Feierliche Einführung von Kate Massey als Canon for Arts and Reconciliation in Coventry

Am 15.06. wurde Kate Massey von Bischöfin Sophie als neue Canon for Arts and Reconciliation in Coventry eingeführt. Foto: Frank Herzog

Ein besonderer Tag für Coventry – und ein bewegender Moment für die internationale Nagelkreuzgemeinschaft: Am Sonntag, dem 15. Juni 2025, wurde Kate Massey im Rahmen eines festlichen Choral Evensong in ihr neues Amt als Canon for Arts and Reconciliation an der Kathedrale von Coventry eingeführt. Die lichtdurchflutete Kirche, selbst ein Symbol für Hoffnung, Wandel und Neuanfang, bot den würdigen Rahmen für diese Einführung. Menschen aus Kathedrale, Stadt und Nagelkreuzgemeinschaft waren gekommen, um mitzufeiern. In der feierlichen Atmosphäre war die Geschichte des Ortes spürbar – ebenso wie das Vertrauen, das Kate für ihre neue Aufgabe entgegengebracht wird.

Von der Ärztin zur Versöhnerin – Kate Masseys Weg

Kate Massey bringt einen Lebensweg mit, der Brüche kennt – und gerade dadurch eine besondere Tiefe entfaltet. Ursprünglich arbeitete sie als Ärztin in der Psychiatrie, bevor sie ihre geistliche Berufung in der Kirche fand. 2011 wurde sie in der Kathedrale von Coventry zur Priesterin geweiht. Zuvor war sie im National Health Service (NHS) tätig. Seit 2015 war sie Pfarrerin (Vicar) in Stockingford im Norden der Diözese Coventry. Die Verbindung zur Kathedrale blieb dabei stets lebendig: 2022 wurde sie zur Ehrendomkapitularin (Honorary Canon) ernannt – eine Auszeichnung für ihre Nähe zur Kathedrale und ihr Engagement für deren Versöhnungsarbeit.

Ein zentrales Anliegen ihres Wirkens ist die Stärkung von Frauen in der Kirche. Über siebeneinhalb Jahre gestaltete sie als Dean of Women’s Ministry die Förderung von Frauen im kirchlichen Dienst in der Diözese Coventry mit. Seit 2019 ist sie außerdem Vorsitzende der National Association of Diocesan Advisers in Women’s Ministry (NADAWM) – dem landesweiten Netzwerk kirchlicher Frauenbeauftragter. Ihr Anliegen war nie Repräsentation allein, sondern die Transformation von Strukturen: hin zu Gleichwürdigkeit, Teilhabe und geistlicher Tiefe – auch im Miteinander der Geschlechter.

Für Kate Massey gehören Gerechtigkeit und Versöhnung untrennbar zusammen. Versöhnung meint für sie nicht nur das Brückenbauen zwischen Völkern und Religionen, sondern auch innerhalb der Kirche – zwischen Generationen, Lebenswirklichkeiten, Perspektiven. Ihre Erfahrungen als Ärztin, Pfarrerin und Frauenbeauftragte haben sie dafür sensibilisiert, wie tief Konflikte und Ausschlüsse wirken – und wie heilsam es ist, wenn Gemeinschaft gelingt.

Derzeit arbeitet sie an einer Promotion (Ph.D.) über Versöhnung – inspiriert von der Geschichte und Gegenwart der Kathedrale von Coventry. Ihr Weg verbindet analytischen Verstand mit Empathie, geistlicher Klarheit und einem kreativen Blick für das Kommende – beste Voraussetzungen, um der Versöhnungsarbeit von Coventry neue Impulse zu geben.

Als Canon for Arts and Reconciliation übernimmt Kate Massey nun eine zentrale Rolle an der Kathedrale. Das Amt – einzigartig in seiner Verbindung von Kunst, Theologie und Friedensarbeit – umfasst die Leitung und Weiterentwicklung der kulturellen und versöhnenden Arbeit der Kathedrale. Sie wird die verschiedenen Teams koordinieren, neue Projekte anstoßen und mit Partner*innen weltweit zusammenarbeiten – insbesondere innerhalb der internationalen Nagelkreuzgemeinschaft.

Sie tritt die Nachfolge von Mary Gregory an, die das Amt seit 2022 innehatte und Ende 2024 zur Regionalbischöfin von Reading ernannt wurde.

Feierliche Amtseinführung im Kreise von Kolleg*innen, Freund*innen und Familie. Foto: Frank Herzog

Feierlicher Auftakt: Choral Evensong in der Kathedrale

In einem feierlichen Choral Evensong wurde Kate Massey in ihr Amt eingeführt. Für die musikalische Gestaltung sorgte der Kathedralchor unter der Leitung von Rachel Mahon – festlich, würdig und mit jener Prise anglikanisch-britischer „Pomp and Circumstances“, die aus jedem Gottesdienst ein Fest macht.

Bischöfin Sophie Jelley, die neue Diözesanbischöfin von Coventry, hielt die Predigt. Mit großer Wertschätzung zeichnete sie Kate Masseys Lebensweg nach – von der Medizin in die Theologie, von der Seelsorge zur strukturellen Veränderungsarbeit. Sie würdigte ihren Einsatz für Gerechtigkeit und Teilhabe und stellte die Bedeutung der Versöhnungsarbeit der Kathedrale klar in den Mittelpunkt.

Auch Kate Masseys Familie war Teil der Feier: Ihr Ehemann Liam und die drei Töchter Niamh, Erin und Anna waren anwesend. Ein besonders persönlicher Moment war, als Tochter Erin eine der Schriftlesungen übernahm. Neben zahlreichen Vertreter*innen der Kathedrale und der internationalen Nagelkreuzgemeinschaft waren auch enge Freundinnen und Freunde gekommen – ein Ausdruck gelebter Verbundenheit.

Zum Abschluss erklang der Hymnus „Praise to the Lord, the Almighty“ – ein Lied, das Kate sich ausdrücklich gewünscht hatte. Die ursprünglich deutsche Komposition und Dichtung („Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“) gehört auch in England zu den bekanntesten und beliebtesten Kirchenliedern. Dass sie an diesem Nachmittag in Coventry erklang, war ein eindrucksvolles Zeichen dafür, wie geistliche Traditionen über Ländergrenzen hinweg verbinden.

Glück- und Segenswünsche von Niels Faßbender im Namen der deutschen Nagelkreuzgemeinschaft Foto: Frank Herzog

Glückwünsche und Geschenke zum Amtsantritt

Nach dem Gottesdienst setzten sich die Feierlichkeiten bei einem Empfang fort, der von herzlicher Begegnung und internationaler Gemeinschaft geprägt war. Mitglieder der Kathedrale und der Nagelkreuzgemeinschaft nutzten die Gelegenheit, Kate Massey persönlich zu gratulieren.

„Als deutsche Nagelkreuzgemeinschaft sind wir dankbar, diesen Weg der Versöhnung gemeinsam gehen zu dürfen. Liebe Kate, Du trittst ein Amt an, das reich an Geschichte und voller Hoffnung ist. Wir freuen uns auf Deine Stimme, Deine Sichtweise, Deine Schritte, und wir werden Dich begleiten. Gott segne Dich und Deinen Dienst“ lautete die Grußbotschaft von Niels Faßbender, der für den Vorstand der Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland e. V. zusammen mit seinem Ehemann Frank Herzog nach Coventry gereist war. Mit einem Augenzwinkern überreichten die beiden drei symbolische Geschenke:

Erstens ein T-Shirt mit dem Aufdruck des Nagelkreuzes – ein Hinweis darauf, dass Versöhnung nicht nur in liturgischem Gewand von der Kanzel aus wirkt, sondern dort, wo Menschen einander im Alltag begegnen – auf der Straße, im Gespräch, im Zusammenleben.

Zweitens eine Flasche „Würzburger Domherr“ – ein Wein aus der Stadt, in deren Gefängnis die Nagelkreuze für Coventry gefertigt und von dort aus in die Welt gebracht werden. Der Wein steht für geteilte Mahlzeiten, Zuhören und Lebensfreude. Sein Name – „Domherr“, also „Canon“ – erinnert an Zeiten, in denen kirchliche Entscheidungen ausschließlich von Männern getroffen wurden. Heute verweist er auf Kates bisherige Arbeit für Frauen und ihr neues Amt als „Domfrau“ – und damit zugleich darauf, dass Wandel möglich ist.

Drittens ein kleines Schild mit der Aufschrift „Versöhnung ist…“ – eine Einladung, nachzudenken, zuzuhören und miteinander ins Gespräch zu kommen – auch über Sprachgrenzen hinweg. Das englischsprachige Original hatte Mary Gregory im vergangenen Jahr nach Deutschland gegeben. Nun kam eine deutsche Version zurück – als Zeichen gegenseitiger Verbundenheit und des Willens, die Bedeutung von Versöhnung gemeinsam weiterzudenken, offen und auf Augenhöhe.

In ihren Dankesworten zeigte sich Kate Massey sichtlich bewegt von der Wertschätzung und den Erwartungen, mit denen sie willkommen geheißen wurde. Die Nagelkreuzgemeinschaft – in Deutschland und weltweit – freut sich auf die Zusammenarbeit. Möge Gottes Segen Kate auf jedem Schritt begleiten, während sie ihre Stimme für Versöhnung und Frieden erhebt. Alles Gute, Kate, und herzlich willkommen in unserer Gemeinschaft!

Autor: Niels Faßbender

 

Pfingstpredigt von Angelika Behnke in der Kathedrale von Coventry

Die neue Bischöfin von Coventry, Sophie Jelly. Foto: Coventry Cathedral/Jamie Gray

Am Pfingstsonntag 2025 predigte Angelika Behnke in der Kathedrale von Coventry. Behnke ist seit 2022 Frauenkirchenpfarrerin in Dresden – als erste Frau auf dieser Stelle. Am Vortag hatte sie gemeinsam mit Leitungskreismitglied Antje Biller an der Einführung der neuen Bischöfin von Coventry, Sophie Jelley, teilgenommen. Beide wirkten symbolisch an der Übergabe des Amtskreuzes mit. Zwischen der Frauenkirche und der Kathedrale von Coventry besteht eine enge Verbindung: Vor 20 Jahren wurde der Frauenkirche das Nagelkreuz von Coventry überreicht. Im Februar 2025 war Dean John Witcombe aus diesem Anlass in Dresden zu Gast und hielt dort die Predigt. In ihrer Auslegung von <Genesis 11,1–9> nimmt Angelika Behnke die biblische Erzählung vom Turmbau zu Babel zum Ausgangspunkt für eine theologische Reflexion über Sprachverwirrung, Machtanspruch und die befreiende Kraft gelebter Vielfalt. Nachfolgend lesen Sie die vollständige Predigt.

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt! Amen.

Es ist mir eine große Ehre, heute hier bei Ihnen in der Kathedrale sein zu können und an diesem hohen Feiertag zu predigen. Vielen Dank für die Einladung, lieber John!

Liebe Schwestern und Brüder,

man kann nicht nicht kommunizieren. Jeder Mensch, der sich irgendwann einmal mit den Grundlagen menschlicher Kommunikation beschäftigt, macht sich diese basale Aussage bewusst. Immer kommuniziert mensch, redet, auch wenn er und sie schweigt, sendet Signale durch Mimik und Gestik. Selbst jemand, der zur Salzsäule erstarrt, spricht Bände.

Sprachgewirr und Weltverstehen

Man kann nicht nicht kommunizieren.

Und schon nehmen Missverständnisse ihren Lauf. Eine Geste, die in Süditalien Anerkennung ausdrückt, sollte in Norditalien tunlichst vermieden werden, da sie dort als beleidigend aufgefasst wird. In Deutschland als Kamel bezeichnet zu werden, ist wenig schmeichelhaft. Im Orient hingegen verdient ein menschliches Kamel hohen Respekt, weil das gleichnamige vierbeinige Geschöpf als ausdauernd, genügsam und anpassungsfähig gilt.

Doch ich liebe diese Vielfalt. Auch wenn ich mich mit ihnen mühe: Ich liebe Sprachen und deren Klang und höre sehr gern zu, wenn in Ferienregionen oder auf internationalen Flughäfen die Luft nur so schwirrt von unterschiedlichsten Sprachen, Stimmen, Dialekten und Sprechmelodien. Ich freue mich, dass die Welt größer ist als die meines Alltags. Dass da etwas spürbar wird von der einen großen und bunten Welt. Und wenn ich die Menschen beobachte, die in fremden Sprachen miteinander kommunizieren, ahne ich, dass die Inhalte ähnlich sind. Da tauscht man sich über dienstliche Angelegenheiten aus. Da werden leise Worte von Abschiedstränen begleitet. Da diskutieren Leute sehr emotional miteinander. Andere schauen gemeinsam in den Reiseführer und beraten ihre nächste Etappe.

Aber ich kenne auch das andere Phänomen: Durch verschiedene Umstände wurde ich im tiefsten Ägypten von meiner Reisegruppe getrennt. Ich sollte mit einem Taxi vom Reiseunternehmen zu unserer nächsten Unterkunft gebracht werden und dort die Gruppe wiedertreffen. Ich war mir nicht so ganz sicher, ob ich dort jemals ankommen werde, denn der Taxifahrer sprach nur ein paar Brocken Englisch und konnte mir nicht eindeutig vermitteln, ob er wirklich vom entsprechenden Reiseunternehmen beauftragt worden war…

Es ging alles gut – ich stehe heute hier in der Kathedrale, aber weiche Knie hatte ich damals doch, weil meine Arabischkenntnisse sich auf „Bitte, danke, guten Tag und auf Wiedersehen“ beschränkten. Sprache hatte in diesem Fall keine verbindende Funktion. Im Gegenteil: Die fremde Sprache löste Misstrauen und Beklommenheit aus.

Frauenkirchenpfarrerin Angelika Behnke. Foto: Frauenkirche Dresden/Thomas Schlorke

Zurück nach Babel

In der biblischen Erzählung vom Turmbau zu Babel sind die Folgen unterschiedlicher Sprachen noch weitreichender – ausgehend davon, welche Nebenwirkungen eine einheitliche Sprache haben kann.

Wir meinen diese Erzählung so gut zu kennen. Wenn von gigantischen Projekten die Rede ist, wo es um „höher, weiter, schneller, größer“ des Menschen geht, wird warnend auf den Turmbau zu Babel verwiesen. Vorsicht, Gott lässt sich nicht herausfordern! Nehmt euch in Acht vor Selbstüberschätzung!

Doch bei genauerem Hineinlesen entdecke ich, dass dies nicht die „Hauptschlagader“ dieser Erzählung ist. Etwas anderes treibt die Menschen zusammen – hinein in die zu errichtenden Mauern einer Stadt mit einem sehr hohen Turm. Noch im vorangehenden Kapitel werden die Vielsprachigkeit und Diversität der Völker gepriesen. Doch jetzt führt es hier zu der ganz menschlichen Angst, an Bedeutung zu verlieren, an Sicherheit und gemeinsamer Stärke. Unkenntlich zu werden in einer bunten Gemeinschaft.

Angst ist immer eine schlechte Beraterin, denn sie führt in die Enge. Menschen schotten sich ab und drängen auf das Sprechen mit einer Stimme und in einer Sprache. Natürlich in der eigenen. Sie wollen erkennbar bleiben und alles dafür tun, sich einen Namen zu machen. Doch wenn sich alle einen Namen machen, wie es in der Babel-Geschichte heißt: vor wem machen sie sich diesen dann? Besser gesagt: gegen wen?

Das Ansinnen richtet sich gegen Gott. Denn ihm wird nicht getraut. „Er hat uns aus dem Schutz des Gartens geworfen, bloß weil uns die Bäume der Erkenntnis und des Lebens so gelockt haben. Er hat uns der Vielfalt ausgesetzt. Aber das gibt doch nur Streit und Brudermord.“ Wir nehmen das lieber selber in die Hand: „Ich bin der Herr, mein Gott. Ich dulde keinen anderen Gott neben – und schon gar nicht über mir!“ Von mir soll man reden. Die Spitze des Turmes wird bis in den Himmel reichen. – Statthalter Gottes? In seinem Namen die Erde bebauen und kultivieren? Nein, selbst Gott! – Diese Anmaßung wird zur Dämonie. Der Anfang vom Ende.

Eine Sprache, ein Volk – ein Irrweg?

Angst vor einem Ausgesetztsein. Geschenkte Freiheit, die Angst macht – ein uraltes Thema, dessen Bearbeitung auch heute immer noch in die gleiche Richtung führt: zu Populismus und Hass allem Fremden gegenüber, zu Ausgrenzung und eingeschworenen Parolen, zu einem Denken in Schwarz-weiß. „Wohlan, lasst uns bauen: an engen Mauern, die uns in Sicherheit wiegen und an Grenzen, die unser Herz einzäunen, um es vor barmherzigen Anwandlungen zu schützen. Mit unseren Türmen kommen wir auch ohne Gott in den Himmel.“

Gott muss sich ganz tief herabbeugen, um zu sehen, was da eigentlich los ist. Jedenfalls haben die Turm-Erbauer noch auffällig viel Luft nach oben. Und Gott sieht zweierlei. Zum einen: den Traum aller Diktatoren. Eine Sprache – eine Stadt- bzw. Landfläche – eine Idee – ein Tun. Was für eine Katastrophe! Wenn die Welt nur eine Sprache hätte, welche Armut an Schönheit, Geist und Freude! Jede Sprache ist eine Welt, aber eine jede Einzelsprache ist ein Gefängnis. Gott schuf die Vielfalt und er freut sich über das vielstimmige Lob. Gott will, dass der Glaube denkt und singt, verschiedene Lieder, verschiedene Gedanken.

Zum anderen sieht Gott, wie die Menschen jedes Maß und alle Demut verlieren. – Um nicht falsch verstanden zu werden: Menschen sollen bauen, forschen, kultivieren und fortschrittlich sein. Aber es wird schief, wenn Gott die Menschen bewundern soll und nicht umgekehrt. Zu Dienst und Demut der Kinder Gottes gehört das Lob des Allmächtigen: Ihm allein ist nichts unmöglich! Der Mensch bleibe ein Mensch – und handle auch so. Er ist ein Wesen der Grenze und der Begrenzung. Sein Tun richte er an Gottes Willen aus. In dieses Tun greift Gott nun ein: „Wohlauf, lasst uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass keiner des andern Sprache verstehe!“

Antje Biller (links) und Bischöfin Sophie. Foto: Coventry Cathedral/Jamie Gray

Gott verwirrt – zum Guten

Nun haben die Menschen ihre je eigene Sprache gefunden – und sind aneinander gewiesen, wenn sie sich begegnen, einander verstehen und die ihnen anvertraute Erde gestalten wollen.

Haben Sie es gemerkt, liebe Gemeinde? Gott straft nicht: der Turm wird nicht zerstört, die Stadt nicht abgebaut, die Menschen leben weiter. Gott straft nicht – er schützt! Er schützt uns vor Einseitigkeit und Abschottung im Denken und Tun. Er bewahrt uns vor uns selbst! Er schickt uns hinaus ins Offene, stellt unsere „Füße auf weiten Raum“ (Psalm 31,9). Er überträgt uns Verantwortung für seine Erde. Wir können und müssen uns nicht selbst durch unsere Werke einen Namen machen, der ja doch immer wieder mit Blut und Gewalt bezahlt werden würde.

Die Vielfalt der Sprachen, der Reichtum der Menschheit, die Weite des Denkens bleiben uns erhalten. Das ändert sich auch mit dem ersten Pfingstfest in Jerusalem nicht, von dem wir vorhin aus der Apostelgeschichte hörten. Es gibt keine neue Einheitssprache, sondern jeder redet weiter in seiner Sprache. Der göttliche Geist verbindet die Menschen über alle Sprachgrenzen hinweg. Denn Gottes Geist schenkt ein Verstehen, er ist ein Geist der Liebe. Nicht länger ist die Angst die Beraterin, sondern die Liebe.

Erstanden aus Ruinen, erfüllt vom Geist

Wir sagen manchmal über die Dresdener Frauenkirche, sie sei eine Osterkirche, weil sie zu neuem Leben erweckt wurde. Sie ist aber auch und vielleicht sogar zuerst eine Kirche des Pfingstfestes. Ich stelle mir nur mal kurz vor, was alles fehlen würde, wenn Gott diesen Bau einseitigen und ängstlichen Erbauern überlassen hätte. Die Frauenkirche in Dresden lebt von der Vielfalt und durch die Vielfalt der Sprachen und Völker. Das neue Kuppelkreuz vom britischen Volk, es wäre nicht da. Das Nagelkreuz, das damit verbundene Versöhnungswerk mit einstigen Feinden – nicht vorhanden. Ein Ort der Begegnung und Verständigung zwischen Ost und West, Nord und Süd – er wäre nicht da. Wir würden so manche gespendete Säule oder Tür und auch die Straßburger Orgel im Bauwerk vermissen! Die ganze Architektur hätte sich möglicherweise nicht an italienischen Vorbildern orientiert. Ganz zu schweigen von der internationalen Vielfalt und Schönheit der Musik. Nicht nur, aber besonders in dieser Kirche feiern wir den Reichtum der Sprachen und der Vielfalt und den Geist der Liebe, der uns alle verbindet und die Angst verbannt.

Ich spüre die Gemeinsamkeit mit dieser Kirche. Die Sankt-Michaelis-Kathedrale – wie die Frauenkirche ebenfalls eine Kirche des Pfingstfestes. Gottes Geist baut keine Türme, die in den Himmel ragen. Er baut Gemeinschaft unter uns. Er schenkt ein Verstehen der Herzen. Er wirkt Versöhnung und Frieden. Der Heilige Geist macht Mut zum Aufbruch in ein neues Leben. Ihnen allen ein frohes und gesegnetes Pfingstfest!

Amen. Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserm Herrn. Amen.

Es gilt das gesprochene Wort. Autorin: Angelika Behnke, Frauenkirchenpfarrerin, Dresden

 

Pfingsten in Recklinghausen: Eine Hoffnung, die keine Bedingungen stellt

Die <Gastkirche> in Recklinghausen ist ein offener Ort. Menschen mit ganz unterschiedlichen Lebenswegen kommen hier zusammen: Wohnungslose, Engagierte, Gläubige, Zweifelnde. Wer will, findet hier Gemeinschaft – im Alltag, im Gespräch, im Gottesdienst. Am Samstag vor Pfingsten, dem 7. Juni 2025, wurde die Gastkirche in die Nagelkreuzgemeinschaft aufgenommen.

Kleine Ausstellung und Gesprächsatmospäre in der Gastkirche. Foto: Nagelkreuzgemeinschaft

Tagsüber war der kleine, mittelalterliche Kirchenraum geöffnet. Eine Ausstellung informierte über die Geschichte der Nagelkreuzgemeinschaft. Auch örtliche Friedensinitiativen stellten sich vor. Das geplante Friedensfest auf dem Oscar-Romero-Platz fiel zunächst weitgehend dem Regen zum Opfer. Am Abend füllte sich die gegenüberliegende, größere Gymnasialkirche bis auf den letzten Platz. Der Gottesdienst wurde von Pfarrer Ludger Ernsting und dem Gospelchor „Spirit of Joy“ feierlich gestaltet. Alice Farnhill überreichte das Nagelkreuz im Namen der Kathedrale von Coventry. Auch zwei Gäste aus dem niederländischen Breda waren anwesend – die Verbindung war bei der gemeinsamen Pilgrimage nach Coventry entstanden. Im Anschluss wurde das Kreuz in einer kleinen Prozession in die Gastkirche getragen. Später klang der Tag auf dem Oscar-Romero-Platz aus – mit Musik, Essen und Tanz. Menschen aus verschiedenen Zusammenhängen kamen ins Gespräch: Besucherinnen und Besucher der Kirche, Passanten, Gemeindemitglieder, Wohnungslose, Gäste aus der Stadtgesellschaft. Im Folgenden dokumentieren wir das Grußwort des Vorstands der deutschen Nagelkreuzgemeinschaft.

Liebe Recklinghäuserinnen und Recklinghäuser,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Gastkirchen-Gemeinde,

zu einem Friedensfest habt ihr eingeladen. Ein Fest des Friedens. Ich weiß nicht, ob es da im Moment etwas zu feiern gibt.

Ich denke an die Toten – in Gaza, in der Ukraine, im Mittelmeer.
An Trump, Nawrocki, Wilders. An den Brexit.
An Hass und Lügen in den sozialen Medien und in den Parlamenten,
an Hetze und Härte, die Grenzen ziehen –
zwischen Ost und West, arm und reich, deutsch und nicht deutsch, drinnen und draußen.

Ich denke an Kinder, die ausgeliefert waren. An ihre Wunden, die Gerechtigkeit schreien. An bohrende Fragen, die unbeantwortet bleiben.

Ich denke an den Mann, nach dem dieser Platz benannt ist, und die vielen anderen, die ermordet wurden, weil sie Gerechtigkeit und Frieden wollten.

An einen guten Freund. Verloren in Verschwörung und Wut.
An die, die nicht mehr fragen, was wahr ist, sondern nur noch: Was nützt mir das?

An die, die hungern.
An die, die sammeln.

An den Sommer. Und an die brennende Erde.

Ein Friedensfest also?
Doch. Bitte bleiben Sie!

Es gibt ja Kaffee. Und Kuchen. Stärkung.
Nicht nur leiblich: Auch mit Gottes Wort, Musik und Gebet.
Und Ermutigung. Und Hoffnung.

Grußwort von Niels Faßbender im Namen des Vorstands. Foto: Nagelkreuzgemeinschaft

Und ein Nagelkreuz.
Ein Kreuz aus Trümmern.
Coventry, 1940. Eine Kathedrale in Flammen. 515 Tote.
Kein Zeichen von Macht.
Kein Denkmal der Sieger.

Ein Kreuz, aufgerichtet gegen den Hass:

„Father, forgive.“
Nicht: ihnen. Uns allen.
Dem, der warf. Und der, die weinte.
Dem, der zerstörte. Und der, die aufräumte.

Weihnachten, die Trümmer der Stadt noch warm von der Vernichtung,
der Probst der zerstörten Kathedrale im Radio:
Wir werden nicht hassen. Wir werden nicht heimzahlen. Wir werden bauen.
An einer Welt, die freundlicher ist. Christusähnlicher.
Weniger stolz. Weniger hart.

Aus dem Wort wurde Tat. Aus Schmerz wurde Sendung.
Menschen aus Coventry nahmen Nägel aus der Asche ihrer Kathedrale.
Banden daraus Kreuze. Brachten sie nach Kiel. Nach Dresden. Nach Münster.
Nicht nur die Nagelkreuze brachten sie. Sie brachten sich selbst.
Nicht um zu strafen, sondern um aufzubauen.
Nicht um zu fragen, wer Schuld hat,
sondern um zu sagen: Wir fangen neu an. Zusammen.

Dann kamen Deutsche nach England.
Nicht mit Entschuldigungen,
aber im Bewusstsein der Schuld.
Auch sie bauten mit. Hörten zu. Blieben.
Es wuchs Vertrauen. Und Freundschaft.

Eine neue Kathedrale entstand.
Und ein weltweites Netz. Ein Netz der Versöhnung.

Heute steht ein Nagelkreuz in über 260 Städten.
Nicht nur für Frieden zwischen England und Deutschland.
Sondern für Versöhnung überall, wo Menschen sich anfeinden, hassen, verletzen, töten.

In New York – zwischen Terror und Trauer.
In Südafrika – zwischen Schwarz und Weiß.
In Polen – zwischen verbrannter Erde und knospendem Mandelzweig.
In Israel und Palästina – zwischen Schwertern und Pflugscharen.
In Belfast – zwischen Schweigen und Sprechen.
In Berlin – zwischen Christen, Juden und Muslimen.

Und heute übergibt die Kathedrale von Coventry ein Nagelkreuz nach Recklinghausen.
An diesem Platz. An Gastkirche und Gasthaus.

Diese Altstadt hat der Krieg verschont. Brüche, Not, Verluste gibt es trotzdem.
Auch hier tragen Menschen Trümmer, Kummer, Schmerz, Verzweiflung, Sehnsucht.

Aber nicht allein.
Hier, in Gastkirche und Gasthaus, geschieht Tag für Tag, wofür das Nagelkreuz von Coventry steht.

Ich denke an die Menschen, die mit leeren Händen kommen – und mit einem warmen Frühstück empfangen werden.
Ich denke an die, die auf der Straße leben – und hier duschen, Wäsche waschen, Briefe empfangen.
Ich denke an die, die einsam sind – und hier Gemeinschaft finden.
An die, die trauern – und hier getröstet werden.

Volle Kirche zur feierlichen Übergabe. Foto: Nagelkreuzgemeinschaft

Hier wird kein Evangelium verkündet, das nicht auch getan wird.
Kein Frieden gefeiert, der nicht auch gestiftet wird.

Die Gastkirche macht nicht „für“. Sie macht „mit“.
Mit Amnesty. Mit Pax Christi.
Und mit denen, von denen andere sich abwenden.

Ihr schweigt, wo man sonst schreit.
Gedenkt, wo man lieber vergisst.
Haltet Wache bei den Toten und den Lebenden.

Ihr glaubt: Gott ist für niemanden zu groß.
Gott ist nah.
Im Kleinen. Im Geringen. Im Jetzt.
Ihr glaubt an Gottes Frieden.
Ihr nehmt einander an. In diesem Glauben.
So wie Gott uns angenommen hat.

Wer diesen Ort betritt, spürt: Hier ist es nicht egal.
Nicht egal, was du erlebt hast.
Nicht egal, woran du leidest.
Nicht egal, ob du kommst.
Hier wird der Mensch nicht bemessen. Hier wird er gesehen.

Und das, liebe Freundinnen und Freunde, das ist Versöhnung:
Nicht das vielversprechende Wort. Sondern das kleine Brot.
Nicht die große Lösung. Sondern das geteilte Leben.
Nicht der billige Trost. Sondern die wertschätzende Zuwendung.

Versöhnung ist kein Widerspruch zur Wirklichkeit.
Denn sie entsteht aus Wahrheit.
Versöhnung schweigt nicht zur Schuld. Sie deckt nichts zu.
Versöhnung kennt das Zerbrochene und geht hindurch.
Die Wunde heilt, doch die Narbe bleibt.
In Coventry wuchs eine neue Kathedrale.
Nicht auf den Trümmern,
sondern an ihrer Seite.
Zerstörung und Hoffnung – untrennbar.

Wo ein Nagelkreuz steht,
arbeiten Menschen am Noch-Nicht,
vertrauen auf Gottes Verheißung,
glauben, dass Geschichte sich nicht wiederholen muss.
Dass Vielfalt kein Risiko, sondern ein Geschenk ist.
Dass wir nicht nur kriegstüchtig, sondern auch friedenstüchtig werden können.

Pfarrer Ludger Ernsting (links) und Alice Farnhill (rechts) mit dem Nagelkreuz vor seinem künftigen Standort. Foto: Nagelkreuzgemeinschaft

Versöhnung ist kein Zustand. Sondern bleibt ein Weg.
Ihr seid auf diesem Weg.
Hier ist kein Gedenkort für den Frieden – hier wird Frieden getan. Täglich.
Hier wird sichtbar: Gottes Reich ist keine Illusion.
So wächst Hoffnung. Wächst Versöhnung.

Ich wünsche euch, dass dieses Kreuz
euch tröstet, wenn ihr verzagt. Ihr seid nicht allein.
Dass es euch stärkt, wenn ihr müde seid. Wir beten für euch.
Dass es euch ruft, wenn ihr euch einrichtet. Ihr seid das Licht der Welt!
Und bei den Veränderungen, die auf eure Gemeinschaft zukommen:
Dass es euch Kurs, Kraft und Zuversicht gibt.
Dass es uns immer erinnert: Hass und Gewalt haben nicht das letzte Wort.
Fürchtet euch nicht.

Ihr erhaltet heute ein Nagelkreuz, weil ihr glaubt, lebt und bezeugt,
dass man die Wunden der Geschichte heilen kann.
Dass man mit Verschiedenheit leben und Vielfalt feiern kann.
Dass man eine Kultur der Gerechtigkeit und des Friedens aufbauen kann.

Liebe Gastkirche, liebes Gasthaus,
herzlich willkommen in der Nagelkreuzgemeinschaft.
Im Namen des Vorstands und des Leitungskreises der Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland e. V.:
Herzlichen Glückwunsch!

Lasst uns feiern, dass ihr bei uns seid. Lasst uns feiern, dass es euch gibt.
Lasst uns ein Fest des Friedens feiern!

Glück auf!

Autor: Niels Faßbender

 

Nagelkreuzgottesdienst auf dem Kirchentag

„Stehe ich denn an Gottes statt“ – Predigt von Klaus Majoress im Nagelkreuzgottesdienst beim Kirchentag 2025

„Kirche überfüllt“ stand auf dem Schild, das Pfadfinder:innen am 1. Mai vor St. Clemens in Hannover hochhielten. Kein Promi, kein Politiker – und doch kein Platz mehr frei. Die Menschen kamen, weil sie etwas suchten: Trost, Hoffnung, Versöhnung. In einer Zeit voller Krisen war dieser Gottesdienst ein starkes Zeichen: Der Wunsch nach Frieden ist lebendig. Die Liturgie führte durch Klage, Gebet und Musik zu einem mutigen Trotzdem-Glauben. Psalm 139, das Glaubensbekenntnis von Seoul und das Versöhnungsgebet von Coventry rahmten die Predigt von Klaus Majoress: Anhand der Geschichte von Josef und seinen Brüdern (1. Mose 50) zeigte er, dass Versöhnung möglich ist – wenn wir nicht an Gottes Stelle urteilen, sondern vergeben. „Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen – aber Gott gedachte es gut zu machen.“ Diese biblische Wende wurde zur Botschaft des Tages: Es gibt Hoffnung. Es gibt Versöhnung. Lesen Sie hier die Predigt zu 1. Mose 50, 15-21.

Liebe Gemeinde, „Und siehe, es war alles, alles gut!“ So endet Josef von Eichendorffs Novelle Aus dem Leben eines Taugenichts. In diesem Satz mündet der phantastische Bericht einer aufregenden Reise voller Leiden und Verwirrung, voller Schuld und Versagen. „Und es war alles, alles gut!“ Solche Schlusssätze wünscht sich wohl jeder von uns für die Geschichte seiner eigenen Wanderungen – für die Wanderungen, zu denen wir oft mit klaren Zielen aufbrechen und in deren Verlauf wir doch auf Abwege und Irrwege geraten. Wir erfahren Schuld und werden schuldig. Wir leben uns auseinander: Brüche, Versagen, Versäumnisse … Ich könnte die Reihe grenzenlos fortsetzen – umso mehr, wenn ich auf das bedrückende Geschehen in der Weltgeschichte schaue, nicht nur in unseren Tagen. Wenn wir am Ende wenigstens sagen könnten: „Und es war alles, alles gut!“ Dann könnten wir die Unwägbarkeiten und Schwierigkeiten auf uns nehmen, dann könnten wir mit Schuld und Versagen leben, dann könnten wir unseren Weg festen Schrittes und zügigen Ganges gehen. Aber wer kann das schon?

Beten und Feiern unter dem Nagelkreuz Foto: Stefan Schick

Beten und Feiern unter dem Nagelkreuz Foto: Stefan Schick

Aber anscheinend gibt es das, auch wenn es uns fremd klingt. Anscheinend gibt es das: am Ende einer Lebensgeschichte, die von viel Schuld und Bösem gekennzeichnet ist, in der Neid und Feindschaft zu schlimmen Verstrickungen führten. Es ist die Geschichte von Joseph und seinen Brüdern. Was war geschehen? Rufen wir uns noch einmal ein paar Momente dieser eindrücklichen Erzählung in Erinnerung. Es begann damit, dass Jakob Joseph als seinen Lieblingssohn behandelte, ihn offenkundig bevorzugte. Das erzeugte Selbstüberschätzung bei Joseph, aber auch Neid bei seinen Brüdern. Er träumte von der Herrschaft über die Brüder und den Vater. Die Brüder aber duldeten die Überordnung Josephs nicht. Sie planten, ihn bei der erstbesten Gelegenheit umzubringen. Nur weil Juda und Ruben, die älteren Brüder, die anderen vom Mord abhielten, wird Joseph in eine Zisterne geworfen und als Sklave nach Ägypten verkauft. Die Brüder decken ihre Untat des Menschenhandels gegenüber ihrem Vater mit der Lüge von einem tödlichen Unfall zu. Keiner spürt Erbarmen mit dem Opfer, keiner übt Solidarität. Alle finden es richtig.

Ohne es zu wissen, treffen die Brüder nach vielen Jahren wieder auf ihr Opfer. Diesmal sind sie die Bittsteller – Wirtschaftsflüchtlinge, würde man heute wohl sagen. Sie bitten um Korn, da eine Hungersnot in Israel herrschte und die Getreidespeicher in Ägypten dank der klugen Vorratswirtschaft voll sind. Joseph ist inzwischen durch seine Traumdeutungen zu hohem Ansehen am pharaonischen Königshof gelangt. Er gibt sich nicht zu erkennen und versöhnt sich auch nicht mit den Brüdern, vielmehr lässt er sie die ganze Härte seiner Machtposition spüren. Er wirft ihnen Spionage vor, zwingt sie, von der Familie zu sprechen, zwingt sie, den jüngsten Bruder Benjamin zu holen. Er lässt sie spüren, wie es ist, wenn man unbarmherziger Willkür ausgesetzt ist, stellt ihre Familiensolidarität auf die Probe.

Und es geschieht das Dramatische: Die Brüder kommen zur Einsicht ihrer Schuld. Wahrlich, wir sind schuldig gegenüber unserem Bruder, dessen Herzensangst wir sahen, als er uns anflehte, aber wir haben nicht darauf gehört. Darum kommt diese Not jetzt über uns. Und genau an diesem Punkt geschieht das Entscheidende, liebe Gemeinde, das Eigentliche der Geschichte. Genau an diesem Punkt führt uns diese Geschichte in das Zentrum biblischen Glaubens. Aber Joseph weinte! Und er sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht, stehe ich denn an Gottes statt? (Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich ein großes Volk am Leben zu erhalten. So fürchtet euch nicht, ich will euch und eure Kinder versorgen.) Und er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen.

Wie entscheidend, liebe Gemeinde, ist diese Kehrtwende, wie entscheidend dieser Augenblick. Joseph reagiert nicht mit Vorwürfen, nicht mit Bestrafung, nicht mit weiteren Verstrickungen. Nein: Er weinte! Genau da geschieht Versöhnung: Joseph weiß um Gottes Heilsplan, der ein großes Volk am Leben erhalten will. Und er weiß, dass er selbst nicht unbeteiligt ist an der Schuldgeschichte seiner Familie und dass es letztlich nur Gottes Urteil sein kann, das über unserem Leben gesprochen wird. Das lässt ihn frei werden für Vergebung und Versöhnung, das macht ihn frei für einen neuen Anfang.

Und beides, liebe Gemeinde, führt in die Freiheit der Gotteskindschaft, beides eröffnet Zukunft, lässt uns nach vorne blicken, lässt unseren Weg weitergehen, lässt Vergangenes Vergangenheit sein. Es verharmlost Schuld nicht, aber es lässt Versöhnung zu. Fürchtet euch nicht, stehe ich denn an Gottes statt? Oder, um es mit der Kirchentagslosung zu sagen: mutig, stark, beherzt – „Wachet, steht im Glauben, seid mutig und stark. Alle eure Dinge lasst in Liebe geschehen.“ So diese Worte im 1. Korintherbrief, Kapitel 16, aus denen das Kirchentagsmotto stammt.

Vokalensemble „Les voix parlantes“ Foto: Nagelkreuzgemeinschaft

Vokalensemble „Les voix parlantes“ Foto: Nagelkreuzgemeinschaft

Da, liebe Gemeinde, setzt Versöhnung an. Stehe ich denn an Gottes statt? Habe ich denn das Recht, ein endgültiges Urteil über einen Menschen zu sprechen? Vielleicht liegt Thomas Mann nicht so ganz schief, wenn er am Ende seines Romans Joseph und seine Brüder Joseph sagen lässt: Aber wenn es um Verzeihung geht unter den Menschen, so bin ich’s, der euch darum bitten muss – denn ihr musstet die Bösen spielen, damit alles so käme.

Trotz all unserer gegenteiligen Erfahrung bleibt Versöhnung der Anspruch Gottes an uns. In einer Zeit, in der sich die Gottvergessenheit immer tiefer festsetzt, dürfen wir den Menschen die Botschaft von Gottes Nähe nicht verweigern, können wir das Wort von der Versöhnung nicht bei uns behalten. In einer Zeit, in der sich viele nicht nur gegen die Versöhnung Gottes sperren, sondern auch unversöhnlich miteinander umgehen, bekommt die Rolle als Botschafter an Christi statt klare Konturen. Das Wort von der Versöhnung wartet darauf, dass wir ihm mit unserem Leben entsprechen – mutig, stark und beherzt.

„Es war alles, alles gut“ – ob es das gibt? Die Antwort entscheidet sich daran, ob wir fragen: Stehe ich denn an Gottes statt? Amen. Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus, unserem Herrn.

Autor: Klaus Majoress, Superintendent a. D., Nagelkreuzzentrum Kirchenkreis Lüdenscheid-Plettenberg

 

Mehr als 1.000 Besucher:innen an unserem neuen Stand auf dem Kirchentag

Er war nicht zu übersehen: Unser neu konzipierter Informationsstand feierte beim Evangelischen Kirchentag 2025 in Hannover Premiere – und wurde zum Publikumsmagnet. Drei Tage lang war unser großer Stand auf dem Markt der Möglichkeiten in Halle 5 durchgehend gut besucht: Über 1.000 Menschen kamen mit uns ins Gespräch, bastelten Nagelkreuze, lösten unser Versöhnungsgebets-Quiz oder nahmen ein Statement für TikTok auf.

Rund 20 Freiwillige aus Zentren in ganz Deutschland haben den Stand engagiert betreut – mit Begeisterung, Kompetenz und einem offenen Ohr für die vielen Fragen und Eindrücke der Besucher:innen. Unsere Giveaways waren heiß begehrt, besonders die Postkarten mit dem Versöhnungsgebet. Zahlreiche Gespräche drehten sich um die persönliche Bedeutung von Versöhnung und darum, wie sich aus Schuld und Fremdheit neue Verbindungen schaffen lassen.

„Versöhnung ist…“ auf TikTok

Die beiden beleuchteten Pixlip-Displays zogen die Blicke bereits von Weitem auf sich. Das mehrsprachige Rätsel zum Versöhnungsgebet wurde gerne als Einstieg in weiterführende Gespräche genutzt. Die interaktive Landkarte am Touchscreen ermöglichte es, sich durch das Netzwerk der Nagelkreuzzentren zu klicken – so entstanden neue Kontakte und Ideen für gegenseitige Besuche oder Kooperationen. Ein Highlight war das Social-Media-Angebot: Viele Jugendliche – aber nicht nur – nahmen die Gelegenheit wahr, ein eigenes Statement zu filmen: „Versöhnung ist …“. Sie sind nach wie vor auf unserem TikTok-Kanal anzusehen.

Unsere Gemeinschaft ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gewachsen. In Deutschland stehen inzwischen mehr als 80 Nagelkreuze. Dieser Entwicklung und der damit verbundenen wachsenden Bedeutung wollten wir auch auf dem Kirchentag Ausdruck verleihen. Der Vorstand hat sich deshalb entschieden, unseren Auftritt deutlich zu vergrößern und mit einem neuen, inhaltlich wie visuell überzeugenden Standkonzept aufzutreten.

Stand ab sofort auch zur Ausleihe verfügbar

Die starke Nachfrage hat gezeigt: Diese Entscheidung war richtig. Der großzügige Aufbau hat nicht nur Raum für mehr Begegnung und Gespräche geschaffen, sondern auch neue kreative Formate ermöglicht. Und: Die Investition lohnt über den Kirchentag hinaus. Der neue Stand steht ab sofort allen interessierten Zentren zur Ausleihe zur Verfügung. Wer also eine eigene Ausstellung, einen Gottesdienst oder ein Bildungsformat plant, kann den Stand nutzen, um die Idee des Nagelkreuzes sichtbar zu machen. Weitere Informationen zur Ausleihe finden Sie hier in unserem Service-Angebot.

Autor: Niels Faßbender

Stabwechsel in Vorstand und Leitungskreis: Hoenen, Meinhardt und Menzel für Schmelz und Wolkenhauer

V. l. n. r.: Lothar Schmelz, Patrick Meinhardt, Karsten Wolkenhauer, Dr. Janning Hoenen (Zeichnung: OpenAI/ChatGPT)

Im Leitungskreis und im Vorstand der Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland e. V. hat es in den letzten Wochen einige personelle Veränderungen gegeben: Unser langjähriger Schatzmeister Lothar Schmelz hat seine Ämter niedergelegt, auch Karsten Wolkenhauer ist aus dem Leitungskreis ausgetreten. Neuer Schatzmeister ist Dr. Henning Menzel. In den Leitungskreis nachgerückt sind Dr. Janning Hoenen und Patrick Meinhardt. Gerne würdigen wir Lothars und Karstens Engagement für unseren Verein und stellen Ihnen „die Neuen“ vor.

Unser herzlicher Dank gilt zunächst unserem langjährigen Vorstandskollegen Lothar Schmelz, der zum 28. Februar 2025 sein Amt niedergelegt hat und aus dem Leitungskreis ausgeschieden ist. Seit 2011 gehörte Lothar dem Leitungskreis an, seit 2015 war er Mitglied des Vorstandes und unser Schatzmeister. Mit großem zeitlichen Engagement und enormer Expertise hat er die Verwaltung unserer Finanzen erheblich professionalisiert. Besonders geschätzt war seine offene und stets ansprechbare Art, mit der er weit über die eigentliche Mitgliederverwaltung hinaus eine persönliche Beziehung zu vielen Mitgliedern und Zentren unserer Gemeinschaft aufgebaut hat. Anerkennende Wort von Vorsitzendem Dr. Oliver Schuegraf: „Im Namen der ganzen Nagelkreuzgemeinschaft danke ich Lothar von ganzem Herzen. Persönlich bin ich dankbar für die intensive und vertrauensvolle Zusammenarbeit der letzten Jahre. Es war immer gut, Lothar an der Seite zu wissen.“ Lothar selbst verabschiedete sich mit herzlichen Worten: „Es waren sehr schöne Jahre, in denen ich viele freundliche und interessante Menschen kennenlernen durfte – diese Zeit möchte ich nicht missen. Allen Mitgliedern wünsche ich weiterhin weise Entscheidungen im Sinne von Frieden und Versöhnung, im Geist von Coventry.“

Auch Karsten Wolkenhauer verlässt den Leitungskreis, nachdem er zum Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Anhalt gewählt wurde. Er gehörte dem Leitungskreis seit mehreren Jahren an und engagierte sich besonders in den Bereichen Versöhnung, Erinnerungskultur und Öffentliche Theologie. Wir danken Karsten für seinen Einsatz und wünschen ihm Gottes Segen für das neue Amt.

Zum neuen Schatzmeister und Vorstandsmitglied wurde vom Leitungskreis Dr. Henning Menzel gewählt. Wir freuen uns sehr auf die Zusammenarbeit mit ihm. Auch ihm wünschen wir für seine verantwortungsvolle Aufgabe gutes Gelingen und Gottes Segen.

Neu in den Leitungskreis nachgerückt sind Dr. Janning Hoenen und Patrick Meinhardt. Janning ist Studierendenpfarrer an der Augustana-Hochschule in Neuendettelsau, der theologischen Hochschule der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Er war zuvor Gemeindepfarrer in Hof/Saale und Fürth sowie Studienleiter am Collegium Oecumenicum München. Internationaler Austausch und die Auseinandersetzung mit Vielfalt prägen sein Engagement, das er besonders jungen Menschen vermittelt. Janning ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder.

Patrick Meinhardt ist Vorsitzender des Gemeindekirchenrates und Lektor der Evangelischen Gemeinde am Gesundbrunnen in Berlin, einer der größten Gemeinden der Stadt. Beruflich war er Bundestagsabgeordneter der FDP und Politikchef eines großen Mittelstandsverbandes. Heute leitet er den Taxi- und Mietwagenverband Deutschland und betreibt eine Politik- und Strategieberatungsagentur. Außerdem engagiert er sich ehrenamtlich in verschiedenen nationalen und internationalen Verbänden. Sein Lebensmotto stammt von Frère Roger aus Taizé: „Liebe und zeige es durch dein Leben!“ Er wird künftig gemeinsam mit Felicitas Weileder Ansprechpartner für die Region Berlin sein.

Auch Janning und Patrick wünsche wir viel Freude, Tatkraft und Gottes Segen für ihr Engagement in unserer Nagelkreuzgemeinschaft.

Autor: Niels Faßbender

Mutig, stark, beherzt: Die Nagelkreuzgemeinschaft auf dem Kirchentag in Hannover

St. Clemens (Foto: Nagelkreuzgemeinschaft)

Wenn tausende Menschen in Hannover zusammenkommen, um unter dem Motto „mutig – stark – beherzt“ ihren Glauben zu leben, Fragen zu stellen und neue Wege zu suchen, ist auch die Nagelkreuzgemeinschaft mit dabei. Wir laden herzlich ein, unsere Arbeit kennenzulernen, mit uns ins Gespräch zu kommen und gemeinsam Zeichen der Versöhnung zu setzen – in einem Gottesdienst, an unserem Stand auf dem Markt der Möglichkeiten und bei einer Friedensaktion für Kinder und Familien.

Gottesdienst „Beten und Feiern unter dem Nagelkreuz

Donnerstag, 1. Mai 2025, 14:00 Uhr, Kirche St. Clemens

Im Mittelpunkt des Kirchentagsgottesdienstes der Nagelkreuzgemeinschaft steht die Geschichte von Josef und seinen Brüdern – eine biblische Erzählung über Schuld, Versöhnung und die befreiende Kraft, nicht im Hass stehenzubleiben. „Stehe ich denn an Gottes statt?“ – fragt Josef, als seine Brüder um Vergebung bitten. Wie können wir diese Frage heute für uns beantworten – „Mutig“ den Herausforderungen der Versöhnung ins Auge sehen, „stark“ sein im Vertrauen auf Gottes Zusage, dass Frieden möglich ist, „beherzt“ eine neue Zukunft wagen? Die Liturgie umfasst Lesung, Predigt, Musik und Stille. Das Glaubensbekenntnis von Seoul und das Versöhnungsgebet von Coventry geben dem Gottesdienst eine internationale Dimension. Anschließend besteht bei Gebäck und Getränken Gelegenheit zum Kennenlernen, Wiedersehen und Gespräch.

Foto: Kirchentag

Stand auf dem Markt der Möglichkeiten

Halle 5, Stand 5-J29 – täglich von 10:30 bis 18:30 Uhr

Die Nagelkreuzgemeinschaft präsentiert sich auf dem Kirchentag mit einem völlig neu gestalteten Stand – doppelt so groß wie in den vergangenen Jahren und offen für vielfältige Formen der Begegnung. Besucherinnen und Besucher erwartet ein Ort der Information, der Inspiration und des Mitmachens. Das Nagelkreuz und das Versöhnungsgebet von Coventry bilden den geistlichen Mittelpunkt. Auf Infotafeln werden die Geschichte und weltweite Wirkung unserer Gemeinschaft anschaulich gemacht. An zwei Touchscreens können Interessierte durch aktuelle Projekte und eine interaktive Landkarte aller Nagelkreuzzentren navigieren. Wer möchte, kann an einer kleinen Station ein eigenes Nagelkreuz basteln oder beim Gebetsquiz sprachliche Vielfalt spielerisch entdecken. Außerdem werden Besucherinnen und Besucher eingeladen, ein kurzes Videostatement zum Thema „Versöhnung ist…“ aufzunehmen – für unseren Social-Media-Kanal, als zeitgemäße Stimme des Friedens mitten im Trubel des Kirchentags. Das Standteam freut sich auf Gespräche, Fragen und neue Impulse – und auf alle, die neugierig sind darauf, was Versöhnung heute bedeuten kann.

Friedensaktion „Kraniche für Hiroshima“

Donnerstag, 1. Mai 2025, 11:00–12:00 Uhr, Zentrum Kinder und Familien, Maschstraße 22–24, EG Raum 2

Grafik: Michaeliskloster Hildesheim

Sadako, ein junges Mädchen aus Hiroshima, glaubte fest daran: Wenn sie 1000 Papierkraniche faltet, kann ihr Wunsch nach Heilung und Frieden in Erfüllung gehen. Ihre Geschichte wurde zu einem weltweiten Symbol – gegen Krieg und Gewalt, für Hoffnung und Versöhnung. Auch in Hannover, der Partnerstadt Hiroshimas, wollen wir ein Zeichen setzen: Gemeinsam mit dem Michaeliskloster Hildesheim, dem CVJM Hannover, dem Amt der EKD und der Nagelkreuzgemeinschaft laden wir Kinder, Familien und alle Interessierten ein, Kraniche zu falten.

11:00 Uhr: Kraniche falten mit Kindern und Erzählen von Sadakos Geschichte.

11:30 Uhr: Gemeinsamer Aufbruch zur Aegidienkirche.

11:45 Uhr: Gedenken an der Hiroshima-Glocke mit einem Nagelkreuzgebet in einfacher Sprache und einem Segen.

Ein niedrigschwelliges, liebevoll gestaltetes Angebot, das Kindern den Gedanken der Versöhnung kreativ und berührend nahebringt.

Haben wir ein Angebot übersehen? Haben Sie Fragen? Dann schreiben Sie uns gerne: redaktion@nagelkreuz.de. Wir freuen uns auf ein Kennenlernen oder ein Wiedersehen in Hannover.

 

Chemnitz 2025: Kulturhauptstadt und neues Nagelkreuzzentrum

Stadtkirche St. Jakobi in Chemnitz (Foto: Stephan Tischendorf)

Am 5. März 2025 wurde der evangelischen Stadtkirche St. Jakobi in Chemnitz das Nagelkreuz von Coventry übergeben. Der Gottesdienst fand am 80. Jahrestag des ersten großen Luftangriffs auf Chemnitz im Zweiten Weltkrieg statt. Die Übergabe des Nagelkreuzes wurde von John Witcombe (Dekan der Kathedrale von Coventry), Dr. Oliver Schuegraf (Vorsitzender der Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland e. V.) und Sachsens Landesbischof Tobias Bilz begleitet. Der Gottesdienst war Teil des städtischen Gedenkens, aber auch ein deutliches Signal der Vernetzung: Chemnitz ist nun offiziell Teil der internationalen Nagelkreuzgemeinschaft. Gleichzeitig ist Chemnitz 2025 Chemnitz eine der Europäischen Kulturhauptstädte – die Übergabe des Nagelkreuzes ein Blick zurück, nach vorn und in die Gegenwart. Drei Tage später, am 8. März, jährte sich der zweite Angriff – damals flogen über 700 britische Bomber einen weiteren schweren Angriff auf die Stadt. An diesem Gedenktag versammelten sich Mitglieder der Nagelkreuzgemeinschaft zum Regionaltreffen in Chemnitz.

Die evangelische Stadtkirche St. Jakobi – mitten im Chemnitzer Stadtzentrum wurde bei der Bombardierung von Chemnitz am 5. März 1945 schwer zerstört. Später wiederaufgebaut, ist sie heute ein lebendiger Gedenk- und Versöhnungsort. Jeden Freitag um 12 Uhr versammelt sich dort eine ökumenische Gemeinschaft zum Mittagsgebet und spricht das Versöhnungsgebet der Kathedrale von Coventry, darunter Gemeindeglieder ebenso wie Gäste und Touristen.

Jedes Jahr am 5. März begeht Chemnitz den Friedenstag, an dem an die Opfer der Kriegszerstörung von 1945 erinnert wird. Auch die St. Jakobikirche gestaltet diesen Gedenktag mit: Alljährlich findet an diesem Datum ein Friedensgottesdienst statt, der im Zeichen von Frieden und Versöhnung steht. Häufig wirken Kinder und Jugendliche daran mit – so musizieren etwa Chemnitzer Kindergruppen an diesem Tag in der Kirche und lesen Texte zum Thema Versöhnung und Frieden. Die Kirche öffnet sich der Stadtgesellschaft, um die Botschaft der Versöhnung lebendig zu halten.

Ökumenische Initiativgruppe – Versöhnungsarbeit in Chemnitz

Gedenkkreuz für den 05.03.1945 (Foto: Stephan Tischendorf)

Hinter der Aufnahme von Chemnitz in die Nagelkreuzgemeinschaft steht eine engagierte ökumenische Initiativgruppe. Seit knapp vier Jahren – erste Ansätze gab es sogar schon vor rund einem Jahrzehnt – arbeitet diese Gruppe in Chemnitz auf das Ziel hin, ein Nagelkreuzzentrum zu etablieren. Ihr gehören Christ:innen aus der evangelischen, katholischen und neuapostolischen Kirche an. Geleitet und begleitet wird die Initiative von den Gemeinderpfarrer:innen Dorothee Lücke und Stephan Tischendorf.

Die Chemnitzer Initiativgruppe verankert die Versöhnungsarbeit mitten in der Stadtgesellschaft. In den letzten Jahren organisierte sie zahlreiche Veranstaltungen an wechselnden Orten in Chemnitz. Dazu zählten unter anderem eine Podiumsdiskussion zum Thema „Hass im Internet“, eine Lesung mit einer Aktivistin gegen Prostitution, ein Grillabend, bei dem die Gedanken Desmond Tutus zum „vierfachen Versöhnungsweg“ vorgestellt wurden, sowie ein Erzählabend unter dem Motto „Erzähl mir von Versöhnung“. Auch den Nagelkreuzsonntag gestaltete die Gruppe in den letzten Jahren jeweils in unterschiedlichen Kirchen, um die Versöhnungsidee in verschiedene Stadtteile zu tragen.

Darüber hinaus lud die Initiativgruppe zu Gemeindeabenden ein, um gemeinsam über die einzelnen Bitten des Versöhnungsgebets ins Gespräch zu kommen. Nach einer Pilgerfahrt einer Chemnitzer Delegation nach Coventry im Mai 2024 berichteten die Teilnehmenden in einem Gemeindeabend mit über 40 Gästen aus verschiedenen Gemeinden begeistert von ihren Eindrücken. Auch aktuelle Themen greift die Gruppe auf: So organisierte sie im September 2024 einen Begegnungsabend mit syrischen Geflüchteten in Chemnitz und plante für November 2024 eine Gedenkveranstaltung am früheren Kaßberg-Gefängnis, um die lokale Erinnerungskultur mit der Versöhnungsarbeit zu verknüpfen.

Ein Nagelkreuz auf Wanderschaft: die Stele des Chemnitzer Nagelkreuzes

Das Chemnitzer Nagelkreuz soll künftig als Wanderkreuz immer wieder an anderen Stationen in der Stadt gezeigt werden. In St. Jakobi bleibt es sichtbar, auch wenn es gerade an einem anderen Ort ist: Dafür hat die Initiativgruppe eine Stele entwerfen lassen, die das Nagelkreuz als negatives Abbild zeigt: Zwei aufrechtstehende Holzbalken mit charakteristischen Aussparungen erzeugen den Umriss des Kreuzes als Form, die präsent bleibt, auch wenn das Kreuz selbst unterwegs ist.

Nagelkreuz und Stele in St. Jacobi (Foto: Michael Monzer)

Das Holz für die Stele stammt von einem Dresdner Betrieb, der gefällte Bäume aus der Stadtpflege weiterverarbeitet, statt sie zu verheizen. Aus verschiedenen Hölzern mit bekannter Herkunft entstand so die Stele für das Chemnitzer Wandernagelkreuz. Die beiden senkrechten Balken bestehen aus einem Apfelbaum aus der Region Tübingen, als Aufruf zur Versöhnung zwischen Ost und West. Das Holz ist nur grob bearbeitet, zeigt Stockflecken und bleibt in seiner Unvollkommenheit sichtbar.

Am Fuß der Apfelholz-Balken ist der Schriftzug „FATHER FORGIVE“ eingeschnitzt, von einem Mitglied der Chemnitzer Nagelkreuzinitiative, das ursprünglich aus Bayern stammt. Das Nagelkreuz selbst ruht auf einer kleinen abnehmbaren Konsole innerhalb der Stele. Deren Bodenplatte besteht aus einem weiteren Stück Holz einer Platane aus Dresden-Übigau, die dort gefällt werden musste. Die Holzplatte ist fest mit dem Kreuz verbunden und wird mit ihm zusammen durch Chemnitz „wandern“. Dresden ist einer der Orte, an denen die ersten Nagelkreuze in Deutschland übergeben wurden. Dem Gefühl mancher Chemnitzer, „abgehängter“ Landesteil zu sein, will die Stele bewusst etwas entgegensetzen: Ein „Stück Dresden“ bildet nun das Fundament des Chemnitzer Nagelkreuzes. So symbolisiert das Kreuz auch das Zusammenwachsen innerhalb Sachsens.

Nagelkreuz-Regionaltreffen 2025: Austausch in Chemnitz

Drei Tage nach der Nagelkreuzverleihung traf sich in Chemnitz die Region Mitte. 35 Teilnehmende aus fast allen Zentren sowie einige Einzelmitglieder waren zum Kennenlernen und zum Austausch angereist.

Der Tag begann in St. Jakobi mit einer Andacht von Pfarrer Stephan Tischendorf. Anschließend erläuterte Rico Weiß für die Initiativgruppe die Gestaltung des Nagelkreuzstandorts. Daran schloss Pfarrerin Dorothee Lücke eine kurze Kirchenführung an. Bei strahlendem Sonnenschein folgte eine Stadtführung über den Markt bis zum bekannten „Nischel“, dem großen Karl-Marx-Kopf – dem früheren Namensgeber der Stadt. Von dort ging es weiter zur Gedenkstätte Kaßberg-Gefängnis und schließlich zur Kreuzkirche, dem Tagungsort des Regionaltreffens. Dort warteten zur Mittagszeit anstelle einer Suppe arabische Spezialitäten . Das Team eines lokalen Restaurants war vom Versöhnungsanliegen so angetan, dass es diese Köstlichkeiten als kulinarischen Gruß spendiert hatte.

Regionaltreffen Mitte 2025 in Chemnitz (Foto: Tabea Kormeier)

Ein Höhepunkt des Treffens war der Redebeitrag von Landesbischöfin i.R. Ilse Junkermann, Vorsitzender von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste. In ihrem Vortrag „80 Jahre Friedensarbeit – Erfahrungen und Herausforderungen in der heutigen Zeit“ ließ sie die Geschichte der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V. Revue passieren und teilte ihre reichen Erfahrungen aus acht Jahrzehnten Versöhnungsarbeit. (Den Vortrag könnnen Sie demnächst auf www.nagelkreuz.de nachlesen.) In der anschließenden Diskussion wurden die Anregungen noch vertieft.

Am Nachmittag berichteten die Teilnehmenden bei Kaffee und Kuchen aus ihren Heimatorten. So ging es etwa um Initiativen, die den Gedanken der Versöhnung an Schulen in Plauen tragen, oder um Projekte in der Diakonissenanstalt Dresden, die Mitarbeitende für Friedensthemen sensibilisieren. Zur Sprache kamen auch Begegnungen mit Besuchergruppen – beispielsweise aus Wuppertal-Barmen, aus Irland und aus Edinburgh – sowie besondere Auszeichnungen: So wurde etwa das Augustinerkloster Erfurt als „Ort der Demokratie“ gewürdigt. Ebenso diskutierten die Teilnehmenden den Umgang mit der eigenen Geschichte, etwa die Auseinandersetzung mit Martin Luthers Antisemitismus im Kontext der KZ-Gedenkstätte Buchenwald bei Erfurt. Zudem dankte die Regionalversammlung dem kürzlich aus dem Vorstand und Leitungskreis ausgeschiedenen Lothar Schmelz herzlich für sein langjähriges Engagement.

Autor: Niels Faßbender mit Beiträgen von Rico Weiß, Stefan Tischendorf und Tabea Kormeier.

Regionaltreffen Südwest: Pilgerwege und Gemeinschaft in Saarbrücken

Die Teilnehmenden des Regionaltreffen Südwest am Nagelkreuz der Ludwigskirche mit kriegsbeschädigter Apostelfigur Jakobus d. Ä. (Foto: Matthias Engesser)

Eine historische Kirche, ein besonderer Anlass und viele inspirierende Begegnungen – das Regionaltreffen Südwest der Nagelkreuzgemeinschaft führte die Teilnehmer 2025 nach ->Saarbrücken, den westlichsten Punkt der Region. Pfarrer Thomas Bergholz hatte zum 250. Jubiläum der Ludwigskirche eingeladen, und zwölf Mitglieder unserer Gemeinschaft trafen sich am 22. März zu Austausch und Pilgerwanderung. Hier ihr spannender Bericht.

Um zehn Uhr begann der Tag im Café Catherine, das sich in der ehemaligen Fürstengruft der Kirche befindet. Dort gab uns Pfarrer Bergholz einen kurzen Einblick in die Geschichte der Kirche und in die Versöhnungsarbeit der Gemeinde. Diese liegt besonders im interkonfessionellen und zunehmend auch im interreligiösen Dialog. Danach machten wir uns gemeinsam mit zwei Gästen aus Saarbrücken auf den Pilger-Weg durch Alt-Saarbrücken. Die Idee zu diesem Weg war ursprünglich für eine „Nacht der Kirchen“ entstanden.

Austausch im Café Catherine in der Krypta der Ludwigskirche (Foto: Christian Roß)

Unser Weg führte über den Ludwigsplatz, auf dem an diesem Samstag der große Wochenmarkt stattfand. Mit einem großen ökumenischen Osterfeuer beginnt auf diesem Platz traditionell die Osternacht. Nach dem gemeinsamen Beginn ziehen von dort alle Konfessionen zur Osternachtfeier in Prozessionen in ihre Kirchen. Auf der anderen Seite des Platzes steht die Friedenskirche. Sie wurde, genau wie die Ludwigskirche, im Barockstil erbaut. Thomas Bergholz erzählte uns von ihrer bewegten Geschichte. Anfangs war sie eine reformierte Kirche. Später wurde das Gebäude als Schulhaus genutzt. Seit 1890 dient es der Alt-Katholischen Gemeinde als Kirche und Versammlungsraum. Ausgehend von Johannes 14,27: „Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht“ endete der Besuch des Alt-katholischen Gotteshauses mit einer Meditation über Frieden und die Gesichter des Friedens.

Unser Weg führte vorbei am Denkmal für Organspenderinnen und Organspender. Dort hielten wir mit Johannes 15,13 inne: „Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lasse für seine Freunde.“ In Saarbrücken hat dieser Vers eine durchaus belastete Vergangenheit. Zwischen 1918 und 1945 war er als Inschrift am Altar der Ludwigskirche angebracht und diente einem fragwürdigen „Heldengedenken“. Auch die nächste Station gab uns Anlass, über den Umgang mit der Vergangenheit zu diskutieren: Die Aufschrift auf dem Denkmal für die Opfer des Ersten Weltkriegs lässt eher an ein Kriegerdenkmal denken. Uns wurde deutlich, wie schwierig es ist, ein angemessenes Gedenken zu gestalten, und wie herausfordernd der Umgang mit historischen Gedenkorten ist, die Fragen aufwerfen und heutiger Gedenkkultur eher fremd sind.

Direkt gegenüber, auf der anderen Straßenseite, stießen wir auf die katholische Pfarrkirche St. Jakob. Bereits ihr Name weist auf ihre besondere Bedeutung für Pilger hin. Direkt am Jakobsweg gelegen, ist sie „Pilgerkirche am Weg“. Dies wird auch durch die Jakobsmuschel sichtbar, die in der Fassade eingelassen ist. Trotz dieser Funktion – in Saarbrücken scheint manches anders zu sein als andernorts – ist die Kirche meist geschlossen, während die evangelische Ludwigskirche täglich lange geöffnet ist. Ein Zutritt zur Kirche blieb unserer Pilgergruppe daher verwehrt.

Stuckdetail in der Mitte der Ludwigskirche, zugleich Mitte der ehemaligen Barockstadt ( Foto: Christian Roß)

Extra für uns geöffnet wurde hingegen die Immanuel-Kirche der Selbständig Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK), nur wenige hundert Meter entfernt. Dort begrüßte uns Pfarrer Johannes Achenbach gemeinsam mit einigen Konfirmanden. Die kleine Kirche entstand 1902 im neuromanischen Stil. Im Zweiten Weltkrieg wurde sie stark beschädigt, danach in ihrer heutigen Form wiederaufgebaut. Besonders beeindruckten uns die beiden Fenster des Künstlers György Lehoczky aus den Jahren 1953/54. Sie schmücken die Chorapsis und zeigen Mose bei der Übergabe der Gebotstafeln und Jesus bei der Bergpredigt. Pfarrer Achenbach gab uns außerdem Einblicke in die Struktur und Arbeit der SELK.

Nächste Station war das ehemalige Gemeindehaus der Ludwigskirche, vor deren Eingang ein Teil einer der im Krieg beschädigten großen Figuren vom Dach der Ludwigskirche steht. Eine dieser Figuren ist wieder in die Ludwigskirche gebracht worden, wo sie in einer Nische mit dem Nagelkreuz symbolisch für die Zerstörung der Kirche steht. Letzte Station war der alte lutherische Friedhof, der bereits seit 200 Jahren aufgelassen ist und heute als Parkplatz dient. Direkt an einem aufsteigenden Felsen gelegen, findet sich als Erinnerung nur noch eine Plakette, die auch an die letzte Ruhestätte des Architekten der Ludwigskirche erinnert.

Anschließend nahm unsere Gruppe am ökumenischen Mittagsgebet teil. Diese Andacht findet jeden Samstag um 12 Uhr in der Ludwigskirche statt. Gestaltet wird sie von wechselnden Personen. Ein fester Bestandteil ist dabei stets das Versöhnungsgebet von Coventry. Nach dem Gebet folgt wöchentlich eine etwa 15-minütige „Musik zur Marktzeit“. Diese spielte an diesem Samstag der deutsch-dänische Organist Tobias Naumann aus Brönderslev (Dänemark). Im Anschluss daran führte Pfarrer Thomas Bergholz durch die frisch renovierte und eindrucksvoll rekonstruierte Ludwigskirche. Unsere Gruppe nahm gern an dieser kurzen öffentlichen Führung teil.

Altar, Kanzel und Orgel in der frisch sanierten Ludwigskirche (Foto: Christian Roß)

Nach einem gemeinsamen Mittagessen begann der Austausch mit einer kurzen Vorstellungsrunde. Vertreten waren etablierte Zentren wie Pforzheim-Huchenfeld, Stadtkirche Pforzheim, Stadtkirche Darmstadt, der Kirchenkreis Esslingen sowie das gastgebende Zentrum Saarbrücken. Außerdem nahmen neue und interessierte Zentren teil. Pfarrer Jörg Seiter ist bereits Einzelmitglied der Gemeinschaft. Er leitet den Kooperationsraum Blankenloch-Stutensee-Weingarten, der am 26.10. das Nagelkreuz erhalten wird. Alexander Classen vertrat den Kirchenvorstand der Frankfurter Paulsgemeinde. Diese Gemeinde wird am 24.10. offiziell in die Nagelkreuzgemeinschaft aufgenommen. Ihr Nagelkreuz erhält seinen Platz in der Alten Nikolaikirche am Römer. Pfarrer Tim van de Griend, ebenfalls langjähriges Einzelmitglied, stellte seine Gemeinde vor. Er möchte die Evangelisch-Reformierte Französische Gemeinde Frankfurt in die Nagelkreuzgemeinschaft führen. Er berichtete von ihrer spannenden Geschichte sowie der aktuellen diakonischen und international verbindenden Arbeit. Zum Schluss berichtete Christian Roß über die Arbeit in Leitungskreis und Vorstand.

Gegen 17 Uhr endete das inspirierende und gelungene Regionaltreffen. Einige Teilnehmer:innen blieben noch etwas in Saarbrücken und nutzten die Gelegenheit, die Stadt näher zu erkunden. Das nächste Regionaltreffen Südwest soll 2026 in Darmstadt stattfinden. Dann feiert die Stadtkirche ihr 50-jähriges Nagelkreuzjubiläum und lädt aus diesem besonderen Anlass herzlich ein.

Autor: Christian Roß

Donald Trump ist wieder Präsident – was sagt die Nagelkreuzgemeinschaft dazu?

Dekan John Witcombe (Foto: Coventry Cathedral)

Die politischen Entwicklungen in den USA bewegen und beunruhigen viele Menschen. Sollte die Nagelkreuzgemeinschaft dazu Stellung beziehen? Und wenn ja, welche Position sollte sie einnehmen? Im Februar 2025 hat John Witcombe, Dekan der Kathedrale von Coventry, dazu geschrieben:

Liebe Freundinnen und Freunde,

Seit der Wahl und Amtseinführung von Präsident Trump wurden wir oft gefragt, ob wir dazu eine Stellungnahme abgeben. Wir haben uns bislang zurückgehalten, denn es scheint wenig zielführend, lediglich das zu wiederholen, was bereits vielfach gesagt wurde – unter anderem in der eindrucksvollen Predigt von Bischöfin Budde. Wenn wir nur innerhalb unseres eigenen Kreises Gleichgesinnter sprechen, kommen wir nicht wirklich weiter.

Dennoch könnte es notwendig sein, unsere Stimmen mit denen zu vereinen, die für Gerechtigkeit eintreten – gerade angesichts der beunruhigenden Nachrichten, die uns aus den USA erreichen. Als Menschen, die sich dem Dienst der Versöhnung verpflichtet fühlen, sind wir aufgerufen, an der Seite derer zu stehen, die an den Rand gedrängt oder ausgeschlossen werden. Dabei leiten uns die drei Prinzipien der Nagelkreuzgemeinschaft: Wunden heilen, Vielfalt wertschätzen und eine Kultur der Gerechtigkeit und des Friedens fördern. Es ist unsere Aufgabe, Ungerechtigkeit zu benennen und dem entgegenzutreten. Dazu gehört auch, die Geschichten derjenigen hörbar zu machen, die sonst oft übersehen werden.

Doch ebenso wichtig ist es, Brücken zu denen zu bauen, mit denen wir uns uneins fühlen – und das schließt auch diejenigen ein, die Donald Trump als Hoffnungsträger sehen. Der Versöhnungsforscher John Paul Lederach erinnert uns daran: „Wir haben uns nie wirklich auf die Arbeit der Versöhnung eingelassen, solange nicht unsere eigenen Freunde denken, wir hätten sie verraten.“ Wie können wir also lernen, denjenigen zuzuhören, die Trump unterstützen? Was sind die Sorgen und Verletzungen, die ihre Haltung prägen? Welche Hoffnungen verbinden sie mit ihm? Und wie können diese Wunden geheilt werden? Es gibt Menschen, die sich übersehen fühlen und darauf hoffen, dass Trump ihre Interessen vertritt. Wie können wir mit ihnen so ins Gespräch kommen, dass sie sich gehört fühlen – und wir selbst auch Gehör finden?

In unserem Versöhnungsteam haben wir uns mit diesen Fragen beschäftigt und erkannt: Es kommt darauf an, klar für Gerechtigkeit einzutreten, aber zugleich auch auf lokaler, vielleicht sehr persönlicher Ebene den Dialog zu suchen – gerade mit Menschen, deren Ansichten uns fremd oder schwer nachvollziehbar erscheinen. Wir sollten darum bitten, die Geduld und Offenheit zu haben, ihnen zuzuhören. Wir sollten bereit sein, einen ersten Schritt auf sie zuzugehen – hin zu einem Punkt, an dem wir „unseren Gegenüber unsere eigene Geschichte erzählen hören – und sagen können: ‚Ja, das ist auch meine Geschichte.‘“ Vielleicht können wir das große Ganze nicht verändern. Aber jeder und jede von uns kann kleine Schritte tun, um dort, wo wir sind, eine Kultur der Gerechtigkeit und des Friedens wachsen zu lassen.

Lederach schreibt: „Ich glaube, dass Gerechtigkeit, Frieden und Versöhnung möglich sind. Ich glaube, dass sie Wirklichkeit werden.“ (Reconcile, 2014) Es ist Gottes Werk – und deshalb haben wir Hoffnung.

Autor: John Witcombe, Dekan der Kathedrale von Coventry