Alle übergeordneten Beiträge zur Nagelkreuzgemeinschaft unabhängig der Länder und Regionen

Canon Mary Gregory wird Bischöfin in Reading

Mary Gregory. Foto: Diocese of Oxford

Mary Gregory, Domkapitularin für Kunst und Versöhnung an der Kathedrale von Coventry, wird Bischöfin in Reading in der Diözese Oxford der Kirche von England. König Charles III. hat der Ernennung am 27. November 2024 zugestimmt. Die neue Bischöfin wird im Frühjahr 2025 in ihr Amt eingeführt werden.

Seit 2022 ist Mary „Canon Residentiary for Arts and Reconciliation“ an der Kathedrale von Coventry. Viele Mitglieder und Freund:innen unserer Gemeinschaft haben Mary auf Pilgerfahrten nach Coventry kennengelernt und in ihr Herz geschlossen. Zuletzt war sie im November 2024 zur Übergabe der Nagelkreuze an die Hamburger Hauptkirchen bei uns in Deutschland. U. a. hielt sie die Predigt im Festgottesdienst zur Übergabe der Kreuze.

Im Namen der Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland e. V. hat Vorsitzender Dr. Oliver Schuegraf Mary herzlich zu ihrer Ernennung gratuliert. „Für uns ist es traurig, dass sie bald nicht mehr die Versöhnungsarbeit der Kathedrale von Coventry mitgestalten und prägen wird“, so Schuegraf. „Wir werden ihre theologischen und praktischen Impulse, ihre Kreativität und ihre zugewandte Persönlichkeit sehr vermissen. Auf all diese Fähigkeiten und Eigenschaften darf sich nun ihre neue Diözese freuen und ich bin mir sicher, dass all dies ihrem neuen Dienst zugutekommen wird. Wir wünschen Canon Mary Gottes Segen und alles erdenklich Gute für ihre neuen Aufgaben.“

Mary wuchs im ländlichen Leicestershire und Lincolnshire auf, bevor sie an der Universität Birmingham Englisch studierte. Nach ihrem Abschluss arbeitete sie zehn Jahre als Strafvollzugsbeamtin und zuletzt als Gefängnisdirektorin. Sie war an einer Untersuchung der Vorfälle im Maze-Gefängnis in Nordirland beteiligt, wodurch ihr Interesse an Versöhnungsarbeit geweckt wurde. Mary studierte Theologie in Birmingham und Durham. Thema ihrer Masterarbeit war das Verhältnis von Evangelium und Kunst. In ihrer Dissertation befasste sie sich mit der kulturellen Aneignung des Holocaust in Auschwitz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Ihr Vikariat und ihre erste Amtszeit verbrachte sie in der Diözese Sheffield, wo sie 2006 zur Priesterin geweiht wurde und u. a. als Dekanin für Frauenarbeit tätig war. 2015 wurde Mary zur Team-Rektorin mehrerer Gemeinden der Diözese Leicester ernannt. Ab 2020 war sie auch als Diözesanbeauftragte für die ländliche Mission tätig, bis sie 2022 nach Coventry kam.

Autor: Niels Faßbender

 

10 Jahre Nagelkreuz: Gottesdienst und Empfang in St. Barbara, München

v.L.: Generalvikar Christoph Klingan, Pfarrer Björn Mensing (Nagelkreuzzentrum Dachau), Pfarrer Ludwig Sperrer, Pfarrer i.R. Peter Höck, Tobias Klein (St. Barbara), Marga Neumann (St. Barbara). Foto: Michael Zeller

Am 9. November 2024 feierte das Nagelkreuzzentrum St. Barbara in München die Übergabe eines Nagelkreuzes vor zehn Jahren. Vertreter anderer Nagelkreuzzentren sowie zahlreiche Gemeindemitglieder kamen zu einem feierlichen Wortgottesdienst zusammen, um das Engagement für Frieden und Versöhnung zu würdigen. Die Anwesenheit von Gästen aus anderen Zentren, darunter aus Pforzheim und der KZ-Gedenkstätte Dachau, unterstrich die internationale Verbundenheit der Nagelkreuzbewegung und die Bedeutung des Münchner Zentrums.

In seiner Predigt erinnerte Generalvikar Christoph Klingan an die drei wesentlichen Grundsätze der Nagelkreuzgemeinschaft: die Heilung der Wunden der Geschichte, das Leben in Vielfalt und die Schaffung einer Kultur des Friedens. „Friedensarbeit erfordert Geduld, Leidenschaft und Beharrlichkeit“, betonte er. Diese Werte prägen St. Barbara durch Initiativen wie das wöchentliche Friedensgebet am Freitag, Gedenkveranstaltungen und Projekte wie die Friedenskette in München.

Wortgottesdienst mit v.L. Pfarrer (evangelisch) Björn Mensing (KZ Gedenkstätte Dachhau), Pfarrer Ludwig Sperrer (Kichendekan St. Benno München), Generalvikar Christoph Klingan (Erzbistums München und Freising), Pfarrer i.R. Peter Höck (Pfarrer St. Barbara München („Nagelkreuzzentrum München). Foto: Robert Kiderle

Tobias Klein stellte das Nagelkreuz und die besondere Geschichte von St. Barbara vor. Einst als Garnisonskirche erbaut, wurde St. Barbara nach dem Zweiten Weltkrieg zur Heimat für eine polnische Gemeinde und entwickelte sich zu einem Ort der Begegnung und Versöhnung. „Durch das Engagement von Persönlichkeiten wie Susanne und Walter Elsner wurde das Nagelkreuzzentrum gegründet, das seither ein Symbol des Friedens in unserer Stadt ist“, so Klein. Das Nagelkreuz stehre als mahnendes und zugleich hoffnungsvolles Symbol für die Arbeit des Zentrums.

Musikalisch umrahmten die Pianistin Anne Schätz und der Tenor Kevin Conners den Gottesdienst. Ihre Darbietungen verliehen der Feier eine würdevolle und inspirierende Atmosphäre.

Nach dem Gottesdienst fanden sich die Gäste im Gemeindesaal zu einem Empfang zusammen. Bei Fingerfood und Getränken bot sich die Gelegenheit zu anregenden Gesprächen und zum Austausch über die Arbeit und die Vision der Nagelkreuzgemeinschaft. Die lebendige und herzliche Atmosphäre war geprägt von gegenseitiger Wertschätzung und einer gemeinsamen Hoffnung auf eine friedlichere Welt.

Der Abend machte deutlich, dass das Nagelkreuzzentrum St. Barbara mehr ist als ein Symbol: Die Kirche ist ein lebendiger Ort der Begegnung, Versöhnung und Hoffnung. Das 10jährige Jubiläum war nicht nur ein Rückblick auf eine erfolgreiche Arbeit, sondern ein kraftvoller Impuls für die Zukunft, um weiterhin Brücken zu bauen und die Botschaft des Friedens in die Welt zu tragen.

Autor: Tobias Klein

Gemütliches Beisammensein mit Generalvikar Christoph Klingan und Gemeindegliedern. Foto: Tobias Klein

 

Region „West“ hat sich in der Gemarker Kirche in Wuppertal getroffen

Foto: Stefan Schick

Am 31. August 2024 hatte das Nagelkreuzzentrum Ev. Kirchengemeinde Gemarke die Region West zum Treffen nach Wuppertal eingeladen. Bei strahlendem Sonnenschein begann der Tag mit einem 12minütigen Gottesdienst, der traditionell samstags in der Gemarker Kirche stattfindet. Anschließend folgte eine Führung durch die Dauerausstellung „Barmer Theologische Erklärung vom 31. Mai 1934“. Barbara Herfurth-Schlömer, Leiterin der Ausstellung und Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Kirchengeschichte der Kirchlichen Hochschule Wuppertal, bot tiefgehende Einblicke in die historische und theologische Relevanz dieses Dokuments.

Die Barmer Theologische Erklärung gilt als Gründungsdokument der „Bekennenden Kirche“ und gilt als eines der prägenden Dokumente für den kirchlichen Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft. Sie betont die autonome Stellung der Kirche im Verhältnis zum Staat und setzt sich für die Wahrung der Glaubensfreiheit und der individuellen Verantwortung der Christen ein.

Sigrid Runkel. Foto: Stefan Schick

Im Anschluss erfuhren die Teilnehmer in einem Vortrag die Geschichte des Wuppertaler Konzentrationslagers Kemna, ergänzt durch die Biographie von Friedrich Brass, der dort als politischer Häftling inhaftiert war. Brass wurde im Oktober 1933 verhaftet, nachdem er ein politisch motiviertes Gedicht verfasst hatte, das als Beleidigung Hitlers angesehen wurde. Der Vortrag, ebenfalls von Frau Herfurth-Schlömer gehalten, beleuchtete die Grausamkeiten und den Widerstand, die mit dieser Zeit verbunden sind.

Nach diesen intensiven Einblicken stand ein gemeinsames Mittagessen im Mittelpunkt, das den Teilnehmern Raum für Diskussion und Austausch über die präsentierten Themen gab. Es folgte eine lebhafte Diskussion, die sich mit den Schutzmaßnahmen für die direkt angrenzende Synagoge befasste. Sigrid Runkel, Gemeindeglied der Gemarker Kirche, berichtete über die aktuellen Herausforderungen und die Unterstützung der Gemarker Kirche für Synagoge, insbesondere im Hinblick auf die Entwicklungen im Nahen Osten.

Der Tag endete mit einem Austausch über die Rolle der Nagelkreuzzentren und die verbindenden christlichen Werte, die auch in schwierigen Zeiten Orientierung und gemeinschaftliche Solidarität bieten.

Für das nächste Regionaltreffen West gibt es bereits eine Einladung aus Lemgo. Einzelheiten werden rechtzeitig bekannt gegeben.

Autor:innen: Cornelia Bachmann und Stefan Schick

Internationale Jugendbegegnung: „Können die Wunden der Geschichte geheilt werden?“

Bericht einer Teilnehmerin aus Berlin

Foto: Tim Wagner

Mit dieser Frage beschäftigten sich zwölf Jugendliche, die sich vom 11. bis 13. Oktober 2024 in Berlin zur internationalen Jugendbegegnung trafen. Zwar war die Einladung der Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland e. V. auf nur wenig Resonanz gestoßen. Die jungen Erwachsenen, die aus Deutschland, den USA, Indien, Großbritannien und Polen angereist waren, empfanden die Zusammenkunft gleichwohl als Bereicherung. Hier der Bericht einer Teilnehmerin.

Neben Besuchen an geschichtsträchtigen Orten boten intensive Gespräche die Gelegenheit, verschiedene Perspektiven zu teilen. Wir beschäftigten uns gemeinsam mit der Frage, wie wir aus der Vergangenheit lernen und Verantwortung für eine friedliche Zukunft übernehmen können. Auch die Rolle der Kirche in der Geschichte und die Bedeutung von Versöhnung waren Diskussionsthema.

Foto: Tim Wagner

Nach einem gemeinsamen Abendessen am Freitagabend begann der Samstag im Martin-Niemöller-Haus. Hier konnten wir uns eine Dauerausstellung, die sich mit der Geschichte der Bekennenden Gemeinde Berlin-Dahlem auseinandersetzt, ansehen. Geführt wurden wir von Martina Voigt, der Kuratorin der Ausstellung. Dabei diskutierten wir die Rolle der Kirche, insbesondere der Bekennenden Kirche, im Nationalsozialismus und reflektierten über die Verantwortung, die daraus für heutiges Handeln erwächst. Besonders die Frage, wie Versöhnung in einer komplexen und oft schmerzhaften historischen Realität gelingen kann, nahm uns in Anspruch.

Ein weiterer Ort war die Martin-Luther-Gedächtnis-Kirche. Dort wurde bei einer Führung von Klaus Wirbel, Petra Steinborn und weiteren Gemeindegliedern vor Augen geführt, wie schwierig es ist, mit der ideologischen Symbolik eines solchen Ortes umzugehen.

Foto: Tim Wagner

In den Gesprächen setzten wir uns damit auseinander, wie diese belastete Geschichte heute in Versöhnungsarbeit einfließen kann. Dabei wurde deutlich, dass die Herausforderungen groß, aber nicht unüberwindbar sind. Der Besuch der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche und das Gespräch mit Pfarrerin Kathrin Oxen zeigten eindrucksvoll, wie die Heilung der Geschichte gelingen kann. Die teilweise zerstörte und wiederaufgebaute Kirche steht sinnbildlich für den Umgang mit schmerzhaften Erinnerungen. Besonders der Vergleich mit der Stadt Coventry machte deutlich, wie wichtig und global bedeutsam der Prozess der Versöhnung ist.

Sehr bewegt waren wir vom darauf folgenden Besuch der Versöhnungskapelle. Hier trafen wir uns mit Esther Schabow, der Beauftragten für Kultur und Öffentlichkeit der Versöhnungskapelle, die uns während einer Führung die Geschichte des Gedenkortes näherbrachte. Die Versöhnungskapelle steht auf dem ehemaligen Todesstreifen zwischen Ost- und Westdeutschland. Sie symbolisiert, wie Heilung und Frieden aus einem Ort der Trennung und des Konflikts entstehen können. Dieser Wandel machte auf uns alle einen tiefen Eindruck und zeigte, dass auch in scheinbar ausweglosen Situationen ein Neuanfang möglich ist.

Foto: Tim Wagner

Am Sonntag setzten wir unsere Reise in Potsdam fort, wo wir die Garnisonkirche besuchten. Hier rekonstruierten wir die Geschichte des Ortes im Rahmen eines kleinen Workshops, geleitet von Hana Hlásková, der Verantwortlichen für die Bildungsarbeit der Garnisonkirche. Anschließend erkundeten wir den wieder aufgebauten Turm. Der Transformationsprozess dieses Ortes, der einst für Militarismus stand und sich nun in ein Zentrum der Versöhnung wandelt, war Thema lebhafter Diskussionen.

Dabei wurde deutlich, wie viel Engagement und Sensibilität erforderlich sind, um Wandel glaubwürdig zu gestalten. In der Garnisonkirche erfuhren wir in einem Zoomgespräch mit John Witcombe, Dean der Kathedrale von Coventry, mehr über die Geschichte von Coventry und die internationale Nagelkreuzgemeinschaft. Mit ihm diskutierten wir zudem die Gründe des zunehmenden Populismus und Extremismus überall auf der Welt und wie wir als Gemeinschaft und als Kirchen damit umgehen können.

Foto: Tim Wagner

Für mich persönlich war die Versöhnungskapelle der eindrucksvollste Ort dieser Begegnung. Sie symbolisiert nicht nur die Heilung eines geteilten Landes, sondern auch die Möglichkeit, dass selbst aus den dunkelsten Kapiteln der Geschichte etwas Positives entstehen kann. Die Vorstellung, dass ein Ort, der einst eine Grenze zwischen zwei Welten markierte, heute ein Zeichen des Friedens ist, hat mich besonders berührt. Es zeigt, wie wichtig es ist, dass wir aus der Vergangenheit lernen und gemeinsam nach vorne blicken.

Die Jugendbegegnung wäre ohne zahlreiche Beteiligte nicht möglich gewesen – herzlichen Dank an das Organisationsteam und alle Unterstützerinnen und Helfer der Berliner Zentren!

Autorin: Constanze Biller

 

10 Jahre Nagelkreuz: Andacht, Podiumsgespräch und Empfang in Sievershausen

Im Jahr 2014 wurden die Kirchengemeinde Sievershausen und das Antikriegshaus Sievershausen gemeinsam in die Nagelkreuzgemeinschaft aufgenommen. Am 14. September wurde das zehnjährige Jubliäum in Sievershausen gefeiert. Im Mittelpunkt einer festlichen Nagelkreuzandacht in der Sankt-Martins-Kirche stand das Thema „Vielfalt feiern“. Anschließend gab es einen Empfang und ein Podiumsgespräch im Antikriegshaus.

Foto: Jens Könecke

In der Andacht predigte Giesela Schulz mit großer Leidenschaft zum Thema „Unterschiede leben und Vielfalt feiern“. Sie schloss mit den Worten: „Vielfalt kann bunt sein und fröhlich stimmen. Einfalt kann nicht die Lösung sein. Menschen sind unterschiedlich und nicht alle gleich, aber alle haben die gleichen Rechte.“ Die gesamte Predigt können Sie hier nachlesen.

Über ihre unterschiedlichen Lebensgeschichten und ihren Weg nach Sievershausen berichteten Thu Lieke (geboren in Vietnam), Daoud (aus dem Irak) und Gesa Könecke (aus Sievershausen). Hanna Dallmeier führte in das Thema ein und stellte Fragen zu den verschiedenen Erfahrungen, Alltagsrassismus und das Erleben von Vielfalt.

Im Anschluss ging es zu Empfang und Podiumsgespräch in das Antikriegshaus. Elvin Hülser moderierte das Gespräch unter der Überschrift „Vielfalt als Chance und Herausforderung“ mit Klaus Burckhardt und Maik Bischoff aus Braunschweig. Diese gehören zu den Verantwortlichen des Projekts „Vorfahrt für Vielfalt – Fokus Israel-Palästina“. Klaus Burckhardt stellte das mit dem diesjährigen Sally-Perel-Preis ausgezeichnete pädagogische Projekt vor, das beispielhaft aufzeigen und helfen will, den Redebedarf angesichts des eskalierten Nahostkonflikts unter jungen Menschen in konstruktive Dialoge zu überführen.

Foto: Jens Könecke

Dazu gehören insbesondere jüdisch-palästinensische Dialogformate an Schulen, die einerseits zeigen, dass (und wie) Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven und Hintergründen respektvoll miteinander streiten können und die andererseits Raum für die vielen Fragen und Emotionen der Schülerinnen und Schüler lassen. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem Projekt wurden auch über die Grundlagen des Umgangs mit Vielfalt in pluralistischen Gesellschaften nachgedacht.

Nach dieser sehr gelungenen Feier geht das Nagelkreuzzentrum Sievershausen in das nächste Jahrzehnt. Wenn Sie einen Eindruck bekommen möchten, besuchen Sie doch mal eine unserer Nagelkreuzandachten immer freitags vor dem zweiten und vierten Sonntag im Monat um 18:00 in der Sankt-Martins-Kirche.

Autor:innen: Gesa Könecke, Dr. Henning Menzel

 

Predigt von Canon Mary Gregory zur Nagelkreuzübergabe an vier Hamburger Hauptkirchen

„Weggefährten der Versöhnung“

In einem feierlichen Festgottestdienst am 10. November 2024 haben die Hamburger Hauptkirchen St.Jacobi, St. Michaelis, St. Nikolai und St. Petri ein Nagelkreuz erhalten. Hier können Sie die Predigt von Mary Gregory, Kanonikerin für Kunst und Versöhnung an der Kathedrale von Coventry, nachlesen. Predigttest ist Micha 4, Vers 1-5.

Foto: Nagelkreuzgemseinschaft, Canon Mary Gregory

Vor kurzem suchte ich Rat für ein wichtiges Ereignis, auf das ich mich vorbereitete. Ich war mir nicht sicher, wie ich vorgehen sollte, wie ich mich präsentieren sollte, was ich sagen sollte. Meine Gesprächspartnerin – eine weise Frau – riet mir, von dem Ergebnis auszugehen, das ich mir erhoffte, und dann von dort aus weiterzuarbeiten; die Schritte zu planen, die mich zu diesem gewünschten Ziel führen würden. Das war ein wirklich guter Rat!

Ich möchte vorschlagen, dass wir mit der heutigen Bibellesung aus Micha etwas Ähnliches tun: Dass wir am Ende der Lesung beginnen, mit der bewegenden Beschreibung des Lebens nach der gewaltsamen Auseinandersetzung, und uns dann rückwärts durch die Lesung arbeiten, um zu planen, wie wir dorthin gelangen können.

Michas Beschreibung des Friedens mag uns sehr vertraut sein. Deshalb ist sie nicht weniger bewegend. Hört mir noch einmal zu. Uns wird die Umwandlung von Massenvernichtungswaffen in Werkzeuge zur Massenproduktion versprochen (Vers 3), damit alle satt werden. Es wird uns gesagt, dass der Kampf aus dem Lehrplan gestrichen wird, weil diese Fähigkeiten überflüssig sind – „und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen“ (Vers 4). Es wird uns versichert, dass jeder Mensch einen Platz haben wird, der ihm gehört – einen Feigenbaum oder einen Weinstock, unter dem er sitzen kann – und dass er sich nicht fürchten muss, wenn er dort sitzt (Vers 4).

Ich weiß nicht, wie ihr diese Beschreibung des Lebens nach den Feindseligkeiten charakterisieren würdet. Für mich ist sie nicht arrogant oder gierig, sondern fasst einfach die Grundlagen zusammen, die Menschen brauchen, um gut zu leben, um zu gedeihen: Nahrung, Heimat, Sicherheit. Diese Einfachheit hat etwas Wunderschönes an sich. Sie führt uns zu dem zurück, was wirklich wichtig ist: Nahrung, Heimat, Sicherheit.

Diese Dinge mögen grundlegend sein, aber wie vielen Menschen auf der Welt fehlt es daran! Wie viele Menschen hungern, haben kein Dach über dem Kopf, sind weit weg von zu Hause und werden von der lähmenden Angst wachgehalten, wie sie ihre Kinder in Sicherheit bringen sollen. Wie kommen wir um dieser Menschen und ihrer Kinder willen, um unserer eigenen Kinder willen, zu Michas Vision, zu der Zukunft, die Gott verheißt? Arbeiten wir uns rückwärts durch unsere Lesung.

Zunächst müssen wir verstehen, dass dies das Werk Gottes ist. Gott „wird richten”, sagt Micha, „Gott wird schlichten“, „Gott wird sprechen“, und diese universelle Versöhnung wird sich ereignen (Verse 3 bis 4).

Dass die Versöhnung in erster Linie Gottes Werk ist, soll uns ermutigen und trösten und ein Gegenmittel gegen die Überwältigung sein, die wir empfinden, wenn wir die Verwundbarkeit der Welt betrachten. Die britisch-somalische Dichterin Warsin Shire drückt diese Überwältigung kraftvoll aus. Sie schreibt:

later that night

I held an atlas in my lap

ran my fingers over the whole world

and whispered

where does it hurt?

It answered

everywhere

everywhere

everywhere.

später in dieser Nacht

hielt ich einen Atlas in meinem Schoß

ließ meine Finger über die ganze Welt gleiten

und flüsterte

wo tut es weh?

Er antwortete

überall

überall

überall.

Wir sehen die Nachrichten, scrollen auf unseren Handys und spüren das „Überall“, das uns in Untätigkeit erstarren lässt. Wie können wir auf das „Überall“ reagieren? Es ist zu viel für uns.

Es ist zu viel für uns, aber nicht zu viel für Gott. Das „Überall“ ist Gottes Territorium. Gott ist derjenige, der „zwischen vielen mächtigen Völkern“ (Vers 3) für Ausgleich sorgen wird. Wir müssen unseren Glauben an das Versöhnungswerk Gottes wiedergewinnen – davon sprechen, darauf hinweisen, denn die Menschen haben die Hoffnung verloren. Selbst den Gläubigen fällt es schwer, angesichts von so viel Schmerz und Verzweiflung davon zu sprechen. Wir müssen wieder sicher und selbstbewusst mit der Hoffnung umgehen können, den Menschen sagen, dass Gott der große Versöhner ist, dass Gott dies tun wird.

Aber damit sind wir noch nicht aus dem Schneider. Wir dürfen nicht passiv oder gleichgültig gegenüber den Verwerfungen sein, die uns trennen. Nein, in unserer Lesung aus Micha gehen wir noch einmal zurück: Wir sollen Gott erlauben, „uns seine Wege zu lehren“, wir sollen „in seinen Pfaden wandeln” (Vers 2). Dieses Werk der Versöhnung ist Gottes Werk und es ist auch das unsere. Hört: Die Gründungsschrift der Kathedrale von Coventry sagt: „Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber“ – uns – „und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung“ (2. Korinther 5, Vers 18).

Wir sollen offen dafür sein, dass Gott uns seine Wege der Versöhnung lehrt, und dann sollen wir ihnen folgen, nicht für das „Überall“, das Gott gehört, sondern für das „an meinem Ort“, das uns gehört. In einem Gedicht, das eine Antwort auf die Qualen des „Überall“ von Warsin Shire gibt, schreibt Gideon Heugh dies:

Do not be afraid—

to complete the repair of the world

is not why you were made.

You were created to play

only your part;

whatever is within your hands;

whatever is the now of your heart.

Habt keine Angst –

die Reparatur der Welt zu vollenden

ist nicht der Grund, warum du geschaffen wurdest.

Du wurdest erschaffen, nur

um deine Rolle zu spielen;

was immer in deinen Händen liegt;

was immer das Jetzt Deines Herzens ist.

Wenn wir uns um die Versöhnung vor Ort kümmern, um das, was in unseren Händen liegt, um das „Jetzt“ unseres Herzens, was sollen wir dann von Gott lernen? Was kennzeichnet Gottes Versöhnungswerk – und was soll also unser eigenes prägen? Ich möchte behaupten, dass Gottes Versöhnungswerk beharrlich, zärtlich und kreativ ist.

Vermutlich habt ihr noch nicht viel Zeit damit verbracht, die Genealogie am Anfang des Matthäus-Evangeliums zu lesen. Die lange Liste der Namen von Jesu Vorfahren ist vielleicht nicht sehr fesselnd. Man kann die Genealogie aber auch als Aufzeichnung von Gottes beharrlichem Bemühen um Versöhnung mit der Menschheit lesen, denn sie listet Patriarchen, Könige und Propheten auf, durch die Gott versucht hat, uns zu sich zu ziehen. Durch viele Generationen hindurch, durch Hungersnöte, Exodus, Besiedlung, Exil und Rückkehr, sind hier Gottes beharrliche Versuche zu sehen, wieder mit uns eins zu werden.

Gott ist beharrlich in der Versöhnung. Gott wird nicht aufgeben. Und Gott ist zärtlich in der Versöhnung. Durch den Propheten Hosea vergleicht Gott sich selbst mit einer Mutter, die Israel pflegt, ihm das Laufen beibringt, es sanft hochhebt, um es auf die Wange zu küssen (Hosea 11, Vers 1 bis 4). Durch Rebellion und Ablehnung hindurch bleibt diese Zärtlichkeit bestehen. Gott kann von dieser Zärtlichkeit nicht ablassen.

Gottes versöhnende Wege, denen wir folgen sollen, sind beharrlich, zärtlich und kreativ. Wie das? Schaut euch einfach die Menschen an, die Gott benutzt, die Strategien, die Gott einsetzt. In der Genealogie des Matthäus sehen wir, dass Gott in Rahab, Rut und Batseba durch eine Prostituierte, eine Ausländerin und eine Ehebrecherin auf Versöhnung hinarbeitet, und in uns selbst sehen wir, wie Gott durch gutherzige, aber zutiefst fehlerhafte Menschen auf Versöhnung hinarbeitet. Und dann sehen wir in der Menschwerdung Jesu Christi die Vorstellungskraft, die Risikobereitschaft Gottes, der das Unendliche endlich macht, um uns irgendwie zu Gott nach Hause zu bringen.

Wenn Gott uns Gottes Wege zur Versöhnung lehrt, lernen wir, dass wir beharrlich, zärtlich und kreativ sein müssen, damit wir irgendwie Gemeinsamkeiten entdecken und aus Feindschaft Freundschaft schmieden können.

Wir müssen in unserer Lesung aus Micha ein letztes Mal einen Schritt zurückgehen, um herauszufinden, was für uns heute besonders wichtig ist, wenn sich die Hamburger Hauptkirchen dem Versöhnungsnetzwerk der Kathedrale von Coventry, der Gemeinschaft des Nagelkreuzes, anschließen. „Kommt, lasst uns gehen”, sagt eine Stimme in unserer Lesung (Micha 4, Vers 2) und erinnert uns so an die Bedeutung von Gemeinschaft in diesem Werk der Versöhnung. Wir brauchen Menschen, die uns bei unserer Arbeit anspornen und aufmuntern.

Heute schließt ihr euch einer Gemeinschaft von mehr als 260 Partner:innen weltweit an, die für euch beten werden und ihre Geschichten mit euch teilen werden; die euch sagen werden: „Der Berg der Versöhnung ist steil, aber klettert weiter“. Die auch auf euch schauen werden, um sich ermutigen zu lassen, die sich darauf verlassen, dass ihr für sie beten werdet und sagen werdet: „Kommt, lasst uns gehen…“

Indem ihr heute diese Nagelkreuze empfangt, verpflichtet ihr euch erneut zum Werk der Versöhnung. Dabei denkt daran: Das „Überall“ der Versöhnung gehört Gott. Ihr seid aufgerufen, von Gott zu lernen, wie ihr beharrlich, zärtlich und kreativ in der Versöhnung sein könnt, zu der ihr aufgerufen seid – hier bei euch –, was auch immer in euren Händen liegt, was auch immer das „Jetzt“ eurer Herzen ist. Und denkt daran: Ihr seid jetzt Teil einer Gemeinschaft. Erlaubt dieser Gemeinschaft, euch zu ermutigen. Betet auch für eure neuen Schwestern und Brüder, dass ihr, die ihr jetzt zu dieser Gemeinschaft gehört, Hoffnung und neues Leben für sie seid.

Amen.

Autorin: Canon Mary Gregory, Übersetzung: Niels Faßbender

Nagelkreuz in allen fünf Hamburger Hauptkirchen

Grußwort des Vorstands

Am Sonntag (10. November 2024) erhalten die Hamburger Hauptkirchen St. Jacobi, St. Michaelis, St. Nikolai und St. Petri ein Nagelkreuz. St. Katharinen ist schon seit 1961 Nagelkreuzzentrum, das Mahnmal St. Nikolai hat seit 1995 ein Nagelkreuz. Alle Hamburger Hauptkirchen haben dann ein Nagelkreuz. Aus Anlass der Übergabe findet an dem Wochenende in Hamburg ein umfangreiches Festprogramm statt. Hier lesen Sie das Grußwort, das Niels Faßbender den Hamburger:innen im Namen des Vorstands der Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland e. V. überbracht hat.

Liebe Hamburgerinnen, liebe Hamburger,

liebe Nagelkreuzgemeinde,

1995 – ein Jahr nach dem Abitur – war ich das erste Mal in meinem Leben in dieser wunderbaren Stadt. Um genauer zu sein: Im Juni 1995, zum 26. Deutschen Evangelischen Kirchentag. Das Motto damals war Micha 6, 8: „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist“.

Damals, fünf Jahre nach der Wiedervereinigung, waren viele gesellschaftliche und wirtschaftliche Fragen unbeantwortet; für manch eine:einen verbunden mit der Hoffnung, dass uns als Antwort mehr gelingt als eine Fortschreibung der alten BRD. Mitte der 1990er Jahre war die Arbeitslosenquote in Deutschland hoch, vor allem in Ostdeutschland hatten viele Menschen ihre Arbeitsplätze verloren und bangten um ihre Zukunft. Gleichzeitig gab es in den 1990er Jahren eine Zunahme von rechtsextremen Vorfällen und Gewalt gegen Ausländer, Asylbewerber und Minderheiten. Grauenhafte Brandanschläge in Solingen und Rostock Anfang der 1990er Jahre erschütterten unser Land. Seit 1991 herrschte Krieg im ehemaligen Jugoslawien. Im Sommer 1995 wurden beim Massaker von Srebrenica über 8.000 Menschen ermordet. „Nie wieder Krieg, nie wieder Völkermord“ – welchen Wert hatten diese Mahnungen noch, mit denen wir aufgewachsen waren? Und dann war da auch noch die Physik. So langsam dämmerte uns, dass der Planet immer wärmer wird – zu warm – wenn wir so weitermachen wie bisher. Die Verabschiedung des Kyoto-Protokolls (1997) war zwar noch ein wenig entfernt, aber der Druck zur Entwicklung einer globalen Umweltpolitik war bereits deutlich zu spüren.

„Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist“! Für die, die es noch nicht verstanden haben, bringt Micha es auf den Punkt: „Nichts als Recht tun, Güte lieben und demütig sein vor deinem Gott“.

  • In einer Zeit, in der viele mit Ungerechtigkeit konfrontiert waren, etwa durch Arbeitslosigkeit oder gesellschaftliche Benachteiligungen, erinnert uns der Prophet daran, dass die Suche nach sozialer Gerechtigkeit wichtig ist. „Recht tun“ bedeutet, für Gerechtigkeit einzutreten, im Wirtschaftlichen wie im Sozialen.
  • Gesellschaftliche Spannungen und Ängste, rechtsextreme Gewalt, Fremdenfeindlichkeit, das Schicksal der Flüchtlinge: „Güte lieben“ bedeutet, Menschen nicht aufgrund von Herkunft oder Hintergrund oder welcher Merkmale auch immer abzulehnen, sondern ihnen mit Wertschätzung und Mitgefühl zu begegnen.
  • In Zeiten schnellen Wandels durch Globalisierung und Technologie neigen wir Menschen zu glauben, dank unbegrenzten Fortschritts und Wachstums trotz aller ungelösten Fragen die Kontrolle zu behalten. „Demütig sein vor deinem Gott“ mahnt uns, unsere Grenzen zu respektieren – in der Natur, in der Gesellschaft und im Umgang miteinander.

Jetzt, fast dreißig Jahre später, bin ich wieder in Hamburg, mal wieder. Es war uns doch gesagt, Mensch, was gut ist. Ist die Welt seitdem eine bessere geworden?

Vermutlich haben viele von ihnen vorgestern Abend ähnlich fassungslos wie ich vor dem Fernseher gesessen. Ausgerechnet Donald Trump, der in seinem Wahlkampf gegen Ausländer gehetzt, den Reichen Steuersenkungen versprochen und eine Rücknahme der Klimaschutzmaßnahmen seines Vorgängers angekündigt hat – ausgerechnet dieser Donald Trump verspricht bei seinem ersten Auftritt nach dem Wahlsieg, er werde das Land „heilen“. Und als ob das – neben Ukraine, Nahem Osten, AfD, Klimawandel usw. nicht genug wäre – platzt dann in den Abend auch noch die Nachricht: Die Ampel ist Geschichte. Preisanstiege, einstürzende Brücken, drohender wirtschaftlicher Abschwung. Und heute erschüttern uns die Nachrichten aus Amsterdam, wo gestern israelische Fußballfans angegriffen und verletzt wurden.

Mensch, ist uns wirklich gesagt, was gut ist? Ja, das ist es. Um mit Erich Kästner zu sprechen: „Es gibt nichts Gutes. Außer man tut es.“ Gibt es sie noch, die Menschen, die Gutes tun?

Ja, die gibt es! Genau deswegen sind wir heute Abend hier zusammengekommen. Deshalb ist Mary Gregory, Canon an der Kathedrale von Coventry, an diesem Wochenende hier in Hamburg. Deshalb bin ich an diesem Wochenende als Mitglied des Vorstands der Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland e. V. bei Ihnen. Deshalb sitzen Sie vermutlich alle hier. Deshalb haben Sie, liebe Mitarbeiter – haupt- wie ehrenamtlich – der Hamburger Hauptkirchen für dieses Wochenende ein großartiges Festprogramm auf die Beine gestellt. Deshalb erhalten die Hamburger Hauptkirchen St. Nikolai, St. Petri, St. Michaelis und St. Jacobi am Sonntag das Nagelkreuz von Coventry. Deshalb hat St. Katharinen schon seit 1961 ein Nagelkreuz, das Mahnmal St. Nikolai am Hopfenmarkt schon seit 1995.

Und warum? Weil euch gesagt ist, Hamburger:innen, was gut ist. Und weil ihr nicht nur darüber redet, sondern weil ihr handelt. Weil ihr seit vielen Jahren Gutes tut in dieser Stadt.

In St. Jacobi:

  • begegnen sich bei interreligiösen Frauennachmittagen Christinnen und Muslima
  • plant die „Soziale Initiative City“ zum Wohle kranker und obdachloser Mitbürger,
  • sind einmal im Jahr Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben, zu St. Jacobs Mahlzeit eingeladen; sie sitzen als Gäste an einem feierlich gedeckten Tisch und werden mit einem Drei-Gänge-Menü bedient.

Sie verzeihen mir, dass ich unmöglich alles aufzählen kann, hier wie bei den weiteren künftigen Nagelkreuzzentren, sondern nur Beispiele nenne – es ist Wahnsinn, wieviel Gutes in dieser Stadt passiert!

In St. Michalis:

  • konnten zwei Glocken, die im ersten Weltkrieg eingeschmolzen worden waren, mithilfe von Spenden neu gegossen werden. Eine der Glocken ist als Friedensglocke geweiht und trägt in vier Sprachen das „Vater vergib“ aus dem Versöhnungsgebet von Coventry. Zusammen mit dem Gebetsbitten des Vaterunser steigt diese Friedensbitte auf über die Stadt und das Land und in den Himmel, wann immer die Glocke beim Vaterunser angeschlagen wird.
  • Michaelis ist ein wichtiger Ort des Gedenkens und Erinnerns: Am 27. Januar zusammen mit der Hamburger Autorenvereinigung an die Opfer des Holocaust. Rund um den 20. April an die von den Nazis ermordete Kinder vom Bullenhuser Damm. Rund um den 9. November zusammen mit der katholischen Nachbargemeinde St. Ansgar-Kleiner Michel an die Opfer der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft. Am Volkstrauertag als Ort zentralen Gedenkens von Senat, Bürgerschaft und Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge.

St. Nicolai:

  • ist Eigentümerin des historischen Kirchturms, der bei den Luftangriffen im Sommer 1943 zerstört wurde. Regelmäßig finden an dem Mahnmal Andachten statt, bei denen auch das Versöhnungsgebet von Coventry gesprochen wird. Einige werden sich an den Besuch von König Charles III. im Frühjahr 2023 in Hamburg erinnern, als er am Mahnmal St. Nikolai einen Kranz niederlegte und dort das Versöhnungsgebet gesprochen wurde.
  • Eine Stolperstein-Projektgruppe befasst sich mit den Lebensgeschichten jüdischer Bürger:innen, die während der nationalsozialistischen Herrschaft verfolgt und ermordet wurden, und organisiert Patenschaften für neue Stolpersteine.
  • Gemeindeglieder haben Paketaktionen für ukrainische Schüler:innen organisiert. In Kooperation mit „Hege Helping Hands“ betreibt St. Nicolai eine Tafel „Mit Laib und Seele”. Und in Kooperation mit der Wichernschule werden jährlich Kinder-Bischöf:innen eingesetzt, die für die Rechte von Kindern eintreten.

St. Petri;

  • ist wegen ihrer örtlichen Nähe zu Rathaus und Bürgerschaft immer wieder Ort für Gottesdienste in existentiell belastenden Situationen für die Stadtgesellschaft, zum Beispiel für die Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr und Notfallseelsorgeteams nach dem Amoklauf im März 2023.
  • Jeden Donnerstag gibt es einen Mittagstisch für Bedürftige Menschen, bei dem es mit der leiblichen Unterstützung auch um Gemeinschaft und Wertschätzung für Menschen geht, die üblicherweise ausgegrenzt werden.
  • Einen besonderen Schwerpunkt bilden die Verständigung zwischen den christlichen Kirchen und der Dialog mit anderen Religionen. Es gibt ökumenische Gottesdienste, Vorträge und Diskussionsveranstaltungen, um das gegenseitige Verständnis zu vertiefen.

„Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist“. Das liebe ich an euch Hanseaten. Nicht lange schnacken. Einfach machen!

Nein, die Welt ist in den letzten dreißig Jahren nicht besser geworden. Trotzdem erhalten am Sonntag vier Hauptkirchen das Nagelkreuz von Coventry. In allen Hamburger Hauptkirchen wird dann ein Nagelkreuz stehen. Ich wünsche uns, dass die Kreuze, wo immer wir sie sehen, uns ermutigen und vergewissern:

Eine bessere Welt ist denkbar. Wir dürfen daran glauben. Hier steht dieses Nagelkreuz, weil genau hier ein Teil dieser besseren Welt verwirklicht ist. Es ist Dir gesagt, Mensch, was gut ist.

Hier beten und arbeiten Menschen, die Angst, Zerstörung, Hass und Krieg nicht das letzte Wort überlassen. Hier beten und arbeiten Menschen, die mich und dich so annehmen, wie Gott uns angenommen hat. Hier beten und arbeiten Menschen, mit denen wir nicht nur in unserem christlichen Glauben, sondern auch im Geist von Coventry in der weltweiten Nagelkreuzgemeinschaft für eine friedlichere, gerechtere und versöhntere Welt verbunden sind.

Es ist uns gesagt, Menschen, was gut ist.

Ich freue mich sehr, dieses Wochenende hier bei Ihnen in Hamburg zu sein. Ich grüße Sie sehr herzlich im Namen des Vorstands der Nagelkreuzgemeinschaft. Wir freuen uns riesig, dass Sie mit Ihrer beeindruckenden Versöhnungsarbeit nun bald offiziell Nagelkreuzzentren und Mitglieder unseres Vereins sind. Ich danke allen, die mit mit viel Kraft und Zeit jeden Tag dazu beitragen, dass diese Welt ein Stück besser wird. Ich danke auch allen, die dieses Wochenende organisiert haben und natürlich Mary Gregory, die aus Coventry zu uns gekommen ist und auf deren Vortrag ich jetzt sehr gespannt bin. Auf eine gute Zusammenarbeit! Auf ein gelungenes Wochenende!

Liebe Nagelkreuzgemeinde, liebe Menschen in Hamburg und in unserer weltweiten Gemeinschaft: es ist uns gesagt, was gut ist.

Glück auf!

Autor: Niels Faßbender

 

Internationaler Nagelkreuzsonntag 2024: Oliver Schuegrafs Predigt zum Michaelistag in Coventry

Am 29. September 2024 war internationaler Nagelkreuzsonntag und zugleich Gedenktag des Erzengels Michael. In der Kathedrale von Coventry wurde deshalb nicht nur die Verbundenheit unserer Gemeinschaft in Gebet und im Versöhnungsdienst gefeiert, sondern auch an den Heiligen Michael erinnert, den Namensgeber der Kathedrale. Unser Vorsitzender und Ehrenkanoniker der Kathedrale, Dr. Oliver Schuegraf, hielt die hier dokumentierte Predigt. Sie orientiert sich am Vorschlag der Arbeitsgruppe, die die liturgischen Bausteine für den diesjährigen Nagelkreuzsonntag erarbeitet hatte, und die sich in diesem Jahr aus Mitgliedern der deutschen Nagelkreuzgemeinschaft zusammensetzte. Predigttext ist Genesis 3, Verse 1 bis 13 und 23-24. Die vorgeschlagenen Bausteine für den Nagelkreuzsonntag– auch aus vergangenen Jahren – finden Sie auf hier.

Der Heilige Michael ist nicht immer derselbe Heilige Michael. In der Kunstgeschichte kann er ganz unterschiedliche Erscheinungsbilder haben. In der Kirche meiner ehemaligen Gemeinde hatten wir eine Figur des Heiligen Michael direkt über dem Altarraum. Er war einer dieser niedlichen Barockengel. Ein bisschen pausbäckig, freundlich aussehend. Wie anders ist der Heilige Michael von Coventry. Überlebensgroß, mit ausgebreiteten Armen und Beinen. Ein Speer in seinen Händen. Hoch aufragend über der gefesselten Gestalt des gehörnten Teufels. Außerdem ist dieser besiegte Teufel in Coventry kein Drache, sondern eine menschliche Figur.

Jacob Epstein: St Michel’s Victory over the Devil, Bronze, Coventry 1958. Foto: Nagelkreuzgemeinschaft

Wenn Sie das Buch der Offenbarung kennen, wissen Sie, wer dieser Drache mit menschlichen Zügen ist. Er ist kein anderer als die alte Schlange, der Versucher aus der Paradieserzählung.

Wir feiern heute nicht nur das Patronatsfest der Kathedrale, sondern auch den Nagelkreuz-Sonntag. Die deutsche Nagelkreuzgemeinschaft wurde in diesem Jahr gebeten, das Material für diesen Sonntag zusammenzustellen, der hoffentlich alle Partner in unserem internationalen Versöhnungsnetzwerk miteinander verbindet. Und unsere deutsche Vorbereitungsgruppe hat beschlossen, sich mit der Geschichte von Adam und Eva – und der Schlange – näher zu befassen.

In Ihrem Gottesdienstheft finden Sie eine Illustration zu dieser bekannten Geschichte. Die Abbildung zeigt ein Detail der Bronzetüren des Hildesheimer Doms. Sie sind über eintausend Jahre alt und gehören zu den frühesten Beispielen für figürlich-plastische Darstellungen biblischer Geschichten. Die Menschen des frühen Mittelalters müssen davon überwältigt gewesen sein. Insgesamt haben die Türen eine Höhe von fast fünf Metern. Das Herantreten an das Portal muss atemberaubend gewesen sein. Die Gläubigen bestaunten die Tür und wurden mit einer bildlichen Reise der ersten Menschen in immer tiefere Verstrickung in Schuld, immer größere Entfernung von Gott, immer größere Nähe zum Bösen konfrontiert.

Schauen wir uns die Szene genauer an. Es wird ein Spiel des Mit-dem-Finger-Zeigens dargestellt: Adam und Eva haben getan, was sie nicht hätten tun sollen. Gott zeigt mit dem Finger auf sie. „Du, Adam! Warum hast du von der verbotenen Frucht gegessen?“ Gott will eine Antwort von seinem Geschöpf. Man könnte sagen, er macht ihn verantwortlich. Und Adam? Er sieht unglücklich aus. Kein Zweifel: Er weiß genau, was richtig und falsch ist. Er weiß, was richtig ist, und doch tut er, was falsch ist. Er wendet seinen Blick ab, duckt sich weg und schiebt die Verantwortung einfach ab. Noch mehr Zeigen-mit-dem-Finger: „Ich war es nicht! Sie war es!“ Er sieht bemitleidenswert aus, wie er so verzweifelt versucht, sein Feigenblatt festzuhalten, die Schuld auf Eva zu schieben und so unschuldig wie möglich zu erscheinen.

Wir Menschen haben ein ganzes Repertoire an Strategien, um mit Schuld und schlechtem Gewissen umzugehen. Eine Strategie ist das Abwälzen der Schuld. Adam ist ein Experte in dieser Taktik.: „Die Frau, die du mir gegeben hast, um mit mir zusammen zu sein“, sagt er. „Sie hat mir die Frucht gegeben“. Das ist natürlich etwas ganz anderes als zu sagen: „Die Frucht sah gut aus. Ich habe das Angebot gerne angenommen.“ Man könnte fast meinen, er sei gezwungen worden, die Frucht zu essen, und habe keine Möglichkeit gehabt, sich zu wehren. Adam, was übersetzt „Mensch“ heißt – und oft genug bedeutet: wir – zeigt mit dem Finger auf jemand anderen, und auf dem ausgestreckten Finger rutscht die Schuld von einer Person zur nächsten.

Neben der Schuldverschiebung ist noch eine zweite Strategie am Werk. Adam scheint sein Handeln auch zu normalisieren, nach dem Motto: „So falsch kann es doch nicht sein, das macht doch jeder.“ Die Grenzen zwischen anständigen und fragwürdigen Handlungen beginnen sich zu verschieben. „Die Frau hat von der Frucht gegessen, warum sollte ich nicht auch einen Bissen nehmen?“

Und Eva? Sie wendet die gleiche Strategie an wie Adam: „Ich konnte nicht anders, die Schlange hat mich verführt“, sagt sie und will mit dem ausgestreckten Zeigefinger die Schuld auf den nächsten in der Reihe abwälzen: Sie reicht den Schwarzen Peter an die Schlange zu ihren Füßen weiter, die ein bisschen wie ein kleiner Drache aussieht. Eva sieht unglücklich, fast flehend aus, scheinbar im vollen Bewusstsein, dass etwas zerstört wurde, als sie Gottes Gebot nicht gehorchte. Wenn sie doch nur all das ungeschehen machen könnte! Im Gegensatz zu Adam schafft sie es, Gott anzuschauen, sich dem Vorwurf zu stellen. Aber es fällt ihr zu schwer, Verantwortung zu übernehmen.

Hier kommt eine dritte beliebte Strategie zum Tragen: die Verharmlosung. Eva nimmt einen Teil der Schuld auf sich, spielt aber die ganze Angelegenheit herunter: „Es war nur ein kleiner Bissen. Ich habe die Frucht kaum mit den Lippen berührt…“ Die Verharmlosung ist wie ein winziges Schuldeingeständnis, wenn man auf frischer Tat ertappt wurde, und damit ein winziges Stückchen „Recht“ in all dem Unrecht.

Wenn wir uns das ganze Relief noch einmal anschauen, zeigt sich ein bestimmtes Muster, das die Figuren miteinander verbindet: Es beginnt mit dem prüfenden Blick Gottes und seinem Zeigefinger, über Adams abgewandte Augen zu Eva, über ihren Rücken und ihre Beine zu der sich nach oben windenden Schlange. Wir sehen eine Spirale von Schuld und Abwälzung der Verantwortung.

Erst fünfhundert Jahre nach der Entstehung dieser Bronzetafel hat Martin Luther einen Begriff für das Dargestellte geprägt: Der Mensch ist „incurvatus in se ipsum“, in sich selbst gekrümmt. Wir sind so verbogen und krumm, dass wir gar nicht merken, wie egozentrisch wir sind, wie wir uns von Gott abwenden, nicht nach seinem Willen fragen, seine Gnade nicht sehen.

Hildesheimer Dom: Bernwardstür (Detail), Bronze, Hildesheim ca. 1015. Foto: Nagelkreuzgemeinschaft

So realistisch und vertraut das Verhalten von Adam und Eva ist, so sehr gibt uns die Bibel, Gott sei Dank, auch andere, gute Vorbilder. Denken Sie nur an den barmherzigen Samariter in Lukas 10. „Als er den Verwundeten sah, hatte er Mitleid mit ihm. Er ging zu ihm hin, behandelte seine Wunden mit Öl und Wein und verband sie. Dann setzte er ich auf sein eigenes Reittier, brachte ihn in ein Gasthaus und pflegte ihn.“ Auf den ersten Blick mag seine Körperhaltung der von Adam ähneln, aber seine Handlungen sind das genaue Gegenteil: Auch der Samariter bückt sich, er beugt sich zu Boden, aber er tut es, um aufzurichten. Er kümmert sich um den verletzten Mann. Wie leicht hätte er eine ganze Reihe von Ausreden finden können, um nicht zu helfen:

Erinnern Sie sich an die Verharmlosung? „Das ist doch nur ein Israelit. Gut, dass wir ihn los sind!“ Abwälzung der Schuld: „Ich habe ihn nicht geschlagen, also muss ich mich nicht um seine Wunden kümmern.“ Oder Normalisierung: „Wenn zwei seiner eigenen Leute einfach vorbeigegangen sind, warum sollte ich dann helfen?“ Aber er bagatellisierte nicht, er wälzte die Schuld nicht ab, er versuchte nicht, die Situation zu normalisieren.

Er sah in dem Verletzten einen einen Fingerzeig Gottes. Vielleicht hat er erkannt, dass es eher eine Ehre ist, wenn Gott mit dem Finger auf uns zeigt. Es bedeutet, dass Gott uns nicht auf die leichte Schulter nimmt, im Gegenteil. Er betraut uns mit Verantwortung. Trotz all unserer Fehler will er uns immer noch in die Augen sehen.

Und denken Sie daran: Ja, Adam und Eva wurden aus dem Garten Eden vertrieben und die Cherubim – weitere Engel mit Speeren für das heutige Patronatsfest – wurden eingesetzt, um die Rückkehr ins Paradies unmöglich zu machen. Doch Gott hat die beiden nicht einfach im Stich gelassen. Bevor er sie wegschickte, gab er ihnen Kleidung; sie sollten geschützt bleiben.

Wie steht es mit uns heute? Klimawandel, bewaffnete Konflikte rund um den Globus, Ungerechtigkeiten auf allen Ebenen, Aushöhlung gemeinsamer Überzeugungen in der Gesellschaft – was kann der Einzelne tun? Unsere Ohren sind jetzt geschult: Trivialisierung! „Ich bin ganz allein. Mein kleiner Beitrag macht keinen Unterschied.“ Der Samariter hat uns gezeigt, dass das nicht stimmt. Er war nur einer, ein Außenseiter noch dazu, und er hat weder die Welt gerettet noch den Konflikt zwischen Samaritern und Israeliten beendet. Aber für den, der halbtot im Graben lag, machte er den Unterschied aus.

Beziehen wir Stellung, wenn sich die Positionen in der Gesellschaft verschieben, wenn Feindseligkeiten zu verbalen und körperlichen Übergriffen eskalieren? Wenn einige Leute immer wieder sagen, dass Fremde, Migranten an allem schuld sind, dann ist es leicht zu glauben, dass alle so denken. Soll ich mich also dem wütenden Mob auf der Straße anschließen? Ist es wirklich so schädlich, radikale und extremistische Parteien zu wählen? Ich will nur ein Zeichen des Protests gegen die etablierten Parteien setzen. So schlimm werden sie nicht sein.

Der Samariter interessierte sich weder für Politik noch für die Feindseligkeiten zwischen seinem Volk und den Israeliten. Er sah einen Menschen in Not und kümmerte sich um ihn, denn es sollte nicht normal sein, dass jemand halbtot in einem Graben liegt. Er versicherte ihm sogar: „Ich werde wiederkommen.“ Er baute eine Beziehung auf, anstatt bequem Vorurteilen oder der Führung anderer zu folgen.

Ein weiteres Beispiel: Schuldverschiebung ist eine Strategie, die wir oft anwenden, wenn es um Entscheidungen geht, die wir als Kunden und Verbraucher treffen: „Ich kann nichts dafür. Ich kann nur das kaufen, was angeboten wird.“ Das stimmt. Aber muss ich den Kauf wirklich tätigen? Auch wenn ich weiß, dass die Produktion meiner Lebensmittel, meiner Kleidung, meiner Elektronik auf Ausbeutung beruht und auf Kosten der Gesundheit und des Lebens anderer geht? Wir wissen bereits, was wir von dem Argument „aber das macht doch jeder“ zu halten haben. Mein Kauf ist meine Entscheidung und damit meine Verantwortung. Meine Kaufverweigerung ist auch eine Entscheidung. Das Angebot wird sich ändern, wenn sich die Nachfrage ändert. „Aber ich allein kann doch nichts ändern!“ Das haben wir doch schon einmal gehört, oder?

Dr. Oliver Schuegraf. Foto: Martin Williams

Es ist uns nicht möglich, den Weg zurück ins Paradies zu finden, der Wiedereintritt wird von den wachenden Cherubim verweigert. Dennoch können wir versuchen, die Welt, in der wir leben, zu einem besseren Ort zu machen. Diese Aufgabe ist langwierig, mühsam, manchmal lohnend und oft frustrierend. Dennoch ist Nichtstun angesichts der Herausforderungen, vor denen wir stehen, keine Option. Es lohnt sich, nicht auf die Schlange zu hören, die uns mit der bösen Botschaft verführt: Es ist normal, es ist keine große Sache, es ist die Schuld der anderen.

Es ist die Mühe wert, nicht krumm und in sich gekrümmt zu bleiben. Im Vertrauen auf Gottes Gnade können wir aufrecht stehen und all jene Situationen und Menschen aufrichten, die Freiheit, Gerechtigkeit, Fairness und Solidarität brauchen. Wir können auf den ausgestreckten Finger Gottes mit einem klaren „hier bin ich“ antworten. Erstaunt, vielleicht sogar dankbar, dass er uns immer noch sein Vertrauen schenkt und uns Verantwortung anvertraut, so dass wir uns weder vor ihm verstecken noch in Scham vor ihm beugen müssen. Das möge Gott uns allen schenken. Amen.

Autor: Dr. Oliver Schuegraf, Übertragung ins Deutsche: Niels Faßbender.

 

Das Kreuz mit der Versöhnung

16.Versöhnungstag der Nagelkreuz Region Berlin-Brandenburg am Samstag, 16. November 2024 (10-15 Uhr)  

Liebe Schwester und Brüder in den Nagelkreuzzentren im Raum EKBO,

herzlich bitten wir Euch, in den Kalendern schon einmal das Datum unseres nächsten Versöhnungstages festzuhalten: Wir treffen uns wieder am Samstag, dem 16. November 2024.

Wir beginnen um 10 Uhr, mit einer Andacht, diesmal in der Kapelle der Versöhnung (Bernauer Straße 4, in 10115 Berlin). Wir laden Euch ein in die Evangelische Versöhnungsgemeinde Berlin-Wedding. Hintergrund ist die Verleihung des Nagelkreuzes in der Kapelle der Versöhnung vor 25 Jahren. Damals, im Jahre 1999, war Paul Oestreicher zu uns an die einst durch die Mauer geteilte Straße gekommen, zu der gerade erst aus Lehm und aus dem Schutt der zerstörten Versöhnungskirche errichteten, neuen Kapelle. Hier im Foto ist Paul Oestreicher noch an der Ausgrabungs-Baustelle zu sehen, in der Hand hält er das Modell der Skulptur „Reconciliation“, der britischen Künstlerin Josefina da Vasconcellos.

Nach dem Beginn in der Kapelle der Versöhnung gehen wir über die Bernauer Straße hinüber zu unserem Tagungssaal, der sich im Besucherzentrum der Stiftung Berliner Mauer befindet (in der ersten Etage). (Anschrift: Bernauer Straße 119, 13355 Berlin). In der Vorbereitung wählten wir das Motto „Das Kreuz mit der Versöhnung“ – aufgrund der uns bewegenden verwirrenden kriegerischen Ereignisse, vor allem in der Ukraine, Israel und Palästina. Sichtweisen auf die Versöhnungsarbeit angesichts dieser unversöhnlichen Konflikte wollen wir bedenken und ermutigende Ansätze stärken. Dazu gibt es von 11 – 12 Uhr vorbereitete kurze Impuls-Referate, und anschließend ein Podium.

Wir sind gespannt auf den Tag des Austausches mit seinen Impulsen und Sichtweisen auf die Versöhnungsarbeit, die aktuell so außerhalb jeglicher Diskussion ist – weil die Frage der Waffenlieferungen und der weiteren nuklearen Hochrüstung so im Vordergrund steht.  Nicht zuletzt wird es auch Zeit geben für eine Exkursion über den Erinnerungsort Bernauer Straße, von seinen kirchlichen Arbeitsfeldern hergesehen. Wir freuen uns, wenn Ihr am 16. November bei uns zu Gast sein könnt – bringt gern Interessierte mit!

Herzlich grüßt Thomas Jeutner

Ein Bild, das Kleidung, Person, draußen, Menschliches Gesicht enthält. Automatisch generierte Beschreibung

Pfarrer Thomas Jeutner; 0178-1870 219

Gemeinde: Bernauer Str. 111, D-13355 Berlin; Tel. 49(030)-463 60 34

Kapelle: Bernauer Straße 4, (Einmündung Hussitenstr.); D-10115 Berlin

www.versoehnungskapelle.de

Dekan John Witcombe: Ein Besuch der St.-Pauls-Kathedrale, Odessa

Foto: Igor Nazarenko

John Witcombe, Dekan von Coventry, hat vom 4. bis 6. Juli 2024 die St.-Pauls-Kathedrale in Odessa/Ukraine besucht, ebenfalls ein Nagelkreuzzentrum. In einer bemerkenswerten Predigt im Sonntagsgottesdienst am 14. Juli 2024 in der Kathedrale von Coventry hat er über den Besuch berichtet und reflektiert. Wir haben den Text für Sie übersetzt und dokumentiert.

Kürzlich war ich zu einer Reise in die Ukraine eingeladen, um die lutherische St.-Pauls-Kathedrale in Odessa, eines unserer Nagelkreuzzentren, zu besuchen. Ich war schon einmal dort, nämlich 2013. Das war mein erstes Jahr als Dekan an der Kathedrale von Coventry, und zugleich das Jahr, in dem die St.-Pauls-Kathedrale Mitglied der Nagelkreuzgemeinschaft wurde. Seinerzeit ging es vor allem um die Anerkennung einer Kirche, die nach dem Ende der Sowjet-Ära renoviert und für Gottesdienste wiedereröffnet worden war. In Wahrheit war mir nicht wirklich klar, welche Bedeutung ihr Beitritt zur Nagelkreuzgemeinschaft haben würde. Aber schon kurz darauf, parallel zur russischen Annexion der Krim im Jahr 2014, brachen in der Ukraine zivile Unruhen aus. Wie wir erfuhren, trugen Gemeindemitglieder der St.-Pauls-Kathedrale das Nagelkreuz an Straßenecken. Um das Kreuz herum versammelten sich Christen vieler verschiedener Kirchen, um für Frieden zu beten.

Das war, bevor im Februar 2022 die Invasion in vollem Umfang begann. Der neue Pastor der Kirche, Alexander Gross, hatte mich gebeten, die Kirche anlässlich ihres 170-jährigen Bestehens schon im letzten Sommer zu besuchen. Das war letztlich nicht möglich. In diesem Sommer erneuerte Arne Bölt die Einladung. Ich hatte ihn zuvor schon in Rostock getroffen, wo er im Nagelkreuzzentrum Ev. Innenstadtgemeinde mitarbeitet. Er ist außerdem Mitglied des Leitungskreises der deutschen Nagelkreuzgemeinschaft und verbrachte im Rahmen eines Sabbaticals einige Monate in Odessa. Die deutsche Nagelkreuzgemeinschaft hatte die Installation eines Sockels und eines Kunstwerks für das Nagelkreuz in der Kirche unterstützt. Ich war gebeten worden, die Installation zu segnen und ein wenig Zeit mit der Kirche und der Bürgergemeinde zu verbringen.

Anmerkung der Redaktion: Einen Bericht von Arne Bölt über seine Zeit in Odessa und das Kunstwerk finden Sie hier.

„Manchmal besteht unsere Aufgabe als Friedensstifter einfach darin, zu kommen, Solidarität zu zeigen und Zeugnis abzulegen“

Foto: Igor Nazarenko

Es stellte sich heraus, dass es genau der richtige Zeitpunkt für einen Besuch war. Manchmal passieren solche Dinge einfach. Die beiden Töchter von Pastor Gross waren von ihrem Studium in Amerika zurück und konnten übersetzen, und die ganze Familie reiste am nächsten Tag zu einem Jugendlager in die Tschechische Republik. Arne konnte mich vom Flughafen in Moldawien abholen und mich über die Grenze nach Odessa bringen. Mehrere Mitglieder der örtlichen christlichen und zivilen Gemeinschaft waren bei meinem Vortrag anwesend. Am nächsten Tag kam es erneut zu russischen Angriffen im ganzen Land.

Manchmal besteht unsere Aufgabe als Friedensstifter einfach darin, zu kommen, Solidarität zu zeigen und Zeugnis abzulegen. Ich kann zwei Dinge bezeugen:

Erstens, dass das Leben in Odessa auf eine Weise weitergeht, die ganz normal zu sein scheint. Jemand dort sagte: „Wir verbringen nicht unsere ganze Zeit damit, uns einen Weg durch Bombenkrater zu bahnen.“ Wir saßen an einem Sommerabend im Freien und gingen auf der schönen, von Bäumen gesäumten Promenade oberhalb des Hafens spazieren, wir hörten den Straßenmusikern zu und genossen die Atmosphäre.

Zweitens, dass darunter eine ständige existenzielle Bedrohung durch Angriffe liegt und dass an meinem zweiten Abend Sirenen und Explosionsgeräusche in nicht allzu weiter Entfernung meinen Schlaf nahezu unmöglich machten.

„Ich bin kein Held“

Mitten in meinem Vortrag über die Arbeit von Coventry im Bereich Frieden und Versöhnung am Freitagmorgen wurde ich von Vladimir, einem der Organisatoren, unterbrochen. Er teilte mit, dass ein Raketenangriff angekündigt worden sei, und fragte, ob ich in den Luftschutzkeller gehen wolle. Ich wusste nicht so recht, was ich sagen sollte. Deshalb fragte ich die anderen, was sie tun würden. „Wir würden einfach hier bleiben“, sagten sie, aber ich müsse selbst entscheiden. Ich sagte, dass ich ebenfalls bleibe. Später, beim Mittagessen, wurde mir klar, wie viel meinen das meinen Gastgebern bedeutete. „Wir müssen hier bleiben“, sagten sie. „Das ist unsere Heimat, hier sind unsere Familien zu Hause. Du müsstest nicht hier sein, trotzdem hast du dich entschieden zu kommen. Das bedeutet uns sehr viel.“

Foto: Igor Nazarenko

Ich bin kein Held. Ich fühlte mich nicht besonders unsicher, als ich in die Ukraine reiste. Ich hatte meinen Gastgeber Arne und Lesya, meine Kontaktperson in Coventry, gefragt, ob es unvernünftig sei, in ein Kriegsgebiet zu fliegen. Auf der Website der Regierung ist es als rote Zone gekennzeichnet, in die man nicht reisen sollte. Aber man hatte mir gesagt, es sei in Ordnung. Und alles, was wir tun, hat ein Risiko. Also treffen wir unsere Entscheidungen auf der Grundlage dessen, was das Richtige ist, und im Gespräch mit den Menschen, die uns am nächsten stehen. Meine Frau Ricarda sagte: „Natürlich musst du hinfahren. Wozu ist die Nagelkreuzgemeinschaft da, wenn nicht, um einer Bitte nachzukommen, bei denen zu sein, die in einen Konflikt verwickelt sind?“

Also flog ich hin, um Zeugnis abzulegen, um bei ihnen zu sein und um ihre Geschichte nach Coventry zu bringen. Aber ich bin auch nach Odessa gereist, um von Coventry Zeugnis abzulegen, von unserer Geschichte, für sie. Was haben wir aus unserer Geschichte zu sagen? Wir haben zwei Dinge zu sagen:

„Wir kämpfen gegen das Böse und müssen uns gegen einen Angreifer verteidigen“

Das eine ist die existentielle Realität, dass Gottes Wille die Versöhnung aller Dinge ist. Es ist die Realität, die Propst Howard, der Leiter der Kathedrale, als sie bombardiert wurde, mit seinen Worten am Weihnachtstag 1940 bezeugte: „Wir versuchen, so schwer es auch sein mag, alle Gedanken an Rache zu verbannen… Wir werden versuchen, eine gütigere, einfachere, Christuskind-ähnlichere Welt in den Tagen nach diesem Konflikt zu schaffen.“ Doch in diesem Zusammenhang einfach von Versöhnung zu sprechen, kann – wie 1938 Chamberlains Aufruf zum Appeasement – wie eine Forderung wirken, dem Aggressor nachzugeben. Und viele in der Ukraine haben das Gefühl oder befürchten, dass der Westen genau das von ihnen verlangt.

Deshalb müssen wir uns auch an das andere erinnern, was Propst Howard in derselben Radiosendung sagte: „Wir rüsten uns, um die gewaltige Aufgabe, die Welt vor Tyrannei und Grausamkeit zu retten, zu Ende zu bringen… wir sind in tapferer Stimmung und können dem Empire ein tapferes Weihnachtsfest wünschen.“ Als ich für diese Predigt recherchierte, fiel mir auf, dass ich diese Zeilen normalerweise aus meinen Vorträgen entfernt habe. Tatsächlich stehen sie im selben Absatz wie seine Ablehnung der Rache. Die Sache ist die: Zwar sprechen wir von der größeren Hoffnung auf Versöhnung und halten an ihr als unserem Endziel fest. Aber wir kämpfen vielleicht gerade jetzt gegen das Böse, kämpfen wirklich, müssen uns gegen einen Angreifer verteidigen – auch wenn wir an der letzten Hoffnung auf Frieden festhalten.

Es war wirklich wichtig, dies in der Ukraine zu sagen. Nicht immer, wenn wir es wollen, können wir Versöhnung erreichen. Meine Gastgeber in Odessa sagten mir, meine schönen Worte – sich um einen Tisch zu versammeln, mutig unsere Unterschiede zu erforschen, Kunst zu nutzen, um uns zusammenzubringen – wären vor 2014, als Russland auf der Krim einmarschierte, vielleicht gut gewesen. Aber jetzt sei etwas anderes gefragt: Frieden mit Gerechtigkeit. Wir können nur mit denjenigen einen wirklichen Dialog führen, die bereit sind, die Wahrheit anzuerkennen und Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen.

Auferstehung, Versöhnung und Verantworung: „Eine Kultur des Friedens und der Gerechtigkeit schaffen“

„Resurrection“ und „Reconciliation“, Auferstehung und Versöhnung, sind die beiden Schlüsselbegriffe von Coventry. Einer meiner Gastgeber sagte zu mir: „Ich habe ein drittes ‚R‘ für dich: ‚Responsibility‘, Verantwortung.“ Damit traf er einen wichtigen Punkt: Auferstehung, Versöhnung und Verantwortung werden uns helfen, auf dem Weg zu einem gerechten Frieden voranzukommen. So lautet inzwischen auch der dritte Leitsatz unserer Nagelkreuzgemeinschaft: „Building a culture of peace an justice“ – „eine Kultur des Friedens und der Gerechtigkeit schaffen“.

Autor: John Witcombe, Hochwürdiger Dekan von Coventry