Bayern erhalten. In einem Festakt am 11. Dezember 2021 nahmen John Witcombe, Dean der Kathedrale […]