Region „Südwest“ hat sich im Haus der Ev. Kirche Pforzheim getroffen

Foto: Gernot Härdt

Im Haus der Ev. Kirche in Pforzheim trafen sich am 9. März 2024 Vertreter:innen der zwölf Nagelkreuzzentren und Einzelmitglieder der Region Südwest. Die rund 25 Teilnehmerinnen waren u. a. aus Württemberg, Darmstadt, Saarbrücken, Offenburg, Karlsruhe und natürlich aus Pforzheim angereist.

Christian Roß berichtete aus der Arbeit des Leitungskreises. Die Teilnehmer:innen regten an, über einen Neuzuschnitt der ausgedehnten Region nachzudenken. Ihren Berichten war zudem zu entnehmen, dass die Beteiligung an den Andachten unterschiedlich ist. Die Zentren mit eher schwacher Resonanz ließen sich ermutigen, trotzdem „dranzubleiben“, um den Versöhnungsgedanken weiterzutragen.

Foto: Hans Gölz-Eisinger

Gegenstand der Überlegungen war auch, den Begriff „Nagelkreuz“ in der Bezeichnung der Andachten durch Wörter wie Friedensgebet, ökumenisches Mittagsgebet o. ä. zu ersetzen, um Außenstehende nicht abzuschrecken. Beraten wurde auch die zukünftige Gestaltung der Nagelkreuz-Jugendarbeit (u. a. Fahrt nach Coventry) und die Einrichtung einer Online-Cloud zum Austausch von Materialien und Informationen.

Foto: Hans Gölz-Eisinger

Roland Ganninger führte die Teilnehmer durch die Stadtkirche Pforzheim und informierte über die Geschichte der Kirche und des dortigen Nagelkreuzes. Den Abschluss des Treffens bildete eine Andacht bei einem Puzzle mit den Namen der Partnergemeinden der Stadt Pforzheim. Das Puzzle soll bis zum Ende des Ukrainekrieges in der Kirche ausliegen und steht unter dem Leitgedanken „Damit aus Fremden Freunde werden“. Das nächste Regionaltreffen Südwest findet am 22. März 2025 in der Ludwigskirche Saarbrücken statt.

Autor: Gernot Härdt

 

25 Jahre Nagelkreuz auf Hiddensee: Symposium „Sehnsucht nach Frieden und Wege dahin“

Inselkirche Kloster/Hiddensee
Foto: Nagelkreuzgemeinschaft

Seit 25 Jahren gehört die Kirchengemeinde Kloster zur Nagelkreuzgemeinschaft. Im April 1999 erhielt sie das Nagelkreuz. Dieses Jubiläum bot Anlass zu einem Symposium, das am Wochenende nach Ostern in Kloster auf Hiddensee zum Thema: „Sehnsucht nach Frieden und Wege dahin“ stattfand. Etwa 60 Teilnehmende kamen aus verschiedenen Nagelkreuzzentren zusammen und gingen der Frage nach, wie die Kriege unserer Zeit uns im Denken und Handeln herausfordern. Welche Schritte auf dem Weg des Friedens können wir gehen? Welche Möglichkeiten und Aufgaben haben wir?

Eine erste Antwort gab Rüdiger von Fritsch, ehemaliger deutscher Botschafter in Moskau, in der voll besetzten Inselkirche. Er berichtete über Hintergründe des Krieges Russlands gegen die Ukraine und stellte fest: Wenn wir nicht die Zuversicht haben, die Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen, dann werden wir es auch nicht tun. Wir müssen uns unserer Stärken bewusst sein.

Zuversicht und Hoffnung! Wie gewinnen wir sie? Durch eine Kultur des Erinnerns, betonte Oliver Schuegraf, Vorsitzender der Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland e. V. Wir müssen uns von Geschichten gelingender Versöhnung tragen lassen und das Nagelkreuz ist eine solche Geschichte. 1940, als deutsche Bomber die englische Stadt Coventry und ihre Kathedrale zerstört hatten, verzichtete der damalige Propst Richard Howard auf Vergeltungsrhetorik. Stattdessen rief er auf, zu Versöhnung offen zu bleiben. „Vater vergib!“. Diese Worte schrieb er an den Altar und aus dem zerbombten Gebälk fügte er Nägel zu einem Kreuz zusammen. So schuf er ein Symbol, das die Friedensbotschaft Jesu in besonderer Weise als Zentrum des christlichen Glaubens vergegenwärtigt. Wege wurden vorbereitet, die nach Ende des Krieges begehbar waren und die Menschen aus verfeindeten Ländern wieder zusammenbrachten. Es wuchs ein Netzwerk für Frieden und Versöhnung mit heute über 250 Nagelkreuzzentren weltweit – 70 davon in Deutschland. Ihr Leitbild ist es, Wunden der Geschichte zu heilen, mit Unterschieden zu leben sowie eine Kultur des Friedens und der Gerechtigkeit zu schaffen.

Schuegraf stellte die Frage, ob es Zeiten und Situationen gibt, an denen die Suche nach Frieden und Versöhnung nicht durchdringen kann, bzw. noch schärfer: An denen vielleicht die Forderung nach Frieden und Versöhnung gar nicht angemessen ist? Sollte es solche Zeiten geben, was ist dann in der Zwischenzeit? In Gesprächsgruppen und in einem Podiumsgespräch wurde darüber nachgedacht. Disputanten waren der sächsische Kirchenzeitungsredakteur Stefan Seidel – gerade hat er sein Buch „Entfeindet Euch“ publiziert –, der ehemalige UN-Sonderbeauftragte Martin Kobler und der Agrarwissenschaftler Joachim von Braun, u. a. stellvertretender Präsident der Welthungerhilfe. Betont wurde, dass Krieg in Köpfen von Menschen entsteht und auch nur dort sein Ende findet. Wichtig sei es, in einer Zeit, in der die öffentliche Debatte zunehmend von Kriegsrhetorik geprägt ist, auch eine Sprache des Friedenswillens wach zu halten. Nie dürfe aufgegeben werden, das Gespräch selbst mit Kriegstreibern zu suchen. Es gehört zur Friedensverantwortung, dies immer und immer wieder zu tun. Irgendwann werden auch Feinde wieder zusammenleben müssen. Opfer müssen Tätern vergeben, Täter müssen zur Sühne bereit sein. Vergebung und Versöhnung – im Wissen darum, dass Schuldzusammenhänge umfassend sind, können sie gelingen. Zugleich gilt: Frieden, der nicht nach Gerechtigkeit fragt, kann es nicht geben. Ein Wertekanon, an dem Schuld benennbar und in ihrer Schwere unterscheidbar bleibt, ist unverzichtbar. Um ihn gilt es zu streiten. Internationales Recht muss gelten und Umsetzung finden.

Waffen liefern – ja oder nein? In die Ukraine? Nach Israel? Die Antworten fielen unterschiedlich aus. Einigkeit bestand im Wissen darum, dass jede mögliche Entscheidung mit Schuld verbunden ist. Und dass uns nichts von der Verantwortung entbindet, für Frieden und Versöhnung einzustehen. Wichtig ist es, sich in der Sehnsucht nach Frieden vereint zu wissen. Und im Gebet verbunden zu sein: „Vater vergib!“

Autor: Dr. Konrad Glöckner

 

CCN-Sunday 2024

Nagelkreuz-Sonntag 2024

Wahrzeichen mit Friedensbotschaft: Garnisonkirche Potsdam vor der Eröffnung

Die Garnisonkirche Potsdam ist eines von 77 Nagelkreuzzentren in Deutschland und eröffnet 2024 als einzigartiger Erinnerungs-, Bildungs- und Kulturort. Am Ostermontag, 1. April, wird die Kapelle im Turm in Dienst genommen. Dr. Jan Kingreen, Pfarrer und Stiftungsvorstand, erklärt die Geschichte und das Anliegen des Ortes.

Warum hat ausgerechnet die Garnisonkirche Potsdam, die immer wieder als „Symbol des Militarismus“ bezeichnet wird, ein Nagelkreuz? Diese Frage wird mir in regelmäßigen Abständen gestellt. Und ich frage gerne zurück: Wo, wenn nicht hier? Genau hier, an diesem Ort mit seiner ambivalenten Historie, will die Stiftung Garnisonkirche Geschichte kritisch aufarbeiten und für Frieden eintreten. Die friedenstiftende Idee der Versöhnung von Coventry spielt für die Stiftung als Eigentümerin und Betreiberin der Garnisonkirche und für unser Netzwerk Nagelkreuzgemeinde dabei eine wichtige Rolle.

Die Garnisonkirche Potsdam hat eine lange, fast 300-jährige Geschichte. 1730 bis 1735 wurde sie unter dem preußischen „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I. erbaut. 1945 brannte die Barockkirche, die als eines der Wahrzeichen Potsdams galt, beim Bombenangriff auf die Stadt aus. 1950 wurde im Turm die Heilig-Kreuz-Kapelle als friedensstiftender Ort eingerichtet. Doch 1968 ließ das kirchenfeindliche DDR-Regime die Reste des Kirchenschiffs und den Turm sprengen. Damit wurde auch der damalige Versammlungsort der evangelischen Heilig-Kreuz-Gemeinde zerstört.

Doch die Geschichte endete nicht. Seit 2017 baut die Stiftung Garnisonkirche Potsdam die Kirche wieder auf – im Geist von Coventry. Bereits 2004 wurde dem Ort das Nagelkreuz von Coventry verliehen. Noch in diesem Jahr, 2024, wird der 57 Meter hohe Turm eröffnet – äußerlich fast originalgetreu in seiner barocken Form, innen mit einem neuen Raum- und Nutzungskonzept als Erinnerungs-, Bildungs-, Kirchen- und Kulturort. Und übrigens auch mit einer Aussichtsplattform, die barrierefrei mit dem Aufzug erreichbar ist. Sie bietet einen fantastischen Blick auf die UNESCO-Welterbestadt Potsdam und bis nach Berlin.

Deutsche Geschichte reflektieren – an einem Ort mit ambivalenter Historie

Foto: Stiftung Garnisonkirche Potsdam

Als Ort der Erinnerung ist die Garnisonkirche fast schon prädestiniert, denn sie steht für die wechselvolle deutsche Geschichte in den vergangenen drei Jahrhunderten, besonders aber des 20. Jahrhunderts. Keine Frage: Die historische Kirche war auch ein Ort antidemokratischer und traditionalistischer Kräfte und galt als Symbol des Militarismus. Am 21. März 1933, dem „Tag von Potsdam“, inszenierten die Nationalsozialisten in der nationalprotestantischen Kirche die Machtübernahme von Adolf Hitler. Das Foto des Handschlags zwischen Reichspräsident Paul von Hindenburg und Reichskanzler Adolf Hitler vor der Garnisonkirche Potsdam hat sich tief im kollektiven Gedächtnis verankert. Doch wird diese Geschichte in der wiederaufgebauten Kirche nicht verschwiegen – im Gegenteil.

Ziel des Wiederaufbaus ist gerade, einen Erinnerungs-, Kultur- und Diskursort zu schaffen, in dem die deutsche Geschichte kritisch reflektiert wird – stets mit Blick auf Gegenwartsfragen. Dies findet zum einen in unserer Ausstellung „Glaube, Macht und Militär“ im Turm statt. Zum anderen in unserem breiten Bildungsprogramm und in Veranstaltungen, etwa Diskussionen und Lesungen.

Als Programmvorstand der Stiftung möchte ich die wiederaufgebaute Garnisonkirche als Diskursraum für gesellschaftspolitische Debatten etablieren, der eine hohe Strahlkraft in die Stadtgesellschaft und über die Grenzen Potsdams hinaus hat. Und als Ort, dessen Veranstaltungen stets mit dem Thema „Erinnern und Frieden stiften“ verbunden sind. Das gilt natürlich auch für unser religiöses Angebot, zu dem Gottesdienste, Andachten und Friedensgebete gehören.

2004 verlieh Paul Oestreicher dem Ort das Nagelkreuz von Coventry

Die Aktivitäten der Stiftung und des Netzwerks Nagelkreuzgemeinde in Potsdam sind übrigens nicht neu. Sie gab es schon, bevor 2017 der erste Stein für den Wiederaufbau des Kirchturms an der Breiten Straße in Potsdam gelegt wurde. Bereits 2004 wurde dem Ort das Nagelkreuz von Coventry verliehen. Der Canonicus der Versöhnungskathedrale von Coventry, Paul Oestreicher, übergab das Nagelkreuz dem damaligen Generalsuperintendenten Potsdams, Hans-Ulrich Schulz, und nahm die wiederaufzubauende Garnisonkirche in die internationale Nagelkreuzgemeinschaft auf.

Bewusst wurde dafür der 60. Jahrestag des Widerstands am 20. Juli 1944 gegen Hitler gewählt. Denn die Garnisonkirche war auch der religiöse Ort des Infanterieregiments 9, dem zahlreiche Widerstandskämpfer angehörten. 2011 wurde eine temporäre Kapelle am Baufeld errichtet und eine evangelische Pfarrstelle eingerichtet. 2014 wurde der Kapelle der Name „Nagelkreuzkapelle“ verliehen.

Die temporäre Kapelle beheimatete eine Ausstellung zur Geschichte und zum Wiederaufbau und diente für Gottesdienst, Friedensgebete und Veranstaltungen, die den Aufgaben der Nagelkreuzgemeinschaft Rechnung tragen: die Wunden der Geschichte heilen, die Vielfalt feiern, eine Kultur des Friedens bauen. Das Symbol des Nagelkreuzes auf dem Altar war Ausdruck der Verbundenheit mit den Ideen und der weltumspannenden Bewegung von Coventry – und wird es weiter sein.

Engagiertes Netzwerk für Einheimische wie für Touristen

Denn in der Nagelkreuzkapelle im wiederaufgebauten Turm, die – noch vor Beginn des allgemeinen Turmbetriebs – am 1. April feierlich in Dienst genommen wird, werden wir weiter für die Ideen und den Geist von Coventry eintreten.

Das Netzwerk Nagelkreuzgemeinde an der Garnisonkirche steht allen Menschen offen. Als Profilgemeinde wendet sich das Netzwerk besonders an Interessierte der Stadtgesellschaft, Passanten und Touristen und führt Menschen mit dem gemeinsamen Anliegen zusammen, geistliches Leben im Horizont des besonderen Profils zu gestalten. Als Pfarrer der Garnisonkirche und Friedensbeauftragter der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz habe ich viele Pläne, unseren Wirkungskreis zu erweitern und neue religiöse Formate zu etablieren, etwa einen „Segen to go“ am frühen Morgen, der für die Mitarbeitenden in den umliegenden Ministerien und Büros attraktiv ist.

Foto: Stiftung Garnisonkirche Potsdam

Darüber hinaus pflegt unser Netzwerk Nagelkreuzgemeinde Beziehungen zu evangelischen Kirchengemeinden und weiß sich der ökumenischen wie interreligiösen Arbeit verpflichtet. Es fördert zudem den Dialog im Sozialraum und setzt sich dafür ein, die drei inhaltlichen und räumlichen Ebenen (Ausstellung, Bildung und Vermittlung, Religion und Kultur) im Turm der Garnisonkirche inhaltlich zu verbinden.

Vorfreude auf die Eröffnung

Seit Anfang 2024 zeigt sich der wiederaufgebaute Turm der Garnisonkirche ohne Baugerüst, und die Neugier der Öffentlichkeit auf das alte, neue Bauwerk in der brandenburgischen Landeshauptstadt steigt. Auch beobachte ich eine zunehmend positive Wahrnehmung. Es gibt zwar weiterhin einige lautstarke Kritiker des Wiederaufbaus, aber ihre Menge ist deutlich kleiner als die der Befürworter. In der Politik, in der Stadtgesellschaft und in der Kirche gibt es eine breite Unterstützung. Diese hat den Wiederaufbau der Garnisonkirche als Ort der Friedensarbeit überhaupt erst ermöglicht.

Fast schon vergessen ist, dass sich der Wiederaufbau auf einen Beschluss der Stadtverordnetenversammlung von 1990 über die Wiederannäherung an das historisch gewachsene Stadtbild stützt. Die Garnisonkirche ist Teil der historischen Mitte Potsdams, in der auch das Stadtschloss (heute Brandenburgischer Landtag) und das Palais Barberini (heute Museum Barberini) wiedererrichtet wurden. Schirmherr des Bauprojekts Garnisonkirche ist der Bundespräsident. Viele kleine und große Spenden haben zum Erfolg beigetragen, dabei waren auch prominente Spender wie der Fernsehmoderator Günther Jauch.

Unterstützung gibt es zudem von zahlreichen Förderern wie der Fördergesellschaft für den Wiederaufbau der Garnisonkirche e.V. Auch die evangelische Kirche trägt das Projekt aktiv mit. Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung ist Dr. Christian Stäblein, Bischof der EKBO. Zudem gewährten die Landeskirche und die Evangelische Kirche der Stiftung Darlehen für den Wiederaufbau. Weitere Mittel stellte die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien zur Verfügung.

Menschen aus aller Welt sind willkommen

Wir freuen uns darauf, in der Garnisonkirche viele Menschen aus Deutschland und aus der ganzen Welt zu begrüßen, die für Frieden und Versöhnung eintreten wollen.

„Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens“: Dieser Bibelspruch aus dem Lukasevangelium ist im Sockel des wiederaufgebauten Turms eingemeißelt – auf Deutsch, Englisch, Französisch, Polnisch und Russisch. Es ist eine sichtbare Friedensbotschaft mitten in Potsdam und das Fundament unseres Engagements im Geist der Nagelkreuzbewegung.

Besuchen Sie gern unsere Webseite: www.garnisonkirche-potsdam.de

Autor: Dr. Jan Kingreen. Er ist Pfarrer der Garnisonkirche, Friedensbeauftragter der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) und Programmvorstand der Stiftung Garnisonkirche Potsdam. Die kirchliche Stiftung ist Eigentümerin und Betreiberin der Garnisonkirche.

 

Versöhnungslitanei im Radio

Jeden Freitag kurz vor eins steht Kathrin Oxen in der Turmruine der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin und hält ein Blatt mit einem Gebet darauf hoch: Sie lädt alle Besucher:innen des Mahnmals dazu ein, mit ihr die Versöhnungslitanei aus Coventry zu beten. Nun lädt sie auch alle Hörer:innen von Deutschlandradio Kultur dazu ein, gemeinsam über das Gebet nachzudenken.

Die Versöhnungslitanei von Coventry orientiert sich an den mittelalterlichen „Todsünden“: Stolz, Habgier, Wollust, Zorn, Maßlosigkeit, Neid und Trägheit. Das Gebet wurde im Jahr 1958 formuliert. Warum bitten wir auch heute noch um Vergebung für Hass, Habgier, Maßlosigkeit, Gleichgültigkeit, Missbrauch und Hochmut? In ihren sechs Radio-Andachten greift Oxen aktuelle Beispiele aus Alltag und Politik auf, stellt Bezüge zu christlichen und historischen Zusammenhängen her. Was heißt es, sich aus der Gemeinschaft mit Gott und anderen Menschen entfernt zu haben? Warum gehen uns manche Bitten um Vergebung so schwer über die Lippen? Gibt es Heilung und Versöhnung ohne Wahrheit und Schuldbekenntnis?

Wer neugierig geworden ist, findet die Andachten zum Nachhören und Nachlesen hier:

Auf der Internetseite des Deutschlandfunk stehen die Andachten ebenfalls zum Nachhören zur Verfügung.

Und wer sich lieber in die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche einladen lassen möchte: Auch in den Passionsandachten, die noch bis Ostern 2024 an jedem Mittwoch um 18 Uhr in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche stattfinden, stehen die Bitten aus der Versöhnungslitanei und die damit verbundenen Sünden im Mittelpunkt. Die Andachten werden abwechselnd von Pfarrerin Oxen und Pfarrer Karsten Wolkenhauer, Mitglied im Leitungskreis der Nagelkreuzgemeinschaft, gestaltet.

Autor: Niels Faßbender

Kirchenkreis Lüdenscheid-Plettenberg: Nagelkreuz wandert von der Kreuzkirche zum Diakonischen Werk

Iris Jänicke erhält das Kreuz von Andreas Moos. (Foto: Wolfgang Teipel)

Zum Jahresbeginn 2024 erlebten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Diakonischen Werkes des Ev. Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg einen besonderen Gottesdienst. Die Feier stand ganz im Zeichen des Nagelkreuzes.

Diakonie-Geschäftsführerin Iris Jänicke nahm im Plettenberger Paul-Gerhardt-Haus das Kreuz aus der Hand von Andreas Moos entgegen. Er vertrat in diesem Gottesdienst die Lüdenscheider Kreuzkirchengemeinde. Sie hatte das Kreuz seit September 2021 beherbergt. Britta Däumer und Stefan Schick, Vertreter des Nagelkreuzzentrums „Ev. Kirchenkreis Lüdenscheid-Plettenberg“ schilderten in kurzen Vorträgen die Geschichte und Bedeutung des Kreuzes.

Stefan Schick und Britta Däumer (Foto: Rendel Simon)

Bereits seit 1996 steht im Ev. Kirchenkreis Lüdenscheid-Plettenberg ein Nagelkreuz. Seinerzeit war es dem Kinder- und Jugendreferat, der Ev. Kirchengemeinde Herscheid und der damaligen Tagungsstätte „Haus Nordhelle“ für ihre internationale Versöhnungsarbeit überreicht worden. Im „Haus Nordhelle“ hatte das Kreuz auch seinen ursprünglichen Standort. Seit Schließung der Einrichtung steht es in der Johannis-Kirche in Plettenberg-Eiringhausen. Zum 25-jährigen Nagelkreuzjubiläum im Jahr 2021 kam ein Wandernagelkreuz hinzu, das seinen ersten Aufstellungsort in der Ev. Kreuzkirchengemeinde in Lüdenscheid fand. Nun wurde es an das Diakonische Werk des Kirchenkreises weitergereicht.

Stefan Schick erläuterte: „Jetzt soll das Diakonische Werk dieses Wandernagelkreuz für zwei Jahre bekommen. Die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden sind unermüdlich im Einsatz, um Menschen zu helfen, ihnen Gehör zu verschaffen, ihre Würde zu bewahren und im Alltag ganz praktisch zu unterstützen. Sie verstehen ihren Dienstauftrag als gelebte Nächstenliebe und werden zu Anwälten für Menschen, die am Rande unserer Gesellschaft stehen. Sie leisten so eine verlässliche Versöhnungsarbeit zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft und Prägung. Für diesen Einsatz wollen wir mit der Überreichung des Nagelkreuzes auch ein ganz dickes Dankeschön sagen.“ Dies, so Schick, gelte für alle Arbeitsbereiche der Diakonie – von den unterschiedlichen Beratungsstellen bis zur Möbelbörse, vom Fachdienst Migration über die Schwangerschaftsberatung bis hin zum Haus Alter Leuchtturm, einer Familienferienstätte auf Borkum. „Ich will nicht alle einzeln aufzählen, aber sie dürfen gewiss sein, dass wir ihre Arbeit enorm schätzen.“

Das Wandernagelkreuz (Foto: Stefan Schick)

Nach einem von Britta Däumer gesprochenen Gebet war es so weit. Andreas Moos übergab das Kreuz an Iris Jänicke, die in einer kurzen Ansprache ihre Freude und Verbundenheit zur Versöhnungsarbeit zum Ausdruck brachte. Musikalisch wurde der die Feier von Kirchenmusiker Dr. Charles Christian Adarkwah mitgestaltet, der die Gottesdienstteilnehmer auf mitreißende Art zum Singen einlud. Diakoniepfarrer Volker Bäumer predigte zur Jahreslosung „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe“ (1. Korinther 16,14). Dabei legte er das Jahreslosungsmotiv von Andreas Felger aus. Mit seinem Motiv der Rose habe der Künstler das Liebessymbol schlechthin aufgegriffen.

Autor: Stefan Schick

Jugendbegegnung in Dachau

Foto: Maite Böhm

Erstmals seit der Corona-Pandemie gab es im November 2023 wieder eine Jugendbegegnung der deutschen Nagelkreuzgemeinschaft. Das Treffen fand am 11. November 2023 in der KZ-Gedenkstätte Dachau bei München statt. Zwei Teilnehmerinnen berichten.

Der Tag begann um 11 Uhr am Besucherzentrum, wo wir von Felicitas Weileder und Maite Böhm, den Organisatorinnen des Treffens, und von Björn Mensing, dem Pfarrer der sich auf dem Gelände befindlichen Versöhnungskirche und Tourguide, begrüßt wurden. Bei der anschließenden Führung gingen wir den Weg nach, den auch ein Häftling in Dachau gegangen sein könnte.

Foto: Hannah Sturm

Unsere erste Station war vor dem Eingang zum KZ-Häftlingslager, an dem sich auch die Bahngleise befanden, an denen etwas weiter die Züge mit den Häftlingen hielten. Dort erzählte uns Herr Mensing von Martin Kieselstein, einem ungarisch-jüdischen Häftling in Dachau, dem er später persönlich begegnet war, und davon, was dieser auf der Zugfahrt von Auschwitz nach Dachau erlebt hatte. Herr Mensing erzählte uns auch von einer Frau aus einer indisch-muslimischen Familie, die in Dachau ermordet wurde. Ihr Name war Noor-un-Nisa Inayat Khan und sie war eine britische Agentin, die für Großbritannien Kontakte zum Widerstand in Frankreich knüpfen sollte. Wenn man sich mit dem Rücken zum Tor drehte, konnte man das Gebäude sehen, in dem sich während der NS-Zeit die KZ-Kommandantur befand. Aktuell wird das Gebäude von der Bereitschaftspolizei genutzt. Das soll sich aber ändern, wenn in zwei Jahren das Gebäude Teil der Gedenkstätte wird.

Foto: Hannah Sturm

Anschließend gingen wir durch das Tor des Häftlingslagers. Es bestand aus Eisenstreben und trug die Inschrift „ARBEIT MACHT FREI“. Herr Mensing erzählte uns, diese Inschrift sei auf den Eingangstoren aller Konzentrationslager zu finden, außer im KZ Buchenwald, wo die Inschrift stattdessen „JEDEM DAS SEINE“ laute. Wir gingen weiter ins so genannte Wirtschaftsgebäude und dort in den „Schubraum“, wo die Häftlinge registriert wurden. Herr Mensing erzählte uns von der entwürdigenden Prozedur, die die Häftlinge hier durchmachen mussten, dass sie ihre Kleidung ablegen und alle persönlichen Gegenstände, auch Eheringe und solche Gegenstände, die nur einen ideellen Wert hatten, wie zum Beispiel Fotos, abgeben mussten. Jeder Häftling bekam eine Nummer, die ab sofort von den SS-Wachleuten anstelle ihres Namens verwendet wurde. Als letztes wurden den Häftlingen noch die Haare abrasiert und ihnen dadurch die Individualität vollends geraubt.

Unsere nächste Station waren die Duschen. Echte Duschen, keine Gaskammer. Hier ging es darum, wie die Prozedur des Duschens für die Häftlinge ablief und auch darum, dass einige der Aufseher die Häftlinge quälten und dabei zum Beispiel im Winter die Fenster des Duschraums öffneten, die Heizung aus- und das Wasser auf kalt stellten. Herr Mensing führte aber auch aus, dass manche Häftlinge, besonders jene gerade erst von tagelangen Transporten angekommenen, das Duschen als wohltuend empfanden. Noch im Duschraum erzählte uns Herr Mensing von den Strafen, die Häftlinge, die von Aufsehern beschuldigt wurden, gegen die Lagerordnung verstoßen zu haben, ertragen mussten. Die Willkür bei der Verhängung dieser Strafen verdeutlichte uns Herr Mensing am Beispiel eines abgefallenen Knopfes. Fiel auf, dass ein Häftling tagsüber einen Knopf verloren hatte, wurde nicht darauf geachtet, ob er schon Gelegenheit gehabt hatte, diesen wieder anzunähen, man bestrafte ihn einfach direkt.

Foto: Hannah Sturm

Wie schlecht die Häftlinge behandelt wurden, war auch von der Häftlingsgruppe abhängig, der sie zugewiesen wurden. Die einzelnen Gruppen wurden durch an der Kleidung angebrachte farbige Winkel und Buchstaben gekennzeichnet. Zum Beispiel stand der gelbe Winkel für Juden, ein rosaner für Homosexuelle und ein schwarzer für „Asoziale“. Die Buchstaben sollten die Nationalität der Häftlinge kennzeichnen. Obwohl der größte Teil der sowjetischen Häftlinge in Dachau ukrainischer Herkunft war, wurden sie alle mit einem „R“ für „Russe“ gekennzeichnet.

Der nächste Teil der Führung führte uns in den Bunkerhof, der aufgrund der dort durchgeführten Hinrichtungen auch Exekutionshof genannt wurde, und von dort aus ins Lagergefängnis. Herr Mensing berichtete uns, dass die Häftlinge hier in Einzelhaft psychische Folter ertragen mussten. Im Lagergefängnis gingen wir auch an der Zellentür des evangelischen Pfarrers und Widerstandskämpfers Martin Niemöller vorbei. Wieder draußen erzählte Herr Mensing, wie es in Dachau inhaftierten Geistlichen erging. Er schilderte, dass nachdem der damalige Papst Pius XII. von Hitlers Vorgehen gegen Geistliche in Polen erfahren und darum gebeten hatte, dass diese doch wenigstens gemeinsam Gottesdienst feiern dürften, alle inhaftierten Geistlichen aus Deutschland und von Deutschland besetzten Gebieten nach Dachau gebracht wurden. Die Geistlichen waren in separaten Baracken untergebracht, wo sie Gottesdienste feiern durften. Um die prominenteren Geistlichen vor den im KZ grassierenden Krankheiten, wie zum Beispiel Typhus und Fleckfieber, zu schützen, wurden sie, wie Martin Niemöller, im Lagergefängnis untergebracht.

Foto: Hannah Sturm

Nach dem Lagergefängnis gingen wir zu den Krematorien. Wir sahen uns das erste Krematorium an, in dem es zwei Öfen gab und erfuhren, dass dieses mit steigender Zahl der Toten nicht genügend Kapazitäten hatte, weshalb ein zweites, größeres Krematorium gebaut wurde, an das man direkt eine Gaskammer dranbaute, die aber, entgegen der ursprünglichen Pläne, nur bei einem Probedurchlauf in Betrieb genommen wurde. Herr Mensing bat um Stille beim Durchqueren der Gaskammer und des Krematoriums. Am Ende der Führung gingen wir gemeinsam in die evangelische Versöhnungskirche, die sich auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte befindet. In der Kirche beteten wir gemeinsam das Versöhnungsgebet von Coventry mit der mehrfachen Bitte „Vater vergib!“.

Nach der Führung gingen wir mittagessen, es gab Lasagne, und fanden uns danach wieder in der Kirche ein. Dort wurden uns in einer Präsentation mit Videokonferenz mit Jugendlichen im englischen Coventry die Geschichte der Nagelkreuzgemeinschaft sowie ihr heutiges Wirken nahegebracht. In einer anschließenden Diskussionsrunde sprachen wir darüber, ob es denn angebracht sei, die Polizei in der ehemaligen SS-Kaserne unterzubringen, oder eine Kirche auf dem Gelände eines Konzentrationslagers zu bauen. Herr Mensing erklärte uns zum Bau der Kirche, dass dieser tatsächlich von einem überlebenden niederländischen Häftling initiiert und vorangetrieben sowie von anderen Überlebenden unterstützt worden sei.

Nach einer Stunde, die wir selbst individuell gestalten konnten, gingen wir noch mit Felicitas und Maite, sowie unserer französischen Gastgeberin Marine in ein Restaurant für ein gemeinsames Abendessen. Die Jugendbegegnung in Dachau hat bei uns einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Besonders eindrücklich und mitreißend fanden wir die Einzelschicksale, von denen Herr Mensing uns berichtete und auf die er bei seiner Führung einen besonderen Fokus legte. Dies hob die sonst nur durch Zahlen beschriebenen Geschehnisse auf eine persönlichere Ebene und verdeutlichte, dass nicht jeder Häftling nur einer von vielen, sondern ein ganzer Mensch mit einer eigenen Geschichte war.

Autorinnen: Hannah Rickmann und Hannah Sturm

Einladung zur Jugendbegegnung am 11. November in Dachau

Die Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland e. V. lädt alle jungen Mitglieder (16 bis 27 Jahre) zur ersten Jugendbegegnung am 11. November 2023 von 11 bis 17 Uhr in der KZ-Gedenkstätte Dachau ein.

„Wir wollen uns mit der Frage beschäftigen, was Versöhnung heute bedeutet“, so Felicitas Weileder, die das Treffen gemeinsam mit Maite Böhm organisiert. Alle Teilnehmer:innen erhalten kurz nach dem 85. Jahrestag der Novemberpogrome, bei dem auch mehr als 10.000 Juden in das KZ Dachau deportiert wurden, eine Führung durch die KZ-Gedenkstätte. Anschließend diskutieren sie mit Vertreter:innen des ökumenischen Nagelkreuzzentrum in der KZ-Gedenkstätte über ihre Arbeit. Zudem steht ein Gespräch mit Vertretern der Kathedrale von Coventry über die unterschiedlichen Aspekte der Versöhnungsarbeit auf dem Programm. Außerdem gibt es Raum für individuelles Reflektieren oder einen Besuch der Sonderausstellung „Dachauer Prozesse – Verbrechen, Verfahren und Verantwortung“.

Das Programm, weitere organisatorische Hinweise und einen Link zur Anmeldung gibt es hier.

Optional besteht die Möglichkeit, sich anschließend beim Abendessen auszutauschen und in München zu übernachten. Für die Teilnahme fallen keine Kosten an. Die Kosten für das Mittagessen und Kaffeepause werden übernommen, Kosten für Anreise und/oder Übernachtung können bezuschusst werden (siehe organisatorische Hinweise). Anmeldeschluss: 3. November 2023, Rückfragen an jugendkonferenz@nagelkreuz.org.

„Nation von Nation, Volk von Volk, Klasse von Klasse“: Mitgliederversammlung hat Neuübersetzung der ersten Bitte des Versöhnungsgebets beschlossen

Die Mitgliederversammlung der Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland e.V. hat am 14. Oktober 2023 auf ihrer Tagung in Würzburg beschlossen, als Verein eine neue deutsche Übersetzung der ersten Bitte des Versöhnungsgebetes zu verwenden. Sie lautet nun: „Den Hass, der Nation von Nation trennt, Volk von Volk, Klasse von Klasse, Vater, vergib.“

Das historische Gebet

Das Versöhnungsgebet von Coventry entstand 1958. Es ist zu dem Gebet geworden, das die weltweite Nagelkreuzgemeinschaft geistig miteinander verbindet. So prägend das Versöhnungsgebet für die Nagelkreuzgemeinschaft ist, umso schwerer fällt es vielen in Deutschland mittlerweile, die erste Zeile der Litanei mit dem Wort „Rasse“ mitzusprechen – und dies, obwohl es eine Gebetsbitte für unsere Mitschuld an den vielfältigen Formen von Rassismus ist.

Vor ca. fünfzehn Jahren hat unser Verein erstmals die Verwendung des Wortes „Rasse“ ausführlicher reflektiert. Der Austausch mit Coventry und der amerikanischen Nagelkreuzgemeinschaft ergab damals, das Wort nicht aufzugeben. Vor acht Jahren wurde die Diskussion erneut intensiv aufgegriffen. Es wurden Änderungsvorschläge für die erste Zeile überlegt. Entscheidend waren jedoch dann die Expertenmeinungen einiger Liturgikerinnen und Liturgiker. Sie rieten davon ab, Veränderungen an einem so vertrauten, einprägsamen und historischen Gebetstext vorzunehmen. Entsprechend hat sich die Mitgliederversammlung im Herbst 2015 dafür ausgesprochen, bei der eingeführten Übersetzung zu bleiben. Allerdings bestand ebenfalls Einigkeit darüber, dass Nagelkreuzzentren, die den Gebrauch des Wortes „Rasse“ nicht verantworten können, eine andere Formulierung nutzen können.

Die weitere Diskussion

Die Diskussionen sind seitdem weitergegangen. Seit Anfang 2020 beschäftigt sich die deutsche Nagelkreuzgemeinschaft erneut mit der ersten Versöhnungsbitte. Der Leitungskreis hat nochmals liturgiewissenschaftliche Beratung eingeholt. Zudem wurde das intensive Gespräch mit Coventry und den nationalen Nagelkreuzvorsitzenden fortgesetzt. Bestimmend für die Diskussion im Leitungskreis waren folgende Zielsetzungen:

  • Die deutsche Nagelkreuzgemeinschaft braucht eine feste Textversion des Versöhnungsgebets, die sie bei offiziellen Anlässen verwendet (auf der Webseite und im Flyer, bei Nagelkreuzverleihungen …).
  • Es soll eine Neuübersetzung (nicht Neugestaltung) der Gebetsbitte gefunden werden, die auf das Wort „Rasse“ verzichtet und nur so wenig wie nötig am bisherigen Sprechrhythmus ändert.
  • Die neue Übersetzung soll weiterhin ästhetisch als Gebetssprache erkennbar bleiben.

In den weiteren Überlegungen wurde deutlich, dass sich keine Formulierung finden lässt, die alle Betenden, Liturgikerinnen und Liturgiker, Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler, Biologinnen und Biologen etc. gleichermaßen überzeugt. Nach intensiven Diskussionen hat der Leitungskreis 2021 allen Nagelkreuzzentren zwei Versionen zur weiteren Erprobung vorgeschlagen:

A: Den Hass, der Menschen von Menschen trennt.

B: Den Hass, der Volk von Volk, Klasse von Klasse, und rassistisch Menschen von Menschen trennt.

Die aktuelle Entscheidung

In geheimer Abstimmung entschied sich die Mitgliederversammlung zunächst mit großer Mehrheit dafür, dass auf eine neue Übersetzung der ersten Bitte des Versöhnungsgebets zugegangen werden soll, die ohne das Wort „Rasse“ auskommt. Von Teilnehmenden der Versammlung wurde zudem eingebracht, dass eine weitere Formulierung als Version C erörtert werden soll:

C: Den Hass, der Nation von Nation trennt, Volk von Volk, Klasse von Klasse.

In einem Meinungsbildungsprozess schälte sich deutlich heraus, dass diese Version C auf die größte Zustimmung stieß, sodass am Ende der folgende Beschluss – erneut mit großer Mehrheit – gefasst wurde:

Die Mitgliederversammlung der Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland beschließt, zukünftig die Übersetzung „Den Hass, der Nation von Nation trennt, Volk von Volk, Klasse von Klasse“ als die offizielle Version der ersten Bitte des Versöhnungsgebets von Coventry zu verwenden.

Diese Übersetzung zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich eng an die charakteristische Struktur des englischen Originals und auch der bisherigen deutschen Übersetzung hält und dennoch ohne das Wort „Rasse“ auskommt. Die genannten drei Illustrationen bieten einen Resonanzraum, der innere Bilder und Gefühle zum Klingen bringen kann, die für ein Gebet wichtig sind. Sie ist zudem gut sprechbar. Das Wort „Nation“, das im englischen Text, nicht jedoch im bisherigen deutschen Text vorkommt, lenkt den Blick auf Staaten, die sich in Feindschaft und Hass gegenüberstehen können. In der deutschen Diskussion um den Rassebegriff wird häufig vorgeschlagen, statt „Rasse“ Wörter wie „Population“ oder „Ethnie“ zu verwenden. Aber diese Begriffe sind abstrakt und erweisen sich als eher sperrig in einer Gebetszeile. Daher soll das Wort „Volk“ zum Ausdruck bringen, dass sich auch Populationen oder Ethnien in Hass gegenüberstehen können.

Das Gebet vor Ort

Während der Mitgliederversammlung wurde deutlich, dass Nagelkreuzzentren in Deutschland und auch international sich immer stärker der Aufgabe stellen, das Versöhnungsgebet für ihren spezifischen Kontext vor Ort relevant zu machen und so lebendig zu halten. Diese Kontextualisierung betrifft alle Teile des Gebets.

So wird es in Zukunft noch stärker neben dem „Original“ und seinen offiziellen Übersetzungen in die unterschiedlichsten Sprachen auch lokal angepasste Versionen geben. Diese machen deutlich, dass ein Gebet ein lebendiger Text ist, der auf Dauer seinen Zweck nur dann erfüllt, wenn er den Anliegen und Bedürfnissen der Betenden in ihrer jeweiligen Zeit und Situation gerecht wird.

Diese Prozesse werden auch von der Kathedrale von Coventry unterstützt, die den Reichtum an Varianten als Ausdruck des zweiten Leitbildes der Nagelkreuzgemeinschaft versteht: „Mit Unterschieden leben und Vielfalt feiern“. In diesen Kontextualisierungen wird das weiterhin Verbindende die inhaltliche Struktur des Versöhnungsgebet bleiben, die sich an den klassischen sieben Wurzelsünden bzw. Hauptsünden (auch unter dem Begriff „Todsünden“ bekannt) orientiert.

Fazit und Dank

Vorstand und Leitungskreis schätzen außerordentlich, dass Nagelkreuzzentren und Einzelmitglieder sich in den letzten Jahren mit sehr unterschiedlichen Überzeugungen in dieser Debatte zu Wort gemeldet haben. Ihnen ist bewusst, dass die Diskussion starke Emotionen hervorruft. Manche können sich Änderungen am Versöhnungsgebet kaum vorstellen, andere haben sehr weitreichende Ideen vorgelegt. Der Leitungskreis hat intensiv um Formulierungen gerungen, der den unterschiedlichen Überzeugungen gleichermaßen möglichst gerecht wird.

Der Leitungskreis dankt allen, die sich in den letzten Jahren und im Vorfeld der Mitgliederversammlung an der Diskussion beteiligt haben. Ein herzliches Dankeschön ebenso an alle, die sich während der Mitgliederversammlung eingelassen haben auf die nicht ganz leichte Suche nach einem möglichst großen Konsens und auf die Suche nach dem dazu notwendigen Verfahren. Vorstand und Leitungskreis hoffen, dass all jene, die gerne eine andere Entscheidung gesehen hätten, ebenso wie all jene Nagelkreuzzentren und Einzelmitglieder, die in Würzburg nicht vertreten waren, die nun getroffene Entscheidung dennoch mittragen werden.

Autor: Oliver Schuegraf