„Darf ich das mitnehmen?“ – Wenn ein Kreuz einen Ort verändert und Menschen bewegt

Schulleiter Dr. Günter Beck-Mathieu darf „sein“ Nagelkreuz mitnehmen. Foto: Christian Herpich

Am Evangelischen Dag-Hammarskjöld-Gymnasium in Würzburg ging jetzt eine Ära zu ]Ende: Schulleiter Dr. Günter Beck-Mathieu wurde in den Ruhestand verabschiedet. Ein Jahr lang war an seiner Schule das [Würzburger Wandernagelkreuz<-Link] zusammen mit der Versöhnungsstatue zu Gast. In der Würdigung von Antje Biller zeigt sich, was dieses Zeichen der Versöhnung bewirkt: Es verändert einen Ort, prägt die Gemeinschaft und hinterlässt Spuren bei den Menschen – weit über das Jahr hinaus.

Mitten im damaligen Schuljahr, am 16. März 2023, nahm Oberstudiendirektor Dr. Günter Beck-Mathieu das Nagelkreuz und die Versöhnungsstatue für das Evangelische Dag-Hammarskjöld-Gymnasium in Empfang, das für ein Jahr Gastort der Würzburger Versöhnungszeichen sein würde.

Ein Kreuzweg in der sechsten Jahrgangsstufe, die Kathedrale von Coventry als Beispiel für moderne Kirchenarchitektur in der siebten Jahrgangsstufe, ein von den fünften Klassen vorbereitetes Freitagsgebet, aktuelle Adaptionen im Kunstunterricht der Oberstufe, ein spiritueller Tag für das Kollegium unter dem Motto „Versöhnung mit mir selbst“, das am Gedenktag der Bombardierung Coventrys von der ganzen Schule gebetete Versöhnungsgebet – und viele andere von „unserem Nagelkreuz“ inspirierte Aktionen fanden statt.

Als Schulleiter hatte Dr. Beck-Mathieu von der Würzburger Initiative an jenem Tag auch ein kleines Hufnagelkreuz überreicht bekommen, das seither seinen Platz auf dem imposanten Schreibtisch im Rektorat hatte. Zum Ende dieses Schuljahres nun wurde Dr. Beck-Mathieu in den Ruhestand verabschiedet. Das kleine Nagelkreuz wollte er gerne mitnehmen. Dieses Kreuz und die damit verbundenen Gedanken waren über das Jahr als Gastort hinaus zu wichtigen Begleitern geworden. Sie bringen prägnant auf den Punkt, wofür das Evangelische Gymnasium und sein scheidender Schulleiter stehen.

Im März 2023 wanderte das Würzburger Nagelkreuz ans Ev. Dag-Hammarskjöld-Gymnasium. Foto: Bärbel Thiele

Mit professioneller Schulsozialarbeit und Schulseelsorge wird seit jeher daran gearbeitet, Wunden der Geschichte zu heilen, die etliche schon der jüngsten Schüler:innen mitbringen. Auch Unterschiede gelten zu lassen und Vielfalt zu feiern gehört gewissermaßen zur Grundhaltung der Schule. Wie im Rest der Gesellschaft lebt am Dag-Hammarskjöld-Gymnasium eine Vielfalt der Traditionen, der Sprachen, der Religionen, der Stile. Zu feiern ist die Vielfalt an Ideen im Kollegium und in den Klassen, die Vielfalt an Meinungen in einer offenen Diskussionskultur, die Vielfalt an Talenten, die mit einem möglichst breiten Angebot gefördert wird.

In einer Kultur des Friedens und der Gerechtigkeit gelingt so etwas. Und diese beginnt mit der Art und Weise, wie ein Rektor seinen Schüler:innen begegnet, wie ein Vorgesetzter mit seinen Lehrkräften kommuniziert. Das prägt den Umgangston an einer Schule. Klar in der Sache, bedacht im Ausdruck, moderat im Ton, zurückhaltend in der Lautstärke – so ließen sich die Bausteine einer friedlichen, nach Gerechtigkeit suchenden Kultur beschreiben.

Das Nagelkreuz passt bestens zu Dr. Beck-Mathieu, und so bekam er das erbetene Schreibtischkreuz in der von Schüler:innen und Lehrkräften mit Musik, Geschenken und vielen Gute-Wünsche-Zetteln gestalteten Überraschungs-Abschiedsfeier in der Aula überreicht: „Ja, das dürfen Sie mitnehmen!“

Nach den Sommerferien wird ein neues Kreuz auf dem Schreibtisch im Rektorat stehen und auf eine neue Schulleitung warten, die sich hoffentlich genauso inspirieren lassen wird. Herrn Dr. Beck-Mathieu alles erdenklich Gute für den nächsten Abschnitt und für einen ereignisreichen, erfüllenden Ruhestand!

Autorin: Antje Biller

 

Nagelkreuzsonntag 2025: „Schöpfer vergib“ – Liturgie aus Kanada

Am 29. September 2025 feiern Gemeinden weltweit den Internationalen Nagelkreuzsonntag. Die diesjährige Liturgie kommt aus Kanada und wurde von der Anglikanischen Kirche von Kanada vorbereitet. Alle Materialien – inklusive vollständiger Liturgie, Liedvorschläge und Hintergrundinformationen – stehen ab sofort zum Download bereit.

[Link zum Download]

Lizenz CC0 (gemeinfei, https://pxhere.com/en/photo/1359147)

Der Gottesdienst setzt gleich zu Beginn ein klares Zeichen: Er startet mit dem Versöhnungsgebet von Coventry – in einer kanadischen Fassung, in der statt „Vater, vergib“ die Worte „Schöpfer, vergib“ stehen. Diese Formulierung ist kein Zufall: Sie knüpft an die spirituelle Sprache indigener Christ\:innen an und macht deutlich, dass Versöhnung nicht nur zwischen Menschen, sondern auch mit der Schöpfung selbst geschieht.

Ein wichtiges Element ist die sog. „Landanerkennung“, die bewusst macht, auf welchem Boden die Bewohner Kanadas stehen und welche Geschichte er trägt. Die Liturgie gibt den Stimmen der „First Nations“, Inuit und Métis, Raum – in Lesungen, Gebeten und Liedern. Sie erinnert an das schwere Unrecht der „Residential Schools“, in denen Kinder von ihren Familien getrennt und ihrer Sprache und Kultur beraubt wurden. Gleichzeitig lädt sie dazu ein, Schritte der Heilung, Gerechtigkeit und Hoffnung zu gehen. Biblische Texte werden mit Symbolhandlungen, Gebeten und Liedern verbunden, die vom Weg aus Schuld und Schmerz hin zu einem neuen Miteinander erzählen. Liedvorschläge wie „Draw the Circle Wide“ oder „Let Us Build a House“ greifen das Thema Gemeinschaft, Offenheit und Versöhnung auf.

Der Gottesdienst endet mit dem Segen – doch „Schöpfer, vergib“ bleibt. Es ist die Stimme einer verletzten Welt: in Coventry unter den Bomben, in kanadischen Dörfern, deren Geschichte von Gewalt und Verlust gezeichnet ist, und überall dort, wo Menschen einander das Leben schwer machen. Dieses Gebet trägt die Erinnerung an das Leid – und die Sehnsucht, dass Gerechtigkeit und Frieden einander begegnen.

Autor: Nagelkreuzgemeinschaft. Das komplette Vorbereitungsmaterial mit Liturgie, Liedvorschlägen und Hintergrundinformationen steht hier zum Download bereit.

 

Regionaltreffen West: Ein Tag für Versöhnung und Erinnerung

Schattiger Sitzplatz auf den Spuren der Geschichte. Foto: Sigrun Stahr

Wie bringt man Menschen zusammen, die aus verschiedenen Regionen und konfessionellen Prägungen stammen – und doch dasselbe Ziel teilen? Das Regionaltreffen West am 14. Juni 2025 in Lemgo zeigte, wie das gelingen kann: mit offenen Gesprächen, historischem Bewusstsein und geistlicher Tiefe. Gastgeberin war die evangelische Kirchengemeinde St. Nicolai in Lemgo, selbst seit 1989 Nagelkreuzzentrum. Von Andacht bis Austausch war dieser Tag geprägt von Begegnung – mit Menschen, mit Geschichte und mit dem Geist der Versöhnung.

Eingeladen hatte die evangelische Kirchengemeinde St. Nicolai. In Lemgo begrüßte Sigrun Stahr, Mitglied des Kirchenvorstands von St. Nicolai, die Gäste aus mehreren Nagelkreuzzentren der Region West. Vertreter*innen aus Löhne-Mahnen, Wuppertal-Barmen und Lüdenscheid-Plettenberg waren angereist, um gemeinsam ins Gespräch zu kommen. Bereits bei der ersten Tasse Kaffee entspannten sich lebhafte Gespräche.

Bemerkenswert: An diesem Tisch kamen Christinnen und Christen aus drei verschiedenen evangelischen Landeskirchen zusammen – der rheinischen, der westfälischen und (als Gastgeber) der lippischen Landeskirche. Insbesondere in Lippe spielt die konfessionelle Prägung eine Rolle: Hier gibt es sowohl lutherische als auch reformierte Gemeinden; ein einheitliches „einfach evangelisch“ kennt man dort nicht.

Dennoch wurde schnell deutlich, wie viel die Nagelkreuz-Zentren trotz unterschiedlicher Traditionen verbindet. Alle eint der Einsatz für Frieden und Versöhnung über konfessionelle Grenzen hinweg. So geschieht in Lemgo vieles ökumenisch mit der katholischen Nachbargemeinde – beispielsweise ein Sozialer Mittagstisch für Bedürftige sowie eine gemeinsam von Kirche und Stadt getragene Flüchtlingshilfe. Dieses Miteinander ist Ausdruck gelebter Nächstenliebe und praktischer Versöhnungsarbeit vor Ort.

St. Nikolai in Lemgo. Foto: Sigrun Stahr

Geschichte, Gedenken und Gespräch

Pfarrer i. R. Heinz Wöltjen führte die Gruppe durch die imposante St.-Nicolai-Kirche, deren Mauern auf eine über 800-jährige Geschichte zurückblicken. Die gotische Hallenkirche am Marktplatz, um 1190 gegründet und bis 1375 erweitert, birgt zahlreiche Schätze aus Vergangenheit und Gegenwart. In einer Gebetsecke entdeckten die Gäste ein kostbares Marien-Relief aus dem Jahr 1260. An der Taufanlage sind steinerne Schrifttafeln angebracht, die die Bedeutung der Taufe erläutern und an die Reformationszeit erinnern. Pfarrer Wöltjen spannte den Bogen der Erzählungen von den mittelalterlichen Anfängen der Kirche über die Reformation bis hin zur Nagelkreuz-Gegenwart. Seit 1989 hängt an einer Säule vor der Orgel ein originales Nagelkreuz aus Coventry, das der damalige Pfarrer Helmut Begemann mitgebracht hatte. Darunter ist das Versöhnungsgebet von Coventry abgedruckt.

Zur Mittagsandacht um 12 Uhr kamen zusätzliche Besucher aus der Stadt in die Nicolaikirche. Dank der zentralen Lage unmittelbar neben dem Wochenmarkt werden hier jeden Samstag die Marktkunden durch Glockengeläut und ein Glockenspiel zu einem Moment der Besinnung eingeladen.

Nach einem Mittagsimbiss im Gemeindehaus brach die Gruppe zu einem besonderen Stadtrundgang auf. Superintendent Dr. Andreas Lange, selbst in Lemgo zuhause, ist seit langem der Geschichte der jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger der Stadt während der NS-Zeit auf der Spur. Er nahm die Teilnehmenden mit auf die historischen Spuren der Lemgoer Familie Gumpel, die einst ein großes Wäschegeschäft in Lemgo betrieben hatte. Anhand konkreter Orte schilderte Dr. Lange eindrücklich das Schicksal dieser Familie. Die drei Söhne der Gumpels konnten Lemgo noch rechtzeitig verlassen und entkamen so der Verfolgung durch die Nationalsozialisten.

Mitglieder der Region West. Foto: Andreas Lange

Der Vater der Familie starb wenige Jahre darauf eines natürlichen Todes; Mutter Rosalie Gumpel hingegen wurde deportiert – sie musste 1942 den Transport ins Ghetto Riga antreten und überlebte nicht. Die Gruppe machte Halt an der Stelle, wo einst die Lemgoer Synagoge stand. Das Gotteshaus war in der Pogromnacht im November 1938 in Brand gesteckt und zerstört worden. In der sommerlichen Hitze fanden die Besucher hier auf der niedrigen Außenmauer des Synagogengrundstücks einen schattigen Sitzplatz – ausgerechnet auf den letzten Überresten eines Ortes, der von Hass und Gewalt zeugt.

Austausch über Nagelkreuze und Gebetszeiten

Zurück im Gemeindehaus wurden die Teilnehmenden mit selbstgebackenem Kuchen empfangen – und nutzten die Gelegenheit für lebendigen Austausch. Besonderes Interesse galt den sogenannten „Wander-Nagelkreuzen“: Einige Zentren haben ein Nagelkreuz, das nicht an einem festen Standort steht, sondern auf Reisen geschickt wird. Dieses Wander-Nagelkreuz kann zeitweise zum Beispiel in Schulen, anderen Kirchen oder öffentlichen Einrichtungen aufgestellt werden, um den Versöhnungsgedanken bewusst in die Gesellschaft hineinzutragen. Ein solches Kreuz gibt es u. a. in Würzburg, Lüdenscheid-Plettenberg und Chemnitz.

Ein weiteres Thema war das regelmäßige Friedensgebet der Nagelkreuzgemeinschaft. Traditionell wird die Versöhnungslitanei von Coventry weltweit jeden Freitag um 12 Uhr britischer Zeit gebetet – zeitgleich mit dem Gebet in den Ruinen der alten Kathedrale von Coventry. Doch wie lassen sich möglichst viele Menschen für dieses Friedensritual erreichen? Die Runde diskutierte, ob man an kleineren Orten auch flexibel andere Zeiten wählen könne, um mehr Teilnehmende zu gewinnen. In Lemgo zum Beispiel ist das Gebet

Jüdische Geschichte in Lemgo. Foto: Sigrun Stahr

ein fester Bestandteil der Taizé-Andachten. Andere Nagelkreuzzentren integrieren das Versöhnungsgebet in bestehende Gottesdienstformen oder Andachten, je nach lokalen Gegebenheiten.

„Wir haben keine festen Regeln, nur eine gemeinsame Hoffnung, ein gemeinsames Ziel: die Versöhnung“, brachte Britta Däumer vom Nagelkreuzzentrum Lüdenscheid-Plettenberg und Mitglied des Leitungskreises es auf den Punkt. Jeder Ort geht seinen eigenen Weg – doch alle eint das Ziel: im Geist Jesu Christi an einer versöhnten Welt mitzubauen.

Zum nächsten Regionaltreffen West hat das Nagelkreuzzentrum Lüdenscheid-Plettenberg für 2026 eingeladen. Einzelheiten werden rechtzeitig bekannt gegeben.

Autorinnen: Sigrun Stahl, Nagelkreuzgemeinschaft