Sievershäuser Ermutigung 2025: Ein Preis für den Frieden in Nahost

Sulaiman Khatib (Foto: Henning Menzel)

Die „Sievershäuser Ermutigung“ zeichnet seit 1988 Initiativen aus, die sich für Versöhnung, Dialog und gewaltfreie Konfliktlösungen engagieren. Das =>Antikriegshaus Sievershausen und die Stiftung „Frieden ist ein Menschenrecht“ verleihen den mit 5.000 € dotierten Preis alle zwei Jahre. Am 10. Januar 2025 wurde der Preis an „Combatants for Peace“ vergeben. Die Initiative bringt Israelis und Palästinenser zusammen, die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt waren.

Die 2006 gegründete Bewegung Combatants for Peace vereint ehemalige israelische Soldaten und palästinensische Widerstandskämpfer. Gemeinsam setzen sie sich für eine gewaltfreie Lösung des Nahostkonflikts ein. Sie organisieren Bildungsprogramme, öffentliche Dialogveranstaltungen und friedliche Proteste. „Sie setzen sich seit Jahren unter schwierigsten Rahmenbedingungen für den Dialog und die Zusammenarbeit zwischen Israelis und Palästinensern ein“, erklärte Dr. Edelgard Bulmahn bei der Preisverleihung. „Gerade Ihre Arbeit gibt Hoffnung, dass Menschen unterschiedlicher Kultur, Herkunft, Religion und Interessen friedlich zusammenleben können.“

Zur Entgegennahme der Auszeichnung reisten die Aktivisten Sulaiman Khatib und Iris Gur an.

Sulaiman Khatib: Vom Gefangenen zum Friedensaktivisten

Sulaiman Khatib begann seine Dankesrede mit einem Lied auf der Flöte. Die sanften Klänge erfüllten den Raum und ließen die Zuhörer für einen Moment innehalten. Er wollte ihnen ein Gefühl für die Landschaft vermitteln, in der er aufgewachsen ist – die Hügel nahe Jerusalem, geprägt von Konflikten und alltäglichen Auseinandersetzungen mit Siedlern und Besatzungssoldaten. Seine Familie litt unter diesen Umständen.

Im Alter von 14 Jahren wurde er verhaftet und zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Zehn Jahre und sechs Monate verbrachte er in israelischen Haftanstalten. Dort begann er, sich intensiv mit Geschichte, Hebräisch, Englisch und politischen Konflikten auf der ganzen Welt auseinanderzusetzen. Besonders beeindruckten ihn die Gedanken von Gandhi und Mandela. „Meine gesamte Bildung und meine Sicht auf die Welt habe ich im Gefängnis erworben“, erzählte er. Während dieser Zeit habe er eine neue Perspektive auf den Konflikt und die Möglichkeiten seiner Lösung entwickelt. Nach seiner Freilassung entschied er sich, den Weg des Friedens zu gehen. Während der zweiten Intifada rief er zu gewaltlosem Widerstand auf. Seit zwanzig Jahren engagiert er sich in verschiedenen Programmen, die sich für eine friedliche Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts einsetzen.

Iris Gur (Foto: Henning Menzel)

Iris Gur: Ein persönlicher Wandel

Seine Mitstreiterin an diesem Abend, aber auch in vielen anderen Aktionen, war Iris Gur, Lehrerin und Schulleiterin aus Tel Aviv. Sie ist die Enkelin einer Holocaust-Überlebenden und wuchs in Netanya als Tochter von Eltern auf, die nach dem Zweiten Weltkrieg als Kinder nach Israel kamen. „Die Welt wollte uns verschwinden lassen; diejenigen, die überlebten, bauten ein kleines Land auf. Doch selbst dort waren wir von Feinden umgeben – Arabern, die uns töten und ins Meer werfen wollten. Wir mussten uns selbst schützen.“

Diese Vorstellung prägte ihre Kindheit. „In meiner Familie, im Kindergarten, in der Schule, bei den Pfadfindern und in der Gemeinde begegnete ich nie einer anderen Erzählung. Ich traf nie einen Araber, noch hörte ich Worte wie ‚Palästinenser‘ oder ‚Besatzung‘. Sie waren einfach nicht Teil meiner Welt.“ Durch die Erfahrungen ihrer Eltern, insbesondere ihres Vaters, eines Armeeoffiziers, vermischten sich für sie Geschichten über den Holocaust mit Berichten über arabische Terroristen. Doch mit der Zeit begannen sich kleine Risse in ihrem Weltbild zu zeigen.

An der Universität lernte sie erstmals israelische Araber kennen, und ihre jüngere Schwester berichtete ihr von Erlebnissen, die eine andere Perspektive eröffneten – die palästinensische Geschichte. Ein Wendepunkt kam, als ihre Tochter den Militärdienst verweigerte. Sie wurde zu vier Monaten Haft verurteilt. „Meine Tochter saß im Militärgefängnis, weil sie nicht an einem System teilnehmen wollte, das sie als ungerecht empfand. Das brachte mich dazu, mich intensiver mit der Realität in den besetzten Gebieten auseinanderzusetzen.“

Iris Gur wollte verstehen und begann ihre eigene Reise. Sie nahm an Touren im Westjordanland mit Organisationen wie „Ir Amim“, „Breaking the Silence“ und „Combatants for Peace“ teil, engagierte sich in Gruppen, die palästinensische Schafhirten vor Siedlergewalt schützten, und arbeitete aktiv an gemeinsamen Projekten mit Israelis und Palästinensern.

„Ich begann, meine Erfahrungen aufzuschreiben und in den sozialen Medien zu teilen. Ich glaubte, wenn die Menschen wüssten, was hinter den Mauern passiert, müsste es aufhören.“ Doch sie musste feststellen, dass es nicht so einfach war. Als Schuldirektorin musste sie sich immer wieder vor ihren Vorgesetzten erklären, enge Freunde brachen den Kontakt zu ihr ab. Sie fühlte sich als „radikale Linke“ abgestempelt. Dazu hat sie eine klare Haltung. „Was ist daran radikal, Freiheit, Gerechtigkeit und Sicherheit für alle Menschen zu wollen?“

Ihre Rede in Sievershause schloss sie mit der Hoffnung ab: „Zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan leben 14 Millionen Menschen. Wir haben die Möglichkeit, Raum für ein Zusammenleben aller zu schaffen. Wir müssen – und ich glaube, wir können es.“ In ihrem letzten Satz verband sie zwei Identitäten: „Ich bin Israel und ich bin Palästina.“ Sie appellierte, die aktuelle israelische Regierungspolitik nicht mit weiteren Waffenlieferungen zu unterstützen.

Laudatio und Grußworte

Der Journalist und Nahost-Experte Dr. Daniel Alexander Schacht hielt die Laudatio. Er beschrieb die Herausforderungen, mit denen sich „Combatants for Peace“ konfrontiert sieht. In Israel und Palästina stießen beide auf Widerstand, da viele eine Zusammenarbeit mit der jeweils anderen Seite ablehnten. Dennoch setzten sie sich für einen gleichberechtigten Dialog ein und träten für gewaltfreie Konfliktlösungen ein. Dr. Ralph Charbonnier, theologischer Vizepräsident des Landeskirchenamtes, würdigte die Preisträger mit den Worten: „Dieser Preis ermutigt Menschen, an die Möglichkeit von Frieden zu glauben und sich aktiv für seine Verwirklichung einzusetzen.“ Armin Hapke, Bürgermeister von Sievershausen, hob hervor: „Gerade in Zeiten wachsender globaler Spannungen ist es wichtig, Organisationen zu unterstützen, die langfristige und nachhaltige Friedensprozesse vorantreiben.“

Sievershäuser Ermutigung 2025 (Foto: Katrin Sassen)

Neben den Redebeiträgen bot die Veranstaltung Raum für Gespräche und Diskussionen. Besucherinnen und Besucher hatten die Möglichkeit, mit den Preisträgern ins Gespräch zu kommen und mehr über deren Arbeit zu erfahren. Eine Ausstellung präsentierte Fotos und Berichte über frühere Projekte von Combatants for Peace und deren Auswirkungen auf betroffene Gemeinschaften. Im Anschluss an die offizielle Preisverleihung fand ein interaktiver Workshop statt. Teilnehmerinnen und Teilnehmer diskutierten darüber, welche Ansätze zur gewaltfreien Konfliktlösung auch in anderen Regionen anwendbar sind. Vertreter anderer Friedensorganisationen berichteten über ihre eigenen Erfahrungen und tauschten sich über bewährte Strategien aus.

Die „Sievershäuser Ermutigung“ wird alle zwei Jahre in zeitlicher Nähe zum Tag der Menschenrechte am 10. Dezember vergeben. Zu den bisherigen Preisträgern gehören u. a. die Organisation MADAM aus Sierra Leone (2008), die ehemalige Kindersoldaten unterstützt, und die tschetschenische Menschenrechtlerin Taita Junusova (2006), die Kriegsopfer begleitet und Menschenrechtsverletzungen dokumentiert.

Autor: Niels Faßbender mit Material von Henning Menzel und Dokumentationsstätte zu Kriegsgeschehen und über Friedensarbeit Sievershausen e.V.

 

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