Pfingstpredigt von Angelika Behnke in der Kathedrale von Coventry

Die neue Bischöfin von Coventry, Sophie Jelly. Foto: Coventry Cathedral/Jamie Gray

Am Pfingstsonntag 2025 predigte Angelika Behnke in der Kathedrale von Coventry. Behnke ist seit 2022 Frauenkirchenpfarrerin in Dresden – als erste Frau auf dieser Stelle. Am Vortag hatte sie gemeinsam mit Leitungskreismitglied Antje Biller an der Einführung der neuen Bischöfin von Coventry, Sophie Jelley, teilgenommen. Beide wirkten symbolisch an der Übergabe des Amtskreuzes mit. Zwischen der Frauenkirche und der Kathedrale von Coventry besteht eine enge Verbindung: Vor 20 Jahren wurde der Frauenkirche das Nagelkreuz von Coventry überreicht. Im Februar 2025 war Dean John Witcombe aus diesem Anlass in Dresden zu Gast und hielt dort die Predigt. In ihrer Auslegung von <Genesis 11,1–9> nimmt Angelika Behnke die biblische Erzählung vom Turmbau zu Babel zum Ausgangspunkt für eine theologische Reflexion über Sprachverwirrung, Machtanspruch und die befreiende Kraft gelebter Vielfalt. Nachfolgend lesen Sie die vollständige Predigt.

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt! Amen.

Es ist mir eine große Ehre, heute hier bei Ihnen in der Kathedrale sein zu können und an diesem hohen Feiertag zu predigen. Vielen Dank für die Einladung, lieber John!

Liebe Schwestern und Brüder,

man kann nicht nicht kommunizieren. Jeder Mensch, der sich irgendwann einmal mit den Grundlagen menschlicher Kommunikation beschäftigt, macht sich diese basale Aussage bewusst. Immer kommuniziert mensch, redet, auch wenn er und sie schweigt, sendet Signale durch Mimik und Gestik. Selbst jemand, der zur Salzsäule erstarrt, spricht Bände.

Sprachgewirr und Weltverstehen

Man kann nicht nicht kommunizieren.

Und schon nehmen Missverständnisse ihren Lauf. Eine Geste, die in Süditalien Anerkennung ausdrückt, sollte in Norditalien tunlichst vermieden werden, da sie dort als beleidigend aufgefasst wird. In Deutschland als Kamel bezeichnet zu werden, ist wenig schmeichelhaft. Im Orient hingegen verdient ein menschliches Kamel hohen Respekt, weil das gleichnamige vierbeinige Geschöpf als ausdauernd, genügsam und anpassungsfähig gilt.

Doch ich liebe diese Vielfalt. Auch wenn ich mich mit ihnen mühe: Ich liebe Sprachen und deren Klang und höre sehr gern zu, wenn in Ferienregionen oder auf internationalen Flughäfen die Luft nur so schwirrt von unterschiedlichsten Sprachen, Stimmen, Dialekten und Sprechmelodien. Ich freue mich, dass die Welt größer ist als die meines Alltags. Dass da etwas spürbar wird von der einen großen und bunten Welt. Und wenn ich die Menschen beobachte, die in fremden Sprachen miteinander kommunizieren, ahne ich, dass die Inhalte ähnlich sind. Da tauscht man sich über dienstliche Angelegenheiten aus. Da werden leise Worte von Abschiedstränen begleitet. Da diskutieren Leute sehr emotional miteinander. Andere schauen gemeinsam in den Reiseführer und beraten ihre nächste Etappe.

Aber ich kenne auch das andere Phänomen: Durch verschiedene Umstände wurde ich im tiefsten Ägypten von meiner Reisegruppe getrennt. Ich sollte mit einem Taxi vom Reiseunternehmen zu unserer nächsten Unterkunft gebracht werden und dort die Gruppe wiedertreffen. Ich war mir nicht so ganz sicher, ob ich dort jemals ankommen werde, denn der Taxifahrer sprach nur ein paar Brocken Englisch und konnte mir nicht eindeutig vermitteln, ob er wirklich vom entsprechenden Reiseunternehmen beauftragt worden war…

Es ging alles gut – ich stehe heute hier in der Kathedrale, aber weiche Knie hatte ich damals doch, weil meine Arabischkenntnisse sich auf „Bitte, danke, guten Tag und auf Wiedersehen“ beschränkten. Sprache hatte in diesem Fall keine verbindende Funktion. Im Gegenteil: Die fremde Sprache löste Misstrauen und Beklommenheit aus.

Frauenkirchenpfarrerin Angelika Behnke. Foto: Frauenkirche Dresden/Thomas Schlorke

Zurück nach Babel

In der biblischen Erzählung vom Turmbau zu Babel sind die Folgen unterschiedlicher Sprachen noch weitreichender – ausgehend davon, welche Nebenwirkungen eine einheitliche Sprache haben kann.

Wir meinen diese Erzählung so gut zu kennen. Wenn von gigantischen Projekten die Rede ist, wo es um „höher, weiter, schneller, größer“ des Menschen geht, wird warnend auf den Turmbau zu Babel verwiesen. Vorsicht, Gott lässt sich nicht herausfordern! Nehmt euch in Acht vor Selbstüberschätzung!

Doch bei genauerem Hineinlesen entdecke ich, dass dies nicht die „Hauptschlagader“ dieser Erzählung ist. Etwas anderes treibt die Menschen zusammen – hinein in die zu errichtenden Mauern einer Stadt mit einem sehr hohen Turm. Noch im vorangehenden Kapitel werden die Vielsprachigkeit und Diversität der Völker gepriesen. Doch jetzt führt es hier zu der ganz menschlichen Angst, an Bedeutung zu verlieren, an Sicherheit und gemeinsamer Stärke. Unkenntlich zu werden in einer bunten Gemeinschaft.

Angst ist immer eine schlechte Beraterin, denn sie führt in die Enge. Menschen schotten sich ab und drängen auf das Sprechen mit einer Stimme und in einer Sprache. Natürlich in der eigenen. Sie wollen erkennbar bleiben und alles dafür tun, sich einen Namen zu machen. Doch wenn sich alle einen Namen machen, wie es in der Babel-Geschichte heißt: vor wem machen sie sich diesen dann? Besser gesagt: gegen wen?

Das Ansinnen richtet sich gegen Gott. Denn ihm wird nicht getraut. „Er hat uns aus dem Schutz des Gartens geworfen, bloß weil uns die Bäume der Erkenntnis und des Lebens so gelockt haben. Er hat uns der Vielfalt ausgesetzt. Aber das gibt doch nur Streit und Brudermord.“ Wir nehmen das lieber selber in die Hand: „Ich bin der Herr, mein Gott. Ich dulde keinen anderen Gott neben – und schon gar nicht über mir!“ Von mir soll man reden. Die Spitze des Turmes wird bis in den Himmel reichen. – Statthalter Gottes? In seinem Namen die Erde bebauen und kultivieren? Nein, selbst Gott! – Diese Anmaßung wird zur Dämonie. Der Anfang vom Ende.

Eine Sprache, ein Volk – ein Irrweg?

Angst vor einem Ausgesetztsein. Geschenkte Freiheit, die Angst macht – ein uraltes Thema, dessen Bearbeitung auch heute immer noch in die gleiche Richtung führt: zu Populismus und Hass allem Fremden gegenüber, zu Ausgrenzung und eingeschworenen Parolen, zu einem Denken in Schwarz-weiß. „Wohlan, lasst uns bauen: an engen Mauern, die uns in Sicherheit wiegen und an Grenzen, die unser Herz einzäunen, um es vor barmherzigen Anwandlungen zu schützen. Mit unseren Türmen kommen wir auch ohne Gott in den Himmel.“

Gott muss sich ganz tief herabbeugen, um zu sehen, was da eigentlich los ist. Jedenfalls haben die Turm-Erbauer noch auffällig viel Luft nach oben. Und Gott sieht zweierlei. Zum einen: den Traum aller Diktatoren. Eine Sprache – eine Stadt- bzw. Landfläche – eine Idee – ein Tun. Was für eine Katastrophe! Wenn die Welt nur eine Sprache hätte, welche Armut an Schönheit, Geist und Freude! Jede Sprache ist eine Welt, aber eine jede Einzelsprache ist ein Gefängnis. Gott schuf die Vielfalt und er freut sich über das vielstimmige Lob. Gott will, dass der Glaube denkt und singt, verschiedene Lieder, verschiedene Gedanken.

Zum anderen sieht Gott, wie die Menschen jedes Maß und alle Demut verlieren. – Um nicht falsch verstanden zu werden: Menschen sollen bauen, forschen, kultivieren und fortschrittlich sein. Aber es wird schief, wenn Gott die Menschen bewundern soll und nicht umgekehrt. Zu Dienst und Demut der Kinder Gottes gehört das Lob des Allmächtigen: Ihm allein ist nichts unmöglich! Der Mensch bleibe ein Mensch – und handle auch so. Er ist ein Wesen der Grenze und der Begrenzung. Sein Tun richte er an Gottes Willen aus. In dieses Tun greift Gott nun ein: „Wohlauf, lasst uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass keiner des andern Sprache verstehe!“

Antje Biller (links) und Bischöfin Sophie. Foto: Coventry Cathedral/Jamie Gray

Gott verwirrt – zum Guten

Nun haben die Menschen ihre je eigene Sprache gefunden – und sind aneinander gewiesen, wenn sie sich begegnen, einander verstehen und die ihnen anvertraute Erde gestalten wollen.

Haben Sie es gemerkt, liebe Gemeinde? Gott straft nicht: der Turm wird nicht zerstört, die Stadt nicht abgebaut, die Menschen leben weiter. Gott straft nicht – er schützt! Er schützt uns vor Einseitigkeit und Abschottung im Denken und Tun. Er bewahrt uns vor uns selbst! Er schickt uns hinaus ins Offene, stellt unsere „Füße auf weiten Raum“ (Psalm 31,9). Er überträgt uns Verantwortung für seine Erde. Wir können und müssen uns nicht selbst durch unsere Werke einen Namen machen, der ja doch immer wieder mit Blut und Gewalt bezahlt werden würde.

Die Vielfalt der Sprachen, der Reichtum der Menschheit, die Weite des Denkens bleiben uns erhalten. Das ändert sich auch mit dem ersten Pfingstfest in Jerusalem nicht, von dem wir vorhin aus der Apostelgeschichte hörten. Es gibt keine neue Einheitssprache, sondern jeder redet weiter in seiner Sprache. Der göttliche Geist verbindet die Menschen über alle Sprachgrenzen hinweg. Denn Gottes Geist schenkt ein Verstehen, er ist ein Geist der Liebe. Nicht länger ist die Angst die Beraterin, sondern die Liebe.

Erstanden aus Ruinen, erfüllt vom Geist

Wir sagen manchmal über die Dresdener Frauenkirche, sie sei eine Osterkirche, weil sie zu neuem Leben erweckt wurde. Sie ist aber auch und vielleicht sogar zuerst eine Kirche des Pfingstfestes. Ich stelle mir nur mal kurz vor, was alles fehlen würde, wenn Gott diesen Bau einseitigen und ängstlichen Erbauern überlassen hätte. Die Frauenkirche in Dresden lebt von der Vielfalt und durch die Vielfalt der Sprachen und Völker. Das neue Kuppelkreuz vom britischen Volk, es wäre nicht da. Das Nagelkreuz, das damit verbundene Versöhnungswerk mit einstigen Feinden – nicht vorhanden. Ein Ort der Begegnung und Verständigung zwischen Ost und West, Nord und Süd – er wäre nicht da. Wir würden so manche gespendete Säule oder Tür und auch die Straßburger Orgel im Bauwerk vermissen! Die ganze Architektur hätte sich möglicherweise nicht an italienischen Vorbildern orientiert. Ganz zu schweigen von der internationalen Vielfalt und Schönheit der Musik. Nicht nur, aber besonders in dieser Kirche feiern wir den Reichtum der Sprachen und der Vielfalt und den Geist der Liebe, der uns alle verbindet und die Angst verbannt.

Ich spüre die Gemeinsamkeit mit dieser Kirche. Die Sankt-Michaelis-Kathedrale – wie die Frauenkirche ebenfalls eine Kirche des Pfingstfestes. Gottes Geist baut keine Türme, die in den Himmel ragen. Er baut Gemeinschaft unter uns. Er schenkt ein Verstehen der Herzen. Er wirkt Versöhnung und Frieden. Der Heilige Geist macht Mut zum Aufbruch in ein neues Leben. Ihnen allen ein frohes und gesegnetes Pfingstfest!

Amen. Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserm Herrn. Amen.

Es gilt das gesprochene Wort. Autorin: Angelika Behnke, Frauenkirchenpfarrerin, Dresden

 

0 Kommentare

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

zwanzig − 5 =