Berichte aus der Nagelkreuzgemeinschaft und den Nagelkreuzzentren

Ökumenische Versöhnungsgebete zu Hause erleben

Aus der deutschen Nagelkreuzgemeinschaft heraus ist mehrfach der Wunsch nach geistlichem miteinander per Video stark geworden, um sich untereinander zu stärken und die Gemeinschaft der Versöhnungssuchenden trotz der allgemeinen Situation zu erleben.

Von zwei ökumenischen Angeboten wissen wir, vielleicht gibt es auch weitere Initiativen.

In Dachau wurde bei YouTube ein eigener Channel für die wöchentlichen Versöhnungsgebete eingerichtet: solange die KZ-Gedenkstätte geschlossen bleibt, wird regelmäßig freitags auf 12.30h eine weitere aktuelle Andacht eingestellt:

Evang. Versöhnungskirche Dachau – YouTube

Im Mittelpunkt dieser Andachten steht neben dem Versöhnungsgebet von Coventry die biographische Erinnerung an Verfolgte des Nationalsozialismus, zumeist an einen Häftling des Konzentrationslagers Dachau.

Die Verantwortlichen der Versöhnungsarbeit in Dachau freuen sich, wenn die Andachten von vielen in der Gemeinschaft wahrgenommen werden! Sie werden ja für längere Zeit verfügbar sein.

Jeweils am ersten Freitag des Monats, um 12.00 Uhr, treffen sich seit einiger Zeit per Videokonferenz Menschen aus der Internationalen Versöhnungsgemeinschaft (bisher: Amerika, Südafrika, Niederlande, Polen, Österreich, Indien, Großbritannien und Deutschland), um ein abwechselnd vorbereitetes Gebet miteinander zu sprechen. Diese Videokonferenzen sind zweisprachig (Englisch und Deutsch). Wer daran teilnehmen will – am 5. Februar oder im März – meldet sich bitte bei Oliver Schuegraf per eMail, damit sie/er die Zugangsdaten zur Zoom-Videokonferenz erhält.

Ökumenisches Gedächtnis der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau

Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern und die Römisch-Katholische Erzdiözese München und Freising begingen den 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau mit einer ökumenischen Andacht am 27. April 2020 zwischen 17 und 18 Uhr. Diese fand am authentischen Ort statt, in der Evangelischen Versöhnungskirche auf dem einstigen Gelände des Häftlingslagers, unweit des Krematoriums.
Da das Gedenken wegen der Corona-Krise nicht öffentlich sein konnte – geplant war ein großer Gottesdienst zum Befreiungstag mit Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, Kardinal Reinhard Marx und Metropolit Augoustinos Lambardakis -, wurde die Andacht in einer deutschsprachigen und einer englischsprachigen Fassung aufgezeichnet. Das geschah auf Wunsch von Familien von Dachau-Überlebenden und von Veteranen, die als amerikanische Soldaten Dachau befreit hatten.

Im Mittelpunkt der Andacht stehen Zeugnisse der Dachau-Häftlinge Herbert Zipper, Jura Soyfer, Joseph Rovan und Karl Adolf Groß. Der Gesang der jungen Musikstudentin Sophie Aeckerle auf Deutsch, Griechisch, Englisch und Hebräisch verbindet das Gedenken an alle KZ-Opfer und die dankbare Erinnerung an die Befreiung vor 75 Jahren mit der Hoffnung auf eine Überwindung von Unrecht, Krieg und Not heute. Das Video wird am Mittwoch, 29. April 2020, um 17 Uhr veröffentlicht, in etwa zu der Zeit, zu der vor 75 Jahren US-Army-Einheiten die Häftlinge befreiten: www.bayern-evangelisch.de/75J.BefreiungDachau.

Für Kirchenrat Dr. Björn Mensing, Pastoralreferent Ludwig Schmidinger und Diakon Klaus Schultz, von unserem ökumenischen Nagelkreuzzentrum „Evangelische Versöhnungskirche“ und (katholische) „Todesangst-Christi-Kapelle“, die gemeinsam mit der Sängerin Sophie Aeckerle die Andacht gestalteten, war es von tiefer Bedeutung, dass zur selben Zeit an anderen Orten der Befreiung von Dachau gedacht wurde. Auf Initiative des Shoah-Überlebenden Zdeněk Pošusta in Prag, dessen Vater das KZ Dachau überlebt hatte, beteten in der Tschechischen Republik Oberrabbiner Karol Sidon und Bischof em. František Radkovský für die Opfer. Viele gute Wünsche zum einzigen „analogen“ Gedenken zum 75. Jahrestag der Befreiung am authentischen Ort kamen gestern in Dachau an, aus den USA, aus Großbritannien, aus Polen, aus den Niederlanden und aus Deutschland. Der Dank für ihr Engagement von Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, war den Verantwortlichen der kirchlichen Gedenkstättenarbeit besonders wertvoll, ein bemerkenswertes Zeichen der jüdisch-christlichen Verbundenheit, gerade angesichts der schuldhaften Verstrickung der deutschen Kirchen in der Zeit des Nationalsozialismus.

MANFRED STOLPE – CHRIST UND MENSCH

In Potsdam in der Nagelkreuzkapelle der Garnisonkirche ist man betroffen, dass Manfred Stolpe, ein wichtiger Förderer der dortigen Versöhnungsarbeit, am 28. Dezember 2019 verstorben ist. Unser Ehrenmitglied Paul Oestreicher hat aus langjähriger Verbundenheit einen sehr persönlichen Nachruf geschrieben:

„MANFRED STOLPE – VERSÖHNENDER BRÜCKENBAUER“

Unsere Beziehung zu DDR Zeiten war eine kollegiale. Freundlichkeit und Sachlichkeit waren seine Hauptmerkmale. Er war Jurist und Verwaltungschef des Evangelischen Kirchenbundes der DDR. Zwei weitere Eigenschaften fallen mir dabei ein: Kompetenz und Selbstsicherheit. Er verlor nicht mehr Worte als notwendig waren, hatte aber immer Zeit für das Wesentliche. Ich fühlte mich in seiner Gegenwart wohl. Ich war der Osteuropabeauftragte des britischen Kirchenrates. Ökumenische Beziehungen und Menschenrechte waren mein Arbeitsgebiet. Freunde, auf Deutsch ‚per Du‘, wurden wir erst, als Manfred der heute hochgelobte Landesvater Brandenburg geworden war. Heute ist die Trauer seiner Familie und seines Landes auch meine.

Menschen, die hohe Ansprüche an sich selbst stellen, die viel erreichen wollen und dementsprechend viel riskieren, sind in hoch politisierten Zeiten umstrittene Menschen. Das Staat-Kirchenverhältnis war in der DDR immer hoch politisiert und im Aufgabenbereich Stolpes riskant, jedenfalls riskant, es sei denn man entzieht sich der Stürme der Zeit und bleibt passiv. Das konnte dieser Konsistorialpräsident von seinem Wesen her nicht tun. Er war ein Macher mit erstaunlicher Gelassenheit, die als Überlegenheit erscheinen konnte. Beliebtheit hat er sich als Kirchenmann nicht zum Ziel gemacht.

Als Landes- und Bundespolitiker habe ich Stolpe nicht gekannt. Eine Einschätzung dieser zweiten Phase seines Lebens überlasse ich gerne der deutschen Öffentlichkeit. Seinen Nachruf in der Zeit kann ich aber empfehlen, jedenfalls den Teil, der sich mit seinem Wirken in der DDR befaßt, denn darin war ich ein gelegentlicher Mitstreiter. Sein umstrittener Einsatz für Menschenrechte habe ich z.T. begleiten dürfen. Ich weiß, was den Mann motivierte, sei es um die relative Freiheit der Kirche als Institution zu sichern oder gefährdete Personen und Gruppen, seien sie Christen oder nicht, nach Möglichkeit zu unterstützen. Das war ohne den Staat nicht möglich, und der Staat hieß meistens die Staatssicherheit.

Stolpe haßte jede Form von Konfrontation. Ein Ziel zu erreichen, ging nicht ohne Diplomatie. Diplomatie geht nicht ohne Kompromiß. Ein gutes Ziel rechtfertigt. Er hat es manchmal erreicht. Ich habe es direkt erlebt und mitgestaltet. Zusammen mit Bischof Fork hat er die Mutter der friedlichen Revolution Bärbel Bohley (und andere) aus dem Knast geholt und für sie sechs Monate Studienurlaub in England erstritten unter ihrer Bedingung, in die DDR zurück kommen zu dürfen. Letzteres paßte dem Staat gar nicht. Bärbel hielt sich nicht an die Bedingung, im Ausland nicht politisch zu agieren, also war der Staat nicht gewillt, sie wieder zurückkommen zu lassen. Stolpe hat das vereitelt, indem er sie pünktlich nach sechs Monaten schweigend in Prag abholte und über eine ‚Hintertür‘ in die DDR zurückbrachte.

Unter falschem Namen hat ihn die Stasi bestimmt abgeschöpft. Mich auch. Das war ein geringer Preis, hat mit Verrat nichts zu tun. Stolpe blieb ein treuer Sohn der Kirche sogar dann, wenn seine Arbeitgeber nicht immer genau wußten, was er tat. Stolpe hat niemals im Kalten Krieg die Seiten gewechselt. In dieser grauen Welt zu funktionieren, war mutig. Die Grenze zwischen Mut und Übermut war, zugestanden, hauchdünn. Die Stasi hat ihn nicht, und er sie nicht über den Tisch gezogen.

Marianne Birthlers Weigerung, im Nachhinein im Wissen um Stolpes Kompromisse nicht mehr mit ihm arbeiten zu wollen, beruht meines Erachtens auf das irrige (aber ehrenhafte) Prinzip, daß im totalitären Staat allein die ‚reine Weste‘ christlicher Nachfolge entspreche.

Der Vorwurf, Stolpe hätte zur Mauer nicht schweigen dürfen, war haltlos. Die Westmächte und die Bundesrepublik wußten, daß die Mauer eine tragische Notwendigkeit bleibt, bis the Sowjetunion die DDR fallen läßt. Fällt die Mauer, fällt die DDR. Fällt die DDR, droht ein Atomkrieg. So hat es mir Walter Ulbricht persönlich erklärt, und in fast den gleichen Worten der stellvertretende britische Militärkommandant Westberlins. Stolpe war Realist und gehörte damit zu den Verteidigern des Friedens. Die Dissidenten aber auch. Er versuchte sie auf seiner Art zu schützen.

Zuletzt noch Eines und das paßt in die Zeit nach dem Mauerfall. Stolpe als Bürger Potsdams setzte sich für die umstrittene Erneuerung der ehemaligen Garnisonkirche ein. Sie solle im Zeichen des versöhnenden Nagelkreuzes von Coventry ein Zentrum der Auseinandersetzung mit der unguten Geschichte werden, ein Friedenszentrum. Der nach dem Krieg erhaltene Turm, nun Heilig Kreuz Kirche genannt, solle als Nagelkreuzgemeinde neu entstehen. Von der SED zerstört, sei der wiederaufgebaute Turm auch städtebaulich sinnvoll.

Manfred Stolpe hat Pfarrerin Cornelia Radeke-Engst ermutigt, eine Nagelkreuzgemeinde aufzubauen, was sie im besten Sinne tatkräftig unternommen hat. Vom Anfang an hat Manfred ihre Arbeit aktiv unterstützt. Letztlich schwer krank, mußte sich Stolpe zurückziehen, freute sich aber, daß der Turm nun wieder entsteht. Einen Bruch mit der Vergangenheit müßte es aber darstellen. Den Wiederaufbau der gesamten alten Garnisonkirche hielt er für falsch. Das versicherte er mir mehrmals. Die Stiftung, wie es jetzt scheint, ist anderer Meinung. Schade. Meinungsverschiedenheiten jeglicher Art zum Trotz würde Manfred ruhig lächelnd sagen ‚tut mit Freude der Stadt bestes.‘

MANFRED STOLPE – CHRIST UND MENSCH
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Ein Nachwort:
Zur Feier meines 80.Geburtstags kamen viele geliebte Menschen in meine Heimatstadt Meiningen. Viele hätten bei der Feier gerne etwas gesagt. Loblieder wünschte ich mir aber nicht. Nur zwei Menschen, zwei politische Christen, bat ich um kurze Worte: Heino Falcke und Manfred Stolpe. In ihrer klaren persönlichen Verschiedenheit stellten sie zwei Lebenswege dar, was es heißen konnte, Christ und Mensch in der DDR zu sein: ein sich ergänzender Segen.

Paul Oestreicher

Mitglieder-versammlung in Loccum, 20.-22. September 2019

Vom 20.-22. September 2019 hat sich die Mitgliederversammlung der deutschen Nagelkreuzgemeinschaft in Loccum getroffen. Das Treffen wurde zum einen durch die Wahlen zum Leitungs­kreis und Vorstand bestimmt. Zum anderen wurde wie üblich ein thematischer Schwerpunkt gesetzt: Am Samstagnachmittag beschäftigte sich die Mitgliederversammlung mit dem Thema „Erin­nerungskultur“.

Das folgende Video bietet einige Eindrücke aus Loccum.

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Dresdner Nagelkreuzsonntag bereits am 1. September 2019

Dresdner Nagelkreuzsonntag, 1.9.19

Am 01.09.19 feiern wir in der Frauenkirche erstmals den internationalen Nagelkreuzsonntag.

Die weltweite Nagelkreuzgemeinschaft hat angeregt, ab 2019 jährlich jeweils am letzten Sonntag im September einen Nagelkreuzsonntag zu feiern. Alle Nagelkreuzzentren sind eingeladen, an diesem Sonntag mit einer verbindenden Liturgie, die in der Kathedrale von Coventry entwickelt wurde, Gottesdienst zu feiern und so ein Zeichen der geistlichen Einheit zu setzen.

Wir haben in Dresden mittlerweile fünf Nagelkreuzzentren (Ev. Diakonissenanstalt, Kreuzkirche, Kirchgemeinde Maria am Wasser, Busmannkapelle, Frauenkirche) und möchten den Nagelkreuzsonntag als Dresdner Nagelkreuzgemeinschaft gemeinsam feiern. Aus organisatorischen Gründen begehen wir den ersten Nagelkreuzsonntag früher als unsere Schwestern und Brüder in den Nagelkreuzzentren weltweit. Der 1. September – Weltfriedenstag – ist ein sehr passender Termin. Er mahnt uns, nicht zu vergessen, welches Leid mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren über die Welt gekommen ist.

Das Engagement für ein friedliches und gerechtes Miteinander in der Gesellschaft sind der Nagelkreuzgemeinschaft aus dem Evangelium heraus Anliegen und verantwortungsvoller Auftrag. Daran wollen wir auch ganz bewusst am Wahlsonntag erinnern.
Besinnen wir uns vor Gott und in seinem Geist des Friedens auf unsere Möglichkeiten, versöhnend zu wirken. Vergewissern wir uns der Verbundenheit und danken wir für ein weltweites Netzwerk, das von der St Michael’s Cathedral in unserer Partnerstadt Coventry ausgegangen ist.

Pfarrerin Angelika Behnke, für das Vorbereitungsteam

Eindrucksvoll schön – eine Reise nach Coventry

Kathedrale bei Nacht – Foto: Friederike Gröpler.

Die Klosterkirche Neuruppin gehört zur weltweiten Nagelkreuzgemeinschaft. Diese Versöhnungsbewegung entstand von Coventry aus nach der Zerstörung der Kathedrale (durch deutsche Fliegerbomben im November 1940). Die Kirche war komplett ausgebrannt, nur die bunten Fenster hielten dem Feuer noch einige Zeit stand. Am Boden der Ruine lagen zwei Holzbalken zu einem Kreuz geformt übereinander. Ein Wunder? Sicher so etwas ähnliches, das wirklich Wundervolle ist aber, dass aus dieser traurigen Geschichte nicht weiterer Hass entstanden ist, sondern eine weltweite Bewegung für Frieden und Versöhnung. Der damalige Provost (das ist der oberste Geistliche an dieser Kirche) empfand am Tag nach der Zerstörung in der ausgebrannten Kirche nicht den Wunsch nach Vergeltung, sondern nach Vergebung. Er schrieb mit Ruß an die Kirchenmauer: „Father forgive“. Einer seiner Arbeiter brachte ihm einige alte Nägel aus der Ruine und zeigte ihm, wie sich drei Nägel auch zu einem Kreuz formen lassen. Und Provost Dick Howard nahm in den Jahren danach mit anderen christlichen Gemeinden Kontakt auf. Mitte der 50er Jahre wurde das Versöhnungsgebet formuliert, dass den Impuls „Father forgive“ aufnahm. Seit dieser Zeit wird in Coventry, aber auch in vielen Gemeinden auf der ganzen Welt am Freitagmittag um Vergebung gebetet.

Auch die Klosterkirche gehört zu dieser Bewegung, allerdings, so richtig aktiv war die Gemeinde nicht mehr. Zu wenige Aktive konnten das „nebenher“ nicht stemmen. So entstand die Idee, durch eine Reise nach Coventry neue Mitstreiter zu gewinnen.

Und so starteten wir, eine bunt gemischte Truppe von 11 Personen,  Anfang April nach Coventry. Ganz klassisch kamen wir im strömenden Regen an und starteten gleich nach dem Trocknen zur Kathedrale, um am Evening Song, der Abendandacht, teilzunehmen.

Unmittelbar neben der Ruine wurde in den sechziger Jahren eine beeindruckende neue Kathedrale errichtet. Und, gleich war das Wunderbare an diesem Ort zu bemerken. Wir betraten die Kathedrale an einem regnerischen Aprilabend – und die bunten Fenster strahlten Hoffnung und Freude aus!

Der Besichtigung der beiden Kathedralen am Folgetag sah ich mit gemischten Gefühlen entgegen. Durfte ich – eine Deutsche – durch die Ruine gehen und mich trotzdem am Urlaub und der strahlenden Sonne erfreuen. Musste ich nicht vor Scham im Boden versinken? Nein, ich musste nicht. Da war sie, diese Faszination, die von der Ruine ausging. Ja, es war richtig, dass ich da war, ich, die Erbin der Zerstörer. Das ist Versöhnung! Nicht das Schämen und wegsehen, sondern hingehen, sich der Schuld stellen und besser machen.  Da stand ich in dieser kaputten Kirche und habe mich das erste Mal in meinem Leben im Ausland nicht geschämt, eine Deutsche zu sein!

So konnte ich, erfüllt von tiefer Ruhe, die Besichtigung der  neuen Kathedrale genießen, in der Kinder spielen und lernen und  das Leben nur so summt und singt. Und bei der Andacht habe ich das Vaterunser gebetet: Auf Deutsch!

Nach drei Tagen in Coventry haben wir uns noch die Gegend um Birmingham angeschaut und, zur Krönung des Ganzen, London besichtigt. Und, wie sollte es 2019 anders sein, Fontane hat uns auch begleitet und mit äußerst zeitgemäßen Betrachtungen die Umgestaltung der Landschaft durch den Menschen kommentiert! Es war so eine schöne Fahrt, was sicher auch der guten Organisation und, nicht zuletzt, den durchweg liebenswerten Mitreisenden zu verdanken ist. Und das Konzept ist aufgegangen: Wir werden uns alle für die Nagelkreuzgemeinschaft einsetzen, es ist Zeit!

In die Freitagsabendandachten wird das Coventry-Gebet integriert werden.

Und am 15. September 2019 werden wir ab zehn Uhr einen großen Gottesdienst feiern, zu dem alle herzlich eingeladen sind. Vielleicht können wir Ihnen auch ohne Fahrt nach England unsere Eindrücke vermitteln und Sie so an etwas wirklich Wundervollem teilhaben lassen.

 

Uta Kurz, Neuruppin

Nagelkreuzsonntag: Feiern Sie mit!

Am 29. September 2019 feiert die weltweite Nagekreuzgemeinschaft ihren ersten Nagelkreuzsonntag. Alle Nagelkreuzzentren sind eingeladen, an diesem Sonntag nach denselben Liturgiebausteinen miteinander Gottesdienst zu feiern und so ein Zeichen der geistlichen Verbundenheit zu setzen. Feiern Sie, dass Sie ein Teil dieses weltumspannenden Versöhnungsnetzwerkes sind. Nutzen Sie diese besondere Gelegenheit, um gemeinsam zu beten, auf Gottes versöhnendes Wort zu hören und darüber nachzudenken, was Ihre Rolle auf unserem Weg der Versöhnung ist.

Hier finden Sie die Liturgiebausteine, die von der Kathedrale von Coventry formuliert wurden, zum Herunterladen, sowie Videomaterial zur Vorbereitung, Werbung oder der Verwendung im Gottesdienst.

In memoriam Annegret Seyfang

Annegret Seyfang ist am 23. Oktober 1932 in Hamburg geboren und hatte als Kind den II. Weltkrieg miterlebt. Der Vater, Karl Eduard Wilhelm Seyfang, war arbeitslos geworden, nachdem er sich weigerte, der NSDAP beizutreten, und daher zog die Familie für etwa anderthalb Jahrzehnte nach Hannover, wo Vater Seyfang zur Überbrückung wenigstens als LKW-Fahrer tätig sein konnte.
Nach dem Krieg arbeitete er als Versicherungskaufmann bei der Volksfürsorge. Mutter Erika Hedwig Seyfang war Hauswirtschaftsleiterin in verschiedenen Kinderheimen.
Annegret war eine ruhige besonnene Person – für ihre sieben Jahre jüngere Schwester Ingeborg war sie ein bisschen Mutterersatz.

Annegret studierte Anglistik in Hamburg, aber auch in Bristol und in Göttingen (oder Tübingen, das ist nicht ganz sicher) und wurde Lehrerin Sie lebte während des Studiums wieder einige Zeit in Hamburg und war, nach einem Referendariat in Wandsbek als Oberstudienrätin am Lohmühlengymnasium (Aufbaugymnasium Lohmühlenpark) in Hamburg St. Georg (heute in der Stadtteilschule Hamburg Mitte aufgegangen) tätig. Spätestens 1962 ist sie aus persönlichen Gründen nach Lübeck gezogen. Sie ist täglich zum Lohmühlengymnasium nach Hamburg gependelt.

Auf einer Taizé-Fahrt 1982 hatte sie den Pfarrer der St. Marienkirche Lübeck, Pfarrer Volker Schulz, kennengelernt und sich dann in dieser Gemeinde „zu Hause gefühlt“ und stark engagiert.
St. Marien war 1971 bereits in die Versöhnungsarbeit der Nagelkreuzgemeinschaft gekommen, und diese Versöhnungsarbeit ist Annegret Seyfang sehr wichtig geworden. Aus gesundheitlichen Gründen ist sie mit 55 Jahren in den vorgezogenen Ruhestand getreten und hat als Lebensmittelpunkt Lübeck behalten.

Gerne ist sie gereist, sie war an Fragen der Theologie genau so interessiert wie an Fragen der Geschichte und der vielen Geschichten der Mitmenschen.1990 war sie in Dresden bei dem Treffen der Nagelkreuzzentren aus Ost undWest dabei, die dort beschlossen, künftig einen Verein „Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland e.V.“ zu gründen. Bei allen zweijährig stattfindenden Mitgliederversammlungen war sie dabei, zuletzt 2015 in Hofgeismar. Über zwanzig Jahre, bis 2013, hat sie einen wichtigen Dienst in der Gemeinschaft verantwortlich übernommen: das Führen der Adressen derer, die in Deutschland und in Mittel- und Osteuropa den Freundesbrief zweimal im Jahr zugeschickt bekommen; und jedes Mal dann den Versand an die zuletzt über dreihundert Adressen vorzunehmen! Danke für diese stille Arbeit für die Vernetzung an so vielen Orten! Zugleich war sie tatkräftig engagiert, wenn es darum ging, wie junge Menschenin die Versöhnungs-Geschichte von Coventry eingeführt werden und vertraut werden mit dem „Vater vergib“ der Litanei von Coventry.

Wir erinnern gerne an unsere Schwester im Herrn, die nun am 14. März 2019 im Krankenhaus starb; unsere Gedanken und Gebete gehen an ihre Familie und an ihre Gemeinde, die sie vermissen.

 

Verfasser des Textes: Jost Hasselhorn

Ringen um Versöhnung und Frieden in unserer Welt

Regional-Treffen der Nagelkreuzgemeinschaft in Bayern am 06.04.2019 in Leipheim und Günzburg

„Erhalt uns Gott bei deinem Wort und steu’re deiner Feinde Mord…“ Der Spruch aus dem Reformationszimmer im Heimat- und Bauernkriegsmuseum Blaue Ente in Leipheim ließ uns Teilnehmer des Regionaltreffens der Nagelkreuzgemeinschaft doch alle aufhorchen. Ist das christlich und wo bleibt da die Toleranz oder geschweige denn die Versöhnung, die unsere Gemeinschaft doch als das wichtigste Ziel sieht? Natürlich ist dieser Ausspruch ein Fragment aus längst vergangener Zeit, aber auch ein Grund genug, sich mit dem heutigen Verständnis von Versöhnung und Toleranz auseinanderzusetzen. Um diese Themen ging es dann auch im gegenseitigen Austausch der aus Bayern und Gästen aus Österreich und Pakistan stammenden Teilnehmer. Bereits die beiden Bürgermeister aus Leipheim und Günzburg gingen in ihren jeweiligen Grußbotschaften auf die Wichtigkeit eines solchen Treffens ein: „Nicht Bitterkeit, Hass oder der Wunsch nach Vergeltung sollten die Zukunft prägen, sondern die Hoffnung auf Versöhnung, Vergebung und Frieden.“

Wir erspürten im geschichtsträchtigen Museum zunächst die Not, die aufständische Bauern 1525 in den Krieg trieb, wir registrierten beeindruckt deren Forderung nach Mitbestimmungs- und Freiheitsrechten und waren bestürzt über das blutige Ende der Bauernkämpfe. Pfarrer Oßwald, der Gastgeber unserer Veranstaltung im ev. -luth. Gemeindehaus, nahm nachmittags in seiner Begrüßung den Faden wieder auf und berichtete vom Kampfgeschwader 55, dass 1938/39 auf dem Fliegerhorst Leipheim stationiert war und im Jahre 1940 an der Bombardierung von Coventry (Mittelengland) beteiligt war. Versöhnung tut Not und geschieht, wobei er als aktuelles Beispiel erwähnt, dass sie zumindest in Form gelebter Ökumene sichtbar wird, da während der Renovierung seiner Kirche die Gemeinde in der katholischen Nachbarkirche einen Ort für ihre Gottesdienste finden kann – „ein einfacher Anruf beim Kollegen reichte aus“!.

In mehreren Workshops setzen sich dann alle TeilnehmerInnen noch konkreter mit dem Anspruch und der Verwirklichung von Versöhnungsarbeit auseinander. Ist Versöhnung „cool“, wie kann sie im Miteinander mit anderen Religionen und Kulturen gelingen – oder sollten wir auch einmal „laut sein“, wenn es zum Beispiel um den Klimawandel geht? Im Blickfeld steht dabei auch der Wunsch, insbesondere die Jugend für dieses wichtige Thema zu gewinnen. Nach all den engagierten Diskussionen blieb die Feststellung im Raum, dass Toleranz eine lebenslange Aufgabe darstellt, die Versöhnung bewirken kann. Toleranz um jeden Preis wäre aber falsch verstanden, da sie da endet, wenn Menschenrechte bedroht sind. Es geht um eine ehrliche Auseinandersetzung unter Achtung des Nächsten in seiner Würde.

Dazu hat die Nagelkreuzgemeinschaft etwas zu sagen und deshalb soll zukünftig noch bewusster dieser Auftrag durch Jahresthemen erarbeitet werden, damit die drei prägnanten Aussagen der Nagelkreuzgemeinschaft – die Wunden der Geschichte heilen, mit Verschiedenheit leben lernen und am Frieden arbeiten – Wirklichkeit werden können.

Den Ausklang des Tages bildete gemeinsames Beten und Singen in der ehemaligen Hofkirche im nahen Günzburg. Dort ist ein Nagelkreuzzentrum, das vom „Verein der Freunde der Hofkirche“ betreut wird. „Im Gebet schließen wir uns mit allen, die sich für Frieden und Versöhnung weltweit einsetzen, zusammen und fühlen uns verbunden“, so begann die Einleitung in der Hofkirche. Im Zentrum steht dabei die Versöhnungslitanei von Coventry, die auch regelmäßig jeden Freitag in der Hofkirche und in den 70 Nagelkreuzzentren in Deutschland gebetet wird.

Walter Elsner

Hintergrundinformation:
Die Nagelkreuzgemeinschaft in Deutschland e.V. ist Teil der internationalen Nagelkreuzgemeinschaft. Am 14. November 1940 wurde die englische Stadt Coventry mit ihrer mittelalterlichen Kathedrale von deutschen Bomben zerstört. Statt nach Vergeltung zu rufen, hatte der damalige Propst, Richard Howard der Kathedrale eine andere Vision: dem Feind sollte die Hand zur Versöhnung gereicht werden. Symbol dieses Versöhnungsdienstes wurde das Nagelkreuz, zusammengefügt aus drei Zimmermannsnägeln aus den Dachbalken der zerstörten Kirche. Das Nagelkreuz von Coventry steht heute als Zeichen der Versöhnung und des Friedens an vielen Orten der Welt. Die Nagelkreuzgemeinschaft ist ein weltweites Netzwerk von christlichen Kirchen und Organisationen, die auf der Grundlage des Glaubens an den dreieinigen Gott und inspiriert durch die Geschichte der Kathedrale von Coventry und ihres Nagelkreuzes eine fortdauernde Verbindung mit der Kathedrale pflegen und die sich verpflichtet wissen, für Frieden und Versöhnung zu beten und zu arbeiten. Im Mittelpunkt des Gebetes steht die Versöhnungslitanei von Coventry, die in sieben Anrufungen Gottes sein Erbarmen zu den menschlichen Unzulänglichkeiten wie etwa den Hass, der die Menschen trennt oder die Besitzgier, die die Arbeit der Menschen ausnutzt und die Erde verwüstet, durch das „Vater vergib“ erbittet. Dies war auch genau die Bitte, die der Propst der Kathedrale von Coventry an die Apsis-Wand seiner zerstörten Kathedrale schreiben ließ: father forgive – Vater vergib!