Regionaltreffen Südwest: Pilgerwege und Gemeinschaft in Saarbrücken

Die Teilnehmenden des Regionaltreffen Südwest am Nagelkreuz der Ludwigskirche mit kriegsbeschädigter Apostelfigur Jakobus d. Ä. (Foto: Matthias Engesser)

Eine historische Kirche, ein besonderer Anlass und viele inspirierende Begegnungen – das Regionaltreffen Südwest der Nagelkreuzgemeinschaft führte die Teilnehmer 2025 nach ->Saarbrücken, den westlichsten Punkt der Region. Pfarrer Thomas Bergholz hatte zum 250. Jubiläum der Ludwigskirche eingeladen, und zwölf Mitglieder unserer Gemeinschaft trafen sich am 22. März zu Austausch und Pilgerwanderung. Hier ihr spannender Bericht.

Um zehn Uhr begann der Tag im Café Catherine, das sich in der ehemaligen Fürstengruft der Kirche befindet. Dort gab uns Pfarrer Bergholz einen kurzen Einblick in die Geschichte der Kirche und in die Versöhnungsarbeit der Gemeinde. Diese liegt besonders im interkonfessionellen und zunehmend auch im interreligiösen Dialog. Danach machten wir uns gemeinsam mit zwei Gästen aus Saarbrücken auf den Pilger-Weg durch Alt-Saarbrücken. Die Idee zu diesem Weg war ursprünglich für eine „Nacht der Kirchen“ entstanden.

Austausch im Café Catherine in der Krypta der Ludwigskirche (Foto: Christian Roß)

Unser Weg führte über den Ludwigsplatz, auf dem an diesem Samstag der große Wochenmarkt stattfand. Mit einem großen ökumenischen Osterfeuer beginnt auf diesem Platz traditionell die Osternacht. Nach dem gemeinsamen Beginn ziehen von dort alle Konfessionen zur Osternachtfeier in Prozessionen in ihre Kirchen. Auf der anderen Seite des Platzes steht die Friedenskirche. Sie wurde, genau wie die Ludwigskirche, im Barockstil erbaut. Thomas Bergholz erzählte uns von ihrer bewegten Geschichte. Anfangs war sie eine reformierte Kirche. Später wurde das Gebäude als Schulhaus genutzt. Seit 1890 dient es der Alt-Katholischen Gemeinde als Kirche und Versammlungsraum. Ausgehend von Johannes 14,27: „Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht“ endete der Besuch des Alt-katholischen Gotteshauses mit einer Meditation über Frieden und die Gesichter des Friedens.

Unser Weg führte vorbei am Denkmal für Organspenderinnen und Organspender. Dort hielten wir mit Johannes 15,13 inne: „Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lasse für seine Freunde.“ In Saarbrücken hat dieser Vers eine durchaus belastete Vergangenheit. Zwischen 1918 und 1945 war er als Inschrift am Altar der Ludwigskirche angebracht und diente einem fragwürdigen „Heldengedenken“. Auch die nächste Station gab uns Anlass, über den Umgang mit der Vergangenheit zu diskutieren: Die Aufschrift auf dem Denkmal für die Opfer des Ersten Weltkriegs lässt eher an ein Kriegerdenkmal denken. Uns wurde deutlich, wie schwierig es ist, ein angemessenes Gedenken zu gestalten, und wie herausfordernd der Umgang mit historischen Gedenkorten ist, die Fragen aufwerfen und heutiger Gedenkkultur eher fremd sind.

Direkt gegenüber, auf der anderen Straßenseite, stießen wir auf die katholische Pfarrkirche St. Jakob. Bereits ihr Name weist auf ihre besondere Bedeutung für Pilger hin. Direkt am Jakobsweg gelegen, ist sie „Pilgerkirche am Weg“. Dies wird auch durch die Jakobsmuschel sichtbar, die in der Fassade eingelassen ist. Trotz dieser Funktion – in Saarbrücken scheint manches anders zu sein als andernorts – ist die Kirche meist geschlossen, während die evangelische Ludwigskirche täglich lange geöffnet ist. Ein Zutritt zur Kirche blieb unserer Pilgergruppe daher verwehrt.

Stuckdetail in der Mitte der Ludwigskirche, zugleich Mitte der ehemaligen Barockstadt ( Foto: Christian Roß)

Extra für uns geöffnet wurde hingegen die Immanuel-Kirche der Selbständig Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK), nur wenige hundert Meter entfernt. Dort begrüßte uns Pfarrer Johannes Achenbach gemeinsam mit einigen Konfirmanden. Die kleine Kirche entstand 1902 im neuromanischen Stil. Im Zweiten Weltkrieg wurde sie stark beschädigt, danach in ihrer heutigen Form wiederaufgebaut. Besonders beeindruckten uns die beiden Fenster des Künstlers György Lehoczky aus den Jahren 1953/54. Sie schmücken die Chorapsis und zeigen Mose bei der Übergabe der Gebotstafeln und Jesus bei der Bergpredigt. Pfarrer Achenbach gab uns außerdem Einblicke in die Struktur und Arbeit der SELK.

Nächste Station war das ehemalige Gemeindehaus der Ludwigskirche, vor deren Eingang ein Teil einer der im Krieg beschädigten großen Figuren vom Dach der Ludwigskirche steht. Eine dieser Figuren ist wieder in die Ludwigskirche gebracht worden, wo sie in einer Nische mit dem Nagelkreuz symbolisch für die Zerstörung der Kirche steht. Letzte Station war der alte lutherische Friedhof, der bereits seit 200 Jahren aufgelassen ist und heute als Parkplatz dient. Direkt an einem aufsteigenden Felsen gelegen, findet sich als Erinnerung nur noch eine Plakette, die auch an die letzte Ruhestätte des Architekten der Ludwigskirche erinnert.

Anschließend nahm unsere Gruppe am ökumenischen Mittagsgebet teil. Diese Andacht findet jeden Samstag um 12 Uhr in der Ludwigskirche statt. Gestaltet wird sie von wechselnden Personen. Ein fester Bestandteil ist dabei stets das Versöhnungsgebet von Coventry. Nach dem Gebet folgt wöchentlich eine etwa 15-minütige „Musik zur Marktzeit“. Diese spielte an diesem Samstag der deutsch-dänische Organist Tobias Naumann aus Brönderslev (Dänemark). Im Anschluss daran führte Pfarrer Thomas Bergholz durch die frisch renovierte und eindrucksvoll rekonstruierte Ludwigskirche. Unsere Gruppe nahm gern an dieser kurzen öffentlichen Führung teil.

Altar, Kanzel und Orgel in der frisch sanierten Ludwigskirche (Foto: Christian Roß)

Nach einem gemeinsamen Mittagessen begann der Austausch mit einer kurzen Vorstellungsrunde. Vertreten waren etablierte Zentren wie Pforzheim-Huchenfeld, Stadtkirche Pforzheim, Stadtkirche Darmstadt, der Kirchenkreis Esslingen sowie das gastgebende Zentrum Saarbrücken. Außerdem nahmen neue und interessierte Zentren teil. Pfarrer Jörg Seiter ist bereits Einzelmitglied der Gemeinschaft. Er leitet den Kooperationsraum Blankenloch-Stutensee-Weingarten, der am 26.10. das Nagelkreuz erhalten wird. Alexander Classen vertrat den Kirchenvorstand der Frankfurter Paulsgemeinde. Diese Gemeinde wird am 24.10. offiziell in die Nagelkreuzgemeinschaft aufgenommen. Ihr Nagelkreuz erhält seinen Platz in der Alten Nikolaikirche am Römer. Pfarrer Tim van de Griend, ebenfalls langjähriges Einzelmitglied, stellte seine Gemeinde vor. Er möchte die Evangelisch-Reformierte Französische Gemeinde Frankfurt in die Nagelkreuzgemeinschaft führen. Er berichtete von ihrer spannenden Geschichte sowie der aktuellen diakonischen und international verbindenden Arbeit. Zum Schluss berichtete Christian Roß über die Arbeit in Leitungskreis und Vorstand.

Gegen 17 Uhr endete das inspirierende und gelungene Regionaltreffen. Einige Teilnehmer:innen blieben noch etwas in Saarbrücken und nutzten die Gelegenheit, die Stadt näher zu erkunden. Das nächste Regionaltreffen Südwest soll 2026 in Darmstadt stattfinden. Dann feiert die Stadtkirche ihr 50-jähriges Nagelkreuzjubiläum und lädt aus diesem besonderen Anlass herzlich ein.

Autor: Christian Roß

Donald Trump ist wieder Präsident – was sagt die Nagelkreuzgemeinschaft dazu?

Dekan John Witcombe (Foto: Coventry Cathedral)

Die politischen Entwicklungen in den USA bewegen und beunruhigen viele Menschen. Sollte die Nagelkreuzgemeinschaft dazu Stellung beziehen? Und wenn ja, welche Position sollte sie einnehmen? Im Februar 2025 hat John Witcombe, Dekan der Kathedrale von Coventry, dazu geschrieben:

Liebe Freundinnen und Freunde,

Seit der Wahl und Amtseinführung von Präsident Trump wurden wir oft gefragt, ob wir dazu eine Stellungnahme abgeben. Wir haben uns bislang zurückgehalten, denn es scheint wenig zielführend, lediglich das zu wiederholen, was bereits vielfach gesagt wurde – unter anderem in der eindrucksvollen Predigt von Bischöfin Budde. Wenn wir nur innerhalb unseres eigenen Kreises Gleichgesinnter sprechen, kommen wir nicht wirklich weiter.

Dennoch könnte es notwendig sein, unsere Stimmen mit denen zu vereinen, die für Gerechtigkeit eintreten – gerade angesichts der beunruhigenden Nachrichten, die uns aus den USA erreichen. Als Menschen, die sich dem Dienst der Versöhnung verpflichtet fühlen, sind wir aufgerufen, an der Seite derer zu stehen, die an den Rand gedrängt oder ausgeschlossen werden. Dabei leiten uns die drei Prinzipien der Nagelkreuzgemeinschaft: Wunden heilen, Vielfalt wertschätzen und eine Kultur der Gerechtigkeit und des Friedens fördern. Es ist unsere Aufgabe, Ungerechtigkeit zu benennen und dem entgegenzutreten. Dazu gehört auch, die Geschichten derjenigen hörbar zu machen, die sonst oft übersehen werden.

Doch ebenso wichtig ist es, Brücken zu denen zu bauen, mit denen wir uns uneins fühlen – und das schließt auch diejenigen ein, die Donald Trump als Hoffnungsträger sehen. Der Versöhnungsforscher John Paul Lederach erinnert uns daran: „Wir haben uns nie wirklich auf die Arbeit der Versöhnung eingelassen, solange nicht unsere eigenen Freunde denken, wir hätten sie verraten.“ Wie können wir also lernen, denjenigen zuzuhören, die Trump unterstützen? Was sind die Sorgen und Verletzungen, die ihre Haltung prägen? Welche Hoffnungen verbinden sie mit ihm? Und wie können diese Wunden geheilt werden? Es gibt Menschen, die sich übersehen fühlen und darauf hoffen, dass Trump ihre Interessen vertritt. Wie können wir mit ihnen so ins Gespräch kommen, dass sie sich gehört fühlen – und wir selbst auch Gehör finden?

In unserem Versöhnungsteam haben wir uns mit diesen Fragen beschäftigt und erkannt: Es kommt darauf an, klar für Gerechtigkeit einzutreten, aber zugleich auch auf lokaler, vielleicht sehr persönlicher Ebene den Dialog zu suchen – gerade mit Menschen, deren Ansichten uns fremd oder schwer nachvollziehbar erscheinen. Wir sollten darum bitten, die Geduld und Offenheit zu haben, ihnen zuzuhören. Wir sollten bereit sein, einen ersten Schritt auf sie zuzugehen – hin zu einem Punkt, an dem wir „unseren Gegenüber unsere eigene Geschichte erzählen hören – und sagen können: ‚Ja, das ist auch meine Geschichte.‘“ Vielleicht können wir das große Ganze nicht verändern. Aber jeder und jede von uns kann kleine Schritte tun, um dort, wo wir sind, eine Kultur der Gerechtigkeit und des Friedens wachsen zu lassen.

Lederach schreibt: „Ich glaube, dass Gerechtigkeit, Frieden und Versöhnung möglich sind. Ich glaube, dass sie Wirklichkeit werden.“ (Reconcile, 2014) Es ist Gottes Werk – und deshalb haben wir Hoffnung.

Autor: John Witcombe, Dekan der Kathedrale von Coventry

 

Sievershäuser Ermutigung: Ein Preis für den Frieden in Nahost

Sulaiman Khatib (Foto: Henning Menzel)

Die „Sievershäuser Ermutigung“ zeichnet seit 1988 Initiativen aus, die sich für Versöhnung, Dialog und gewaltfreie Konfliktlösungen engagieren. Das =>Antikriegshaus Sievershausen und die Stiftung “Frieden ist ein Menschenrecht” verleihen den mit 5.000 € dotierten Preis alle zwei Jahre. Am 8. Dezember 2024 wurde der Preis an „Combatants for Peace“ vergeben. Die Initiative bringt Israelis und Palästinenser zusammen, die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt waren.

Die 2006 gegründete Bewegung Combatants for Peace vereint ehemalige israelische Soldaten und palästinensische Widerstandskämpfer. Gemeinsam setzen sie sich für eine gewaltfreie Lösung des Nahostkonflikts ein. Sie organisieren Bildungsprogramme, öffentliche Dialogveranstaltungen und friedliche Proteste. „Sie setzen sich seit Jahren unter schwierigsten Rahmenbedingungen für den Dialog und die Zusammenarbeit zwischen Israelis und Palästinensern ein“, erklärte Dr. Edelgard Bulmahn bei der Preisverleihung. „Gerade Ihre Arbeit gibt Hoffnung, dass Menschen unterschiedlicher Kultur, Herkunft, Religion und Interessen friedlich zusammenleben können.“

Zur Entgegennahme der Auszeichnung reisten die Aktivisten Sulaiman Khatib und Iris Gur an.

Sulaiman Khatib: Vom Gefangenen zum Friedensaktivisten

Sulaiman Khatib begann seine Dankesrede mit einem Lied auf der Flöte. Die sanften Klänge erfüllten den Raum und ließen die Zuhörer für einen Moment innehalten. Er wollte ihnen ein Gefühl für die Landschaft vermitteln, in der er aufgewachsen ist – die Hügel nahe Jerusalem, geprägt von Konflikten und alltäglichen Auseinandersetzungen mit Siedlern und Besatzungssoldaten. Seine Familie litt unter diesen Umständen.

Im Alter von 14 Jahren wurde er verhaftet und zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Zehn Jahre und sechs Monate verbrachte er in israelischen Haftanstalten. Dort begann er, sich intensiv mit Geschichte, Hebräisch, Englisch und politischen Konflikten auf der ganzen Welt auseinanderzusetzen. Besonders beeindruckten ihn die Gedanken von Gandhi und Mandela. „Meine gesamte Bildung und meine Sicht auf die Welt habe ich im Gefängnis erworben“, erzählte er. Während dieser Zeit habe er eine neue Perspektive auf den Konflikt und die Möglichkeiten seiner Lösung entwickelt. Nach seiner Freilassung entschied er sich, den Weg des Friedens zu gehen. Während der zweiten Intifada rief er zu gewaltlosem Widerstand auf. Seit zwanzig Jahren engagiert er sich in verschiedenen Programmen, die sich für eine friedliche Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts einsetzen.

Iris Gur (Foto: Henning Menzel)

Iris Gur: Ein persönlicher Wandel

Seine Mitstreiterin an diesem Abend, aber auch in vielen anderen Aktionen, war Iris Gur, Lehrerin und Schulleiterin aus Tel Aviv. Sie ist die Enkelin einer Holocaust-Überlebenden und wuchs in Netanya als Tochter von Eltern auf, die nach dem Zweiten Weltkrieg als Kinder nach Israel kamen. „Die Welt wollte uns verschwinden lassen; diejenigen, die überlebten, bauten ein kleines Land auf. Doch selbst dort waren wir von Feinden umgeben – Arabern, die uns töten und ins Meer werfen wollten. Wir mussten uns selbst schützen.“

Diese Vorstellung prägte ihre Kindheit. „In meiner Familie, im Kindergarten, in der Schule, bei den Pfadfindern und in der Gemeinde begegnete ich nie einer anderen Erzählung. Ich traf nie einen Araber, noch hörte ich Worte wie ‚Palästinenser‘ oder ‚Besatzung‘. Sie waren einfach nicht Teil meiner Welt.“ Durch die Erfahrungen ihrer Eltern, insbesondere ihres Vaters, eines Armeeoffiziers, vermischten sich für sie Geschichten über den Holocaust mit Berichten über arabische Terroristen. Doch mit der Zeit begannen sich kleine Risse in ihrem Weltbild zu zeigen.

An der Universität lernte sie erstmals israelische Araber kennen, und ihre jüngere Schwester berichtete ihr von Erlebnissen, die eine andere Perspektive eröffneten – die palästinensische Geschichte. Ein Wendepunkt kam, als ihre Tochter den Militärdienst verweigerte. Sie wurde zu vier Monaten Haft verurteilt. „Meine Tochter saß im Militärgefängnis, weil sie nicht an einem System teilnehmen wollte, das sie als ungerecht empfand. Das brachte mich dazu, mich intensiver mit der Realität in den besetzten Gebieten auseinanderzusetzen.“

Iris Gur wollte verstehen und begann ihre eigene Reise. Sie nahm an Touren im Westjordanland mit Organisationen wie „Ir Amim“, „Breaking the Silence“ und „Combatants for Peace“ teil, engagierte sich in Gruppen, die palästinensische Schafhirten vor Siedlergewalt schützten, und arbeitete aktiv an gemeinsamen Projekten mit Israelis und Palästinensern.

„Ich begann, meine Erfahrungen aufzuschreiben und in den sozialen Medien zu teilen. Ich glaubte, wenn die Menschen wüssten, was hinter den Mauern passiert, müsste es aufhören.“ Doch sie musste feststellen, dass es nicht so einfach war. Als Schuldirektorin musste sie sich immer wieder vor ihren Vorgesetzten erklären, enge Freunde brachen den Kontakt zu ihr ab. Sie fühlte sich als „radikale Linke“ abgestempelt. Dazu hat sie eine klare Haltung. „Was ist daran radikal, Freiheit, Gerechtigkeit und Sicherheit für alle Menschen zu wollen?“

Ihre Rede in Sievershause schloss sie mit der Hoffnung ab: „Zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan leben 14 Millionen Menschen. Wir haben die Möglichkeit, Raum für ein Zusammenleben aller zu schaffen. Wir müssen – und ich glaube, wir können es.“ In ihrem letzten Satz verband sie zwei Identitäten: „Ich bin Israel und ich bin Palästina.“ Sie appellierte, die aktuelle israelische Regierungspolitik nicht mit weiteren Waffenlieferungen zu unterstützen.

Laudatio und Grußworte

Der Journalist und Nahost-Experte Dr. Daniel Alexander Schacht hielt die Laudatio. Er beschrieb die Herausforderungen, mit denen sich „Combatants for Peace“ konfrontiert sieht. In Israel und Palästina stießen beide auf Widerstand, da viele eine Zusammenarbeit mit der jeweils anderen Seite ablehnten. Dennoch setzten sie sich für einen gleichberechtigten Dialog ein und träten für gewaltfreie Konfliktlösungen ein. Dr. Ralph Charbonnier, theologischer Vizepräsident des Landeskirchenamtes, würdigte die Preisträger mit den Worten: „Dieser Preis ermutigt Menschen, an die Möglichkeit von Frieden zu glauben und sich aktiv für seine Verwirklichung einzusetzen.“ Armin Hapke, Bürgermeister von Sievershausen, hob hervor: „Gerade in Zeiten wachsender globaler Spannungen ist es wichtig, Organisationen zu unterstützen, die langfristige und nachhaltige Friedensprozesse vorantreiben.“

Sievershäuser Ermutigung 2025 (Foto: Katrin Sassen)

Neben den Redebeiträgen bot die Veranstaltung Raum für Gespräche und Diskussionen. Besucherinnen und Besucher hatten die Möglichkeit, mit den Preisträgern ins Gespräch zu kommen und mehr über deren Arbeit zu erfahren. Eine Ausstellung präsentierte Fotos und Berichte über frühere Projekte von Combatants for Peace und deren Auswirkungen auf betroffene Gemeinschaften. Im Anschluss an die offizielle Preisverleihung fand ein interaktiver Workshop statt. Teilnehmerinnen und Teilnehmer diskutierten darüber, welche Ansätze zur gewaltfreien Konfliktlösung auch in anderen Regionen anwendbar sind. Vertreter anderer Friedensorganisationen berichteten über ihre eigenen Erfahrungen und tauschten sich über bewährte Strategien aus.

Die „Sievershäuser Ermutigung“ wird alle zwei Jahre in zeitlicher Nähe zum Tag der Menschenrechte am 10. Dezember vergeben. Zu den bisherigen Preisträgern gehören u. a. die Organisation MADAM aus Sierra Leone (2008), die ehemalige Kindersoldaten unterstützt, und die tschetschenische Menschenrechtlerin Taita Junusova (2006), die Kriegsopfer begleitet und Menschenrechtsverletzungen dokumentiert.

Autor: Niels Faßbender mit Material von Henning Menzel und Dokumentationsstätte zu Kriegsgeschehen und über Friedensarbeit Sievershausen e.V.

 

Drei Tage in Dresden – Auf den Spuren der Versöhnung

Die Wuppertaler Delegation (v. l. n. r.): Bruno Hensel, Susanne Kapp, Carin Hell, Sigrid Runkel, Pfarrer Frank Schulte. Foto: Frank Schulte

Im Februar 2025 reisten fünf Mitglieder unseres Nagelkreuzzentrums Gemarker Kirche in Wuppertal nach Dresden, um am Gedenken zum 80. Jahrestag des Luftangriffs auf das Elbflorenz teilzunehmen. Die Verbindung zwischen der Gemarker Kirche und den Dresdener Christen ist tief verwurzelt: Hugo Hahn, der 1934 Pfarrer an der Frauenkirche war, hielt die Eröffnungspredigt bei der Barmer Synode in Barmen. Hier der Bericht der Wuppertaler Delegation:

Drei Tage Dresden und fünf Nagelkreuzzentren – eine sportliche Herausforderung, die wir uns vorgenommen haben. Zum 80. Jahrestag des Bombardements von Dresden am 13. Februar 1945 sind wir auf den Spuren von Versöhnung, Verständigung und Wiederanfang nach den Kriegserfahrungen, die nur scheinbar lange zurückliegen. Direkt nach unserer Ankunft sind wir zu Gast in der Ev.-Luth. Diakonissenanstalt Dresden. Diese Diakonissenanstalt in der Äußeren Neustadt, zwischen Bautzner Straße und Holzhofgasse, gehört zu den ältesten ihrer Art in Deutschland und wurde 1965 als in die Nagelkreuzgemeinschaft aufgenommen. Hier erfahren wir von der englischen Wiederaufbauhilfe, von spürbarer, praktischer Versöhnungsarbeit, und von der Unterstützung in Rumänien. An allen Stationen des Krankenhauses sind Nagelkreuze zu sehen, die die Versöhnungsarbeit aus diakonischer Perspektive verdeutlichen. Wir genießen die Gastfreundschaft der Mitarbeiter und haben anregende Gespräche über die Zukunft der Nagelkreuzarbeit.

Am nächsten Morgen, dem Erinnerungstag, sind wir in die Frauenkirche eingeladen. Prince Edwad, Duke of Kent und Mitglied des britischen Königshauses, ist ebenfalls zu Gast. Von Pfarrerin Behnke erfahren wir mehr über die Versöhnungsarbeit an der Frauenkirche, einem besonderen Ort mit einem besonderen Auftrag. Rechtzeitig zur Gedenkveranstaltung kehren wir zurück, um im dichten Schneetreiben daran erinnert zu werden, dass „Zukunft durch Erinnern“ nur möglich ist, wenn wir die Vergangenheit anerkennen. Nachdenklich und auch ein wenig begeistert reihen wir uns in die Menschenkette zum Schutz von Frieden und Demokratie ein. Hand in Hand mit vielen anderen Menschen stehen wir hier – Versöhnung ist praktisch, menschlich und ein gemeinsames Handeln. Dies ist eindrucksvoll spürbar im Schnee, vor der schönen Kulisse der Frauenkirche und der dunklen Vergangenheit.

Kurz vor 22:00 Uhr läuten alle Glocken der Frauenkirche. Der Schnee fällt weiter, und in der Kirche nehmen wir an der „Nacht der Stimmen“ teil. Bürger der Stadt, Gäste, Chor und Orgel erinnern an die schreckliche Nacht vor 80 Jahren und die Dunkelheit, die das alles erst möglich gemacht hat. Die Zerstörung Dresdens – eine Radierung von Churchill nach einer Vorlage Hitlers. Der Satz trifft und wird zu einem kraftvollen Ausdruck für vieles, das das Unsagbare in Worte fasst. Victor Klemperer, Durs Grünbein, John Witcombe, der Dean von Coventry, Orgel und Chor – Stimmen aus Vergangenheit und Gegenwart. Erinnerungen vermischen sich, die Lebenden erinnern sich an die Toten und die Toten erinnern uns an das Leben. Lichter brennen, es schneit. Versöhnung hat eine eigene, schwere Schönheit.

Am Morgen danach besuchen wir die Kreuzkirche, den Ausgangspunkt der Proteste in Dresden in den 1980er Jahren. Lichtermärsche zur Ruine der Frauenkirche damals und die Nagelkreuzandacht heute gehören zusammen. Versöhnung ist politisch, sie verändert und kreist um die schweren Themen des Lebens – Krieg in der Ukraine, Israel und Palästina.

Leider können wir den Denkraum der Sophienkirche wegen des Wetters nur von außen betrachten. Diese Gedenkstätte soll nicht nur an die 1945 zerstörte Sophienkirche erinnern, sondern auch an die Opfer der Bombardierung Dresdens am 13. Februar 1945 und an den Widerstand der evangelischen Bevölkerung Dresdens „in der Zeit zweier Diktaturen von 1933 bis 1989“. Ein sehr schöner Ort, an dem Nagelkreuz-Versöhnungsarbeit sichtbar wird. Besonders die Kunstwerke, darunter Triptychen von Otto Dix und Hans Grundig über Krieg und Nazizeit, bleiben eindrücklich. Vielleicht hilft die Ästhetik, sich dem Grauen zu stellen.

Zum Abschluss unseres Besuchs erreichen wir Nr. 5 – Maria am Wasser. Eine evangelisch-lutherische Kirche im Dresdner Stadtteil Hosterwitz, die durch die persönliche Beziehung einer Pfarrerin zu Coventry das Nagelkreuz und die Versöhnungsarbeit nach Dresden holte. Hier entsteht und entwickelt sich eine Partnerschaftsarbeit mit Polen und England sowie das Engagement für taubblinde Menschen.

Fünf Nagelkreuze haben wir besucht, fünf Zentren – und doch noch viel mehr Menschen, die auf der Spur von Versöhnung und Verständigung sind. Warum fünf in Dresden? Vielleicht, weil die ausgestreckte Hand der Versöhnung fünf Finger hat.

Autor: Frank Schulte

Zwei Schichten am Nagelkreuz-Stand – Ihr Ticket für den Kirchentag!

Grafik: Deutscher Evangelischer Kirchentag

Grafik: Deutscher Evangelischer Kirchentag

Vom 30. April bis 4. Mai 2025 findet in Hannover der 39. Deutsche Evangelische Kirchentag statt. Auch in diesem Jahr wird die Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland e. V. wieder mit einem Stand auf dem Markt der Möglichkeiten vertreten sein.

Dabei gibt es eine spannende Neuerung: Unser Stand wird größer und moderner! Als gewachsene Gemeinschaft möchten wir unsere Arbeit ansprechender und zeitgemäßer präsentieren – dafür benötigen wir Ihre Unterstützung.

So können Sie uns helfen:

Der Markt der Möglichkeiten findet von Donnerstag (1. Mai) bis Samstag (3. Mai) statt. An diesen Tagen soll unser Stand immer von mehreren Helfer:innen gleichzeitig in jeweils ca. vierstündigen Vor- und Nachmittagsschichten betreut werden. Wir suchen engagierte Freiwillige, die bereit sind, einen oder mehrere Schichtdienste zu übernehmen. Während dieser Zeit sind Sie und Ihre Teamkolleg:innen Ansprechpersonen für alle Besucher:innen auf dem „Markt der Möglichkeiten“. Mit Ihrem Einsatz tragen Sie dazu bei, die Geschichte des Nagelkreuzes und unsere Versöhnungsarbeit einem breiten Publikum näherzubringen.

Unser Dankeschön:

Wer mindestens zwei Schichten übernimmt, erhält als Dankeschön ein Ticket für den gesamten Kirchentag einschließlich ÖPNV-Fahrausweis. Und natürlich erhalten Sie rechtzeitig vorab alle Informationen, die Sie für einen erfolgreichen Standdienst benötigen. Egal ob jung oder alt, Angehörige:r eines Nagelkreuzzentrums oder Einzelmitglied, Neuling oder „alter Hase“ – jede helfende Hand ist willkommen!

Interessiert?

Dann füllen Sie einfach den Anmeldebogen aus, den Sie hier herunterladen können, und senden Sie diesen an kirchentag@nagelkreuz.org. Wenn Sie vorab noch Fragen haben, können Sie ebenfalls über diese E-Mail-Adresse Kontakt mit Maite Böhm aufnehmen, die die Federführung für die Organisation des Standes übernommen hat.

Weitersagen!

Ihre Unterstützung ist ein wichtiger Beitrag für das Gelingen unseres neuen Standes. Wir hoffen daher auf zahlreiche Rückmeldungen und danken Ihnen schon jetzt für Ihr Engagement! Leiten Sie diesen Aufruf deshalb gerne innerhalb Ihrer Einrichtung oder Ihres Zentrums weiter. Herzlichen Dank!

Und sonst?

Die Nagelkreuzgemeinschaft wird außerdem mit einem Gottesdienst auf dem Kirchentag vertreten sein. Ort und Zeit werden wir rechtzeitig auf www.nagelkreuz.de und im Freundesbrief bekanntgeben. Gerne veröffentlichen wird dort auch Aktionen und Angebote unserer Nagelkreuzzentren und Mitglieder auf dem Kirchentag. Über entsprechende Hinweise an redaktion@nagelkreuz.de freuen wir uns. Und wer einfach nur so am Kirchentag teilnehmen möchte, kann sich auf www.kirchentag.de informieren und anmelden.

Autor: Nagelkreuzgemeinschaft

 

Karsten Wolkenhauer wird neuer Kirchenpräsident in Anhalt

Karsten Wolkenhauer (Mitte) nach seiner Wahl. Foto: Susanne Reh/Landeskirche Anhalt

Karsten Wolkenhauer wird neuer Kirchenpräsident der Evangelischen Landeskirche Anhalts. Die Synodalen wählten ihn am 7. Dezember 2024 auf einer Sondersynode in Dessau-Roßlau. Der 58jährige tritt die Nachfolge von Joachim Liebig an, der in den Ruhestand gegangen war. Wolkenhauer ist seit vielen Jahren in der Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland e. V. engagiert und gehört seit 2019 dem Leitungskreis an.

Wolkenhauer wurde 1966 geboren und wuchs in Herzberg am Harz auf. Er studierte Theologie an der Kirchlichen Hochschule Berlin und der Universität Heidelberg. Nach seinem Studium war Wolkenhauer vor allem als Unternehmens- und Personalberater tätig. Im Anschluss daran arbeitete er in Berlin-Niederschönhausen als Gemeindetheologe und übernahm ohne Ordination eine halbe Pfarrstelle. Von 2013 bis 2015 war er im Kirchenamt der EKD in Hannover Referent der Präses und des Präsidiums der Synode der EKD.

Nach seinem Vikariat in Stralsund und Prohn wurde Wolkenhauer Pastor im pommerschen Kirchenkreis in Demmin, Vanselow und Siedenbrünzow. Dort hat er u.a. Projekte zur Aufarbeitung des Massensuizids am Kriegsende initiiert („Demminer Trauertuch“). Neben seinem Einsatz für die Versöhnungsarbeit engagiert er sich unter anderem im Johanniterorden und den Internationalen Fachgesellschaften für Predigtlehre und Liturgie. Im Theologischen Studienseminar in Pullach leitet er bald zum dritten Mal den Kurs „Neu im ephoralen Amt“ und coacht Kirchenleitende der Mittleren Ebene aus fünf Landeskirchen. Aktuell ist er Pfarrer in Berlin-Nikolassee. Wolkenhauer ist verheiratet und Vater von drei erwachsenen Kindern.

Die Evangelische Landeskirche Anhalt ist zwischen Fläming und Harz gelegen. Das Gebiet wird von Elbe, Mulde und Saale durchzogen. Es ist nahezu identisch mit dem einstigen Fürstentum, späteren Herzogtum und dem nach 1918 entstandenen Freistaat Anhalt. Die Evangelische Landeskirche Anhalts umfasst heute Gemeinden in rund 154 Dörfern und Städten. Sie hat etwa 24.500 Mitglieder. Sie ist die kleinste der 20 Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Vorstand und Leitungskreis wünschen ihm Gottes Segen und alles erdenklich Gute für seine neuen Aufgaben.

Autoren: Nagelkreuzgemeinschaft und Susanne Reh (Pressesprecherin der Evangelischen Landeskirche Anhalt)

 

PeaceNight – Friedensmomente in Öhringen

Der YouC-Chor gestaltete zusammen mit der Band den Abend musikalisch. (Foto: Milena Sargsyan/Dorothea Färber)

Der Altar lud zum Gebet für Frieden ein. (Foto: Milena Sargsyan/Dorothea Färber)

Am 15. Februar 2025 lud das Evangelische Jugendwerk Öhringen zur PeaceNight ins Evangelische Rosenberggemeindehaus ein – ein Abend voller Musik, bewegender Geschichten und hoffnungsvoller Gebete unter dem Motto „Peace starts here“.

Der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt, als die Band June aus Waldenburg loslegte. Ihre energiegeladenen Klänge rissen das Publikum mit, darunter auch viele Pfarrer:innen und ihre Konfirmand:innen, die sich von den Songs tragen ließen.

Herkunftsorte der Teilnehmenden auf einer Weltkarte (Foto: Milena Sargsyan/Dorothea Färber)

Ein besonders ergreifender Moment war die Erzählung von Nemat, der aus Afghanistan geflohen ist. Seine Geschichte fesselte die Zuhörenden – voller Schmerz, aber auch voller Dankbarkeit für die Menschen, die ihm geholfen haben. Dabei wurde eines ganz deutlich: Frieden ist keine Selbstverständlichkeit, sondern ein Geschenk, das wir aktiv schützen und bewahren müssen.

Nach dieser tief berührenden Erzählung folgte ein Moment der Stille:

An verschiedenen Gebetsstationen hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, für Afghanistan, für die Welt und für persönliche Anliegen zu beten – ein Augenblick der Besinnung und Hoffnung.

Angeregte Gespräche bei der Peacenight (Foto: Milena Sargsyan/Dorothea Färber)

Dann wurde es wieder musikalisch: Der Projektchor YOU/C unter der Leitung von Johanna Machado sorgte mit seinen einstudierten Songs für echte Gänsehautmomente. Danach wartete eine kulinarische Überraschung – leckeres afghanisches Essen, das in gemeinsamer Runde genossen wurde.

Den Abschluss bildeten weitere musikalische Beiträge, bevor es ein herzliches Dankeschön an alle Beteiligten gab, die diese PeaceNight zu einem unvergesslichen Abend voller Friedensmomente gemacht haben.

Autorin: Dorothea Färber

 

Giesela Schulz: Einfalt kann nicht die Lösung sein

Predigt zum 10jährigen Nagelkreuzjubiläum in Sievershausen

Giesela Schulz war Lehrerin an der Schule in Sievershausen. Seit vielen Jahren ist sie im Arbeitskreis Ortsgeschichte in Sievershausen aktiv, den sie seit 1991 leitet. Sie war an Ausstellungen zur Schlacht bei Sievershausen beteiligt, die in Zusammenarbeit mit dem Braunschweigischen Landesmuseum in Braunschweig und Sievershausen gezeigt wurden. In den letzten Jahren hat sie mit einer Vortragsreihe und einem Buch unter dem Titel „Ein Dorf unter dem Hakenkreuz“ wesentliche Beiträge zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit von Sievershausen geleistet. Giesela Schulz ist seit 2014 Mitglied des Nagelkreuzteams in Sievershausen und gestaltet dort immer wieder Andachten. Dabei greift sie häufig historische Bezüge auf. Bei der Nagelkreuzandacht zum 10jährigen Nagelkreuzjubiläum am 14. September 2024 in Sievershausen (klick hier -> siehe gesonderter Bericht) hielt sie die nachstehend abgedruckte Predigt.

„Unterschiede leben und Vielfalt feiern“: Das ist das schwierige Thema unseres heutigen Nagelkreuzgottesdienstes. Das Wort „Migration“ ist zurzeit in aller Munde. Polarisierung und Aggression prägen die politische und gesellschaftliche Debatte. Auf der einen Seite die Ströme zum Teil unkontrollierter Einwanderung nach Deutschland und auf der anderen Seite die notwendige Hilfe für Menschen, die vor Krieg, Hunger und Elend aus ihrer Heimat fliehen.

Die Gegenwart fordert uns deshalb alle. Sie verlangt von uns neue Formen des Zusammenlebens, in denen Gleichheit, Verschiedenheit und gegenseitige Abhängigkeit unser Handeln sowohl als Individuen als auch als Gruppen bestimmt. Unterschiede zu leben und Vielfalt als Bereicherung zu verstehen und anzunehmen, ist nicht leicht. Das Thema Migration wird in den Medien mit vielen Facetten diskutiert, mit vielen Spekulationen, Meinungen oder Falschinformationen. Das verunsichert viele Menschen besonders nach dem schrecklichen Terroranschlag von Solingen. Ruf nach Abschiebung, Verschärfung des Waffengesetzes – kein Vertrauen in die Innere Sicherheit – all das polarisiert unsere Gesellschaft und ist Wasser auf die Mühlen der rechten Szene. Das machen auch die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen deutlich. Versachlichung wäre sehr, sehr wichtig. Doch Probleme mit Migration sind vorhanden und sollten auch angesprochen werden dürfen, ohne dass Menschen gleich in die rechte Ecke gedrängt werden.

Rassismus sollte jeden Tag bekämpft werden

Wir sollten uns aber weigern, grundsätzlich in Ausländern Feinde zu sehen, uns wehren gegen Sprüche wie „Deutschland den Deutschen“ oder „Ausländer raus!“ Diese rassistischen Gesänge zum Partyhit „L‘amour toujours“, in diesem Sommer von Jugendlichen als Video online gestellt, sind erschreckend. Alle Ausländer raus aus Deutschland, dann wären wir angeblich einen Großteil unserer Probleme los, „Remigration“ wird das in Teilen der AfD genannt, Ausländer wären sowieso krimineller als Deutsche! Soziale Medien potenzieren Ängste und schüren Hass. Parteien, die dort stark präsent sind wie die AfD, haben laut Studien bei jungen Menschen aktuell die besten Chancen, weil diese das Internet fast ausschließlich als Informationsquelle nutzen. Beiträge werden gezielt gewählt und interpretiert, die die eigenen Erwartungen bestätigen. Zeitung lesen, Nachrichten im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ansehen ist Schnee von gestern, das ist für die ältere Generation noch selbstverständlich.

Rassismus sollte jeden Tag bekämpft werden! Es gehört jedoch viel Mut und Entschlossenheit dazu, nicht schweigend zuzusehen, wenn uns Rassismus im Alltag begegnet. Die Würde des Menschen ist unantastbar, heißt es im ersten Artikel unseres Grundgesetzes. Im Februar verabschiedete die Deutsche Bischofskonferenz eine Erklärung, in der es heißt: „Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar“. In dem Punkt herrscht Einigkeit zwischen der katholischen und der evangelischen Kirche.

Die Kultur, in der wir aufgewachsen sind, ist durch Austausch mit anderen Kulturen entstanden

Rechte Gruppen in unserer Gesellschaft wollen nicht, dass in die deutsche Kultur Fremdes Einzug hält. Das Eigene bewahren und Neues integrieren zu können sollten wir positiv sehen. Ich will kulturelle Aneignung. Ich will Neues lernen und kennenlernen. Wir profitieren von all dem, was in Jahrhunderten entstanden ist. Wir können Neues aufnehmen, mit dem uns Bekannten mischen und das Beste daraus machen. Rein Deutsch – das gibt es nicht!

Ohne Zuwanderer aus anderen Ländern könnten in Deutschland viele Firmen, Hotels, Krankenhäuser, Altenheime usw. schließen. Wir sollten uns klar machen, dass das uns Bekannte, die Kultur, in der wir alle aufgewachsen sind, durch nichts anderes entstanden ist als durch den Austausch mit anderen Kulturen. Völker haben sich im Laufe der Geschichte ständig vermischt. Nehmen wir das Christentum: Entstanden in Israel, transformiert in die griechische Kultur in Auseinandersetzung mit der Philosophie der Antike, weitertransformiert in und durch die römische Kultur und dann in den Norden ausgedehnt in und durch die Aufnahme germanischer Weltsichten, wieder verändert durch Reformation und Aufklärung – und ich bin mir sicher, dass wir noch weitere Veränderungen vor uns haben werden.

Wenn wir uns dagegen sperren, wenn wir unsere Kultur einfrieren, dann wäre das ein großer Rückschritt und sehr langweilig. Wir hätten auf vieles verzichten müssen: Jazz, Gospel, Blues, Reggae, Jeans, Kartoffeln, Südfrüchte, Gewürze, Kaffee, viele Teesorten, Seide, Teppiche, tropische Hölzer, Öl, Benzin, viele Metalle, Sushi, Gyros, Pizza, Spaghetti… Ich höre hier auf mit der Aufzählung, denn es gibt kaum etwas, dass wir als eine rein deutsche kulturelle Errungenschaft benennen könnten, frei von fremden Einflüssen.

Probleme mit Weitsicht lösen

Als vor rund 65 Jahren die ersten italienischen Gastarbeiter in Deutschland eintrafen, wurden sie geringschätzig als „Spaghettifresser“ bezeichnet und hatten hier keinen leichten Anfang. Heute sind Pasta und Pizza das Lieblingsessen vieler Menschen und nicht mehr wegzudenken. Genauso wie Döner und Gyros, die mit den türkischen Gastarbeitern zu uns kamen. Etliche haben inzwischen hier eine neue Heimat gefunden.

Wir haben Glück, dass wir in Deutschland relativ sicher leben können. Das bedeutet nicht, keine Probleme mit Migration zu haben. Wir sollten aber versuchen, sie mit Sachverstand, Weitsicht und wenn möglich mit unseren EU-Nachbarn zu lösen.

Doch Zukunftsängste und die Angst vor Fremden scheinen in unserer Zeit immer größer zu werden. Auch in Bundesländern, die nur einen ganz geringen Ausländeranteil haben, sind Ausgrenzung und Ablehnung traurige Erfahrung, die Menschen aus anderen Ländern machen müssen, und sie erleben zum Teil auch Hass und Gewalt. Nicht-weiße Menschen können Diskriminierung in allen Bereichen des täglichen Lebens erfahren: In der Schule, auf dem Fußballplatz, bei der Job- und Wohnungssuche, bei der Polizeikontrolle oder wie letztlich bei einer Einlasskontrolle beim Maschseefest in Hannover.

Vielfalt kann bunt und fröhlich sein

War das bei der Olympiade in Paris nicht großartig, dass mehrere Sportler mit Migrationshintergrund Medaillen für Deutschland errungen haben und die Goldmedaillengewinnerin im Kugelstoßen sogar mit Inbrunst die deutsche Nationalhymne bei der Siegerehrung mitgesungen hat? Mich hat das sehr bewegt. Im Sport fand Yemisi Ogunleye (Mutter Deutsche, Vater Nigerianer) die Stärke, um sich gegen den in ihrer Kindheit erlebten Rassismus zu wehren. „Hier konnten mich die anderen Kinder nicht aufziehen, denn ich war ihnen überlegen“, berichtete sie.

Schauen wir uns im Fußball unsere Nationalelf an, eine Mischung von Spielern aus verschiedenen Ländern. Im Fernsehen haben wir uns z.B. bei den Nachrichtensprechern:innen, Moderatoren:innen usw. an viele ausländische Namen gewöhnt und schätzen deren Kompetenz.

Nicht nur die Probleme mit Migration sehen und überzeichnen, aber Migration auch nicht einseitig glorifizieren! Das ist ein Balanceakt. Vielfalt ist eine Herausforderung. Aber mit Optimismus, Kreativität, Weltoffenheit und Vertrauen statt Misstrauen können wir viel erreichen. Vielfalt ist anstrengend, Vielfalt nicht nur hinsichtlich der Herkunft oder der Religionszugehörigkeit, sondern auch hinsichtlich der sexuellen Orientierung oder des „Andersseins“ durch gesundheitliche oder körperliche Beeinträchtigungen.

Vielfalt kann aber auch bunt sein und fröhlich stimmen. Einfalt kann nicht die Lösung sein! Menschen sind unterschiedlich und nicht alle gleich, aber alle haben die gleichen Rechte!

Autorin: Giesela Schulz

 

Canon Mary Gregory wird Bischöfin in Reading

Mary Gregory. Foto: Diocese of Oxford

Mary Gregory, Domkapitularin für Kunst und Versöhnung an der Kathedrale von Coventry, wird Bischöfin in Reading in der Diözese Oxford der Kirche von England. König Charles III. hat der Ernennung am 27. November 2024 zugestimmt. Die neue Bischöfin wird im Frühjahr 2025 in ihr Amt eingeführt werden.

Seit 2022 ist Mary „Canon Residentiary for Arts and Reconciliation“ an der Kathedrale von Coventry. Viele Mitglieder und Freund:innen unserer Gemeinschaft haben Mary auf Pilgerfahrten nach Coventry kennengelernt und in ihr Herz geschlossen. Zuletzt war sie im November 2024 zur Übergabe der Nagelkreuze an die Hamburger Hauptkirchen bei uns in Deutschland. U. a. hielt sie die Predigt im Festgottesdienst zur Übergabe der Kreuze.

Im Namen der Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland e. V. hat Vorsitzender Dr. Oliver Schuegraf Mary herzlich zu ihrer Ernennung gratuliert. „Für uns ist es traurig, dass sie bald nicht mehr die Versöhnungsarbeit der Kathedrale von Coventry mitgestalten und prägen wird“, so Schuegraf. „Wir werden ihre theologischen und praktischen Impulse, ihre Kreativität und ihre zugewandte Persönlichkeit sehr vermissen. Auf all diese Fähigkeiten und Eigenschaften darf sich nun ihre neue Diözese freuen und ich bin mir sicher, dass all dies ihrem neuen Dienst zugutekommen wird. Wir wünschen Canon Mary Gottes Segen und alles erdenklich Gute für ihre neuen Aufgaben.“

Mary wuchs im ländlichen Leicestershire und Lincolnshire auf, bevor sie an der Universität Birmingham Englisch studierte. Nach ihrem Abschluss arbeitete sie zehn Jahre als Strafvollzugsbeamtin und zuletzt als Gefängnisdirektorin. Sie war an einer Untersuchung der Vorfälle im Maze-Gefängnis in Nordirland beteiligt, wodurch ihr Interesse an Versöhnungsarbeit geweckt wurde. Mary studierte Theologie in Birmingham und Durham. Thema ihrer Masterarbeit war das Verhältnis von Evangelium und Kunst. In ihrer Dissertation befasste sie sich mit der kulturellen Aneignung des Holocaust in Auschwitz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Ihr Vikariat und ihre erste Amtszeit verbrachte sie in der Diözese Sheffield, wo sie 2006 zur Priesterin geweiht wurde und u. a. als Dekanin für Frauenarbeit tätig war. 2015 wurde Mary zur Team-Rektorin mehrerer Gemeinden der Diözese Leicester ernannt. Ab 2020 war sie auch als Diözesanbeauftragte für die ländliche Mission tätig, bis sie 2022 nach Coventry kam.

Autor: Niels Faßbender

 

10 Jahre Nagelkreuz: Gottesdienst und Empfang in St. Barbara, München

v.L.: Generalvikar Christoph Klingan, Pfarrer Björn Mensing (Nagelkreuzzentrum Dachau), Pfarrer Ludwig Sperrer, Pfarrer i.R. Peter Höck, Tobias Klein (St. Barbara), Marga Neumann (St. Barbara). Foto: Michael Zeller

Am 9. November 2024 feierte das Nagelkreuzzentrum St. Barbara in München die Übergabe eines Nagelkreuzes vor zehn Jahren. Vertreter anderer Nagelkreuzzentren sowie zahlreiche Gemeindemitglieder kamen zu einem feierlichen Wortgottesdienst zusammen, um das Engagement für Frieden und Versöhnung zu würdigen. Die Anwesenheit von Gästen aus anderen Zentren, darunter aus Pforzheim und der KZ-Gedenkstätte Dachau, unterstrich die internationale Verbundenheit der Nagelkreuzbewegung und die Bedeutung des Münchner Zentrums.

In seiner Predigt erinnerte Generalvikar Christoph Klingan an die drei wesentlichen Grundsätze der Nagelkreuzgemeinschaft: die Heilung der Wunden der Geschichte, das Leben in Vielfalt und die Schaffung einer Kultur des Friedens. „Friedensarbeit erfordert Geduld, Leidenschaft und Beharrlichkeit“, betonte er. Diese Werte prägen St. Barbara durch Initiativen wie das wöchentliche Friedensgebet am Freitag, Gedenkveranstaltungen und Projekte wie die Friedenskette in München.

Wortgottesdienst mit v.L. Pfarrer (evangelisch) Björn Mensing (KZ Gedenkstätte Dachhau), Pfarrer Ludwig Sperrer (Kichendekan St. Benno München), Generalvikar Christoph Klingan (Erzbistums München und Freising), Pfarrer i.R. Peter Höck (Pfarrer St. Barbara München („Nagelkreuzzentrum München). Foto: Robert Kiderle

Tobias Klein stellte das Nagelkreuz und die besondere Geschichte von St. Barbara vor. Einst als Garnisonskirche erbaut, wurde St. Barbara nach dem Zweiten Weltkrieg zur Heimat für eine polnische Gemeinde und entwickelte sich zu einem Ort der Begegnung und Versöhnung. „Durch das Engagement von Persönlichkeiten wie Susanne und Walter Elsner wurde das Nagelkreuzzentrum gegründet, das seither ein Symbol des Friedens in unserer Stadt ist“, so Klein. Das Nagelkreuz stehre als mahnendes und zugleich hoffnungsvolles Symbol für die Arbeit des Zentrums.

Musikalisch umrahmten die Pianistin Anne Schätz und der Tenor Kevin Conners den Gottesdienst. Ihre Darbietungen verliehen der Feier eine würdevolle und inspirierende Atmosphäre.

Nach dem Gottesdienst fanden sich die Gäste im Gemeindesaal zu einem Empfang zusammen. Bei Fingerfood und Getränken bot sich die Gelegenheit zu anregenden Gesprächen und zum Austausch über die Arbeit und die Vision der Nagelkreuzgemeinschaft. Die lebendige und herzliche Atmosphäre war geprägt von gegenseitiger Wertschätzung und einer gemeinsamen Hoffnung auf eine friedlichere Welt.

Der Abend machte deutlich, dass das Nagelkreuzzentrum St. Barbara mehr ist als ein Symbol: Die Kirche ist ein lebendiger Ort der Begegnung, Versöhnung und Hoffnung. Das 10jährige Jubiläum war nicht nur ein Rückblick auf eine erfolgreiche Arbeit, sondern ein kraftvoller Impuls für die Zukunft, um weiterhin Brücken zu bauen und die Botschaft des Friedens in die Welt zu tragen.

Autor: Tobias Klein

Gemütliches Beisammensein mit Generalvikar Christoph Klingan und Gemeindegliedern. Foto: Tobias Klein